Читать книгу "Die Rheinnixen" contra "Tristan und Isolde" an der Wiener Hofoper - Anatol Stefan Riemer - Страница 8

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1 Zum Verhältnis Offenbach – Wagner

1.1 Offenbach contra Wagner in der Literatur

In der Literatur ist das Verhältnis der beiden Musikdramatiker Jacques Offenbach und Richard Wagner immer wieder aus den unterschiedlichsten Blickwinkeln beleuchtet worden. Neben den wenigen direkten Auseinandersetzungen der Komponisten miteinander, die in Briefen und Schriften bzw. im Falle Jacques Offenbachs darüber hinaus in einer musikalischen Parodie des »Zukunftsmusikers« Richard Wagners dokumentiert sind,6 laden insbesondere die in nahezu jeder Hinsicht kontrastierenden ästhetischen Anschauungen, dramaturgischen Konzepte sowie musiksprachlichen Modelle dazu ein, anhand der beiden Antipoden das überaus breite Spektrum des Musiktheaters der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu beschreiben.

Eine solche holistische Betrachtungsweise findet sich beispielsweise bei Anton Henseler in seinem 1930 vorgelegten Standardwerk über Jacques Offenbach:

»Offenbachs ›art difficile de faire court et mélodieux‹ und Wagners ›unendliche Melodie‹, Offenbachs Prestissimo-Galoppaden und Wagners in feierlichem Grave einherschreitender Ernst, Offenbachs parodistische Verhöhnung alter Sagenstoffe und ihre philosophische Durchdringung bei Wagner, das sind nicht nur Gegensätze der Gestaltung, sondern auch der geistigen Haltung, wie sie als äußerste Pole die Möglichkeiten und den Reichtum der Musik nach 1850 umspannen.«7

Peter Ackermann hebt hervor, dass die kontrastierenden künstlerischen Standpunkte Offenbachs und Wagners die divergierenden zeitgenössischen Strömungen des Musikdenkens nicht nur paradigmatisch widerspiegeln, sondern sie im Gegenzug auch prägen und verstärken:

»Der Fall Offenbach – Wagner, das Verhältnis zweier Musiker, die wohl nie persönlich sich begegnet sind, ist in seiner differenziert antinomischen Struktur symptomatisch für die musikalische wie für die politische Geschichte des 19. Jahrhunderts. […] In Offenbach und Wagner stehen nicht nur zwei individuelle ästhetische Positionen bewußt sich gegenüber, sondern deren Spannung manifestiert sich zugleich im Musikdenken, der musikalischen Theorie der Zeit.«8

Beispielhaft für Interpretationsansätze, in denen anhand übergeordneter Problemstellungen – hier die romantische Idee einer umfassenden Darstellung der »Welt« – Gemeinsamkeiten zwischen Wagner und Offenbach aufgezeigt werden und die lediglich hinsichtlich der unterschiedlichen Herangehensweisen differenzieren, steht der folgende von Lionel Pons:

»Wagner et Offenbach ont en commun le désir de faire tenir en quelque sorte le monde entier sur scène dans leurs ouvrages. Les modalités sont différentes, Wagner ambitionne un art total renouant avec ce qu’il pense être la pureté de la tragédie grecque, Offenbach met ses contemporains en scène (en les travestissant parfois sous des costumes antiques) et leur tend un miroir. Cette démarche esthétique est éminemment romantique, aussi bien dans un cas que dans l’autre.«9

Solche Betrachtungen dichotomischer Herangehensweisen von Wagner und Offenbach an diverse musikalisch-dramaturgische Fragestellungen bzw. die Analyse signifikanter Abweichungen bei beiden Komponisten beanspruchen in der Forschung breiten Raum und lassen sich auf nahezu sämtliche Untersuchungsgegenstände anwenden. So nimmt beispielsweise Grete Wehmeyer die Behandlung von Frauenfiguren in den Blick und gelangt zu der Feststellung:

»[Bei Wagner] müssen [Frauen] tugendsam, anmutig und blütengleich sein, sie müssen sich für die Männer, von denen sie geliebt werden wollen, opfern – was Elisabeth, Senta, Sieglinde, Isolde tun, auch Brünnhilde und Gutrune bekommen nie das Steuer in die Hand. Sie sind Material in den Aktionen der Männer – der Helden.«10

Bei Offenbach und einem seiner wichtigsten Librettisten, Ludovic Halévy (1834–1908), hingegen

»brauchen die Frauen sich keine Sorge um ihre Gleichberechtigung zu den Männern zu machen. Die beiden Autoren dürften nicht solche persönlichen biographischen Probleme gehabt haben wie Wagner. Die Atmosphäre zwischen den Geschlechtern ist entspannt; es gibt unter den Männern wie auch unter den Frauen patente Gestalten, mit denen man Pferde stehlen könnte.«11

Anna-Christine Brade analysiert sogar die dramaturgische und kompositorische Ausführung von Kundry und Stella aus den jeweiligen Spätwerken Parsifal (1882) und Les Contes d’Hoffmann (1881), um

»in der Focussierung auf die Frauengestalten exemplarisch die These [zu] belegen und [zu] prüfen, daß Offenbach, der so von Wagner geschmähte Operetten-Komponist, die ideologische, dramatische und damit auch musikalische Antithese zu Wagner darstellt.«12

Aufschlussreich ist auch – um noch ein Beispiel ganz anderer Kategorie zu geben – die Auseinandersetzung in der Literatur mit der vor allem mit dem Schaffen Jacques Offenbachs assoziierten Ebene des Humors. In seinen weit über hundert Bühnenwerken findet sich ein breites Spektrum an Abstufungen des Komischen, das von zarten ironisierenden Anspielungen, buffonesken Elementen und den unterschiedlichsten Parodieformen bis hin zu bizarren Grotesken reicht. Bezeichnend ist, dass Offenbach nahezu während seiner ganzen Schaffenszeit auf die unterschiedlichen Ausprägungen immer wieder zurückgreift und sie mitunter sogar in einzelnen Opern kombiniert. Im Falle Richard Wagners wird die Frage des Humors insbesondere anhand der Meistersinger (1868) diskutiert und damit eine Schaffensperiode in den Blick genommen, »in der sich Wagners gereiftes Komik-Verständnis vom ›Witzigen‹ zum ›Heiteren‹ wandelt«.13 Bereits in den vorausgehenden Werken zeigt sich jedoch,

»daß Wagners vis comica offenkundig etwas anhaftet, das schon bei den Zeitgenossen Widerwillen hervorrief, weil es allzu deutlich mit dem Moment des Spottes zusammenhängt, eines Spottes, der immer wieder – und nicht zu Unrecht – als gnadenlos und grausam empfunden wurde.«14

Erwähnenswert scheint zudem, dass beispielsweise sowohl Theodor W. Adorno als auch Carl Dahlhaus für die Diskussion des »unsteten« oder »unechten« Komischen bei Wagner die Meistersinger und bei Offenbach Les Contes d’Hoffmann (1881) in den Blick nehmen und hierfür zudem für beide Werke jeweils dieselben Begrifflichkeiten verwenden. Bei Adorno heißt es: »Wagners Humor springt grausam um«15 bzw. mit Blick auf Offenbachs Spätwerk »wo Lustigkeit jeden Augenblick in wüste Grausamkeit umspringen möchte«,16 und Dahlhaus konstatiert: »Die Meistersinger sind das Werk eines Humors, dem nicht zu trauen ist«17 bzw. kommt hinsichtlich des »ins Unheimliche umkippenden Operettenton[s]« in Offenbachs Opéra fantastique zu dem Schluss, dass »dem Wohllaut, den [die Barcarolle] ausbreite[t], nicht zu trauen ist.«18

Ein bemerkenswertes zeitgenössisches Dokument für die gezielt eingesetzte Nivellierung der musikalisch-dramatischen Gegensätze im Werk beider Komponisten insgesamt stellt das nach dem Ende des Deutsch-Französischen Krieges 1871 erschienene deutschtümelnde Pamphlet »Richard Wagner und Jacob Offenbach. Ein Wort im Harnisch von einem Freunde der Tonkunst« eines anonymen Autors dar, dessen vorrangige Intention am Ende folgendermaßen zusammengefasst wird:

»Aber in dem ruhmvollen Glanze eines neuerstandenen deutschen Reiches wollen wir uns wenigstens durch reine und vernünftige deutsche Auffassung eine andere Zukunftsmusik und Zukunftsoper vorbereiten, als diese, stark an Selbstüberschätzung und vielen längst abgethanen, abgeschmackten Irrgängen laborirende Wagner’sche Zukunftsmusik!«19

Bereits Peter Ackermann weist darauf hin, dass die an zahlreichen Stellen der Abhandlung konstruierte Gleichsetzung von Wagner und Offenbach hinsichtlich zahlreicher ästhetischer und musikalischer Aspekte nicht haltbar ist20 und lediglich dem Zweck dient, Thesen wie »[b]eide sind die absolute Negation, der reine Widerspruch der Vergangenheit und alles in natürlicher Entwicklung Gewordenen«21 zu untermauern. Besonders deutlich wird diese Vereinnahmung beispielsweise mit Blick auf die Harmonik:

»Möge darum Richard Wagner das Alte nur stürzen wollen und als gleichgesinnter Knappe Jacob Offenbach ihm dabei hülfreiche Hand leisten, in den harmonischen Grundsätzen wenigstens gleichen sie sich ja wie ein Ei dem andern. […] In Rücksicht der harmonischen oder antiharmonischen Grundsätze sind Richard Wagner und Jacob Offenbach […] wahre Glaubensgenossen. Und es ist noch die Frage, wer von Beiden es in der Mißachtung und Verspottung aller harmonischen Grundsätze und Geschmacksregeln am weitesten gebracht hat.«22

Der Autor hebt des Weiteren darauf ab, dass die Eigentümlichkeit von Wagners und Offenbachs Musikstil nicht auf der fundierten und versierten Weiterentwicklung traditioneller Ausdrucksformen beruhe, sondern vielmehr auf der mangelnden Kenntnis theoretischer Grundlagen:

»Weil es [Wagner] an technischer Bildung, an ruhig und systematisch entwickelten Kräften, ja auf dem poetischen Gebiete selbst an dem reinen und edlen Geschmack fehlte, so gerieth er in seiner ungezügelten und eingebildeten Erregtheit auf allerlei Thorheiten und Absurditäten. Stellen wir ihn neben Offenbach, so geschah es der Auffassung und Verwendung der musikalischen Mittel wegen.«23

Für seine Unbedenklichkeit im Umgang mit theoretischen Grundlagen gibt Wagner in seiner 1860 entstandenen Schrift »Zukunftsmusik« mit Blick auf Tristan und Isolde selbst ein Beispiel:

»[N]icht weil ich [dieses Werk] nach meinem System geformt hätte, denn alle Theorie war vollständig von mir vergessen, sondern weil ich hier endlich mit der vollsten Freiheit und mit der gänzlichsten Rücksichtslosigkeit gegen jedes theoretische Bedenken in einer Weise mich bewegte, daß ich während der Ausführung selbst inne ward, wie ich mein System weit überflügelte. Glauben Sie mir, es giebt kein größeres Wohlgefühl als diese vollkommenste Unbedenklichkeit des Künstlers beim Produziren, die ich bei der Ausführung meines ›Tristan‹ empfand.«24

Eine »Unbekümmertheit im Harmonischen, die sich genial hinwegsetzt über zopfige Satzregeln«,25 wird Jacques Offenbach wiederum von Anton Henseler attestiert, und Ulrich Dibelius merkt hinsichtlich der Zurschaustellung handwerklichen Könnens in den Bühnenwerken Offenbachs an:

»Denn es kommt dieser Musik, in der sich die Derivate französischer Melodik und kölnischer Gassenlieder, deutscher Romantik, gebräuchlicher Tanztypen und auch erinnerten Synagogalgesangs gelegentlich verwirrend mischen, ja keineswegs auf den Nachweis ihrer eigenen Kunstfertigkeit an, sondern auf den, wie auch immer zu erreichenden, mit allen verfügbaren Mitteln vorangetriebenen Effekt.«26

Hinsichtlich der Ausprägung ihres jeweiligen musikdramatischen Stiles vor dem Hintergrund der beherrschenden zeitgenössischen Operntraditionen bildet bei beiden Komponisten Paris den maßgeblichen Schnittpunkt.27 Zu Beginn der 1840er Jahre mutet die »Weltmusikhauptstadt« Wagner bei seinem ersten Aufenthalt »zweieinhalb Jahre zu, die wohl die kläglichsten, am tiefsten demütigenden, am brutalsten schindenden seines Lebens sein werden, Jahre der inneren und äußeren Kälte, des Hungers, der Verlorenheit.«28 Auch Offenbach, der 1833 zunächst als Violoncello-Student des Conservatoire national de musique et de déclamation nach Paris kommt, dann ab 1835 als Cellist an der Opéra Comique beschäftigt ist, als Virtuose durch die Pariser Salons zieht und 1850 – nach gut einjähriger Flucht in seine Heimatstadt Köln vor den Wirren der Revolution von 1848 – eine Kapellmeistertätigkeit am Théâtre-Français übernimmt, hat 22 mühsame und entbehrungsreiche Jahre durchzustehen, ehe ihm mit der Gründung seines Théâtre des Bouffes-Parisiens 1855 sein Durchbruch als Komponist und Theaterleiter gelingt.29

Für die vorliegende Untersuchung sind insbesondere die musikdramatischen Anleihen interessant, die Wagner und Offenbach bei der an Frankreichs erster Bühne vorherrschenden Gattung machen: der Grand Opéra.30 So stellt beispielsweise Jean-François Candoni mit Blick auf die 1840 in Paris wieder einsetzende kompositorische Arbeit Wagners an seiner »Großen tragischen Oper in 5 Akten« fest:

»In Rienzi hat sich Wagner unbestreitbar als fähig erwiesen, sich die Merkmale der französischen Grand Opéra zu eigen zu machen. Rienzi bietet alle operndramaturgischen Zutaten, denen die Gattung ihren Erfolg verdankt: fesselnde dramatische Tableaus, Massenszenen, Aufmärsche, Aufzüge und Schwurszenen, Durchkreuzung einer privaten und einer politischen Handlung, deren Ausbreitung ihre epische Herkunft verrät.«31

Carl Dahlhaus weist auf den Umstand hin, dass sich die Auseinandersetzung Wagners mit Modellen der Grand Opéra nicht nur in Rienzi, sondern bis in das Spätwerk nachverfolgen lässt,32 und schlägt dabei auch den Bogen zum »Gesamtkunstwerk«, dessen Grundzüge sich in der literarischen und musikästhetischen Diskussion in Paris bereits ab Beginn des zweiten Drittels des 19. Jahrhunderts herausbilden. Matthias Brzoska konstatiert in diesem Zusammenhang:

»Daß die Idee des Gesamtkunstwerks in wesentlichen Aspekten auf Prämissen französischen Ursprungs fußt, kann mithin als erwiesen gelten; sie wurzelt in jener literarischen Krisensituation, die für die zweite Generation des Romantisme charakteristisch ist und den Übergang zum Realisme markiert. Und daß sich Wagner trotz der damit verbundenen Enttäuschungen immer wieder an Paris orientierte, erscheint ebenso konsequent wie die Tatsache, daß er in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gerade unter Pariser Literaten glühende Anhänger fand.«33

Sieht Theodor W. Adorno in Wagner hinsichtlich musikalischer »Effekthascherei« den »Erben« Meyerbeers,34 so ist Offenbachs musikalische Auseinandersetzung mit den Werken des Hauptvertreters der Gattung der Grand Opéra nahezu ausschließlich auf parodistischer Ebene zu verorten. Offenbachs kompositorisches Denken setzt vielmehr bei den Prinzipien der älteren Opéra comique an, die er wiederbeleben und erneuern möchte. Ausgehend von diesem »genre primitif et vrai«35 entwickelt Offenbach sein Erfolgsmodell der mittleren Schaffensperiode, das Peter Hawig wie folgt umschreibt:

»Die ›Offenbachiade‹ ist ein satirischer Seitenzweig der opéra-comique: die Gesellschaftssatire in Gestalt des Musiktheaters. Sie ist ein wohldosiertes Gemisch musikalischer Traditionsbausteine mit parodistischer Zuspitzung, in denen aber immer die Inseln der aufrichtigen Gefühle selig vor sich hintreiben.«36

In nicht-parodisierender Weise setzt sich Offenbach lediglich zweimal mit dem Modell der Grand Opéra auseinander: In den Rheinnixen und zehn Jahre später in seiner »verhinderten Großen Oper«,37 der Bühnenmusik zu Victorien Sardous Drama La Haine (1874).38 Insbesondere in den Rheinnixen sind – neben der Grand Opéra – auch Merkmale anderer Gattungen, wie beispielsweise der Opéra comique oder der Romantischen Oper, nachweisbar. Den Einsatz verschiedener Traditionsbausteine behält Offenbach, wenn auch in reduzierter Form, in den folgenden Werken bei und führt ihn im Spätwerk Les Contes d’Hoffmann nochmals zu einem Höhepunkt, indem er die Gattungsmischung als wesentliches stilistisches Charakteristikum seiner Opéra fantastique exponiert.

