Читать книгу Robin Gibb und die Bee Gees - André Boße - Страница 5

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Einen Gesprächstermin mit Robin Gibb bekommt man nicht einfach so. Man muss ihn sich erarbeiten. Er sei ein Mann, der leider eine Menge schlechte Erfahrungen mit Interviewern gemacht habe, lautet die zögerliche Antwort auf die erste Anfrage. Und wer sich mit der Geschichte der Bee Gees ein wenig auskennt, der weiß: Das stimmt. Robin sei daher mittlerweile sehr vorsichtig geworden. Er rede nicht mehr gerne ausführlich mit Pressevertretern – und über private Details schon mal gar nicht. Letzteres ist nicht weiter schlimm, denn das geplante Gespräch soll keine Grundlage für ein Fitzelchen in einer Boulevard-Zeitung werden. Es soll die Basis für eine große Geschichte werden: für die Geschichte von Robin Gibb und den Bee Gees.

Nach einigen komplizierten Planungen ist das Gespräch zunächst in Frankfurt am Main terminiert. Die Absage kommt kurzfristig, und ein paar Tage später heißt es: Ab nach Amsterdam. Ort ist das Hotel „Okura“, ein luxuriöses Haus mit asiatischem Touch in der südlichen Innenstadt. Um 16 Uhr soll das Gespräch beginnen, so der Plan. Dann sei Robin entspannt, dann könnte es funktionieren. Leider existieren in der Rock- und Popbranche Zeitpläne jedoch eigentlich nur, damit man sie umschmeißen oder ignorieren kann. Immerhin, der Ort bleibt. „Aber vor 22 Uhr wird das nichts“, sagt Robins Tourmanager, ein baumlanger Typ mit fränkischem Dialekt, schlohweißen Haaren und großen Ringen an jedem Finger, der seine Kippen mit Zigarettenspitze raucht.

Bis zehn Uhr am Abend – das sind noch sechs Stunden. Aber, hey, dies ist Amsterdam! Es ist der erste richtige Frühlingstag, die Luft ist mild, die Menschen gut gelaunt. Hier sollte man mit sechs freien Stunden doch etwas anfangen können.

Erste Stunde, 16–17 Uhr.

In der Lobby des „Okura“ gerät man schnell noch ein bisschen ins Plaudern. Das Ambiente ist exquisit, der Kaffee hervorragend. Robins Tourmanager beginnt, sich warmzureden. Er hat viel erlebt, kennt die wilden Zeiten, als vom Rock’n’Roll noch eine rebellische Kraft ausging – und als man in der Branche noch richtig Geld verdient hat. Damals existierte das Wort „Download“ noch nicht, und wer Musik in bester Qualität hören wollte, musste sich die Platte kaufen. „Eine Karriere, wie Robin sie hatte, ist daher heute nicht mehr vorstellbar“, sagt er sehr bestimmt. Dazu seien die Plattenfirmen zu ungeduldig und die Käufer zu wenig dafür sensibilisiert, dass sie mit illegalen Downloads Karrieren wie die der Bee Gees im Keim ersticken.

Seit mehr als fünf Jahrzehnten schreiben die Brüder Gibb eigene Songs. Knapp 1000 Lieder sind in dieser Zeit entstanden. Von der Hopscotch Polka, die der älteste Bruder Barry 1958 schrieb, bis zum Stück Instant Love, das Robin 2008 zusammen mit seinem jüngsten Sohn Robin-John gesungen hat. Die Popbranche ist dafür bekannt, mit Zahlen um sich zu werfen, wenn sie Werbung für einen Künstler macht. Als wenn die Anzahl der Alben mit Platin-Status oder die reine Summe verkaufter Singles eine Aussage darüber treffen könnte, dass auch das neue Machwerk von exzellenter Qualität ist. Aber in diesem Fall ist ein Blick auf die Statistik erlaubt: 200 Millionen Platten haben die Bee Gees im Verlauf ihrer Karriere weltweit verkauft; 60 ihrer Singles erreichten Top-10-Platzierungen in einer der großen Hitparaden in Großbritannien, den USA oder Deutschland. Mit diesen Zahlen belegen die Bee Gees Platz fünf in der „ewigen Tabelle“ der erfolgreichsten Pop- und Rockstars überhaupt. Und es spricht viel dafür, dass ihnen diesen Platz keiner mehr streitig machen wird. „Robin ist Teil einer Legende. Einer der ganz wenigen wirklich Großen“, sagt der Tour-Manager in fränkischer Sprachfärbung, bei der man immer an Lothar Matthäus denkt. Gemeinsam werden Songtitel aufgezählt, die unzertrennbar mit Robin Gibb und seiner Stimme verbunden sind: Juliet zum Beispiel, sein Solo-Hit aus den Achtzigern. Oder I Started A Joke, diese bis heute auch von anderen Musikern überaus geschätzte Ballade, die zuletzt von deutschen Vorzeigebands wie Element Of Crime oder (auf Deutsch) Erdmöbel gecovert wurde. Dann verabschiedet er sich, um die Köstlichkeiten der asiatischen Küche des „Okura“ zu probieren. „Bis später. Bitte pünktlich sein.“ Noch fünf Stunden.

