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Rückblick

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Seit 30 Jahren beschäftigt mich die digitale Welt. An der Uni interessierte mich die Wirtschaftsinformatik als verbindende Disziplin zwischen der realen und der digitalen Welt. Wir lernten, Probleme aus der physischen Welt, speziell der Wirtschaft, in Bits und Bytes, also die Sprache der Computer zu übersetzen.

Maschinen, insbesondere Computer und wie sie funktionieren, haben mich schon früh fasziniert. Vielleicht liegt das daran, wie ich groß wurde: Mein Vater zerlegte als Elektrotechniker zu Hause immer alles, wenn es kaputt war. Mit Vorliebe die Dinge, die über (mindestens) ein Kabel verfügten. Der Duft von Lötzinn lag bei uns quasi immer in der Luft.

Dabei bin ich Späteinsteiger. Kein Atari oder Commodore aus den Anfängen der 80er-Jahre war mein erster Computer, sondern 1989, mit damals 19 Jahren, ein 286er-PC. Meine Freundin erzählt mir heute noch die Geschichte, wie ich ihn zu Beginn am liebsten aus dem Fenster geschmissen hätte, weil er nicht das tat, was ich wollte. Schon damals musste man erst lernen, wie diese Geräte auf den Menschen hören, die digitalen Maschinen stellten sich nicht auf den Menschen ein. Wir werden uns hier mit der Frage auseinandersetzen, wie weit wir heute, 30 Jahre später, sind und wie es wohl in weiteren 30 Jahren aussehen wird.

Meine zweite Mission ist das Marketing, also die »konsequente Ausrichtung« eines »Unternehmens an den Bedürfnissen des Marktes«3: Wie genau bringe ich erfolgreich eine Idee rüber? Wie muss ein neues Produkt gestaltet sein und wie beziehe ich die Zielgruppe ein?

Im sogenannten Marktforschungspraktikum meines Studiengangs waren wir ganz praktisch eingebunden und befragten für den belgischen Rundfunk Hörer. Also stand ich mit einigen Mitstudenten einige Tage auf belgischen Straßen und in Fußgängerzonen, um »die Stimme des Volkes« methodisch fundiert zu ergründen. Diese Übung ließ mich zwangsläufig mit anderen Augen durch die Welt gehen und für alle Zeit den Menschen in den Fokus nehmen.

Die Kombination der beiden Studienfächer war sehr selten – und sorgte für Belustigung. Denn meine Studienkollegen im Marketing befanden die (Wirtschafts-)Informatiker als eigenartig: »Da hat man doch Quadrataugen, wenn man den ganzen Tag auf einen Rechner starrt«, hieß es. Die Computerfans wiederum fanden, dass das Marketing »stets auf blauen Wolken schwebt und sich neue Geschichten ausdenkt«. Beide hatten vermutlich ein wenig recht. Ich jedenfalls fühle mich bis heute in beiden Disziplinen zu Hause und schaue aus beiden Perspektiven auf die digitalen Möglichkeiten.

Ich war, eher zufällig, dabei, als das Internet 1995 seine ersten Schritte in Richtung Wirtschaft ging, nämlich bei der Entstehung des WWW – World Wide Web, wie es damals noch ausführlich benannt wurde. Was heute schlicht »Internet« heißt, war damals ein Novum in der Wirtschaftswelt. Tim Berners Lee hatte im Jahr 1992 am Schweizer CERN die neue Sprache HTML (Hypertext Markup Language) erfunden, die Inhalte mit Hyperlinks auf elegante Weise miteinander verbinden sollte. Was an den Unis gleich experimentell eingesetzt wurde, gelangte kurz darauf in die Wirtschaftswelt.

In einem interdisziplinären Studentenprojekt durfte ich den ersten kommerziellen Webserver in Aachen mitprogrammieren. Die Fachpresse besprach ihn damals als einen der ersten dreißig (!) Webserver in Deutschland. Damit war ich früh mit dem Medium verbunden, das kurz darauf die gesamte (Wirtschafts-)Welt auf den Kopf stellen sollte. Es ließ mich seitdem nicht mehr los.

Ein besonderes Erlebnis war mein zweiter Aufenthalt in den USA. Ich hatte früher einige Monate in New York State gelebt und zog zum Ende des Studiums nach Arlington bei Washington D.C. Für meine Abschlussarbeit fand ich einen Experten für »Computational Statistics« als Sparringpartner: Professor Edward Wegman4 eröffnete mir schon im Jahr 1996 eine Zukunftswelt, nämlich die zu virtuellen Realitäten.