Wagner hingegen vollzieht – nach der frühen Beschäftigung mit den Gattungen der Romantischen Oper in den Feen (Fertigstellung 1834), mit der Opéra comique und der Opera semiseria in Das Liebesverbot (1836) und ausgehend von der Adaption des Modells der Grand Opéra in Rienzi (1842) – die schrittweise sich steigernde Individualisierung der Musiksprache der nachfolgenden Werke. Und genau hierin sieht beispielsweise Friedrich Nietzsche – noch in der Phase seiner Bewunderung für den Komponisten – die größte Leistung des Musikdramatikers Richard Wagner:

»Wer hinter einander zwei solche Dichtungen wie Tristan und die Meistersinger liest, wird in Hinsicht auf die Wortsprache ein ähnliches Erstaunen und Zweifeln empfinden, wie in Hinsicht auf die Musik: wie es nämlich möglich war, über zwei Welten, so verschieden an Form, Farbe, Fügung, als an Seele, schöpferisch zu gebieten. Diess ist das Mächtigste an der Wagnerischen Begabung, Etwas, das – allein dem grossen Meister gelingen wird: für jedes Werk eine neue Sprache auszuprägen und der neuen Innerlichkeit auch einen neuen Leib, einen neuen Klang zu geben.«39

Die Einflüsse französischer Operntraditionen auf das Werk Richard Wagners erschöpfen sich jedoch nicht nur in den zuvor genannten dramaturgischen Mustern, wie beispielsweise die für die Grand Opéra maßgeblichen Massenszenen oder die Vermischung privater und öffentlicher Konflikte, sondern sie erstrecken sich auch auf genuin musikalische Modelle. Um nur ein Beispiel zu nennen: Gerade die mit dem Schaffen Richard Wagners so unauflösbar verknüpfte Konzeption der »Leitmotivtechnik« findet sich bereits in der Tradition der Opéra comique und der Grand Opéra vorgeprägt:

»Bei dem Versuch, Wagners historische Rolle für die Entwicklung der Motivtechnik in der Oper möglichst präzise zu beschreiben, sollte man einerseits nicht der Suggestion des von Wagner selbst entworfenen Geschichtsbildes erliegen und sich andererseits bewußt machen, daß gerade hier der Komponist eine bemerkenswerte Zurückhaltung bewies und den Terminus ›Leitmotiv‹ stets vermieden hat. Als Wagner für das musikalische Theater zu komponieren begann, kannte dieses seit langem sowohl eine hochentwickelte Technik der motivischen Verarbeitung, als auch ein nicht minder perfektioniertes Verfahren semantischer Verknüpfungen mittels Motiven; für beides bildete die französische Oper das hauptsächliche Experimentierfeld. Wagner brauchte hieran nur anzuknüpfen, und nichts anderes hat er in seinen frühen Opern denn auch getan.«40

Und Carl Dahlhaus formuliert in diesem Zusammenhang mit Blick auf Les Contes d’Hoffmann die weitreichende, bis heute noch einzulösende Forderung:

»Es wäre an der Zeit, eine Geschichte des Erinnerungsmotivs in der Oper zu schreiben, die sich von dem Zwang befreit, um Wagners Leitmotivtechnik zu kreisen. Daß gewissermaßen das Erinnerungsmotiv von Wagner zum Leitmotiv ›generalisiert‹ wurde – und nur als ›generalisiertes‹, also seit Rheingold, sollte es überhaupt ›Leitmotiv‹ genannt werden -, war für die nach griffigen Formeln suchende Musikkritik des 19. Jahrhunderts, der sich die Geschichtsschreibung unreflektiert anschloß, ein genügender Grund, die Erinnerungsmotivik, die es doch vor, neben und nach Wagner – und zwar unabhängig vom Musikdrama – in vielfältigen Ausprägungen gab, auf die Leitmotivtechnik zu beziehen, sei es als Vorform, als Parallele oder als ›Wirkung‹. Die Funktion der Erinnerungsmotive bei Mussorgskij, Massenet oder Offenbach – um einige extrem verschiedene Komponisten zu nennen – wird jedoch dadurch, daß man bei einem Interpretationsversuch sich offen oder latent an Wagner orientiert, eher verdunkelt als erhellt.«41

Genau auf diese aus der Tradition der Opéra comique stammende Technik der Erinnerungsmotivik greift Offenbach, wie später noch ausführlich analysiert werden wird, in seiner Großen romantischen Oper Die Rheinnixen im Jahr 1864 besonders eingehend zurück – gut fünf Jahre vor der Uraufführung von Wagners Rheingold im September 1869.

1.2 Offenbach contra Wagner in Selbstzeugnissen

Es gibt keinen Beleg dafür, dass sich Richard Wagner und Jacques Offenbach jemals persönlich begegnet sind. Verstreute Zeugnisse direkter Bezugnahmen aufeinander finden sich in Briefen, Schriften und in Form einer musikalischen sowie einer literarischen Parodie. Einige dieser Dokumente, von denen eines auch die Geschehnisse der Streichung von Tristan und Isolde und der Uraufführung der Rheinnixen an der Wiener Hofoper im Jahr 1864 betrifft, sollen im Folgenden in chronologischer Anordnung herausgegriffen und beleuchtet werden.

Den Beginn des Schlagabtausches beider Komponisten macht Offenbach mit seiner am 10. Februar 1860 im Théâtre des Bouffes-Parisiens aufgeführten parodistischen Faschingsrevue Le Carnaval des revues. Unmittelbar zuvor veranstaltet Richard Wagner, um seine Opern in Paris bekannt zu machen, im Théâtre Italien am 25. Januar, 1. und 8. Februar 1860 drei Konzerte, in denen neben Auszügen aus dem Fliegenden Holländer (1843), Tannhäuser (1845) und Lohengrin (1850) auch das Vorspiel zu Tristan und Isolde mit dem von ihm hierfür neu komponierten Konzertschluss42 erklingen.

Der in Offenbachs Parodie auftretende und unschwer als Richard Wagner auszumachende »Compositeur de l’avenir« stellt sich den Altmeistern der Oper – Grétry, Gluck, Mozart und Weber – mit zwei Stücken, der Symphonie de l’avenir (Marche des fiancées) sowie der Tyrolienne de l’avenir43 vor, die ihn daraufhin zornig und entsetzt von der Bühne jagen. In der vorangestellten Ansprache beschreibt der »Zukunftsmusiker« sein Konzept: Zunächst die völlige Auflösung der musikalischen Grundstrukturen (»plus de notes, plus d’harmonies, […] plus de forte, plus de piano, plus de musique alors«) und anschließend die Kreation einer »musique étrange, inouïe, indéfinissable«, der die Altmeister hörend folgen sollen, sofern sie dies vermögen. Bei der anschließenden Tyrolienne de l’avenir handelt es sich um eine aus zahlreichen Sextsprüngen, Vorschlägen und Trillern bestehende Gesangsnummer, deren melodische und harmonische Simplizität bewusst das Niveau des Textes mit musikalischen Mitteln widerspiegelt: »Quand Rose chante, la la la, la la la, / Sa voix m’enchante! la la la, la ah!«

In der Literatur wird – in der Folge der Einschätzung von Anton Henseler – häufig darauf abgestellt, dass die kompositorische Ausführung der Symphonie de l’avenir das geringe Maß an Vertrautheit Offenbachs mit der Musik Wagners erkennen lasse.44 Auch wenn dies sicherlich zutrifft, so genügt ein kurzer Blick in den Notentext um festzustellen, dass es Offenbach, der im Jahr 1860 bereits zahlreiche Opern anderer Komponisten in seinen Werken parodiert hat, keinesfalls um eine möglichst getreue Wiedergabe von Melodien, Motiven oder harmonischen Zusammenhängen aus Wagners Werken geht.45 Vielmehr wird die in der Ansprache beschworene Abschaffung und Neugestaltung der Musik durch groteske Verzerrung sämtlicher musikalischer Parameter nachgezeichnet. Dies kann beispielsweise anhand der im Zusammenhang mit den vorausgegangenen Aufführungen des Tristan-Vorspieles besonders interessierenden avancierten Neuerungen im Bereich der Harmonik aufgezeigt werden:


Notenbeispiel 1:

Le Carnaval des Revues, »Symphonie de l’avenir«, Takte 1–18

Nach vier einleitenden Takten setzt in den Streichern eine Achtelrepetition auf es ein, die sich in den folgenden vier Takten zum chromatischen Klangbündel cis–d–es–fes verdichtet und ab T. 9 mit einem punktierten Motiv kombiniert wird. Beginnend in T. 13 treten Trompetenfanfaren hinzu, die sich bis T. 16 und 17 zu einem h-Moll-Dreiklang aufschichten und das siebentönige Cluster cis–d–es–fes–fis–b–h entstehen lassen, zu dem noch die Durchgangsnote c in den Holzbläsern hinzutritt. Dieser vom vollen Orchester repetierte Vielklang ist mit Mitteln der zeitgenössischen Kadenzharmonik nicht herleitbar und somit von Offenbach bewusst als Kakophonie auskomponiert. Sofern man überhaupt einen Parodiebezug zur Harmonik des Tristan herstellen möchte, kann dieser nur in der Negation von Wagners Weiterentwicklung des harmonischen Ausdrucksgehaltes liegen: Der Tristanakkord bedarf einer mehrstufigen Auflösung, das aufgeschichtete Cluster der Symphonie de l’avenir hingegen widersetzt sich jeglicher harmonischer Fortführung. Offenbachs ab T. 18 einsetzende kadenzielle Rückführung nach C-Dur, das in T. 22 erreicht wird,46 wirkt unvermittelt und gewaltsam und parodiert sich im Aufzeigen der fehlenden harmonischen Stringenz gleichsam selbst.

Ein gutes Jahr nach der Aufführung der Symphonie de l’avenir sind Wagner und Offenbach am Théâtre Impérial de l’Opéra gleichzeitig mit ihren Werken präsent: Der Uraufführung der Pariser Fassung des Tannhäuser am 13. März 1861 geht fünf Tage zuvor die 26. Vorstellung von Offenbachs Ballett Le Papillon (Premiere am 26.11.1860) voraus, und auf die zweite Tannhäuser-Aufführung am 18. März 1861 folgt vier Tage später die 27. Repräsentation von Offenbachs einziger an Frankreichs erster Bühne jemals aufgeführter Komposition.47 Bereits die Proben zu Wagners Oper, die sich fast ein Jahr lang hinziehen, beanspruchen bei der Pariser Öffentlichkeit so viel Aufmerksamkeit, dass Offenbach die bereits nahezu abgeschlossene Partitur zu seiner Opéra bouffe Le Pont des Soupirs zunächst in der Schublade behält. Nach dem Skandal der ersten Tannhäuser-Vorstellung zögert Offenbach jedoch keinen Augenblick und bringt sein neues Werk am 23. März 1861 in seinem eigenen Theater auf die Bühne. Wagners Misserfolg erfüllt Offenbach mit großer Genugtuung und er stellt süffisant fest: »Wie schlecht wäre das, wenn das Musik wäre.«48


Abb. 1: Theaterzettel des Pariser Théâtre Impérial de l’Opéra anlässlich der Aufführung der Pariser Fassung des Tannhäuser am 13. März 1861, auf dem auch auf die 27. Vorstellung von Offenbachs Ballett Le Papillon hingewiesen wird. (Heritage Image Partnership Ltd / Alamy Stock Foto)

Den Reigen der Schriften Richard Wagners, in denen namentlich auf Jacques Offenbach und sein Werk Bezug genommen wird, eröffnet 1867 »Deutsche Kunst und Deutsche Politik«. Mit Blick auf den in seinen Augen sich zunehmend verschlechternden und immer seichter werdenden Publikumsgeschmack führt Wagner aus:

»Treten wir in ein Theater, so blicken wir, sobald wir mit einiger Besonnenheit einblicken, in einen dämonischen Abgrund von Möglichkeiten des Niedrigsten wie des Erhabensten. – Im Theater feierte der Römer seine Gladiatorenspiele, der Grieche seine Tragödien, der Spanier hier seine Stiergefechte, dort seine Autos, der Engländer die rohen Späße seines Clowns wie die erschütternden Dramen seines Shakespeare, der Franzose seinen Cancantanz wie seinen spröden Alexandrinerkothurn, der Italiener seine Opernarie, – der Deutsche? Was könnte der Deutsche in seinem Theater feiern? – Dies wollen wir uns deutlich zu machen suchen. Für jetzt feiert er dort – natürlich: in seiner Weise! – Alles zusammen, fügt dem aber der Vollständigkeit oder Wirkung wegen noch Schiller und Goethe, und neuerdings Offenbach hinzu.«49

