Читать книгу Robin Gibb und die Bee Gees - André Boße - Страница 8

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Im Vergleich zu den Jahren, die noch kommen sollten, stotterte der Karrieremotor der Bee Gees 1961 und 1962 erheblich. Die vielen Auftritte brachten zwar Geld und Bühnenerfahrungen, doch einen wirklichen Schritt nach vorne machten die drei Gibbs nicht. Schnell wurde ihnen klar, wohin dieser Schritt führen musste: nach Sydney. Australiens größte Stadt war für den fünften Kontinent das, was New York für die Vereinigten Staaten und London für Großbritannien war: der Ort, an dem Träume wahr werden. So wie für Col Joye, den „Elvis von Sydney“, Anfang der Sechziger Australiens größter Popstar.

Als dieser 1962 auf seiner Tour im Ferienresort Surfer’s Paradise Station machte, in dem die Gibbs schon seit einiger Zeit ihr Programm vortrugen, nahm sich Barry ein Herz und fragte mutig, ob Joye Zeit und Lust habe, sich ein paar Songs der Brüder anzuhören. Überraschenderweise sagte der Star zu – und hat sein Interesse nie bereut: Die Performance überzeugte ihn so sehr, dass er den Jungs erstens versprach, sie in Sydneys Musikszene einzuführen, und zweitens kurze Zeit später sogar selber einen Song aus Barrys Feder aufnahm: (Underneath The) Starlight Of Love.

Die Bedeutung der eher zufälligen Begegnung mit Col Joye für die Karriere der Bee Gees kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Zum ersten Mal stießen die drei Brüder auf Anerkennung, nicht weil sie noch so jung, ulkig und süß waren (oder weil sie günstig zu haben waren), sondern aufgrund der Qualität ihrer Musik – und weil sich der damals angesagteste Sänger Australiens etwas davon versprach. So ebnete Joye ihnen den Weg nach Sydney, der die drei Jungs und ihre Familie fast 1000 Kilometer nach Süden führte. Die Gibbs waren Umzüge gewohnt – war man aber bislang dorthin gegangen, wo Vater Hugh einen Job hatte, gaben nun Barry, Robin und Maurice die Richtung vor.

Nach den letzten eher phlegmatischen Monaten im Ferienresort Surfer’s Paradise und vielen Shows, in denen die Gibbs das immer gleiche Programm vor einem anspruchslosen Publikum zum Besten gaben, legten die Bee Gees in Sydney einen fulminanten Start hin. 1962 spielten sie auf diversen Konzerten im Vorprogramm von Chubby Checker, der damals mit den Hits The Twist und Let’s Twist Again zu den heißesten Namen der Szene gehörte. Im Januar 1963 starteten die Bee Gees endlich ihre nächste Aufnahme-Session – eigentlich die erste richtige, denn dieses Mal wurden die Songs nicht bei einem Radiosender, sondern in einem echten Plattenstudio eingesungen. Das Label Festival Records war durch die großen Shows mit Chubby Checker auf die drei Jungs aufmerksam geworden und gab ihnen die Chance, die erste eigene Schallplatte aufzunehmen – eine Single mit The Battle Of The Blue And The Grey als A-Seite und The Three Kisses Of Love als B-Seite, beides Songs aus der Feder von Barry.

Die Single brachte noch nicht den erhofften großen Durchbruch. Mehr noch: „Sie floppte“, wie Robin urteilt. „Aber das war uns egal, denn damals reichte es uns, dass wir zum ersten Mal unseren Namen auf einer Plattenhülle lesen konnten.“ Obwohl die Bee Gees weiterhin an reichlich obskuren Orten auftreten mussten, um die Familienkasse zu füllen, tasteten sich Barry, Robin und Maurice langsam, aber sicher an eine echte Karriere heran. Das Trio nahm eine zweite und dritte Single auf – wobei sich auf einer B-Seite mit Take Hold Of That Star ein Song versteckte, der zum ersten Mal das große Balladenpotenzial der Bee Gees andeutete. Auf einigen Festivals spielte die Gruppe mittlerweile vor 40.000 Zuschauern.

Es wurde Zeit für den nächsten Schritt: raus aus den Kinderschuhen. Am 22. Dezember 1963 verließen auch Robin und Maurice die Schule. In Australien waren Kinder damals bis zum 15. Lebensjahr unbedingt schulpflichtig, und um dieses Gebot zu umgehen, dichtete Hugh Gibb seinen Zwilllingen, die an diesem Tag tatsächlich erst 14 wurden, einfach ein Lebensjahr dazu. Einen Hinweis, wie es gelingen könnte, eine Karriere als Popband zu starten, erhielten die Bee Gees aus ihrer alten Heimat. In Liverpool hatten 1963 die Beatles den Durchbruch geschafft. „Eine britische Band. Wir glaubten, von deren Popularität profitieren zu können“, so Robin. „Schließlich waren auch wir geborene Briten, nur dass wir in Australien lebten.“ Mit den Beatles im Hinterkopf entstand dann auch die Single Claustrophobia – ein weiterer Misserfolg. „Erst nach dieser Reihe von Flops begannen wir uns wirklich darum zu bemühen, unseren Aufnahmen ein Hitpotenzial zu geben“, erinnert sich Robin. Doch entgegen den Erwartungen der Brüder brachte die Begeisterung der Australier für die Beatles die Bee Gees sogar in Misskredit: Als die Pilzköpfe den fünften Kontinent erobert hatten, nahmen die Medien die heimischen Bee Gees plötzlich nur noch als Kopien der Fab Four aus dem fernen Liverpool wahr.

