Читать книгу Aufwachstory - Anatol Flug - Страница 11
Оглавление[8]
Der Wein hatte natürlich seinen Beitrag dazu geleistet, dass unsere Gespräche langsam intimer wurden, und ich begann sogar, meinen schrecklichsten Traum zu erzählen. Ich war damit sehr vorsichtig geworden, denn seit er mich vor etwa zwei Jahren aus dem Schlaf gerissen hatte, hatte ich ihn einigen Leuten erzählt und es stellte sich immer wieder heraus, dass er auf den ersten Blick recht leicht durschaubar wirkte, sich auch nichts Spektakuläres darin ereignete und niemand nachvollziehen konnte, was verglichen mit anderen Alpträumen so besonders schrecklich daran sein sollte.
Der Traumsequenz, die mich damals einige Monate lang nicht losgelassen hatte, war ein wüster Tumult vorangegangen. Ich erinnere mich, dass angefangen bei meinen Kindheitsfreunden so ziemlich alle Menschen, die mir in meinem Leben etwas bedeutet hatten, darin vorkamen. Ich erinnere mich an Szenen, die aus einem Abenteuerfilm stammen könnten – bunt gekleidete Räuber, einige mit schwarzen Augenklappen, die auf wilden Pferden durch einen Wald, eher eine an einen Wald grenzende Lichtung, ritten. Darin war ich wohl auch verwickelt, und ich kam schließlich im Hof oder Garten einer Schlossruine an. Ich trug ein aus Beige- und Brauntönen gesprenkeltes Sakko, das ich vor ein paar Jahren sozusagen unter Protest gekauft hatte, als ich zur Hochzeit eines Freundes eingeladen worden war. Darunter trug ich ein weißes Hemd. Ich war gerade angekommen – von diesem Tumult hier praktisch angeschwemmt worden –, stand im Gras, nicht weit von mir entfernt ein halb verfallener unscheinbarer Arkadengang.
Ohne dass ich das vorher wahrgenommen hätte, hatte sich mir eine Gestalt in einem schwarzen Umhang mit Kapuze genähert, etwas vorgebeugt, das Gesicht in der Kapuze vergraben. Die Gestalt öffnete den Spalt des Umhangs etwas weiter, um Bewegungsraum für die Hände zu bekommen, und als sie den Kopf hob und die Kapuze etwas zurücksank, erkannte ich die Frau, die ich gerne geliebt hätte, unter dem Umhang war nun auch das Outfit zu sehen, das sie bei der Party trug, bei der ich sie zuletzt getroffen hatte. In ihrer rechten Hand hielt sie eine Pistole, sie zielte aus nur wenigen Metern Entfernung auf meine Brust und drückte ab.
Ich spürte im Traum keinerlei Schmerz. Ich wusste, dass sie in mein Herz geschossen hatte und ohne hinunter zu sehen wusste ich auch, dass sich ein dünnes Rinnsal aus Blut im weißen Hemd abzuzeichnen begann. Ich griff mit der linken Hand nach einem weißen Stofftaschentuch, das ich in der Sakkotasche hatte, und wollte das Blut abwischen. Aber mitten in der Bewegung geschah das Schreckliche, das mich lange nicht mehr losließ: Plötzlich schoss mir der Gedanke durch den Kopf: Wozu soll ich das noch machen? In wenigen Minuten bin ich sowieso tot.
Diese plötzliche Erkenntnis, dass man nichts mehr tun konnte. Es war nicht die Eingebung, die letzten Minuten meines Lebens nicht mit solchem Blödsinn zu verschwenden. Ich tat oder dachte auch nichts anderes. Und ich war völlig allein. Ich weiß auch nicht, was die Frau, die mich gerade getötet hatte, jetzt machte; sie war einfach aus meiner Wahrnehmung verschwunden.
Es war großartig, dass Christoph sich nicht auch einfach an den Banalitäten festfraß, dass mich eine Frau zurückgewiesen hatte und ich das eben schmerzhaft empfand. Das waren nicht nur Schmerzen; die Erinnerung an diese Traumszene überfiel mich oft plötzlich während des Tages und ich erlebte es immer wieder als Todeserfahrung. Die Erzählung löste etwas noch Unklares in Christoph aus. Er sagte, er werde darüber weiter nachdenken und dann etwas zu dem Traum sagen. Wir versanken in nachdenkliches Schweigen, unsere Blicke verloren sich im Nachthimmel, der für niemanden auf diesem Planeten mehr derselbe war wie noch ein Jahr zuvor, und nach einer Weile kamen wir überein, dass es das Beste sei, jetzt schlafen zu gehen und uns morgen gegen halb zehn zum Frühstück zu treffen.