Zentrale Begriffe dieser Passage, u. a. im Zusammenhang mit der Kritik an der italienischen und französischen Opernproduktion, hat Wagner bereits in früheren Schriften vorgeprägt und auch später wieder aufgegriffen bzw. neu verbunden. So beklagt er beispielsweise in »Das Kunstwerk der Zukunft« bereits 1850 »gefühlslüderliche, italienische Opernarien oder freche französische Kankantanzweisen«50 oder er stellt 1869 in »Über das Dirigiren« mit Blick auf die Einrichtung des Ballettes für die Pariser Tannhäuser-Aufführung einen Zusammenhang zwischen Cancan und »Offenbachsche[m] Skandal« her.51

Der Abschnitt steht aber auch hinsichtlich Wagners Abscheu vor einer zunehmenden Verwässerung nationaler Musikstile und der damit einhergehenden Verflachung des künstlerischen Anspruchs mit den drei vermutlich am häufigsten zitierten Passagen seiner Schriften, die sich auf Jacques Offenbach beziehen, in Verbindung:

1.) Der antisemitische Charakter dieser Kritik tritt am deutlichsten im Nachwort der »Aufklärungen über das Judenthum in der Musik« in Erscheinung:

»Schienen wir verstummt und resignirt, so ging nämlich im anderen Lager eigentlich gar Nichts vor, was wie ein Wollen, Streben und Hervorbringen anzusehen war: vielmehr ließ man gerade auch von seiten der Bekenner der reinen Judenmusikschönheit Alles geschehen, und jede neue Kalamität à la Offenbach über das deutsche Kunstwesen hereinbrechen, ohne sich auch nur zu rühren«.52

2.) In »Eine Kapitulation« nimmt Wagner 1871 eine Zuspitzung auf einen einzigen Begriff vor und bezeichnet Offenbach als das »internationalste Individuum der Welt«53 und fährt hämisch fort: »Wer ihn in seinen Mauern hat, ist ewig unbesieglich und hat die ganze Welt zum Freund! – Erkennt ihr ihn, den Wundermann, den Orpheus aus der Unterwelt, den ehrwürdigen Rattenfänger von Hameln?« In diesem sarkastischen »Lustspiel in antiker Manier«, nach dem Deutsch-Französischen Krieg 1870/71 ursächlich für die jahrelange Verbannung seiner Werke von den Spielplänen der französischen Opernhäuser,54 revanchiert sich Wagner für die Verunglimpfung seiner Person in der Symphonie de l’avenir und spielt mit Versen wie »Oh, wie süß und angenehm, / und dabei für die Füße so recht bequem!« erneut auf den tänzerisch-schlüpfrigen Gestus von Offenbachs Musik an, bei dessen Trompetenspiel sich die Pariser Kanalratten schließlich »in Damen vom Ballett im leichtesten Opernkostüme« verwandeln.

3.) Und schließlich versteigt sich Wagner, ebenfalls 1871, in den »Erinnerungen an Auber« mit Blick auf die vermeintlich seichte und niveaulose, international zusammengeklaubte Kunst seines deutsch-französischen Rivalen zu folgendem Bild:

»Auber sollte seine ganze künstlerische Mühe für vergeblich halten, als er auf jenem so zierlich verdeckten Schmutze jetzt Jacques Offenbach sich behaglich herumwälzen sah. ›Fi donc!‹ mochte er sich sagen; bis die deutschen Hoftheater kamen, und sich das Ding für ihr Behagen zurecht machten. Da ist denn nun allerdings Wärme; die Wärme des Düngerhaufens: auf ihm konnten sich alle Schweine Europa’s wälzen.«55

Ein Zeugnis der eher beiläufigen Beschäftigung Jacques Offenbachs mit Richard Wagner stellt das im Anschluss an seinen Amerika-Aufenthalt veröffentlichte Reisetagebuch »Offenbach en Amérique« aus dem Jahr 1877 dar. Über eine musikalisch völlig unbefriedigende Aufführung von Giacomo Meyerbeers Opéra comique L’Étoile du nord (1854) im Booth’s Theater in New York stellt Offenbach – gleichsam in Umkehrung von Hans von Bülows Bonmot »Rienzi ist Meyerbeers beste Oper«56 – beispielweise amüsiert fest:

»L’opéra de Meyerbeer n’ayant pas été suffisamment répété, manquait absolument d’ensemble dans le finale du second acte surtout. Les chœurs et l’orchestre couraient les uns après les autres. Course inutile. Ils n’ont jamais pu se rejoindre. On croyait assister à une œuvre médiocre de Wagner.«57

Und der Besuch eines New Yorker Konzertes mit unsichtbarem Orchester verrät – auch wenn das Ergebnis Offenbach im konkreten Fall keineswegs überzeugt – immerhin seine interessierte Beobachtung von Wagners aufführungspraktischen Neuerungen im Bayreuther Festspielhaus:

»C’est au Lyceum Theater que pour la première fois on mit l’orchestre hors de la vue du public, tentative que Wagner renouvelle en ce moment à Bayreuth. On a bien vite trouvé les inconvénients de cette innovation. D’abord l’acoustique était très-mauvaise; puis les musiciens, entassés dans un bas-fond et ayant trop chaud, se rafraîchissaient comme ils pouvaient.«58

Jacques Offenbachs letzte und zugleich umfangreichste schriftliche Auseinandersetzung mit Richard Wagner findet sich in seinem Beitrag für das einmalig zugunsten der Opfer der Überschwemmungen in der Region Murcia im Dezember 1879 erschienene Journal »Paris – Murcie«. In dieser späten Schrift hinterfragt Offenbach u. a. die bleibenden, substantiellen Errungenschaften von Wagners Musikdrama und stellt diesbezüglich fest:

»[Unsere jungen Meister] sind von diesem Medusenkopf paralysiert, der ihnen als Zielpunkt dient: dem von Richard Wagner. Sie halten diese mächtige Persönlichkeit für das Haupt einer musikalischen Denkschule. Die Verfahrensarten, die mit ihm geboren wurden, werden mit ihm sterben. Er rührt von niemandem her; niemand wird von ihm leben. Ein wunderbares Beispiel der Entstehung aus dem Nichts: Auf dem Parnassus trägt Richard Wagner in den Zivilstand ein: ›Vater und Mutter unbekannt‹, er wird auch keine Nachkommenschaft aufweisen. Hier scheint eine nördliche Morgenröte, die man für die Sonne gehalten hat. […] Wagner und seine Adepten vertreten, so sagt man uns, die ›Zukunftsmusik‹. Welche Dauer geben sie dieser Zukunft? Jetzt ist es bald fünfunddreißig Jahre her, dass Tannhäuser und Lohengrin ihren rechtmäßigen Erfolg gehabt haben. Wo ist ihre Nachkommenschaft? Was haben sie erzeugt? Wäre Wagner das Haupt einer Denkschule, dann würde seine Schule in voller Blüte stehen.«59

Zwei der späten Äußerungen Richard Wagners über Jacques Offenbach schließlich beziehen sich auf Orphée aux Enfers (1858) bzw. auf die posthum uraufgeführten Les Contes d’Hoffmann (1881) und damit auf die Eckpfeiler von dessen erfolgreichem Bühnenschaffen. Im vierten Teil von »Mein Leben« erinnert sich Wagner an seine Begegnungen mit dem Mainzer Kapellmeister Wendelin Weißheimer im Frühjahr 1862 und diktiert Cosima Wagner um 1880:

»Dies führte mich auch auf Ausflüge nach jener Gegend hin, während ich des jungen Weißheimers Talent als Orchesterdirigent durch eine Aufführung von Offenbachs ›Orpheus‹, bis wohin er einzig in einer untergeordneten Stellung am Theater zu Mainz gelangt war, kennenlernte. Ich war wahrhaft entsetzt, durch die Teilnahme an dem jungen Mann mich bis zur Assistenz einer solchen Scheußlichkeit herabgebracht zu sehen, und konnte lange Zeit nicht anders, als Weißheimer meinen Mißmut hierüber auffällig nachzutragen.«60

Und angesprochen auf eine der größten Katastrophen der Theatergeschichte, den Brand des Wiener Ringtheaters am 8. Dezember 1881, in dem gerade die zweite Vorstellung von Les Contes d’Hoffmann beginnen sollte,61 bemerkt Richard Wagner gegenüber Carl Friedrich Glasenapp:

»Es klingt hart und geht fast über die Natur hinaus: aber die Menschen sind zu schlecht, als daß es einem besonders nahegehen könnte, wenn sie in Massen untergehen. Was in einem solchen Theater beisammensitzt, ist das nichtsnutzigste Volk. Wenn in einer Kohlengrube Arbeiter verschüttet werden, da ergreift und empört es mich, da kommt mir das Entsetzen an über eine Gesellschaft, die sich auf solchem Wege Heizung verschafft. Wenn aber so und soviele aus dieser Gesellschaft umkommen, während sie einer Offenbachschen Operette beiwohnen, worin sich auch nicht ein einziger Zug von moralischer Größe zeigt, – das läßt mich gleichgültig, das berührt mich kaum.«62

Die letzte, in der Offenbach-Literatur häufig zitierte Äußerung Richard Wagners über seinen Komponistenkollegen findet sich schließlich in einem Brief an Felix Mottl vom 1. Mai 1882. Sie schlägt noch einmal einen versöhnlicheren Ton an und nimmt dabei die Schreibweise Offenbachs, den Ton seiner Musiksprache insgesamt in den Blick:

»Oh, mein lieber Freund, ich habe dieses Menuett heute morgen gespielt, und ich bin hellauf begeistert. Betrachten Sie Offenbach. Er versteht es ebensogut wie der göttliche Mozart. Mein Freund, das ist eben das Geheimnis der Franzosen. Ich bin ihnen in vielen Dingen nicht wohlgesonnen. Aber dennoch muß man diese in die Augen springende Wahrheit zugeben: Offenbach hätte ein zweiter Mozart werden können.«63

1.3 Die Rheinnixen contra Tristan und Isolde

Im »Epilogischen Bericht« von 1871 findet sich jene Textpassage, in der Richard Wagner auf die »Verhinderung« der Uraufführung von Tristan und Isolde an der Wiener Hofoper und die Bevorzugung von Jacques Offenbachs Die Rheinnixen zu sprechen kommt:

»Es würde nicht in den Rahmen dieses vorliegenden Berichtes passen, wollte ich die […] Umstände und Einflüsse besprechen, welche dort die bereits zu den hoffnungsvollsten Ergebnissen geleiteten Vorbereitungen zu einer ersten Aufführung von ›Tristan und Isolde‹ schließlich unnütz machten und die Erscheinung meines Werkes verhinderten. […] Als ich der Direktion mich endlich dazu erbot, mit besonderer Berücksichtigung der Kräfte und des Personalbestandes des Theaters ein neues Werk eigens für Wien zu schreiben, ward mir der wohlerwogene, schriftliche Bescheid zugetheilt, daß man für jetzt den Namen ›Wagner‹ genügend berücksichtigt zu haben glaube, und es für gut finde, auch einen anderen Tonsetzer zu Worte kommen zu lassen. Dieser andere war Jacques Offenbach, bei dem wirklich ein besonderes für Wien zu schreibendes, neues Werk gleichzeitig bestellt wurde.«64

Wagner vermeidet es in dieser Passage, den Titel von Offenbachs Großer romantischer Oper zu erwähnen. Zudem deutet er die massiven Probleme, die sich bei der Einstudierung seines bereits 1859 fertiggestellten Tristan vor allem für den Tenor Alois Ander ergeben, nur indirekt an, indem er darauf verweist, ein neues Werk – gemeint sind die Meistersinger von Nürnberg (1868) – unter »besonderer Berücksichtigung der Kräfte und des Personalbestandes« für die Wiener Hofoper komponieren zu wollen. Neben der als persönliche Kränkung empfundenen Zurückweisung gegenüber seinem Pariser Kontrahenten – dessen musikalischer Seitenhieb in der Symphonie de l’avenir liegt bei Auftragsvergabe der Hofoper an Offenbach im Jahre 1863 gerade drei Jahre zurück – existieren zwei weitere Probleme, die Wagner umtreiben: Einerseits der Vorwurf der Unaufführbarkeit seines Werkes und andererseits eine drohende zu große dramaturgische Ähnlichkeit zwischen den Rheinnixen und seinem Rheingold.

Gerade mit Tristan und Isolde möchte Wagner ein Opus schaffen, das »leicht aufführbar [ist] und daher schnell über alle Bühnen gehen«65 soll, und so begegnet er entsprechenden Vorwürfen der Unaufführbarkeit frühzeitig mit aller Entschiedenheit, wie beispielsweise folgender Brief vom 21. Oktober 1861 an den Direktor der Wiener Hofoper, Matteo Salvi, verdeutlicht:

»Es ist von unverständiger, wie von übelwollender Seite mehrfach die Unausführbarkeit meines neuen Werkes behauptet worden. Ich führe hiergegen nicht an, dass ich mehrere Sänger stellen kann, welche ihre Partien in meiner Oper bereits richtig auswendig gelernt haben, verweise auch nicht auf das Urtheil des sachverständigen Kapellmeisters, – sondern ich berufe mich darauf, dass ich dem deutschen Theater bereits vier Werke geliefert habe, welche sich praktisch erwiesen, und überall, wo sie aufgeführt wurden, Glück gemacht haben.«66

Der Titel von Offenbachs Großer romantischer Oper sollte ursprünglich Die Feen lauten. Hiervon rät der mit dem Pariser Komponisten befreundete Wiener Musikkritiker Eduard Hanslick (1825–1904) mit Blick auf Wagners gleichnamiges Frühwerk aus dem Jahr 1834, das erst 1888 posthum uraufgeführt wird, jedoch ab. Er empfiehlt stattdessen die Verwendung des Begriffs »Nixen«, der wiederum in die Irre führt, da in der Handlung mit Elfen und Feen vornehmlich übernatürliche Wesen zu Lande vorkommen und Wassergeister – mit Ausnahme des Schlussbildes – nicht auftreten. Der neue Titel von Offenbachs Oper weckt jedoch Assoziationen zur Thematik des Rheingoldes, dessen Komposition Wagner 1854 abschließt und an dessen Aufführung als Teil der Ring-Tetralogie 1863 noch nicht zu denken ist. Beispielsweise bemerkt Laurence Senelick in diesem Zusammenhang:

»Matteo Salvi, the Hofoper’s manager, postponed the Austrian premiere of Tristan und Isolde to bring forward that of Offenbach’s new German fairy opera Die Rheinnixen. Wagner was infuriated, not only because of the delay, but because he had a draft of his own treatment of Rhine maidens in his desk drawer. Nothing in Offenbach’s piece takes place under water, but there is a last-act flooding of the Rhine engineered by elves and naiads to distract the pursuing soldiery from the fugitive lovers. A finale in which the Rhine overflows its banks? Did Wagner feel pre-empted or was he influenced despite himself?«67

Und Lionel Pons stellt mit Blick auf Ähnlichkeiten hinsichtlich des Legendenhaften und der zutiefst romantischen dramaturgischen Anlage beider Opern fest:

»Enfin, jamais Offenbach et Wagner n’ont été plus proches que dans Die Rheinnixen, dont le climat, l’ambiance de légende offrent à l’évidence une convergence frappante avec la thématique de L’Or du Rhin en particulier et l’imagerie romantique en général.«68

Wie sehr im Zusammenhang mit der Vorbereitung der Rheinnixen auch Das Rheingold in die öffentliche Diskussion gerät, verdeutlicht nicht zuletzt ein Eduard Hanslick zugeschriebenes Wortspiel. Dieser trägt hinter den Kulissen mit dafür Sorge,69 dass Offenbach den Kompositionsauftrag der Hofoper erhält und die Wiener Uraufführung von Tristan und Isolde damit in weite Ferne rückt. In der Zeitschrift Signale für die musikalische Welt ist zu lesen:

»Auch die Wiener Börse zeichnet sich durch treffenden Witz aus. Bekanntlich wird die Oper: ›die Rheinnixen‹ von Offenbach dort vorbereitet. Ein enthusiastischer Verehrer Offenbachs und erbitterter Gegner Wagners, sagte, als er die Nachricht vernahm: ›Rhein-Gold, wie heißt? Rein nix! warten Sie auf die Rhein-Nix! Ich sag’ Ihnen – rein Gold!‹«70

Und noch knappe sechs Jahre später, nur gut drei Wochen vor der Münchner Uraufführung des Rheingoldes am 22. September 1869, erinnert das Neue Fremden-Blatt an dieses Wiener Bonmot: »Das ›Rheingold‹ (von Wagner) sei überhaupt gegen die ›Rheinnixen‹ (von Offenbach) rein nix, und umgekehrt diese gegen jenes rein gold.«71


Abb. 2: Zeitgenössische Karikatur »Richard Wagner im Himmel« aus der Wiener Wochenzeitschrift

Der Floh aus dem Jahr 1883 (Ausschnitt).72

* * *

Dass sich – in Wagners eigenen Worten – »diese ›Tristan‹-Angelegenheit […] wie ein unabsehbar chronisches Leiden dahin[zieht]«73 und schließlich im Sommer des Jahres 1863 die Wiener Uraufführung endgültig scheitert, liegt vor allem an der Überforderung des für die Rolle des Tristan ausersehenen Startenors Alois Ander. Dieser hatte bereits die Titelpartien der Wiener Aufführungen von Lohengrin 1858 sowie Tannhäuser 1860 übernommen, und ausgerechnet der Soldatenanführer Franz aus den Rheinnixen sollte anstelle des Tristan seine letzte Neueinstudierung sein, bevor er Ende 1864 in sich beständig verschlimmernder geistiger Umnachtung verstirbt.

Während Wagner anfänglich die wiederholte stimmliche Indisposition von Ander noch hinnimmt und er 1861 – die gedruckte Partitur von Tristan und Isolde liegt bereits seit einem Jahr vor – auch bereit ist, mit Blick auf die Ausdauer und den Stimmumfang Kürzungen und Änderungen an der Partie des Tristan vorzunehmen,74 ändert sich im Laufe der Zeit sein Urteil über den Tenor grundlegend. Die Formulierungen reichen von »ein wirklich vortrefflicher Mensch«75 über »dieser dürftige Mensch«76 bis hin zu »ein ganzer Scheisskerl«77 bzw. »[s]o ein abgesungener, ganz und gar unfähig gewordener Invalid«.78

Im April 1863 erreicht Wagner in St. Petersburg die Mitteilung der Direktion der Wiener Hofoper, dass auch die für die Rolle der Isolde vorgesehene Marie Luise Dustmann-Meyer (1831–1899) indisponiert sei, und als sich einige Zeit darauf Alois Ander erneut krankmeldet, gibt Wagner das Projekt der Uraufführung des Tristan an der Hofoper ein für alle Mal auf.

Das mit Blick auf Tristan und Isolde bereits seit 1861 angespannte Verhältnis zwischen Dustmann-Meyer und Ander beschreibt Wagner später in »Mein Leben«:

»Wie es hier stand, erfuhr ich eines Tages, als eine Gesellschaft unserer Sänger mit mir auf das Landgut eines Herrn Dumba, der mir als enthusiastischer Gönner bekannt gemacht wurde, eingeladen war. Herr Ander hatte seine Tristan-Partie mitgenommen, wie um zu zeigen, daß er sich keinen Tag von ihr zu trennen vermöchte: hierüber erzürnte sich Frau Dustmann, welche Ander eines auf meine Täuschung berechneten heuchlerischen Spieles bezichtigte; denn Ander so gut wie sonst jeder wisse, daß er die Partie nicht singen werde und daß es nur auf eine Gelegenheit abgesehen werde, die Verhinderung des ›Tristan‹ in irgendeiner Weise ihr, der Frau Dustmann, in die Schuhe zu schieben.«79

Heuchlerisches Verhalten macht Wagner letztlich dann auch auf Seiten von Dustmann-Meyer aus und hält fest:

»Ich hatte mich davon überzeugt, daß an eine Wiederaufnahme des ›Tristan‹ im Operntheater nicht mehr zu denken sein würde, da, wie ich erfuhr, die Angegriffenheit der Frau Dustmann nur ein Vorgeben, die vollständige Stimmlosigkeit des Herrn Ander aber der wahre Grund der letzten Unterbrechung gewesen war.«80

Einen Hinweis darauf, dass die Grenzen zwischen wirklicher oder vermeintlicher Überforderung mit den Rollen, vorübergehender stimmlicher Indisposition und tatsächlicher oder vorgespielter Erkrankung insbesondere an der Wiener Hofoper mitunter von den Sängerinnen und Sängern stark verwischt werden, liefert folgender Auszug aus der Neuen Berliner Musikzeitung, der explizit die Probensituation bei Tristan und Isolde und bei den Rheinnixen in einen Kontext stellt:

»[B]ei uns aber, wo man unglücklicherweise den Künstlern eine zum Oberstkämmereramte führende Hinterthür offen gelassen, herrscht eine Willkühr, die ihres Gleichen nicht aufzuweisen hat. Wir erinnern nur an die 77 Proben der Wagner’schen Oper ›Tristan und Isolde‹, bei welcher die Sänger wiederholt befragt wurden, ob sie ihre Partieen durchführen könnten und jedesmal ertönte ein lautes ›Ja‹. Erst bei der 77sten Probe, nachdem fast der ganze Winter mit dem Einstudiren hingebracht worden war, fanden es die Herren und Damen für gut, einstimmig zu erklären, sie könnten die Aufgabe nicht lösen. […] Welche Kämpfe, welche Striche hatte Offenbach durchzumachen, bis er seine ›Rheinnixen‹ zur Aufführung brachte!«81

Auch im Fall der Rheinnixen zeigt sich zu Beginn der Probenarbeit im Herbst 1863,82 dass Ander der Rolle des Franz nicht gewachsen ist. Offenbach sieht sich daher gezwungen, seine Oper grundlegend umzuarbeiten und drastisch zu kürzen. Zudem verschiebt sich die ursprünglich bereits für den 26. Dezember 1863 geplante Uraufführung83 mehrfach und findet schließlich erst am 4. Februar 1864 statt. An seinen Übersetzer Alfred von Wolzogen84 (1823–1883), der das französische Libretto der Rheinnixen von Charles Nuitter (1828–1899)85 von Breslau aus für die Wiener Produktion bearbeitet,86 schreibt Offenbach wenige Tage nach der von ihm selbst dirigierten Uraufführung:

»Letzten Donnerstag war endlich die Erstaufführung der Rheinnixe [sic!], und trotz den so begreiflichen Wünschen meiner Neider mit einem großen Erfolg. Ich bin achtmal gerufen worden. Das ganze kaiserliche Haus war anwesend. Viele Stücke wurden lebhaft applaudiert. Die Zweitaufführung hat noch besser gegangen, was jedoch keineswegs die wagnerianischen Zeitungen verhindert, mich zu vernichten […] Ich weiß, daß man sehr über das Libretto hergefallen ist, und es ist sicherlich nicht Ihre Schuld, lieber Meister, wenn das Libretto durch die Macht der Umstände so verstümmelt worden ist. Meine Oper dauerte 4½ Stunden. Ich mußte im letzten Moment selbst wichtige Dinge streichen, damit sie nicht länger als drei Stunden dauere. Ferner beherrschte Ander seine Rolle nicht, und wiederum mußte ich streichen. So wurde das Duo des dritten Aktes (die Oper hat nunmehr drei Akte) zwischen Armgard und Franz preisgegeben.«87

Offenbachs Brief benennt bereits die wesentlichen Aspekte, welche die Rezeption der Rheinnixen in der Folge maßgeblich bestimmt haben:

Von einem völligen Misserfolg, wie überwiegend in der Literatur behauptet wird, kann keineswegs ausgegangen werden. Das Werk erlebt bis zum 4. März 1864 insgesamt sieben Aufführungen88 und wird im Zeitraum vom 13. September bis zum 30. Oktober 1864 noch weitere vier Male gegeben.89 Bereits über die Sommerpause hat sich der Gesundheitszustand von Alois Ander erneut verschlechtert, sodass für die Wiederaufnahmen im Herbst der Wiener Tenor Gustav Walter (1834–1910) einspringen muss.90 Ander hat seinen letzten denkwürdigen Auftritt am 19. September 1864 in der Rolle des Arnold in Gioachino Rossinis Wilhelm Tell (1829),91 er reist acht Tage darauf zur Kur ins böhmische Wartenberg und verstirbt dort am 11. Dezember 1864.92

Die für Ander erforderlichen Umarbeitungen und Kürzungen beeinträchtigen die dramaturgische Stringenz und Geschlossenheit der Rolle des Franz erheblich. Durch das gestrichene Duett mit Armgard im letzten Akt fehlt ein entscheidendes Moment, seine Funktion als Liebhaber glaubhaft zu untermauern und ihn überhaupt neben dem Soldatenhauptmann Conrad als tragende Figur zu etablieren. Der solchermaßen eintretende Bedeutungsverlust zugunsten der zweiten männlichen Hauptrolle spiegelt sich auch in den Kritiken der Uraufführung wider. So heißt es beispielsweise im Fremden-Blatt:

»Die feinste künstlerische Darstellung hat Franz von Baldung von Herrn Ander erfahren. Hr. Beck legte sich mit der ganzen Frische seiner Natur und mit dem vollen Gewicht seiner wunderbaren Stimme in die Partie des Landsknechthauptmanns Konrad hinein und erzielte in Spiel und Gesang den glänzendsten Erfolg.«93

Und der Rezensent der Blätter für Musik, Theater und Kunst stellt fest:

»Die Aufführung war den besten verfügbaren Kräften anvertraut. Die meiste Wirkung erzielte Hr. Beck als Conrad. […] Ander (Franz Baldung) bedurfte seiner ganzen schauspielerischen Kunst, um dem schemenhaften, thatenlosen Ritter von der traurigen Gestalt zu einiger Bedeutung zu verhelfen. Seine paar Romanzen trug er mit musterhaftem Geschmacke vor.«94

Durch die Verstümmelung der Oper werden zudem die heftig kritisierten Unzulänglichkeiten des Librettos insgesamt noch verstärkt. So äußert beispielsweise Eduard Hanslick:

»Das Sujet der ›Rhein-Nixen‹ ist eine unglückliche Wahl, die Bearbeitung durch Herrn Nuitter eine der verfehltesten, die wir kennen. […] [Der Vorhang] fällt über ein Gewebe von Unvernunft und Abgeschmacktheit, das dem Hörer eine gesammelte poetische Stimmung, dem Componisten ein einheitliches Kunstwerk von vornherein fast unmöglich macht.«95

Hanslick bringt auch bereits den Begriff der erforderlichen »Umarbeitung« ins Spiel,96 der in der Folge vielfach aufgegriffen wird und gegen den sich Offenbach in einem in mehreren Wiener Zeitungen publizierten offenen Brief verwahrt:

»Herr Redakteur! Ich lese in einigen Blättern, daß ich die Absicht habe, meine Oper ›Die Rhein-Nixen‹ behufs fernerer Aufführungen in Wien und an anderen Bühnen umzuarbeiten. Darauf habe ich zu erwiedern, daß der Erfolg der ›Rhein-Nixen‹ in Wien mir keine Veranlassung zur Umänderung bietet, und daß meine Oper auf allen Bühnen in Deutschland, welche Lust haben werden, dieselbe zu geben, so aufgeführt werden wird, wie ich dieselbe geschrieben habe. Mit der Versicherung u. s. w. Wien, 16. Februar 1864. Jacques Offenbach.«97

Dass Offenbach jedoch – entgegen seiner öffentlichen Verlautbarung – durchaus an eine Überarbeitung denkt, wird aus dem bereits genannten Brief an Alfred von Wolzogen ersichtlich: »Übrigens werde ich Ihnen für Deutschland zwei oder drei notwendige Änderungen vorschlagen. Die Aufführung in Wien hat mir gezeigt, was noch fehlt, um dem Publikum gewisse Situationen verständlicher zu machen.«98

Die Rheinnixen müssen nach den Wiener Aufführungen der verkürzten dreiaktigen Version 1864 und einer erfolglosen Kölner Vorstellung Anfang 186599 über 140 Jahre auf die szenische Uraufführung der Originalfassung in vier Akten warten.100 Sie geraten operngeschichtlich nahezu völlig in Vergessenheit, während die Bedeutung von Wagners Tristan – vor allem hinsichtlich der harmonischen Neuerungen – als einer »Ursprungsurkunde der musikalischen Moderne«101 kaum überschätzt werden kann. Einzelne Nummern aus den Rheinnixen erfreuen sich – auch neben dem »Chant des Elfes« – jedoch auch nach der Absetzung vom Spielplan weiterhin großer Beliebtheit in Wien und so tritt die – aus heutiger Sicht etwas kurios anmutende – Situation ein, dass Offenbachs Große romantische Oper und Wagners Handlung in drei Aufzügen doch einmal unweit der Hofoper gemeinsam erklingen: In einem mit »Frühlingsfahrt in die Neue Welt«102 annoncierten Festkonzert werden u. a. ein »Potpourri« aus den Rheinnixen sowie – noch gut zwei Wochen vor der Uraufführung – »Fragmente« aus Tristan und Isolde aufgeführt.103


Abb. 3: Fremden-Blatt XIX/143, 25.05.1865, http://anno.onb.ac.at/cgi-content/anno?aid=fdb&datum=18650525&seite=13, abgerufen am 20.06.2020 (Ausschnitt). Ankündigung eines Konzertes u. a. mit einem »Potpourri« aus Offenbachs Rheinnixen sowie »Fragmenten« aus Wagners Tristan und Isolde. Das Konzert wird drei Tage später wiederholt (vgl. die Ankündigung in Fremden-Blatt XIX/146, 28.05.1865, http://anno.onb.ac.at/cgi-content/anno?aid=fdb&datum=18650528&seite=13, abgerufen am 20.06.2020).

