Читать книгу Für mich bist du ein Wunder - Andi Weiss - Страница 13
ОглавлениеDas Geschenk
Liebe Anna,
wir haben uns lange nicht gesehen. 38 Jahre ist es her – und ich frage mich, wie es dir seitdem ergangen ist.
Weißt du noch, damals in der 1. und 2. Klasse, da waren wir Freundinnen. Wir, zwei schüchterne 7-Jährige, die gern Latzhosen trugen und im Unterricht miteinander flüsterten. Ich erinnere mich noch gut an deine roten Wangen, dein Lächeln, deinen inneren Frieden.
Du wusstest es nicht, aber mein Leben damals war schwierig. Inneren Frieden kannte ich nicht. Ich wohnte bei meiner Mutter, aber ein richtiges Zuhause hatte ich nicht. „Sicherheit“ und „Geborgenheit“ waren Worte, die ich hörte, aber nicht verstand. Es war eine dunkle Zeit.
Schon im Kindergarten hatte ich mich sehr auf die Schule gefreut. „Schule“ hieß für mich „groß werden“ – und das wollte ich! So einfach, wie ich es mir vorgestellt hatte, war es dann aber doch nicht. Die Tage vergingen auch in der Schule nicht schneller als zu Hause, das Lernen war anstrengend und alles war mir zu laut, zu schnell, zu viel.
Umso mehr freute ich mich, dass du da warst. Wir verbrachten gern Zeit zusammen – und eines Tages hattest du Geburtstag. Viele deiner Freunde waren eingeladen, auch ich. Ich hatte schon gehört, was man sich so schenkte: Puppen mit Klappaugen, Rollschuhe mit richtigen Stiefeln dran und sogar kleine Kassettenrekorder! So teure Sachen! Ich staunte nicht schlecht.
Über deine Einladung freute ich mich, aber ich hatte auch Angst. Würde meine Mutter überhaupt erlauben, dass ich komme? Und wenn nicht, wäre ich dann noch deine Freundin? Und was sollte ich dir schenken, ich hatte nicht viel! Von meiner Mutter bekam ich Taschengeld, 5 Mark im Monat. In dem Monat hatte ich aber nur noch 1,50 übrig … Was sollte ich nur machen?
Nach der Schule schlich ich nach Hause. Meine Mutter saß in der Küche und las Zeitung. Meine Hände zitterten. Ich wollte dir so gern etwas schenken, etwas „richtiges“, wie die anderen Kinder! Ich holte tief Luft.
„Ute?“ Ich räusperte mich. „Mama“ nennen durfte ich meine Mutter nicht. Sie seufzte und schaute hinter der Zeitung hervor. „Ich bin zum Geburtstag eingeladen, bei der Anna. Kannst du mir ein bisschen Geld geben, damit ich ihr was kaufen kann?“ Ich hielt den Atem an.
Meine Mutter sah mich nicht an. „Dafür hast du doch Taschengeld!“
„Ich… Ich hab nur noch 1,50…“, murmelte ich.
„Dann hättest du halt was sparen müssen! Von mir kriegst du jedenfalls nix!“
„Aber“, flehte ich, „die Mütter von den andern Kindern, die kaufen denen die Geschenke!“ Mein Bauch tat weh. „Bitte!“
„Tja, ich bin aber nicht andere Mütter! Du hast dein Taschengeld, basta!“ Ihre Hand knallte auf den Tisch. Was sollte ich denn bloß für 1,50 Mark kaufen? Sollte ich Anna sagen, dass ich nicht kommen durfte? Jemanden um Geld bitten? Aber wen? Mir fiel niemand ein.
Am Tag danach, zwei Tage vor deinem Geburtstag, ging ich in die Stadt. Ich lief an den Schaufenstern vorbei, die mit prall gefüllten Federmäppchen, Skateboards und Monchichis dekoriert waren. Als mir bewusst wurde, dass ich nichts davon würde kaufen können, ging ich nach Hause. Auf dem Weg kam ich an einem Krämerladen vorbei. Ich beschloss, mich darin umzusehen. Ich musste doch irgendwas Schönes für dich finden! Dann entdeckte ich sie: eine große Schachtel mit Aufklebern, ganz hinten in der Ecke. Je drei Blatt in Folie verpackt, Autos, Herzen, Tiere. „Da! Blumen! Rosa, gelbe und orange Blumen! Die gefallen Anna bestimmt!“ Ich griff zu. Nur 1,10! Sogar für ein Stück Geschenkpapier reichte mein Geld.