Ein Umstand, der die Gibbs verständlicherweise ärgerte. „Niemand wollte sehen, dass wir eine australische Band waren, die schon viel länger Popmusik aufgenommen hatte“, so Robin. „Das Land hatte seine eigenen Beatles, aber das wollte keiner wahrhaben.“ Zu einem großen Teil lag das auch am stagnierenden Konzept der Bee Gees, denn der nächste Schritt wollte einfach nicht gelingen: endgültig weg vom Image der Showgruppe, die in Clubs und Bars für Eltern spielt – und hin zu einer Popband, deren Singles bei Teenagern haltloses Gekreische auslösen. Es hatte den Anschein, als wollten die Kids keine Platten von einer Band kaufen, die selbst aus Kindern bestand. Noch so jung zu sein, war für die Bee Gees plötzlich ein kapitaler Nachteil.

Die Band nahm weitere Singles auf, die kaum jemand kaufte. Erwähnenswert ist das Stück You Wouldn’t Know aus dem April 1965 – das Debüt von Robin als Leadsänger. Inzwischen machte sich bei den drei Brüdern aber doch Verzweiflung breit: Was nützte es, den eigenen Namen auf einer Plattenhülle zu lesen, wenn niemand die Platte kaufen wollte? Es musste endlich aufwärts gehen! Besonders Robin war von den Charts fasziniert. Er sammelte alte Hitparaden und versuchte zu errechnen, wie viele Platten man verkaufen müsste, um endlich auch einmal auf der Liste aufzutauchen.

„Wir wollten unbedingt in die Charts“, erinnert er sich. Um diesem Ziel näherzukommen, entwickelten die Brüder eine Strategie: „Zunächst ermittelten wir die Shops, die für die Charts zählen: Walton, Woolworth und vier weitere. Dann arrangierten wir ein Treffen mit unserem Fanclub an der Treppe des Rathauses von Sydney. Es war nicht schwer, diese Leute zusammenzutrommeln – der Fanclub hatte nur sechs Mitglieder! Wir teilten 200 Dollar, die wir angespart hatten, unter den Leuten auf und gaben ihnen den Auftrag, in die relevanten Läden zu gehen, um dort unsere damals aktuelle Single Wine And Women zu kaufen.“

Heute würde man ein solches Vorgehen Chart-Betrug nennen. Manch einer mag sich noch an den Ärger erinnern, der der Manager des Deutschland-sucht-den-Superstar-Sternchens Gracia bekam, nachdem er 2005 die Hitparaden auf die gleiche Weise zu manipulieren versucht hatte. Doch die blutjunge Shoppingtruppe der Bee Gees kam ungeschoren davon und bekam für die 200 Dollar immerhin 400 Singles. Die Gibbs hatten errechnet, dass diese Menge ungefähr für Platz 35 reichen würde – die erste Platzierung der Bee Gees in den so wichtigen Top 40. Und die Rechnung ging auf: Wine And Women kletterte tatsächlich exakt auf Platz 35. Endlich: The Bee Gees waren in den Charts! Robin war sich sicher, dass sich die Investition gelohnt hatte: „Eine Single in den Top 40 – und man musste sich keine Sorgen mehr machen, weil die Radiostationen diesen Song nun automatisch in Dauerrotation spielen würden. Und dass die Leute einen Song im Radio hören, ist schließlich die Grundlage dafür, dass sie ihn noch besser kennenlernen, ihn mögen und kaufen.“ Wine And Women stieg tatsächlich weiter bis auf Platz 19 – und zwar, ohne dass die sechs Mitglieder des Bee-Gees-Fanclubs ein zweites Mal auf Shoppingtour gehen mussten.

Streng genommen existierten Mitte der Sechzigerjahre in Sydney und Umgebung zwei Versionen der Bee Gees: Die erste spielte weiterhin mehr oder weniger die gleichen Standards für ein erwachsenes Publikum – und zwar unverändert mit Barry als Leadsänger und Gitarrist sowie Maurice und Robin als Harmoniesänger. Eine zweite Version der Band arbeitete hinter verschlossenen Türen an komplexeren Liedern. Robin spielte dabei unter anderem Keyboards und Piano, und im November 1965 erschien schließlich das erste Album der Bee Gees: The Bee Gees Sing And Play 14 Barry Gibb Songs.