Zweite Stunde, 17–18 Uhr.

Der Plattenladen „Concerto“ in der Utrechtsestraat verfügt über einen wunderbaren Vinylkeller. Ein Eldorado für Menschen, die jederzeit eidesstattlich beschwören würden, Musik klinge definitiv besser, wenn sie auf Schallplatten gepresst und nicht digital komprimiert werde. Der Besitzer des Record-Shops ist ein typischer Vertreter dieses Berufsstandes: lange, fettige Haare, ein uraltes Tour-T-Shirt der Band Grateful Dead, mindestens vollschlank und auf den ersten Blick übel gelaunt. Doch seine Stimmung bessert sich schlagartig, wenn er in seinem Laden einen Kunden entdeckt, der sich für die richtigen LPs interessiert und bereit ist, ein paar Euro in das Kulturgut Schallplatte zu investieren.

Nach einigem Stöbern findet man in einer Kiste auf dem Boden auch eine Handvoll Bee-Gees-Platten. Nicht die großen Verkaufsschlager der Band, sondern die Alben aus den frühen Siebzigerjahren, die sich damals eher schlecht verkauft haben und die heute kaum noch jemand kennt: Two Years On, Trafalgar, To Whom It May Concern – alle sind sie für knapp über zehn Euro zu haben. Der Besitzer des Concerto schaut an der Kasse auf die Cover, grinst und sagt: „War vielleicht ihre beste Phase. Die meisten Bands haben ihre besten Platten gemacht, wenn sie am wenigsten erfolgreich waren. Dann hat man nämlich als Künstler die Gelegenheit, sich auf das Talent zu konzentrieren.“

Unverhofft zwängt sich der Plattenverkäufer mühsam hinter dem Tresen hervor, obwohl er seinen Platz während der Öffnungszeiten eigentlich nur im absoluten Notfall verlässt, verschwindet nach hinten ins Lager und kommt mit einer in roten Samt verkleideten Box zurück: Odessa, das kreative Meisterwerk der Gibbs aus dem Jahr 1969, die originale Doppel-LP in der legendären Luxus-Aufmachung. Der Preis ist beachtlich. Zu beachtlich. „Dann vielleicht beim nächsten Mal“, sagt der Plattenverkäufer und schiebt sich wieder hinter seinen Tresen. Beim Rausgehen ruft er hinterher: „Es gab mal eine Zeit, als es total uncool war, Bee-Gees-Platten zu kaufen. Die Typen, die das gesagt haben, waren ignorante Idioten, die heute Lady Gaga aus dem Internet herunterladen.“ Sein Lachen ist noch auf der Straße zu hören. Draußen dann ein kurzer Finanzcheck – und die Überlegung, ob Odessa im Original nicht vielleicht doch drin ist, wenn am Abend beim Essen gespart wird.

Dritte Stunde, 18–19 Uhr

Telefonat mit der Mutter. „Mensch, Robin Gibb. Die Bee Gees.“ Pure Nostalgie in ihrer Stimme. Erinnerungen an Weihnachten 1967. Der Plattenspieler war gerade ein paar Monate alt, als Geschenk gab es – hübsch eingepackt und liebevoll verziert – die Single World von den Bee Gees. Schnell in Mädchenschrift den Namen auf das Cover geschrieben, denn die Platte sollte natürlich bei der nächsten Party mit dabei sein.

Jahre später wurde die Single dann an den Sohn weitergegeben, der die Plattenkiste zusammen mit dem Plattenspieler im Verlauf einer langweiligen Herbstferienwoche entdeckte. Das Foto auf dem Cover faszinierte: Die Bee Gees waren damals zu fünft, von links die drei Brüder: Barry in lockerer Pose wie aus einem Modekatalog, Maurice in Himmelblau und freundlich lächelnd, in der Mitte Robin mit hellbrauner Cordjacke sowie ungelenk vor dem Unterleib gefalteten Händen. Dann folgen Gitarrist Vince Melouney und Schlagzeuger Colin Petersen, die in den Sechzigerjahren die Bee Gees zu einem Quintett machten. Schon damals der Gedanke: Wenn das das beste Foto war, wie sahen dann die anderen aus? Doch schnell stellten sich andere Fragen: Welche Beziehung werden diese drei Brüder untereinander haben? Wer bestimmt, wo es langgeht? Und wieso schreiben diese drei Kerle, die noch so jung aussehen, so melodramatische Musik mit metaphysischen Texten?