* * *

Die Vergabe des Kompositionsauftrages der Hofoper stellt für Jacques Offenbach den musikalischen Ritterschlag in Wien dar. Die Donaumetropole avanciert zum – nach Paris – wichtigsten Aufführungsort seiner Bühnenwerke. Parallel zu den ersten Aufführungen der Rheinnixen laufen die Opérette Die Kunstreiterin (Une demoiselle en loterie, 1857) sowie die Hanslick gewidmete Opérette Il Signor Fagotto (1864) in weiteren Wiener Theatern. Und im Herbst wird die zweite Gruppe der Aufführungen von Offenbachs Großer romantischer Oper sogar von vier weiteren Werken aus seiner Feder flankiert: Die Opéras bouffes Orpheus in der Unterwelt (Orphée aux Enfers, 1858), Die Seufzerbrücke (Le Pont des Soupirs, 1861), Die schönen Weiber von Georgien (Les Géorgiennes, 1864) sowie die Opérette bouffe Ritter Eisenfraß (Croquefer, 1857) stehen auf den Spielplänen der Wiener Opernhäuser. An Ludovic Halévy schreibt Offenbach am 30. September 1864 begeistert: »Hier lautet der Schlachtruf: Offenbach for ever.«104

Dass Offenbach nach seinen anfänglichen Erfolgen mit der Einrichtung seiner Pariser Opérettes und Opéra bouffes für die Wiener Bühnen mit der Komposition einer Großen romantischen Oper sein ihm angestammtes – und vor allem seitens der Kritik zugedachtes – Metier verlässt, wird bereits seit Bekanntwerden der Auftragsvergabe aufmerksam bis argwöhnisch und nicht frei von nationalistischen Implikationen verfolgt. In der Presse wird notiert:

»Offenbach, der dem lustigen Schreiberlein, dem Sergeanten Belle-Rose, dem Narrenvolke der ›Seufzerbrücke‹ und dem Herrn v. Pitzelberger bislang seine liebsten Lieder anvertraute, wird urplötzlich ins Gebiet der deutschen Sage greifen und die ›Rheinnixen‹ aus den grünen Wogen des deutschen Stromes wunderbare Weisen verlockend, bezaubernd singen lassen. Es klingt fast selbst wie ein Märchen, daß der Deutsch-Franzose Offenbach, der mit der ›Hochzeit bei Laternenschein‹ in Wien seinen Einzug gehalten, nach wenig Jahren schon das Allerheiligste jenes Theaters betreten darf, vor dessen Thüre so viele Concurrenten vergebens mit ihren Partituren Queue machen.«105

Interpretatorische Ansätze, welche die Rheinnixen als ein für Offenbach in musiksprachlicher und dramaturgischer Hinsicht ungeeignetes Werk einstufen, ziehen sich in der Folge nahezu durch die gesamte Literatur. Beispielsweise gelangt Alexander Faris zu folgendem, für die Oper wenig schmeichelhaften Urteil:

»Der Grund, weshalb er so lange brauchte, einen Text zu finden, der seine Kräfte über das Idiom der Operette hinaus fordern würde, war, daß er zu sehr Ironiker war, um eine große romantische Oper schreiben zu können. Die Rheinnixen haben den Beweis geliefert; er hatte dieses Auftragswerk mit mehr als nur einem Anflug von Verantwortungslosigkeit zusammengeklittert, nur um eine Chance in Wien wahrzunehmen, die zu gut war, um ungenutzt zu bleiben. Wenn er Ernsthaftes komponieren sollte, benötigte er einen antiheroischen Stoff«.106

Solche Beurteilungen lassen außer Acht, dass Offenbach in den Rheinnixen Spezifika verschiedener Operngattungen miteinander verwebt und auch für kompositorisch-technische Fragestellungen, wie beispielsweise die Erinnerungsmotivik, die mit ihren verschiedenen Themensträngen eine bedeutsame Rolle einnimmt, individuelle Lösungen herausarbeitet.107 Für beide Aspekte lassen sich Verbindungen zwischen den Rheinnixen und Tristan und Isolde ziehen:

Die sich durch Offenbachs Rückgriff auf unterschiedliche Operntraditionen ergebende Farbigkeit und Differenziertheit der musikalischen Sprache ist beispielsweise für Dieter Schnebel ein besonderes Merkmal des Tristan und Ergebnis von Wagners Verwendung »verschiedener musikalischer Sprachsphären«.108 Beide Komponisten entwickeln zudem für ihr jeweiliges Werk eine besondere Form der Erinnerungs- bzw. Leitmotivik: Während Offenbach in den Rheinnixen eine in seinem Œuvre einzigartige Dichte erinnerungsmotivischer Strukturen aufbaut,109 weist Wagner im Tristan – im Gegensatz zum Verfahren im Ring des Nibelungen – den Motiven vornehmlich symbolische Bedeutung zu und löst sie von konkreten Objekten oder Personen los.110

Im vorliegenden Zusammenhang ist von Interesse, dass sowohl eines der Erinnerungsmotive aus den Rheinnixen als auch das große Englischhorn-Solo in der 1. Szene des III. Aktes von Tristan hinsichtlich ihres vermeintlichen Lokalkolorits mehrdeutig angelegt sind und es dabei sogar zu einer örtlichen Koinzidenz kommt: Den »Elfengesang« vom Rhein übernimmt Offenbach als »Barcarolle« in sein Spätwerk Les Contes d’Hoffmann (1881), um das Anlegen von Gondeln an ein Vergnügungsetablissement des nächtlichen Venedig musikalisch zu versinnbildlichen, während Wagner bei der Komposition des großen Solos auf erinnerte Gesänge venezianischer Gondolieri sowie auf Reigenrufe eines Schweizer Sennen zurückgreift.111

Und mit Blick auf ein weiteres der fünf Erinnerungsmotive der Rheinnixen, das Thema des Refrains des 1848 in Köln auf einen Text von Heinrich Hersch (1821–1870) komponierten deutschtümelnden »Vaterlandsliedes«, bemerkt Peter Hawig zum Verhältnis von Wagner und Offenbach:

»Dass ausgerechnet der Wahlfranzose Offenbach das ›große deutsche Vaterland‹ besingt (mehr als drei Jahre vor dem Lob der ›deutschen Kunst‹ in den Meistersingern), gehört zu den Ironien der zeitlichen und persönlichen Konstellationen.«112

In diesen Kontext von Verquickungen zwischen Wagner und Offenbach passt schließlich auch jene, die sich um den gemeinsamen Bekannten, den Librettisten und Übersetzer Charles Nuitter, dreht:

Einen knappen Monat nach den drei erfolglosen Pariser Konzerten schreibt Wagner am 3. März 1860 noch ernüchtert an Mathilde Wesendonck:

»Ich glaube nicht an meine Oper im Französischen. Alles was ich dafür thue, ist gegen die innere Stimme, die ich nur mit Leichtsinn und Gewalt betäuben kann. Ich glaube weder an einen französischen Tannhäuser, noch an einen französischen Lohengrin, geschweige denn an einen französischen Tristan. Alle meine Schritte hierfür bleiben auch ungesegnet«.113

1861 folgt der Pariser Tannhäuser-Skandal und dennoch verliert Wagner in der Folge das Ziel kompositorischen Erfolges in der französischen Metropole nicht aus dem Blick. In einem Brief an Nuitter vom 10. April 1864 erkundigt er sich mit Nachdruck nach Aufführungsmöglichkeiten des Fliegenden Holländers und von Auszügen aus dem Ring des Nibelungen und offenbart:

»Ich würde sogar an ein neues Werk denken, dessen Sujet wir gemeinsam ausarbeiten würden, mein Freund, und von dem ich mir vorstellen könnte, es auf einen französischen Text für ein Pariser Theater zu komponieren.«114

Vor Augen hat er dabei – gleichsam in Umkehrung der persönlichen Situation – den zu diesem Zeitpunkt erst gut zwei Monate zurückliegenden prestigeträchtigen und finanziell lukrativen Empfang des Wahl-Franzosen Jacques Offenbach an der Wiener Hofoper mit dessen deutschsprachigen Rheinnixen:

»Nun gut – schreiben Sie mir ein wenig, weil Sie doch so gut sind. Sie haben genügend gute Laune, um mit Offenbach Opern für Wien zu schreiben; vielleicht bleibt Ihnen noch genug davon, um sich mit mir für Paris zu beschäftigen.«115

* * *

6 Siehe für entsprechende Darstellungen z. B. Maria Haffner, »Offenbach und Wagner«, in: Der Auftakt 10/9–10 (1930), S. 203–206; Peter Ackermann, »Eine Kapitulation. Zum Verhältnis Offenbach – Wagner«, in: Jacques Offenbach. Komponist und Weltbürger, hrsg. von Winfried Kirsch und Ronny Dietrich, Mainz u. a. 1985 (Beiträge zur mittelrheinischen Musikgeschichte, 26), S. 135–152; Peter Hawig, Wagner und Offenbach. Ein Vergleich anhand der romantischen Opern Die Feen und Die Rheinnixen, Bad Ems 2013 (Bad Emser Hefte, 345), hier S. 1–2 oder zuletzt Ralf-Olivier Schwarz, Jacques Offenbach. Ein europäisches Portrait, Köln u. a. 2019, hier S. 253–259.

7 Anton Henseler, Jakob Offenbach, Berlin 1930, S. 261.

8 Ackermann, »Eine Kapitulation«, S. 135.

9 Lionel Pons, Jacques Offenbach, hrsg. von »Les Amis de la musique française«, [Montrem] 2003, S. 29.

10 Grete Wehmeyer, Höllengalopp und Götterdämmerung. Lachkultur bei Jacques Offenbach und Richard Wagner, Köln 1997, S. 148.

11 Wehmeyer, Höllengalopp und Götterdämmerung, S. 151.

12 Anna-Christine Brade, Kundry und Stella. Offenbach contra Wagner, Bielefeld 1997, S. 9.

13 Siehe Yvonne Nilges, »Die Meistersinger von Nürnberg oder Die Geburt der musikalischen Komödie aus dem Geiste Shakespeares«, in: wagnerspectrum 3/1 (2007), S. 7–34, hier S. 19.

14 Siehe Arne Stollberg, »›… wenn die Würde und Konvention plötzlich durch das Naturgesetz gebrochen wird‹ – Zur musikalischen Darstellung des Komischen in Wagners Musiktheater«, in: wagnerspectrum 3/1 (2007), S. 35–58, hier S. 37.

15 Siehe hierzu Theodor W. Adorno, »Versuch über Wagner«, in: Ders., Die musikalischen Monographien, hrsg. von Rolf Tiedemann unter Mitwirkung von Gretel Adorno, Susan Buck-Morss und Klaus Schultz, Frankfurt am Main 2003 (Gesammelte Schriften, Bd. 13), S. 7–148, hier S. 19. Adorno nennt als Beispiel für »humoristische Figuren« neben Beckmesser auch Alberich und Mime. – Vgl. in diesem Zusammenhang mit Blick auf den Antisemitismusvorwurf anhand der Ausgestaltung der Rolle von Mime beispielsweise Dieter Borchmeyer, »Richard Wagner und der Antisemitismus«, in: Richard-Wagner-Handbuch, S. 137–161, hier S. 159: »Seit Theodor W. Adornos Versuch über Wagner (1952) ist immer wieder behauptet worden, auch in Wagners musikdramatischem Werk gebe es deutliche Spuren des Antisemitismus. Demgegenüber ist festzustellen, daß es in den zahllosen Kommentaren Wagners zu seinem Werk keine einzige Äußerung gibt, die Figuren oder Handlungselemente seiner Musikdramen in antisemitischem Sinne oder überhaupt als jüdisch interpretiert. Der Versuch, die Nibelungen, vor allem die Gestalt Mimes unter Hinweis auf Wagners Beschreibung der Erscheinung und Sprache der Juden in seinem Pamphlet von 1850 als mythische Reprojektionen des Judentums zu dechiffrieren, stellt eine nicht verifizierbare Spekulation dar.«

16 Theodor W. Adorno, »Hoffmanns Erzählungen in Offenbachs Motiven«, in: Ders., Musikalische Schriften IV. Moments musicaux. Impromptus, hrsg. von Rolf Tiedemann unter Mitwirkung von Gretel Adorno, Susan Buck-Morss und Klaus Schultz, Frankfurt am Main 2003 (Gesammelte Schriften, Bd. 17), S. 42–46, hier S. 44.

17 Carl Dahlhaus, Richard Wagners Musikdramen, München u. Zürich 1988, S. 67.

18 Carl Dahlhaus, Die Musik des 19. Jahrhunderts, Laaber 1980 (Neues Handbuch der Musikwissenschaft, 6), S. 234.

19 [Anonymus], Richard Wagner und Jacob Offenbach. Ein Wort im Harnisch von einem Freunde der Tonkunst, Altona 1871, S. 47. Der Autor widmet seine Schrift »[D]en Manen unserer großen Componisten Sebastian Bach, Händel, Haydn, Mozart, Gluck, Beethoven, Weber, Mendelssohn-Bartholdy und Robert Schumann«, siehe [S. 3].

20 Ackermann, »Eine Kapitulation«, S. 139.

21 [Anonymous], Richard Wagner und Jacob Offenbach, S. 6.

22 Ebd., S. 30.

23 Ebd., S. 46. – Siehe zum Aspekt des Dilettantismus bei Wagner z. B. auch Adorno, »Versuch über Wagner«, S. 26: »Tatsächlich und nicht nur oberflächlich, sondern mit Leidenschaft und Bewunderung hingeblickt, kann man sagen, auf die Gefahr hin, mißverstanden zu werden, daß Wagners Kunst ein mit höchster Willenskraft und Intelligenz monumentalisierter und ins Geniehafte getriebener Dilettantismus ist. Die Vereinigungsidee der Künste selbst hat etwas Dilettantisches und wäre ohne die mit höchster Kraft vollzogene Unterwerfung ihrer aller unter sein ungeheures Ausdrucksgenie im Dilettantischen steckengeblieben.« – Eine knappe Bewertung der Neuerungen im Werk beider Musikdramatiker findet sich beispielsweise bei Jean-Claude Yon, der zu dem Ergebnis gelangt, dass »[die] Operette […] das Musiktheater ebenso gründlich wie Wagners Opern [verändert], als deren Gegenteil sie erscheint, aber mit denen sie durch einen gemeinsamen Erneuerungswillen verbunden ist.« (siehe ders., »Die Gründung des Théâtre des Bouffes-Parisiens oder die schwierige Geburt der Operette«, in: Jacques Offenbach und das Théâtre des Bouffes-Parisiens 1855. Bericht über das Symposion Bad Ems 2005, hrsg. von Peter Ackermann, Ralf-Olivier Schwarz und Jens Stern, Fernwald 2006 (Jacques-Offenbach-Studien, 1), S. 27–50, hier S. 28). – Siehe zur Frage der handwerklichen Beherrschung von Satztechnik beispielsweise auch Ludwig Finschers Unterscheidung von »affektivem« und »parodistischem« Kontrapunkt im Tristan bzw. in den Meistersingern (vgl. ders., »Über den Kontrapunkt der Meistersinger«, in: Das Drama Richard Wagners als musikalischen Kunstwerk, hrsg. von Carl Dahlhaus, Regensburg 1970 (Studien zur Musikgeschichte des 19. Jahrhunderts, 23), S. 303–312, hier S. 306 f.) oder Johannes Schild zum Liebesthema im Vorspiel zu den Meistersingern: »Hier gibt sich eine Musik kontrapunktisch, ohne es im engeren Sinne zu sein, und gerade so erfüllt sie ihre Aufgabe brillant.« (siehe ders., »Heitere Spätblüte: Falstaff und Meistersinger gegenübergestellt«, in: Verdi & Wagner. Kulturen der Oper, hrsg. Arnold Jacobshagen, Köln u. a. 2014, S. 112–149, hier S. 142). Anton Henseler verweist darauf, dass die Verwendung polyphoner Strukturen bei Offenbach, z. B. in den Kanons »Quatuor, Chanson, Causerie et Ensemble« (No 10) im II. Akt von Les Bavards (1863) oder im »Canon« (No 10) im II. Akt von Les Brigands (1869) aufgrund ihrer Abweichung vom übrigen satztechnischen Gefüge parodistische Wirkung entfaltet und die vermeintliche kontrapunktische Kunstfertigkeit damit gleichsam in ihr Gegenteil verkehrt wird (vgl. ders., Jakob Offenbach, S. 421).

