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Verflechtungen in der alten Schweiz
ОглавлениеDie Betrachtung der vielfältigen Verflechtungszusammenhänge der alten Schweiz mit dem europäischen Umfeld setzt bei den Wanderungsbewegungen ein. Migration ist ein historisches Langzeitphänomen der Schweizer Geschichte. Menschen aus dem nachmals schweizerischen Raum waren auf Wanderschaft, lange bevor von einer Eidgenossenschaft die Rede sein konnte, geschweige denn bevor eidgenössische Diplomaten und Politiker formelle politische Beziehungen zu anderen Mächten knüpften. Ein nächstes Kapitel widmet sich den Warenströmen. Als rohstoffarmes Land war die Schweiz seit je existenziell auf die Versorgung mit lebenswichtigen Gütern angewiesen. Ihre Ökonomie spezialisierte sich zudem frühzeitig auf die Veredelung von Rohstoffen, die von weit her eingeführt wurden, sowie auf die Herstellung von Exportwaren für internationale Märkte. Schon in der frühen Neuzeit vermarktete sie mit dem Käse, den Textilien, Uhren sowie Finanz- und Handelsdienstleistungen Güter und Dienstleistungen, die im Ausland das stereotype Bild der kommerziellen Schweiz prägen sollten. Schliesslich wird der Verflechtungsaspekt auch für den Bereich der Aussenpolitik, Diplomatie und der inneren Staatsbildung angesprochen werden. Spätestens mit den Burgunderkriegen in den 1470er-Jahren wurde die Eidgenossenschaft als geopolitisch exponierter Raum mitten im Spannungsfeld zwischen den rivalisierenden europäischen Grossmächten wahrgenommen. Als Übergangs- und Durchgangszone zwischen den Schauplätzen der grossen europäischen Kriege nördlich und südlich der Alpen wurde sie zum Tummelfeld der europäischen Diplomatie. Ihre Lage machte sie zu einem attraktiven Partner für Allianzen, aber auch zu einem sicherheitspolitischen Risiko für die grossen Nachbarn. Die Kantone mussten lernen, mit den Ansprüchen der konkurrierenden Mächte und den sich überkreuzenden Interessenlagen der grossen Nachbarn umzugehen. Wie für kein anderes Land in Europa gilt, dass nicht nur die innere Staatsbildung in den Kantonen in der frühen Neuzeit, sondern auch die schiere Existenz einer souveränen Nation Schweiz bis auf den heutigen Tag nur mit Rücksicht auf deren Verflechtung mit der europäischen Staatenwelt verständlich gemacht werden kann – die Eigenständigkeit der Schweiz gründet letztlich im Interesse Europas.