Читать книгу Robin Gibb und die Bee Gees - André Boße - Страница 7
ОглавлениеRedcliffe Speedway, eine Anlage für Sandbahnrennen, lag nördlich von Brisbane, nur ein paar Kilometer entfernt von der neuen Heimat der Familie Gibb in Australien. Eines Tages im Jahr 1959 kam einer der Angestellten auf den Besitzer Bill Goode zu und fragte, ob er sich vorstellen könne, dass drei Jungs ein wenig Musik machten, um die Pause zwischen zwei Motorradrennen zu füllen. Von wem genau die Initiative ausging, ob von den Gibbs selber oder von dem Angestellten – darüber gibt es rückblickend von den Beteiligten widersprüchliche Aussagen. Wie auch immer, Goode war einverstanden, sich die Jungs mal anzuhören. Warum nicht?, sagte er sich, als er die Brüder Gibb singen hörte, begleitet von Barrys Gitarrenspiel. Während also Goode und seine Mannschaft in den Rennpausen die Strecke aufräumten, gaben die Gibbs ihre Gesangspremiere in Australien – als klanglichen Kontrast zum Heulen der Motoren und auf einem Sattelschlepper, der als Bühne fungierte.
Eine feste Gage für die drei Brüder gab es nicht, aber immerhin bekamen sie vom Rennbahnbesitzer die Erlaubnis, vor Beginn des nächsten Rennens das Geld einzusammeln, das die Zuschauer während ihrer kurzen Vorstellungen auf die Sandbahn warfen. Ein paar Pfund kamen da an guten Tagen zusammen – nicht übel für eine Gruppe singender Kinder. Zum ersten Mal spürten Barry, Robin und Maurice, dass sie mit ihrer Musik bei Erwachsenen etwas auslösen konnten. Die drei genossen den Applaus. Und sie merkten, dass das Geld bei einigen ihrer Zuhörer lockerer saß, nachdem sie die Harmonien der Brüder Gibb gehört hatten. Barbara Gibb amüsiert sich später: „Sie konnten vor lauter Kleingeld in den Hosentaschen kaum laufen – und beschwerten sich doch, dass sie schon wieder keiner entdeckt hatte.“
Das sollte sich ändern, als der Rennstrecken-Manager Bill Goode (Initialen: B. G.) die drei Brüder einem Radio-DJ aus Brisbane vorstellte. Sein Name: Bill Gates (Initialen: B. G.). Der Mann vom Rundfunk hörte das Trio und war besonders von Barry Gibb (Initialen: B. G.) angetan, der mittlerweile sogar ein paar erste eigene Songs im Repertoire hatte. Gates lud die drei ins Radiostudio nach Brisbane ein und nahm in einer Session ein paar ihrer Lieder auf. Vier eigene Stücke hatte Barry Gibb mitgebracht, zwei weitere sollte er noch schreiben, damit sich die Aufnahme auch lohnte. Der Radio-DJ gab ihm dafür eine Stunde Zeit, und damit die Zwillinge ihren Bruder nicht störten, bekamen Maurice und Robin ein bisschen Geld, um in der Zwischenzeit Hamburger zu essen. Hauptsache raus aus dem Studio, dachte Gates sich wohl – die beiden waren gerade einmal neun Jahre alt und taten das, was Jungs in diesem Alter halt tun, wenn man sie in ein Tonstudio lässt: Sie spielten an den Knöpfchen und Reglern und kickten den Papierkorb durch die Gegend. Da waren die paar Pennys für einen Burger um die Ecke sinnvoll investiertes Geld.
Zum gemeinsamen Einsingen der Lieder waren Maurice und Robin dann aber wieder da, und obwohl die drei zum allerersten Mal zu einer laufenden Bandmaschine sangen, war Bill Gates sofort von den Aufnahmen überzeugt. Was noch fehlte, war ein Bandname, und in Anbetracht der auffälligen Anhäufung der Initialen B. G. lag die Entscheidung auf der Hand: Unter dem Namen The B. G.s liefen die allerersten Aufnahmen der Brüder dann regelmäßig in Gates’ erfolgreicher Show Midday Platter Chatter. Das junge Trio machte sich schnell einen Namen in Brisbane und galt allgemein als kommende australische Pop-Sensation. Erst einige Zeit später wurden aus den B. G.s schließlich die Bee Gees. Dass man daraus auch „Brothers Gibb“ lesen konnte, war den dreien bei der Namensfindung gar nicht unbedingt bewusst gewesen. „Wir haben uns darüber ehrlich gesagt kaum Gedanken gemacht. Wir waren ja Kinder“, erinnert sich Robin heute – und Barry ergänzt: „Uns gefiel, dass man sich unter B, Doppel-E, G, Doppel-E und S überhaupt nichts vorstellen konnte.“
Bill Gates reichte seine Tonaufnahme der Brüder Gibb an Radio-Kollegen weiter, und egal, welcher DJ das Tape in die Hände bekam: Er spielte es. Erste Zeitungsartikel über die Gruppe erschienen, auch das Fernsehen war interessiert – wobei die Brüder in einer Live-Show namens Swinging School der Moderatorin einige Probleme bereiteten: Nicht nur, dass die Jungs arg verdreckt im Aufnahmestudio erschienen, während der Aufnahme fluchten sie auch noch unerschrocken vor sich hin. Für die strenge Moderatorin der Show mit erzieherischem Auftrag war das zu viel – schließlich saßen Lehrer und Schulkinder im Publikum, da hatten ihre musikalischen Gäste ein Vorbild zu sein.