24 Siehe hierzu Richard Wagner, »›Zukunftsmusik‹. An einen französischen Freund als Vorwort zu einer Prosa-Übersetzung meiner Operndichtungen«, in: Ders., Gesammelte Schriften und Dichtungen, Bd. 7, Leipzig 41907, S. 87–137, hier S. 119. – Siehe mit Blick auf die Implementierung der Philosophie Arthur Schopenhauers in Tristan und Isolde Andreas Dorschel, »Die Idee der ›Einswerdung‹ in Wagners Tristan«, in: Richard Wagner. Tristan und Isolde, hrsg. von Heinz-Klaus Metzger und Rainer Riehn, München 1987 (Musik-Konzepte, 57/58), S. 3–45, hier S. 30: »Wagner war eben kein um theoretische Stringenz bemühter Philosophieprofessor, der auch komponierte; er verfuhr nicht systematisch, sondern eklektisch.«

25 Henseler, Jakob Offenbach, S. 420.

26 Ulrich Dibelius, »›La Prise de Troie‹ – doppelt bis dreifach«, in: Jacques Offenbach, hrsg. von Heinz-Klaus Metzger und Rainer Riehn, München 1980 (Musik-Konzepte, 13), S. 17–36, hier S. 18. – Siehe für eine weitergehende Erörterung der Theorierelevanz bei Offenbach Anatol Stefan Riemer, »Palindrome, Symmetrien und kreisförmige Strukturen. Eine analytische Annäherung an Jacques Offenbachs Themen- und Motivgestaltung in den Rheinnixen«, in: Der »andere« Offenbach. Bericht über das internationale Symposium anlässlich des 200. Geburtstages von Jacques Offenbach in der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Frankfurt am Main am 18. und 19. Oktober 2018, hrsg. von Alexander Grün, Anatol Stefan Riemer und Ralf-Olivier Schwarz, Köln 2019 (Beiträge zur Offenbach-Forschung, 4), S. 103–128, hier S. 104 f.

27 Siehe hierzu beispielsweise Werner Breig, »Wagners kompositorisches Werk«, in: Richard-Wagner-Handbuch, S. 353–470, hier S. 353: »Sein Frühwerk zeigt vielmehr eine Art der Bindung an prägende musikalische Vorbilder, die ausgesprochen epigonale Züge hat. Die Ausmerzung dieser Züge, oder – positiv gewendet – die Herausbildung eigener Schaffensintentionen, denen die Elemente der Tradition dienstbar gemacht werden konnten, geschah in einem längeren Prozeß, der erst in der Pariser Zeit um 1840 abgeschlossen war.«

28 Siehe hierzu Peter Wapnewski, »Die Oper Richard Wagners als Dichtung«, in: Richard-Wagner-Handbuch, S. 223–352, hier S. 232 f.

29 Vgl. zur wechselseitigen Beziehung zwischen Paris und Offenbachs musikalischer Sprache – auch jenseits seiner Opéra bouffe La Vie parisienne (1866) – Peter Hawig: »Und da gibt es […] ein eben nicht empirisch greifbares, sondern ein künstlerisch erzeugtes, ein fiktionales Paris, das als Phantasmagorie in Offenbachs ›Operetten‹ entsteht, aber in einem Rückkopplungseffekt das Bild des realen Paris wiederum stark beeinflusst hat.« (zitiert aus dem Vortrag »Offenbachs Paris«, gehalten am 15.10.2019 im Rahmen einer Ringvorlesung zu Jacques Offenbach an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Frankfurt am Main und der Johannes Gutenberg-Universität Mainz im Wintersemester 2019/2020; Publikation in Vorbereitung).

30 Parallelen bzw. spiegelbildliche Entsprechungen im »Exil«-Schaffen beider Komponisten lassen sich bis zur Ebene kleiner Gelegenheitskompositionen und Gebrauchsmusik nachverfolgen: »Daß Wagner, der in Bezug auf die Konventionalität der französischen und der italienischen Oper später kein Pardon kannte, mit dem letzten Lied des Zyklus [Acht französische Lieder (1839–1840, WWV 53–61)], Adieux de Marie Stuart, eine regelrechte Meyerbeersche Opernszene komponiert hat, mutet im historischen Rückblick kurios an […] und zeigt, wie sehr [Wagner] sich in diesen Liedern, mit denen sich er in Frankreich etablieren wollte, die später so verteufelte französische Operntradition zu eigen gemacht hatte.« (siehe hierzu Annette Förger, »›… immer kommt das Erbe auf uns zu, fordernd, Antworten verlangend …‹. Tradition als Fluch und Herausforderung: Hans Werner Henze und Richard Wagner«, in: wagnerspectrum 1/1 (2005), S. 127–144, hier S. 133). Offenbach hingegen schreibt während seines Kölner Aufenthaltes in den Jahren 1848–1849 für Bürgerwehrmusikkapellen und Gesangsvereine eine Reihe von deutsch-patriotisch gefärbten und romantischen Liedern, die in seinem Schaffen ebenfalls eine ausgesprochen randständige Position einnehmen. Eines dieser Lieder, Das deutsche Vaterland, verwendet Offenbach 1864 erneut in den Rheinnixen und weist ihm, wie später noch ausführlicher erläutert werden wird, bedeutsame erinnerungsmotivische Funktion zu.

31 Jean-François Candoni, »Verdi, Wagner und die französische Grand Opéra«, in: Verdi & Wagner. Kulturen der Oper, S. 93–111, hier S. 99.

32 Vgl. hierzu Carl Dahlhaus, »Wagners Stellung in der Musikgeschichte«, in: Richard-Wagner-Handbuch, S. 60–85, hier S. 67.

33 Matthias Brzoska, Die Idee des Gesamtkunstwerks in der Musiknovellistik der Julimonarchie, Laaber 1995 (Thurnauer Schriften zum Musiktheater, 14), S. 215.

34 Siehe hierzu Theodor W. Adorno, Philosophie der neuen Musik, hrsg. von Rolf Tiedemann unter Mitwirkung von Gretel Adorno, Susan Buck-Morss und Klaus Schultz, Frankfurt am Main 2003 (Gesammelte Schriften, Bd. 12), S. 159.

35 Jacques Offenbach, Concours pour une opérette en un acte, in: Le Figaro 3/148, 17.07.1856, https://gallica.bnf.fr/ark:/12148/bpt6k269487z/f7.item, abgerufen am 20.06.2020. – Ein Übertragungsfehler Anton Henselers ist dafür verantwortlich, dass in der deutschsprachigen Offenbach-Literatur wiederholt die »einfache und heitere« Machart fälschlicherweise als Maxime von Offenbachs Musiksprache definiert wird. Diesem Irrtum sitzt beispielsweise auch Carl Dahlhaus auf: »Ein ›genre primitif et gai‹, wie Offenbach es nannte, ein Genre, dessen musikalische Substanz in den Lied-, Tanz- und Marschtypen einer Zeit, aber auch in der parodistischen Aneignung von Formen und Stilmitteln der ›ernsten‹ Musik besteht, wird allmählich zu einer Gattung, deren ästhetischer Anspruch sie der Sphäre des Jahrmarkts, der Vorstadt und des ›grünen Wagens‹ entrückt, manchmal zum Bedauern der Akteure wie des Publikums.« (siehe ders., Die Musik des 19. Jahrhunderts, S. 188 f.).

36 Peter Hawig, Offenbach für Einsteiger, Bad Ems 2019 (Bad Emser Hefte, 539), S. 14.

37 Siehe hierzu Peter Hawig, Offenbachs verhinderte Große Oper. Die Schauspielmusik zu Victorien Sardous Historiendrama ›La Haine‹, Bad Ems 2012 (Bad Emser Hefte, 341).

38 Bereits 1857 komponiert Offenbach die einaktige Opérette fantastique Les Trois Baisers du diable, in der zwar zahlreiche Elemente der romantischen Musiksprache zur Nachzeichnung der schauerlichen Figur des Gaspard eingesetzt werden. Aufgrund ihrer Kürze und gleichsam kammermusikalischen Behandlung erreicht sie jedoch nicht das dramaturgische Gewicht der Rheinnixen oder von La Haine.

39 Siehe hierzu Friedrich Nietzsche, »Unzeitgemäße Betrachtungen IV. Richard Wagner in Bayreuth«, in: Ders., Die Geburt der Tragödie. Unzeitgemäße Betrachtungen, kritische Studienausgabe, hrsg. von Giorgio Colli und Mazzino Montinari, München 1999 (Sämtliche Werke, Bd. 1), S. 429–510, hier S. 487.

40 Sieghart Döhring und Sabine Henze-Döhring, Oper und Musikdrama im 19. Jahrhundert, Laaber 1997 (Handbuch der musikalischen Gattungen, 13), S. 271.

41 Carl Dahlhaus, »Zitierte Musik. Zur Dramaturgie des Antonia-Aktes in Hoffmanns Erzählungen«, in: Jacques Offenbachs Hoffmanns Erzählungen, S. 309–316, hier S. 311 f.

42 Das Vorspiel wurde bereits am 12. März 1859 in Prag mit einem von Hans von Bülow komponierten Konzertschluss aufgeführt, der Wagner jedoch nicht überzeugt hat (siehe hierzu beispielsweise John Deathridge, Martin Geck und Egon Voss, Wagner-Werk-Verzeichnis (WWV). Verzeichnis der musikalischen Werke Richard Wagners und ihrer Quellen, Mainz u. a. 1986, S. 445).

43 Auf Jodel-Elemente bzw. auf die »Tyrolienne« als in sich geschlossene Gesangsnummer greift Offenbach mehrfach in seinen Bühnenwerken zurück, beispielsweise als couleur locale in der »Tyrolienne« (No 2 bis) des frühen Einakters Le 66 (1856), oder parodisierend im »Chœur et Barcarolle« (No 1) im I. Akt von Le Pont des Soupirs (1861), im »Chœur et Couplets de Pâris« (No 21) im III. Akt von La Belle Hélène (1864) oder in der »Tyrolienne« (No 19) im II. Akt der Zweitfassung von Geneviève de Brabant (1867).

44 Siehe hierzu Henseler, Jakob Offenbach, S. 260, aufgegriffen beispielsweise in Haffner, »Offenbach und Wagner«, S. 204 oder zitiert in Schwarz, Jaques Offenbach, S. 255.

45 In seiner »Villa Orphée« im Seebad Étretat veranstaltet Offenbach zu besonderen Gelegenheiten mit burlesken und dadaistisch anmutenden Elementen gespickte Hausfeste, die u. a. auch mit Musik Richard Wagners untermalt werden (vgl. hierzu Alain Decaux, Offenbach. König des zweiten Kaiserreichs, aus dem Französischen übers. von Lilli Nevinny, München 1960 (Titel der Originalausgabe Offenbach, roi du Second Empire, Paris 1958), S. 229).

46 An dieser Stelle setzt nicht etwa ein Zitat aus einem der in den Konzerten Wagners vorgestellten Bühnenwerke ein, sondern der dem Pariser Publikum aus dem Vorjahr bekannte »Karnevalsschlager« Les bottes de Bastien von Eugène Imbert (1821–1898).

47 Für den vorliegenden Zusammenhang ist, wie weiter unten noch ausführlicher dargestellt wird, dieses Ballett auch insofern von Interesse, als Offenbach eine der zugkräftigsten Nummern, die »Valse des rayons«, später in die Rheinnixen übernimmt und ihrem Hauptthema erinnerungsmotivische Funktion verleiht. – Offenbachs Weg an die beiden bedeutendsten Pariser Bühnen, das Théâtre Impérial de l’Opéra und die Opéra-Comique, gestaltete sich anfangs ausgesprochen steinig. Im Zusammenhang mit dem Misserfolg seiner Opéra comique Barkouf (1860) stellt er in einem offenen Brief an den Herausgeber des Figaro, Hippolyte de Villemessant, am 30.12.1860 mit Blick auf sein Ballett fest: »La croisade a commencé à propos du Papillon, et je crois que jamais on n’a fait à de la musique de ballet l’honneur de l’écouter avec autant de curiosité et autant de désir de la trouver mauvaise.« (zitiert nach Jean-Claude Yon, Jacques Offenbach, Paris 2000, S. 242).

48 Zitiert nach Siegfried Kracauer, Jacques Offenbach und das Paris seiner Zeit (Erstausgabe Amsterdam 1937), in: Ders., Werke, Bd. 8, hrsg. von Ingrid Belke, Frankfurt am Main 2005, S. 206.

49 Richard Wagner, »Deutsche Kunst und Deutsche Politik«, in: Ders., Gesammelte Schriften und Dichtungen, Bd. 8, Leipzig 41907, S. 30–124, hier S. 60.

50 Richard Wagner, »Das Kunstwerk der Zukunft«, in: Ders., Gesammelte Schriften und Dichtungen, Bd. 3, Leipzig 41907, S. 42–177, hier S. 101.

51 Vgl. hierzu Richard Wagner, »Über das Dirigiren«, in: Ders., Gesammelte Schriften und Dichtungen, Bd. 8, S. 261–337, hier S. 315.

52 Richard Wagner, »Aufklärungen über das Judenthum in der Musik«, in: Ders., Gesammelte Schriften und Dichtungen, Bd. 8, S. 238–260, hier S. 252.

53 Siehe hierzu sowie zu den drei folgenden Zitaten Richard Wagner, »Eine Kapitulation. Lustspiel in antiker Manier«, in: Ders., Gesammelte Schriften und Dichtungen, Bd. 9, Leipzig 41907, S. 3–41, hier S. 35 f.