„Now I found that the world is round / And of course it rains everyday.“ Die Vokabeln waren selbst für einen Sextaner kein Problem, aber was zum Teufel sollten diese Zeilen bedeuten? Die B-Seite verwirrte dann endgültig: Sir Geoffrey Saved The World. Keiner konnte sagen, wer dieser Sir Geoffrey gewesen sein sollte, und auch die Musik war nicht sehr überzeugend. „Ist ja auch nur die B-Seite, die sind nie so gut“, sagte ein Kenner aus der Nachbarschaft. Die Herbstferien endeten schließlich mit einer selbst veranstalteten Kinderzimmer-Hitparade mit den Singles aus Mamas Plattenkiste. Um der Auswahl eine gewisse Endgültigkeit zu geben, wurden die Platzierungen in krakeliger Jungenschrift auf dem Cover festgehalten. Die Bee Gees schaffen es mit World auf Platz drei. Davor nur noch Eloise von Barry Ryan und In The Year 2525 von Zager & Evans. Ob Robin Gibb mit seinem Abschneiden zufrieden wäre? Er legt ja sehr viel Wert auf Hitparadenplatzierungen, das ist bekannt. Man könnte ihn das gleich einfach mal fragen. Wobei diese Hitparade ja eigentlich keinen interessiert, bis auf die Mutter vielleicht …

Vierte Stunde, 19–20 Uhr

Rund um den Leidseplein gibt es Dutzende Bars, Kneipen und Restaurants. Hier findet man das Amsterdam, das alle lieben: wuselig, farbenfroh, entspannt. Es ist noch immer warm, die Menschen sitzen draußen, trinken, reden, beobachten. Vor der Sugar Factory, einem angesagten Club mit tollem Disco-Programm, versammeln sich ein paar junge Leute aus den Vorstädten Amsterdams. Ein weiteres vollgepacktes Auto fährt heran, und als die Türen aufgehen, ballert aus dem Wagen Musik in unmenschlicher Lautstärke. Fette Hiphop-Beats, das perfekte Warm-up für diese professionellen Partygänger. Ein Track von Jay-Z läuft aus, dann startet ein neuer: Hate In Your Eyes von Mack 10. Der Kerl rappt böse und grimmig, er hat keine schöne Geschichte zu erzählen. Doch die Musik hebt die Stimmung: Der Gangsta-Rapper Mack 10 aus Kalifornien hat für seinen Song Stayin’ Alive von den Bee Gees gesampelt: den Beat, die Gitarre und auch die Melodie.

Dies ist zwar nicht New York City im Jahr 1977, sondern Amsterdam mehr als 30 Jahre später. Aber für einen Moment kann man sich vorstellen, wie diese Musik damals durch die sommerliche Stadt pulsiert und Menschen glücklich gemacht hat. Die Party-People aus der Vorstadt haben allemal ihren Spaß. Sie singen – als sich das Auto und mit ihm die Musik schon lange auf die elendige Suche nach einem Parkplatz gemacht hat – mit höchstmöglichen Stimmen das berühmte „ha-ha-ha-ha“ aus dem Refrain und ziehen weiter auf die Vergnügungsmeile.

Fünfte Stunde, 20–21 Uhr

Zum Frischmachen zurück ins eigene Hotel. Es gibt deutsches Fernsehen, im ZDF läuft Wetten, dass..?, live aus München. Als musikalische Gäste sind Take That dabei, die ihren neuen Song The Garden vorstellen, damals noch ohne den Wiederkehrer Robbie Williams. Ganz hübsches Lied, aber man denkt unweigerlich daran, dass sich jeder in der Halle und vor dem Fernseher freuen würde, wenn die Jungs einen ihrer alten Hits sängen. Back For Good, Never Forget oder How Deep Is Your Love? – Letzteres ein Song der Brüder Gibb. Schon komisch, wie oft man den Bee Gees begegnet, wenn man darauf wartet, mit einem von ihnen zu sprechen.