Zufrieden waren die Brüder Gibb mit ihrer ersten LP jedoch nicht. Ihr Label Festival Records war auf Effizienz bedacht und ließ die unter Vertrag genommenen Bands ihre Schallplatten im hohen Tempo aufnehmen; zeitaufwändige Tüfteleien, wie sie die Bee Gees anstrebten, waren nicht erwünscht. So war es letztlich tatsächlich ein Segen, dass Festival Records die Band nach dem ebenfalls wenig erfolgreichen Album an die Tochterfirma Spin Records heruntereichte. Dort fanden sie in Ossie Byrne einen Mentor, der weiter an sie glaubte und vor allem erkannte, wo es hakte. „Er sagte uns: ,Euer größtes Problem ist, dass euch bislang niemand Zeit gegeben hat‘“, erinnert sich Robin. „Also entgegneten wir: ,Alles, was wir wollen, sind zwei Monate. Wenn wir diese Zeit im Studio bekommen, bringen wir eine Nummer-eins-Platte heraus.‘ Und wir waren uns tatsächlich sicher, dass uns das gelingen würde.“

Die folgenden Wochen im Studio von Ossie Byrne waren die Geburtsstunde jener Bee Gees, die später Superstars werden sollten. Endlich bekamen die drei Brüder die Gelegenheit, intensiv an ihren Arrangements und Songs zu arbeiten, ohne unter Zeitdruck für die nächste Aufnahme parat stehen zu müssen. Barry, Robin und Maurice arbeiteten mal im Team, mal für sich alleine, sodass diese Sessions sowohl die Gruppe als auch die drei individuellen Künstler stärkten. Vor allem Robin entwickelte sich in dieser Zeit vom süßen Lausebengel zum einzigartigen Popsänger und Komponisten. Er brachte seinen hohen Tremologesang zur ersten Blüte, beteiligte sich am Songwriting und trug so dazu bei, dass das Album Monday’s Rain bis heute mehr ist als eine weitere Liedersammlung des talentierten Barry Gibb, begleitet von seinen zwei jüngeren Brüdern.

Neben der musikalischen Klasse der Bee Gees reifte während dieser Zeit auch ein Entschluss, der die nächste bedeutende Wende ihrer Karriere einläuten sollte: Sie wollten Australien verlassen. Die drei Brüder spürten, dass die popmusikalische Diaspora auf dem fünften Kontinent den großen Durchbruch weiter verhindern würde. Für sie war England das gelobte Land – Worte, bei denen die Eltern Hugh und Barbara verständlicherweise stutzten, waren sie doch erst acht Jahre zuvor aus dem regnerischen England ausgewandert, um in Australien eine bessere, sonnige Zukunft für die Familie zu finden. Beide waren zunächst strikt dagegen, nach Europa zurückzukehren; die Brüder erinnern sich sogar daran, dass Hugh seinen Söhnen fast deren Pässe abgenommen hätte, um sie zum Bleiben zu zwingen. Aber letztlich lenkten er und seine Frau ein: The Bee Gees waren 1966 nicht mehr aufzuhalten.

Im Januar 1967 siedelte die Familie zurück ins Vereinigte Königreich. Die Ironie des Schicksals: Zur gleichen Zeit hatten die Bee Gees ihren ersten richtigen Hit in Australien. Ein Erfolg, an dem kein Fanclub durch manipulierte Plattenverkäufe mitarbeiten musste. Das bis heute großartige Stück Spicks And Specks, veröffentlicht im September 1966, war ein mehr als verdienter Hitparadenerfolg. Der Titel des Stücks symbolisierte die Sehnsucht der Brüder nach Erfolg: The Spicks And Specks war der Name einer Fantasieband, die sich die Gibbs ausgedacht hatten – und die bereits all das besaß, was den Bee Gees noch fehlte.

Trotz des späten Erfolges in Australien zweifelte keiner der Bee Gees daran, dass die Rückkehr nach England richtig und notwendig war. „Down Under“ hätte man sich immer an die süßen und lustigen kleinen Brüder Gibb erinnert. In England mussten sie zwar bei null anfangen – doch das begriffen die selbstbewussten Gibbs als Chance. Mit der Rückkehr nach England fand die Karriere der Brüder als Entertainer in Vergnügungslokalen ihr Ende, und den Schlusspunkt setzten The Bee Gees auf der langen Schiffsreise von Australien nach Southampton, als sie auf der Fair Sky allabendlich für die Passagiere aufspielten. Auf diese Weise holten die singenden Passagiere die Reisekosten wieder herein. Geld zu sparen war wichtig, denn den Gibbs war klar, dass der Neustart in England nicht einfach werden würde.

Robin Gibb und die Bee Gees

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