54 Vgl. hierzu beispielsweise Manuela Schwartz, »›Der Unhold Wagner frisst alles‹. Französischer wagnérisme nach Debussy«, in: wagnerspectrum 6/2 (2010), S. 101–119, hier S. 101.

55 Richard Wagner, »Erinnerungen an Auber«, in: Ders., Gesammelte Schriften und Dichtungen, Bd. 9, S. 42–60, hier S. 56 f.

56 Hier zitiert nach Martin Gregor-Dellin, Richard Wagner, München 21995, S. 132.

57 Jacques Offenbach, Offenbach en Amérique. Notes d’un musicien en voyage, Paris 1877, S. 50.

58 Offenbach, Offenbach en Amérique, S. 53.

59 Jacques Offenbach, »Wagner«, in: Paris – Murcie. Journal publié au profit des victimes des inondations d’Espagne par le comité de la presse française, sous la direction de M. Ed. Lebey, numéro unique, [Paris] 1879, S. 10, hier zitiert in der Übersetzung von Peter Hawig, in: Jacques Offenbach, Schriften und Selbstzeugnisse. Heft 2: Texte von 1872 bis 1879, hrsg. von Peter Hawig, Bad Ems 2012 (Bad Emser Hefte, 334.2), S. 52.

60 Richard Wagner, Mein Leben, vollständige, kommentierte Ausgabe, unter Zugrundelegung der im Richard-Wagner-Archiv Bayreuth aufbewahrten Diktatniederschrift, ergänzt durch Richard Wagners Annalen 1864 bis 1868, hrsg. von Martin Gregor-Dellin, Neuausgabe München 1994, S. 696.

61 Siehe hierzu beispielsweise aus zeitgenössischer Sicht Eduard Hanslick, »Hoffmann’s Erzählungen. Phantastische Oper von Offenbach«, in: Ders., Aus dem Opernleben der Gegenwart (Der »Modernen Oper« III. Theil). Neue Kritiken und Studien, Berlin 1884, S. 81–90, hier S. 81: »Wie freudig hatten wir seinerzeit die Entstehung des neuen Theaters begrüßt, das als ›Komische Oper‹ eine Lücke im deutschen Opernwesen auszufüllen bestimmt war! […] Nun ist die glänzende Première vom 7. Dezember 1881 zum grauenvollen Requiem des Ringtheaters geworden und die ›lange Reihe von Wiederholungen‹, die man [Hoffmanns Erzählungen] prophezeite, hat sich in eine lange Reihe von Leichenwagen verwandelt.«

62 Zitiert nach Carl Friedrich Glasenapp, Das Leben Richard Wagners, Bd. 6, Leipzig 1905, S. 551. Glasenapp fährt fort: »Daß nach den amtlichen Erhebungen 416 Stammesgenossen des Komponisten bei dem Brandunglück ihr Leben hatten lassen müssen, war keineswegs dazu angetan, [Wagners] Teilnahme daran wesentlich zu erhöhen: ›400 ungetaufte‹, rief er aus, ›und wahrscheinlich 500 getaufte‹, damit die Beschaffenheit unseres modernen großstädtischen Theaterpublikums auf das genaueste charakterisierend, – zugleich aber die Stellung des Reformators zu derjenigen Kunst, an die er den strengen, unerschütterlichen Ernst seines ganzen Lebens mit all seinen Kämpfen und Nöten gesetzt, während er von seiten dieser Gesellschaft irgendwelchen ›Ernst‹ nur für derartige Schreckensfälle reserviert fand.« – Die gesamte Passage veranlasst Theodor W. Adorno zu der Feststellung: »Der Wagnersche Antisemitismus versammelt alle Ingredienzien des späteren in sich. Der Haß führt so weit, daß die Nachricht vom Tode von vierhundert Juden beim Wiener Ringtheaterbrand, Glasenapp zufolge, ihn zu Witzen inspirierte.« (siehe ders., »Versuch über Wagner«, S. 24).

63 Zitiert nach Hawig, Wagner und Offenbach, S. 19 f. (Wagner-Briefe-Verzeichnis [WBV] 8557). Wagner bezieht sich auf das Menuett aus dem Finale (No 13) des I. Aktes von Don Giovanni (1787). – Vgl. hierzu auch Gioachino Rossinis Titulierung Offenbachs mit »le petit Mozart des Champs-Elysées«. David Rissin verweist in diesem Kontext darauf, dass Wagners Urteil noch mehr Gewicht zukomme, da es von einem »frère ennemi« stammt und nicht von dem Offenbach freundlich gesinnten, außer Konkurrenz stehenden Rossini (vgl. ders., Offenbach ou le rire en musique, Paris 1980, S. 318).

64 Richard Wagner, »Epilogischer Bericht über die Umstände und Schicksale, welche die Ausführung des Bühnenfestspieles ›Der Ring des Nibelungen‹ bis zur Veröffentlichung der Dichtung desselben begleiteten«, in: Ders., Gesammelte Schriften und Dichtungen, Bd. 6, Leipzig 41907, S. 257–S.272, hier 271.

65 Vgl. hierzu Richard Wagner, Sämtliche Werke, Bd. 27, Dokumente zu ›Tristan und Isolde‹, hrsg. von Gabriele E. Meyer und Egon Voss, Mainz 2008, S. 8.

66 Hier zitiert nach Richard Wagner, Sämtliche Briefe, Bd. 13, Briefe des Jahres 1861, hrsg. von Martin Dürrer und Isabel Kraft, Wiesbaden u. a. 2003, S. 260 [WBV 3091].

67 Siehe hierzu Laurence Senelick, Jacques Offenbach and the Making of Modern Culture, Cambridge 2017, S. 67.

68 Lionel Pons, Jacques Offenbach, S. 30. – Vgl. hinsichtlich Bezugspunkten zwischen den Rheinnixen und Tannhäuser beispielsweise Louis Bilodeau, Jacques Offenbach. Mode d’emploi, Paris 2019 (L’Avant-Scène Opéra), S. 65 ff.: »[L]e finale somptueux n’est pas sans rappeler la sensualité du Venusberg que les Parisiens avaient pu découvrir dans Tannhäuser en 1861« […] »Les elfes d’Offenbach possèdent aussi un peu du charme vénéneux de la Vénus de Wagner.«

69 Siehe hierzu z. B. Dominique Ghesquière, Jacques Offenbach und Wien, übers. u. hrsg. von Peter Hawig, Bad Ems 2013 (Bad Emser Hefte, 354), S. 13: »[Offenbach] näherte sich den Kreisen einflussreicher Journalisten, unter ihnen Eduard Hanslick […]. Dieses Beziehungsgeflecht erhöhte wiederum Offenbachs Ansehen in der Donaumetropole, was ihm ein zweites Gastspiel der Bouffes-Parisiens bei Treumann [=Theater am Franz-Josefs-Kai] vom 1. Juni bis 12. Juli 1862, eine Privataudienz bei Kaiser Franz Josef, vor allem aber die Zusage, eine große romantische Oper für die Hofoper schreiben zu dürfen, einbrachte: Die Rheinnixen.«

70 Signale für die musikalische Welt XXI/39, 01.10.1863, http://anno.onb.ac.at/cgi-content/anno-plus?aid=smw&datum=1863&page=643, abgerufen am 20.06.2020.

71 Neues Fremden-Blatt V/241, 31.08.1869, http://anno.onb.ac.at/cgi-content/anno?aid=nfb&datum=18680919&seite=11, abgerufen am 20.06.2020.

72 Hier wiedergegeben aus Ernst Kreowski und Eduard Fuchs, Richard Wagner in der Karikatur. Mit sieben Beilagen und 223 Text-Illustrationen, Berlin 1907, S. 149. – Der von Wagner aufgespießte und über dem Feuer geröstete Offenbach ist im Zentrum der ganzseitigen Karikatur platziert. Direkt darunter stehen die Zeilen: »Jacques Offenbach, der schwer gebüßt. Er wird ein zweites Mal gespießt.« sowie rechts unter den beiden zu ihm hinüberblickenden Engelsfiguren »Auch Seidenhöschen tragen ihm zulieb’ die hehren Seraphim.« – ein Hinweis auf die weiter oben genannten »frechen Kankantanzweisen« in Offenbachs Bühnenwerken.

73 Wagner, Mein Leben, S. 683.

74 Siehe hierzu beispielsweise Deathridge u. a., Wagner-Werk-Verzeichnis (WWV), S. 446. Das persönliche Exemplar des Klavierauszugs von Ander mit den entsprechenden Eintragungen zur Höherlegung der tiefen Töne ist nach gegenwärtigem Stand verschollen (vgl. ebd., S. 437). Wie aus einem Brief Wagners an Ander vom 19. November 1861 hervorgeht, fordert er bereits vor Ablauf des Jahres den Klavierauszug vom Wiener Tenor wieder zurück (vgl. ders., Sämtliche Briefe, Bd. 13, S. 290 [WBV 3115]). – Bei Tristan und Isolde handelt es sich um die erste Opernpartitur Wagners, die gestochen wird. Zudem beginnt die Drucklegung bereits vor Abschluss der Gesamtkomposition. Siehe hierzu und auch im Vergleich zur Arbeitsweise Jacques Offenbachs Eduard Hanslick, Aus meinem Leben, Bd. 2, Berlin 41911, S. 84: »Wagner ließ seine größten Partituren stechen, ohne sich vorher von ihrer Wirkung überzeugt zu haben; dann durfte an keiner Note mehr gerührt werden. Offenbach änderte und besserte während der Proben unablässig; kassierte oder kürzte ohne weiteres, was sich als zu lang erwies, verlängerte, versetzte einzelne Nummern, bis alles an rechter Stelle stand und seine Wirkung tat.«

75 Hier zitiert nach Wagner, Sämtliche Briefe, Bd. 13, S. 207, Brief vom 04.09.1861 [WBV 3064].

76 Wagner, Mein Leben, S. 679.

77 Hier zitiert nach Wagner, Sämtliche Briefe, Bd. 13, S. 302, Brief vom 22.11.1861 [WBV 3123].

78 Hier zitiert nach Richard Wagner, Sämtliche Briefe, Bd. 15, Briefe des Jahres 1863, hrsg. von Andreas Mielke, Wiesbaden u. a. 2005, S. 36, Brief vom 04.01.1863 [WBV 3475].– Vgl. hierzu wiederum Wagners Ausführungen im offenen Brief an Friedrich Uhl vom 18. April 1865, hier zitiert nach Richard Wagner. Tristan und Isolde. Texte, Materialien, Kommentare, hrsg. von Attila Csampai und Dietmar Holland, Reinbeck bei Hamburg 1983, S. 128: »Sie wissen, worin mein Hauptbedenken bestehen mußte: dem beliebten Sänger Ander, dessen neulicher Tod uns alle mit so herzlicher Trauer erfüllte, mußte die ungemein anstrengende Aufgabe der Darstellung der Hauptrolle des ›Tristan‹ jedenfalls zu viel zumuten.« – Vgl. in diesem Zusammenhang auch das Schicksal von Ludwig Schnorr von Carolsfeld (1836–1865), dem ersten Darsteller des Tristan: »Sechs Wochen nach der Uraufführung stirbt er plötzlich, nach der vierten Aufführung, und sein Tod verdichtet die Aura des Unheimlichen, Mystischen und Dämonischen, die sich um dieses Werk von Anbeginn an lagert.« (siehe hierzu Wapnewski, »Die Oper Richard Wagners als Dichtung«, S. 310).

79 Wagner, Mein Leben, S. 682.

80 Ebd., S 739.

81 Siehe hierzu Berliner Musikzeitung XVIII/26, 29.06.1864, http://anno.onb.ac.at/cgi-content/anno?aid=bmz&datum=18640629&seite=6, abgerufen am 20.06.2020.

82 Die vollständige Partitur der Rheinnixen liegt der Hofoperndirektion spätestens seit September 1863 vor (vgl. hierzu Illustrirte Zeitung Band XLI/1056, 26.09.1863, http://anno.onb.ac.at/cgi-content/anno?aid=izl&datum=18630926&seite=11, abgerufen am 20.06.2020 sowie Yon, Jacques Offenbach, S. 286).

83 Siehe hierzu Illustrirte Zeitung Band XLI/1066, 05.12.1863, http://anno.onb.ac.at/cgi-content/anno?aid=izl&datum=18631205&seite=11, abgerufen am 20.06.2020.

84 Alfred von Wolzogen ist der Vater des in Bayreuth wirkenden Hans von Wolzogen (1848–1938), der von 1878 bis zu seinem Tod die Bayreuther Blätter herausgibt und u. a. den von Wagner selbst nicht verwendeten Begriff »Leitmotivik« geprägt haben soll.

85 Eigentlich Charles Truinet. Der Jurist und Archivar des Théâtre Impérial de l’Opéra tritt vor allem als Librettist zahlreicher Opern verschiedener Komponisten in Erscheinung und übersetzt u. a. einige Dramen Richard Wagners ins Französische.

86 Vgl. hierzu die analoge Verfahrensweise, die Offenbach elf Jahre später bei seiner Opéra bouffe Whittington (1874) anwendet: »Für Whittington schrieben zuerst Offenbachs bewährte Librettisten Étienne Tréfeu und Charles Nuitter ein französisches Libretto, das der Komponist vertonte. Der französische Text und die französischsprachige Partitur gingen dann in kleinen ›Scheiben‹ nach England, wo der englische Literat H. B. Farnie, Offenbachs Musik entsprechend, eine englische Version der Oper erstellte.« (siehe hierzu Ralph Fischer, Der späte Offenbach (1870–1880). 2. Heft: 1873–1875, Bad Ems 2000 (Bad Emser Hefte, 200) S. 34).

87 Hier zitiert nach Henseler, Jakob Offenbach, S. 361. – Vgl. mit Blick auf den Begriff der »wagnerianischen Zeitungen« beispielsweise die gleichsam gegenteilige Sicht und Darstellung Richard Wagners aus dem Jahr 1869: »Wer wird nun im Ernste glauben wollen, daß sich in [der] Haltung der großen Zeitungen eine Besorgnis des Schadens aussprach, welchen etwa eine neue Kunstrichtung dem guten deutschen Kunstgeschmacke bringen könnte? Ich erlebte es mit der Zeit, daß in einem solchen geachteten Blatte es mir unmöglich werden sollte, Offenbach’s in der ihm gebührenden Weise zu erwähnen: wer vermag hier an Sorge für den deutschen Kunstgeschmack zu denken? So weit war es eben gekommen: wir waren von der deutschen großen Presse vollständig ausgeschlossen.« (siehe ders., »Aufklärungen über das Judenthum in der Musik«, S. 247).