Die Wetten sind eher langweilig, man hat Zeit für Erinnerungen. Die Gibbs waren ein paar Mal zu Gast bei Thomas Gottschalk und spielten ihre Hits der Achtziger- und Neunzigerjahre, die man schon aus dem Radio kannte: You Win Again, Alone, This Is Where I Came In. Es gibt Künstler, die man automatisch mit Wetten, dass..? verbindet, weil sie so häufig in der Show zu Gast waren und ihre Lieder irgendwie in eine Samstagabendshow für die ganze Familie passen: Chris de Burgh, Joe Cocker, Rod Stewart, Peter Maffay – und eben auch Robin Gibb und die Bee Gees. Einmal, 1991, waren Robin und Maurice ohne Barry in der Show, als Paten für eine Wette, bei der zwei Kandidaten aktuelle Poplieder daran erkannten, auf welche Art ihre Schallwellen ein Kerzenlicht ins Flackern brachten. Robin hatte wasserstoffblonde Haare und trug einen Zopf, Maurice riss pausenlos Witze. Dann sang Thomas Gottschalk zusammen mit den beiden Brüdern I’ve Gotta Get A Message To You; sicherlich das erste und letzte Mal, dass ein Lied über einen zu Tode verurteilten Straftäter in einer großen Samstagabendshow intoniert wurde.

Sechste Stunde, 21–22 Uhr

Zurück im Hotel „Okura“, das sich im Laufe der letzten Stunden in einen Ort voller Glanz und Gloria verwandelt hat. Hier findet heute Abend eine Benefiz-Gala für die hohe Gesellschaft von Amsterdam statt. Männer in Smokings, Frauen in Abendkleidern. Mittendrin und unverkennbar: der baumlange Tour-Manager, jetzt auch im schwarzen Anzug. Robin Gibb ist der Stargast dieses Charity-Events. Er gibt ein kurzes Konzert mit den größten Erfolgen der Bee Gees und Juliet, seinen Solo-Hit aus den Achtzigern. Sein Gig soll dazu beitragen, dass die ehrenwerten und schwerreichen „Damens en Heren“ bei der Tombola möglichst viele Lose kaufen. Zudem ist der Auftritt ein Testlauf für die kommende Tour, die ihn in ein paar Wochen durch 13 deutsche Städte führen wird. Neben dem Tour-Manager wartet auch Robins aktuelle Begleitband darauf, dass das Konzert um Mitternacht losgeht. Die Stimmung ist angespannt, die letzten Proben waren wackelig, und kaum einer der Musiker darf sich sicher sein, später auch wirklich die Tour spielen zu dürfen.

Zwischen den Galagästen wirkt die Smoking-lose Gruppe, bestehend aus dem Tour-Manager, den Tontechnikern und Musikern sowie einem deutschen Journalisten, wie ein Fremdkörper. Einige Gäste finden genau das interessant und beginnen, Fragen zu stellen: Wer man sei, was man für einen Auftrag habe, ob es auch irgendwo kühles Bier gebe, denn auf Dauer sei der Champagner ja auch nichts. Bier gibt es zwar nirgendwo, aber dass man etwas mit Robin Gibb zu tun hat, lässt selbst stark umschminkte Augen funkeln. Es fallen viele Kommentare: „Ein Held meiner Jugend.“ „Die unverkennbarste Stimme der Popmusik.“ „Der sensible unter den drei Brüdern.“ „Ein Mann, der auch seine schweren Zeiten hatte.“ „Etwas kauziger Typ mit komischen Frauengeschichten.“

Dann ist es kurz vor 22 Uhr, und der Tour-Manager mahnt zum Aufbruch: „Bitte ihn nicht warten lassen!“ Es geht mit dem Aufzug ungezählte Stockwerke nach oben, dann durch einen dieser endlos scheinenden und verwinkelten Hotelgänge in Robins Zimmer. Auf das Klopfen öffnet ein Assistent. Die Suite ist nicht übermäßig groß, auf dem Tisch liegen Plakate, Autogrammkarten und ein Filzstift. Robin Gibb trägt bequeme schwarze Kleidung, der Anzug, den er nachher auf der Bühne tragen wird, liegt schon parat. Der Fernseher läuft, ein Nachrichtensender zeigt unschöne Bilder von einem Unglück. „Are you from Germany?“, fragt Robin. „Ja. Für Sie eigentlich immer ein guter Ort, oder?“ Seine Antwort kommt sofort, er spricht schnell, die Fakten sitzen: „Mein Song Juliet war dort ein Nummer-eins-Hit, und 1967/68 hatten wir in Deutschland drei Nummer-eins-Hits in Folge: Massachusetts, World und Words.“

Wenn Robin Gibb über Hitparaden reden darf, dann ist er in seinem Element. Und dann hat er eben doch noch Freude daran, noch einmal ausführlich über sein Leben zu reden. Über ein Leben, das von Beginn an von der Musik, seinen Brüdern und der gemeinsamen Band bestimmt wird: den Bee Gees.

Robin Gibb und die Bee Gees

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