Das Geschehen im Fernsehstudio zeigte: Je mehr sich herumsprach, dass es sich bei den Brüdern um großartige Talente handelte, desto dringender benötigten die drei jemanden, der auf sie aufpasste. Zu dieser Gewissheit gelangten auch die Eltern Hugh und Barbara Gibb. Nachdem sie ihre Söhne im Radio gehört hatten, wurde ihnen endgültig klar, dass das Singen kein Spiel mehr war und die B. G.’s womöglich am Beginn einer Karriere standen. Jetzt befanden sich die Eltern in der Zwickmühle: Den Gedanken, seine eigenen Söhne zu managen, empfand Hugh als äußerst befremdlich. Auf der anderen Seite argumentierte Barbara, der Gedanke, diese Aufgabe einem Fremden anzuvertrauen, löse bei ihr noch wesentlich größeres Unbehagen aus. Am Ende siegte die Mutter – und Hugh Gibb kündigte seinen Job, um fortan mit seinen singenden Söhnen die Ostküste Australiens zu bereisen.
Wer aber glaubt, die Brüder hätten nach ihren ersten Radio-Erfolgen ein schönes Leben als angehende Popstars geführt, der täuscht sich gewaltig. Heute mögen die Hochglanzplakate und Autogrammkarten schon gedruckt sein, bevor ein potenzieller Superstar von morgen überhaupt seinen ersten Song eingesungen hat. In den Fünfziger- und Sechzigerjahren erkletterte man die Karriereleiter noch weitaus mühsamer: Genauso wie The Beatles oder die Rolling Stones begannen die Bee Gees ihre Laufbahn mit einer Ochsentour durch kleine, oft genug zwielichtige Clubs und Bars. In dieser Hinsicht war Australien damals ein besonders schwieriges Pflaster: Eine Bar war entweder voller Streithähne, die sich obskure Trink-Wettbewerbe lieferten und im Rausch so raueinig wurden, als wollten sie in den Krieg ziehen. Oder aber sie war Treffpunkt für Veteranen aus dem Zweiten Weltkrieg, die sich dort gemeinsam erinnerten und betranken.
Robin und Maurice waren damals zehn Jahre alt, und die raue, biergeschwängerte Atmosphäre der Kneipen stellte für sie natürlich keine passende Umgebung dar – auch wenn die drei Brüder durchaus Gefallen daran fanden, die Pöbeleien und Schlägereien rund im ihre Auftritte zu beobachten. Dennoch waren diese frühen Auftritte der Brüder mehr als nur kleine Randbegebenheiten auf dem Weg nach oben. Sie hatten großen Einfluss auf die Art und Weise, wie zielsicher das Trio später Karriere machen sollte. Um nämlich Ärger zu entgehen und die volle Gage zu erhalten, mussten sich die Gibbs den Erwartungen des Publikums anpassen: Statt sich nur auf die Musik zu konzentrieren, lieferten sie daher ein aus heutiger Sicht skurriles Misch-Programm aus romantischen Songs und Comedy-Einlagen. So trug beispielsweise eine ihrer Nummern den beinahe philosophischen Titel Does Your Chewing Gum Lose Its Flavour (On The Bedpost Overnight)? – und wehe, man erntete nicht genug Lacher, denn brach der Clubbesitzer den Auftritt sofort ab.