88 Die konkreten Aufführungsdaten nach der Premiere sind der 05.02., 08.02., 11.02., 15.02., 20.02. sowie der 04.03.1864. Für den 15.03.1864 ist noch eine weitere Vorstellung geplant (siehe hierzu z. B. Wiener Zeitung [85]/65, 13.03.1864, http://anno.onb.ac.at/cgi-content/anno?aid=wrz&datum=18640313&seite=6, abgerufen am 20.06.2020), die jedoch wegen einer kurzfristigen Erkrankung der Darstellerin der Armgard, Mathilde Wildauer (1820–1878), abgesagt und durch Dom Sebastian (1843) von Gaetano Donizetti ersetzt wird (siehe hierzu z. B. Die Presse 17/75, 15.03.1864, http://anno.onb.ac.at/cgi-content/anno?aid=apr&datum=18640315&seite=5, abgerufen am 20.06.2020). – Beispielsweise mit Blick auf die Resonanz der Aufführung am 20.02.1864 heißt es: »Die sechste Aufführung der Offenbach’schen ›Rheinnixen‹ bewies ein noch immer waches Interesse des Publicums an dieser Oper, das Haus war stark besucht.« (siehe hierzu Wiener Zeitung [85]/53, 01.03.1864, http://anno.onb.ac.at/cgi-content/anno?aid=wrz&datum=18640301&seite=6, abgerufen am 20.06.2020).

89 Im Herbst finden die Aufführungen am 13.09., 16.09., 03.10. sowie am 30.10.1864 statt.

90 Siehe hierzu Fremden-Blatt XVIII/255, 15.09.1864, http://anno.onb.ac.at/cgi-content/anno?aid= fdb&datum=18640915&seite=6, abgerufen am 20.06.2020: »Die seit fünf Monaten nicht wiedergegebene melodiöse Oper Offenbach’s ›Die Rheinnixen‹ ist vorgestern zum ersten Male von Neuem bei vollbesuchtem und sehr animirtem Hause aufgeführt worden, und zwar dieses Mal mit Herrn Walter (an die Stelle Ander’s), welcher mit Geschick seine Aufgabe löste.« – Gustav Walter wird seitens Matteo Salvis auch bereits als Ersatz von Ander als Tristan vorgeschlagen, was Wagner jedoch ablehnt: »Er [Salvi] empfahl mir, den Tenoristen Walter vorzunehmen; da ich diesen, als mir durchaus widerwärtig, verwarf, verwies er mich auf fremde Sänger, welche er zu berufen bereit sei.« (siehe hierzu ders., Mein Leben, S. 682).

91 Siehe hierzu beispielsweise Neue Freie Presse [1]/20, 20.09.1864, http://anno.onb.ac.at/cgi-content/anno?aid=nfp&datum=18640920&seite=4, abgerufen am 20.06.2020: »Herr Ander wurde beim Auftreten auf’s lebhafteste empfangen und nach den beiden großen Nummern, in denen er zu singen hat, mit warmen Beifall ausgezeichnet. […] Herr Ander sang mit dem vollen Aufwand seiner Kräfte, indessen verrieth gerade diese äußerste, für die Zuhörer höchst peinliche Kraftanstrengung, daß er der Erholung und Ruhe noch sehr bedürftig sei.«

92 Franz Baldung aus den Rheinnixen ist die letzte Rolle, die Alois Ander neu einstudiert.

93 Siehe hierzu Fremden-Blatt XVIII/36, 05.02.1864, http://anno.onb.ac.at/cgi-content/anno?aid=fdb&datum=18640205&seite=6, abgerufen am 20.06.2020.

94 Siehe hierzu Blätter für Musik, Theater und Kunst X/12, 09.02.1864, http://anno.onb.ac.at/cgi-content/anno?aid=mtk&datum=18640209&seite=1, abgerufen am 20.06.2020.

95 Eduard Hanslick, »Die Rhein-Nixen. Große romantische Oper in 3 Acten, von J. Offenbach«, in: Die Presse, XVII/37, 06.02.1864, http://anno.onb.ac.at/cgi-content/anno?aid=apr&datum=18640206&seite=1, abgerufen am 20.06.2020.

96 Ebd.: »Wir zweifeln nicht, daß Offenbach’s ›Rhein-Nixen‹, wenn ihr Libretto einer Umarbeitung unterzogen wird, auf deutschen und auswärtigen Bühnen guten Erfolg hoffen dürfen. Die vielen schönen und geistreichen Einzelheiten der Offenbach’schen Partitur verdienen, daß man die Mühe dieser Umarbeitung nicht scheue.«

97 Hier zitiert nach Fremden-Blatt XVIII/48, 17.02.1864, http://anno.onb.ac.at/cgi-content/anno?aid=fdb&datum=18640217&seite=6, abgerufen am 20.06.2020.

98 Zitiert nach Henseler, Jakob Offenbach, S. 361.

99 Zu Offenbachs Lebzeiten gibt es nur noch diese Produktion am Kölner Stadttheater am 1. Januar 1865. Neben diesem in der Literatur zumeist angeführten Datum (siehe hierzu z. B. Yon, Jacques Offenbach, S. 323) werden in Vorankündigungen in der Presse beispielsweise auch »Mitte Januar« (vgl. hierzu Berliner Musikzeitung XIX/2, 11.01.1865, http://anno.onb.ac.at/cgi-content/anno?aid=bmz&datum=18650111&seite=6, abgerufen am 20.06.2020) bzw. der 5. Februar 1865 genannt (vgl. hierzu Die Debatte II/9, 09.01.1865, http://anno.onb.ac.at/cgi-content/anno?aid=ddb&datum=18650109&seite=1, abgerufen am 20.06.2020). – Die erste konzertante Aufführung auf französischem Boden findet am 30. Juli 2002 in Montpellier statt. Dabei handelt es sich zugleich um die Erstaufführung der ursprünglichen vieraktigen Gestalt des Werkes.

100 Die Premiere findet am 13. Januar 2005 am Slowenischen Nationaltheater in Ljubljana statt, die deutsche Erstaufführung der Originalfassung folgt am 15. April 2005 im Theater Trier. In französischer Sprache erklingt das Werk erstmals am 28. September 2018 an der Opéra de Tours (Koproduktion mit dem Theater Biel/Solothurn).

101 Dahlhaus, »Die Musik«, S. 219.

102 Bei der »Neuen Welt« handelt es sich um ein 1861 eröffnetes und bis 1882 bestehendes Vergnügungsareal in Hietzing, dem späteren 13. Wiener Bezirk (eingemeindet 1891).

103 Auszüge aus den Rheinnixen finden sich auch in den folgenden Jahren noch häufiger auf ähnlichen Konzertprogrammen, beispielsweise im September 1868 zusammen mit dem »Hirtenlied mit Chor« aus Tannhäuser (vgl. hierzu die Ankündigung für den 20.09.1868 in Neues Fremden-Blatt 4/258, 19.09.1868, http://anno.onb.ac.at/cgi-content/anno?aid=nfb&datum=18680919&seite=11, abgerufen am 20.06.2020).

104 Jacques Offenbach, Lettres à Henri Meilhac et Ludovic Halévy, hrsg. von Philippe Goninet, Paris 1994, S. 82, hier zitiert in der Übersetzung von Peter Hawig in: Ders., »Offenbach for ever!« Die Weichenstellungen des Jahres 1864 zwischen Rheinnixen und Schöner Helena. Ein Rückblick nach 150 Jahren, Bad Ems 2014 (Bad Emser Hefte, 390), S. 13. – Vgl. hierzu auch Offenbachs erneute Verwendung dieses Ausdruckes wenige Tage vor der Uraufführung des Rheingoldes im Le Figaro vom 17. September 1869: »Rheingold par-ci, Rienzi par là ! Wagner for ever ! Cet ouragan fait homme fait, depuis quelque temps, autant de bruit que sa musique elle-même.« (hier zitiert nach Jean-Claude Yon, M. Offenbach nous écrit. Lettres au Figaro et autres propos, [Arles] 2019 (Actes Sud / Palazzetto Bru Zane), S. 169).

105 Siehe Die Presse XVI/258, 20.09.1863, http://anno.onb.ac.at/cgi-content/anno?aid=apr&datum=18630920&seite=1, abgerufen am 20.06.2020. – Die Kritik zahlreicher Blätter an der Vergabe des Kompositionsauftrages der Hofoper an Offenbach und vor allem am Werk selbst reißt auch nach der letzten Aufführung der Rheinnixen nicht ab, wie aus folgenden Rezensenten-Meinungen ersichtlich wird: »Da seit den ›Rheinnixen‹ (4. Februar d. J.!) keine neue Oper zur Aufführung kam, müssen wir uns mit den wenigen Brosamen von Neubesetzungen und Neuscenirungen behelfen, welche die Hofopern-Direction dem Publicum gütig zuwirft.« (siehe hierzu Neue Freie Presse [1]/52, 22.10.1864, http://anno.onb.ac.at/cgi-content/anno?aid=nfp&datum=18641022&seite=1, abgerufen am 20.06.2020) bzw. »Endlich, endlich ist die qualvolle Länge der musikalischen Fastenzeit überstanden, und unsere Kunst feiert ihr Osterfest. Was war das für ein fürchterliches Opernjahr, dessen Glanz in den ›Rheinnixen‹ kulminierte!« (siehe hierzu Die Debatte [1]/3 15.11.1864, http://anno.onb.ac.at/cgi-content/anno?aid=ddb&datum=18641115&seite=1, abgerufen am 20.06.2020).

106 Alexander Faris, Jacques Offenbach, übers. von Ken W. Bartlett, Zürich 1982 (zuerst erschienen in englischer Sprache, London und Boston 1980), S. 225 f.

107 Bereits in seiner Opérette fantastique Les Trois Baisers du diable (1857) setzt Offenbach die Erinnerungsmotivik als konstitutives Element ein. Anton Henseler stellt diesbezüglich fest: »Diese ›Operette‹ steht stofflich und stilistisch ohne alle parodistische Absicht auf dem Boden der Großen Oper Meyerbeers. Die Erinnerungsmotive, die sich durch das ganze Werk hindurchziehen, gemahnen an Wagners Leitmotivtechnik, von der sie sich allerdings als Zitate, die nicht einer thematischen Arbeit unterworfen sind, doch noch wesentlich unterscheiden. Dieser Versuch Offenbachs auf dem Gebiet der romantischen Oper blieb jedoch vereinzelt.« (siehe hierzu ders., Jakob Offenbach, S. 215).

108 Siehe hierzu Dieter Schnebel, »Religiöse Klänge – Klangreligion«, in: Richard-Wagner-Handbuch, S. 698–703, hier S. 698: »So gibt es etwa im ersten Akt des Tristan Schichten und Folgen verschiedener Musiksprachen, die fast hierarchisch geordnet sind. Das Lied des Seemanns, welches das Drama einleitet, ist – wie es sich eben für ein Lied gehört – volkstümlich geartet; Tristans Knappe Kurwenal singt mehr höfisch zeremoniell; die Gesänge des Schiffvolks sind teils roh und ungeschlacht, teils aber auch – wenn etwa der König sich naht – konventionell steif. Was Tristan und Isolde äußern, indes erscheint voll individuellen Ausdrucks – und frei von Üblichem und Gesetztem. Also komponiert Wagner verschiedene musikalische Sprachsphären.«

109 Von der »Omnipräsenz der Leitmotive« (vgl. hierzu Carl Dahlhaus, Wagners Konzeption des musikalischen Dramas, München 1990, S. 90), die Wagner erstmals im Rheingold voll entfaltet, weicht das nur phasenweise hervortretende erinnerungsmotivische Geflecht in den Rheinnixen sowohl in quantitativer wie auch qualitativer Hinsicht jedoch noch erheblich ab.

110 Vgl. hierzu beispielsweise Dietmar Holland, »›Hier wütet der Tod‹. Zu Wagners ›Tristan und Isolde‹«, in: Richard Wagner. Tristan und Isolde. Texte, Materialien, Kommentare, hrsg. von Attila Csampai und Dietmar Holland, Reinbeck bei Hamburg 1983, S. 9–25, hier S. 22: »[D]ie Motive [nehmen] primär eine symbolische anstatt allegorische Funktion [ein], was sich schon allein daran erweist, daß es überhaupt kein Motiv im ›Tristan‹ gibt, das sich auf eine Person bezöge und auch kaum welche, die auf ein Stichwort hin erscheinen. Genau das wirkt im ›Ring‹ bisweilen unfreiwillig komisch.« oder Andreas Dorschel, »Die Idee der ›Einswerdung‹ in Wagners Tristan«, S. 6: »Es gibt kein ›Tristan-Motiv‹ in dem Sinne, in dem es ein ›Siegfried-Motiv‹ in der Götterdämmerung gibt, kein ›Brangänen-Motiv‹ oder ›Isolden-Motiv‹, sondern, sofern eine Rubrizierung überhaupt möglich ist, allenfalls Motive der ›Liebe‹, der ›Sehnsucht‹, der ›Ehre‹. Die musikalischen Symbole sind hier dergestalt nicht auf ein bestimmtes Einzelnes bezogen«. – Vgl. zur Frage der Rubrizierung der Leitmotive im Ring des Nibelungen z. B. auch Matthias Brzoska, Geschichte der Oper. Eine Einführung, Laaber 2015 (Gattungen der Musik, 3), S. 172: »Die extreme Verdichtung des motivischen Geschehens verdeutlicht beispielhaft, dass die Anzahl der Motive und ihre Benennung oder Ableitung tendenziell in das Ermessen des Analysierenden gestellt ist.«

111 Vgl. hierzu Christian Thorau, »Untersuchungen zur ›traurigen Weise‹ im III. Akt von Tristan und Isolde«, in: Richard Wagner. Tristan und Isolde, hrsg. von Heinz-Klaus Metzger und Rainer Riehn, München 1987 (Musik-Konzepte, 57/58), S. 118–128, hier S. 126 f. – Für eine Betrachtung weitergehender hermeneutischer Implikationen siehe auch Jean-Jacques Nattiez, »Der Dichter und der Geist der Musik«, in: wagnerspectrum 1/1 (2005), S. 43–62, hier S. 48 f.

112 Hawig, Wagner und Offenbach, S. 14. – Der für die Oper leicht abgewandelte und von Armgard im »Final« (No 10) des I. Aktes vollständig gesungene Text der 1. Strophe des »Vaterlandsliedes« lautet: »O könnt’ ich’s Allen sagen, / Wie meine Pulse schlagen / Für Dich, mein Vaterland! / Ich habe Dir mein Leben, / Mein Alles hingegeben. / Ich nehm das Glas zur Hand / Und trink’ es Dir und ruf’ es laut: / Du, Vaterland, bist meine Braut! / Du liebes Land, Du schönes Land! / Du schönes, großes deutsches Vaterland!«

113 Hier zitiert nach Richard Wagner, Sämtliche Briefe, Bd. 12, Briefe des Jahres 1860, hrsg. von Martin Dürrer, Wiesbaden u. a. 2001, S. 85 [WBV 2710].

114 Hier zitiert nach der deutschen Übersetzung in Richard Wagner, Sämtliche Briefe, Bd. 16, Briefe des Jahres 1864, hrsg. von Martin Dürrer, Wiesbaden u. a. 2006, S. 389 [WBV 3812].

115 Ebd., S. 390.



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