So forschte ich zunächst wissenschaftlich und später in der eigenen Unternehmerpraxis an Zukunftsthemen. Zu den vielen Abschlussarbeiten, die ich in den 90ern betreute, gehörten schon der intelligente Kühlschrank und Mülleimer. Wie viele Kühlschränke bestellen heute selbst Milch nach, wenn sie zur Neige geht, und wie viele Mülleimer in den Haushalten sortieren heute, 25 Jahre später, selbstständig den Müll? So gut wie keine. Was muss also passieren, dass diese oder andere Digitaltechnologien in unsere Haushalte einziehen?

Ich bin überzeugt, dass es vor allem eines braucht: den Blick auf die Perspektive der Nutzer und Nachfrager zu richten und weniger auf die Technologie selbst. Es ist meine Motivation für dieses Buch, Ihnen – seien Sie Verbraucher oder Entscheider – exakt diesen Fokus zu vermitteln. Wie viele Ressourcen könnten wir sparen, wie viel Zeit und Geld besser einsetzen, wenn wir dieses einfache Prinzip leben würden?

Kürzlich spazierte ich durch Bremen und entdeckte ihn in der Fußgängerzone: den intelligenten Mülleimer. Solarzellenbestückt und leider schon ziemlich dreckig, erzählte er seine Geschichte, oder besser gesagt, seine Funktionen. Und die beeindruckten mich. Denn dieser Mülleimer im öffentlichen Raum presst den Müll besonders klein und meldet der zuständigen Behörde, wenn er geleert werden muss. So ein autarkes kleines Ding im Bremer Stadtgeschehen erfüllt seinen Zweck auf smarte Weise. Wenn er sowohl für ein sauberes Stadtbild sorgt als auch die Gebühren für die Bremer reduziert, bin ich sicher, dass es ihn nachhaltig geben wird, bringt er doch einen relevanten Nutzen.

Die Frage ist: Wie schaffen wir es, vom Problemdenken rund um die Digitalisierung zu einer Lösungsorientierung zu kommen? Ohne Probleme wegzudiskutieren, sondern ihnen stattdessen mit einer Halbvoll-Haltung und Lösungsansätzen zu begegnen?

Mehr als 20 Jahre beschäftige ich mich nun mit der Unterstützung neuer Produkte und Services. Eines ist dabei besonders wichtig: Um zukünftige Innovationen auf ihren Weg in den Markt zu bringen, setze ich bewusst früh an. Einige Unternehmen kommen bereits mit ersten Ideen, aus denen Produkte entstehen sollen, vor anderen liegt ein weißes Blatt, sie wollen mit uns etwas gänzlich Neues schaffen. In allen Fällen aber liegt unser Blick gleich zu Beginn gezielt auf den Bedürfnissen der Nutzer.

Was macht ein neues Produkt oder eine neue Dienstleistung erfolgreich? Innerhalb von zwei Jahrzehnten konnte ich mit meinem Unternehmen sieben Millionen Online-Interviews durchführen und damit insgesamt 8000 Produkten oder Services helfen. In der Online-Befragung stellen wir typischerweise die Idee als Text und Bild vor, sodass potenzielle Kunden beurteilen können, wie gut die Idee allgemein gefällt, wie neu und andersartig sie ist und ob man das Produkt oder den Service – unabhängig vom Preis – kaufen würde. Diese Interviews führen wir weltweit online und in allen Branchen durch, vom Schokoriegel über das Erkältungsmittel bis hin zum Elektroauto.

Mitmachen: Wenn Sie jetzt Lust bekommen haben, an Umfragen teilzunehmen, dann können Sie sich hier melden: www.dialego.de/zukunft.

Sie können sich vorstellen, dass uns inzwischen ein richtig großer Datenschatz vorliegt, der die Frage beantworten kann: Was macht eine neue Idee erfolgreich? Welches Muster finden wir? Wann probieren Menschen ein neues Produkt? Denn wir müssen etwas Neues, ein Produkt oder einen Service, ein erstes Mal ausprobieren, um dauerhaft Kunde zu werden und es damit erfolgreich zu machen. Wie wir uns auf diese Weise dem Menschen zuwenden, werden wir in Kapitel 3 und 4 genauer betrachten. Zunächst einmal möchte ich mit Ihnen ganz allgemein in die Lösungssuche einsteigen.

Die Zukunft ist menschlich

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