Mittendrin in diesem Szenario: Hugh Gibb, Vater und Manager in Personalunion. „Ich habe die Jungs betreut“, erinnert er sich später, „habe dafür gesorgt, dass sie nicht in direkten Kontakt mit den Gästen kamen. Selber getrunken habe ich nie.“ Doch Hugh Gibb war nicht nur Beschützer, er war auch Berater seiner Söhne. Er kannte die Antwort auf die wichtige Frage, wie man das Publikum knackt, wusste, wie man am eindruckvollsten auf eine Bühne läuft, wie man zu grinsen und zu reden hatte, um sofort Sympathiepunkte zu sammeln. Wichtig war ihm zudem die Garderobe seiner Jungs: Die dreckigen Kinderklamotten hatten ausgedient, dafür trug das Trio Smokings und Unmengen Pomade im Haar. Im Zusammenspiel mit seinen Brüdern oblag Robin die Rolle des „vorlauten, lustigen und süßen Kleinen“, wie sich Maurice später erinnert. So war es zum Beispiel Robins Gag, beim Lied Puff The Magic Dragon das Wort „Puff“ enorm feucht in Richtung seines Zwillingsbruders auszusprechen. Auch bei den Harmoniegesängen hatten die drei inzwischen ihre Rollen gefunden: „Barry sang den mittleren Leadgesang, Robin übernahm die tiefen Parts und ich die hohen Harmonien“, so Maurice.
Die Konzertreisen führten Hugh Gibb und seine Söhne immer weiter fort von Brisbane. Die Jungs sangen entlang der Ostküste in Hotels und Bars, Ferien-Resorts und Nachtclubs. Statt mit gleichaltrigen Freunden zu spielen oder sich zaghaft für das andere Geschlecht zu interessieren, sangen sie für johlende Kriegsveteranen und warteten in Garderoben auf ihren Auftritt, in denen sich anderntags Stripperinnen schminkten. Wie zwangsläufig alle Teenie-Stars bezahlten auch Barry, Robin und Maurice ihre frühe Karriere mit dem Verlust einer normalen Kindheit und Jugend, das war nicht nur Hugh Gibb klar, sondern auch den Jungs selber. Und doch gibt es einen Unterschied: Barry, Maurice und Robin erlebten in ihren ersten Jahren allerhand Obskures – aber keinen Luxus. Der Osten Australiens war nicht Hollywood, nicht London. Dort wehte ein rauerer Wind. Und statt seine Söhne in den Himmel zu loben, ließ Vater Hugh sie durch die harte Schule gehen. Sein Credo: Entertainment bedeutet Arbeit.
Rückblickend bezeichneten Barry, Maurice und auch die Eltern Hugh und Barbara die Lehrjahre in Australien als eine schöne Zeit. Nur Robin hält dagegen: „Ich mochte Australien nicht. Ich war zwar nur ein Kind, aber ich mochte die Arbeit nicht – vor allem wegen der Songs, die wir sangen. Ich beschwerte mich oft, aber das nützte nichts. Ich musste immer wieder raus und weitermachen.“ Das Programm der Brüder Gibb bestand damals nicht aus Liedern, die bei den Jungs selbst für Begeisterung gesorgt haben, sondern orientierte sich am Geschmack des Publikums. Barry, Robin und Maurice standen auf die Songs von Ray Charles, Roy Orbison und Neil Sedaka. Das waren angesagte Künstler der Sechzigerjahre, in deren Fußstapfen die Jungs treten wollen. Doch das eher gesetzte Publikum erwartete lustige Liedchen und Standards wie das simple Bye, Bye Blackbird – Songs, die die Gibbs schon bald unterforderten.
Wer glaubt, zwischen Barry, Maurice und Robin habe immer schönste Harmonie geherrscht, der hat wahrscheinlich selbst keine Geschwister. Wie bei allen Brüdern kam es immer wieder zu Streitereien. Ihre Mutter Barbara erzählte eine besonders schöne Anekdote: An einem Abend verguckte sich Robin (damals zwölf Jahre alt) in ein Mädchen aus einem Chor, der vor den Gibbs auftrat. Robin wollte ihr beim Singen zuschauen, doch man hatte den Künstlern strikt verboten, während der Auftritte eines anderen Acts am Bühnenrand zu stehen. Der verliebte Robin ignorierte das Verbot, was wiederum Barry rasend machte: Er zerrte seinen jüngeren Bruder vom Bühnenrand in die Garderobe, wo es zu einer wilden Rauferei kam. Plötzlich vernahmen die beiden die Eingangsmelodie ihres Auftritts! Sie entknoteten sich, richteten die Haare, hechteten mit unschuldigem Lächeln auf die Bühne, sangen wie gewohnt in engelsgleichen Harmonien – und setzten die Keilerei gleich nach dem Auftritt unbeirrt fort.