Zu Hause packte ich die Aufkleber ein. Ich war erleichtert – zumindest würde ich nicht mit leeren Händen dastehen! Und doch machte sich Angst in mir breit. Was, wenn ihr mein Geschenk nicht gefällt? Oder wenn sich jemand darüber lustig macht? Es sind ja nur Aufkleber! Ich rieb mir den Bauch.
Als ich am nächsten Tag vor deiner Tür stand, war ich nervös. Wann sollte ich dir mein Geschenk geben? Und wie? Ich klingelte. Als du die Tür öffnetest, brachte ich nicht mehr als „Hallo“ und „Alles Gute zum Geburtstag“ heraus. Die Aufkleber hielt ich hinter meinem Rücken versteckt.
Nach und nach trudelten die Gäste ein. Dann schlug deine Mutter vor, die Geschenke auszupacken. Ich riss die Augen auf. Vor allen? Jetzt? Wir stellten in einem kleinen Kreis Stühle auf und setzten uns. „Das ist von mir!“, rief Melli und gab dir das erste Geschenk. „Meine Mama hat’s gekauft!“ Ich weiß noch, wie du das Papier aufgerissen hast. „Es ist ein Federmäppchen!“, rief Melli. Ich schluckte. Genauso eins wie die im Schaufenster… Dann nickte mir deine Mutter aufmunternd zu: „Na, Ellie, willst du?“
Ich blickte zu Boden und schüttelte den Kopf. „Ich geb’s dir lieber später, Anna, ok?“
Als alle Geschenke ausgepackt waren und auf dem kleinen Beistelltisch neben dir ihren Platz gefunden hatten, rief uns deine Mutter zu: „Es gibt Kuchen! Wer will?“
Alle stürmten auf den gedeckten Tisch zu. Außer ich – und du.
„Anna?“, flüsterte ich. „Ich hab noch was für dich. Ich hab mich nicht getraut, dir das vorhin zu geben.“ Ich holte das Geschenk hinter meinem Rücken hervor. Klein, flach und unscheinbar schien es über meiner Hand zu schweben, neben den anderen Geschenken, die sich auf dem Beistelltisch türmten. Sogar ein Schulranzen war darunter. Einer dieser viereckigen, die nicht umfielen, wenn man sie hinstellte und den Deckel aufklappte.
„Danke!“, sagtest du lächelnd.
Ich senkte den Blick. „Ich … Ich hätte dir gern was anderes geschenkt, aber ich hatte kein Geld.“ Ich schluckte, meine Wangen brannten. „Ich hoffe, sie gefallen dir trotzdem “
Vorsichtig schielte ich zu dir hinüber – und sah in ein Gesicht, das vor Freude strahlte.
„Oh, sind die schön! Die kann ich für mein Poesiealbum benutzen! Die gefallen mir sehr, danke!!!“ Ich konnte es nicht fassen. Mit einem Mal fiel die Last der vergangenen Tage von mir ab und in mir breitete sich ein warmer Frieden aus.
Dieses Erlebnis ist der Grund, warum ich dir heute schreibe, Anna. Ich möchte, dass du weißt: Nicht nur ich habe dir zu deinem Geburtstag etwas geschenkt, sondern du auch mir. Etwas, von dem ich bis heute zehre, wenn es in meinem Leben dunkel wird. Etwas, für das ich auf ewig dankbar bin. Weißt du, in schweren Zeiten hat mir mein Glaube oft geholfen. Besonders Bibelstellen, die mit Licht zu tun haben, schenken mir immer wieder Kraft und Hoffnung. Eine erinnert mich immer an dich: „Herr, du machst die Finsternis um mich hell, du gibst mir strahlendes Licht.“ (Ps. 18,29)
Wie du dich damals an deinem Geburtstag über mein Geschenk gefreut, wie du mich angenommen und mir die Last damit abgenommen hast – das ist ein Licht, das bis heute mitten in meine Dunkelheit hineinstrahlt. Du warst, bist und bleibst ein ganz besonderes Geschenk für mich! Von ganzem Herzen: Danke!
Deine Ellie
Ellie Hanson, Hausfrau, Jahrgang 1975, Bayern