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In unserem Umfeld

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Diese massive Störung der Kommunikation führt mitunter zu Katastrophen auf zwischenmenschlicher Ebene. Diese Katastrophen passieren in unserem sozialen Umfeld. Die meisten von uns haben bereits leidvolle Erfahrungen damit gemacht. Manchmal spaltet diese schleichende Manipulation sogar die kleinste gesellschaftliche Zelle, die Familie.

Damit war meine alte Schulfreundin Nadine konfrontiert. Zu spät bemerkte sie das schleichende Gift, das ihren Mann Stephan über wenige Monate hinweg befiel.

Nadine und ich gingen viele Jahre lang gemeinsam zur Schule und waren all die Jahre gut befreundet. Über die Freundschaft hinaus ergab sich nie eine Beziehung, auch wenn es von außen manchmal so aussehen konnte. Es war halt so eine Best-Buddies-Beziehung. Wir gingen gerne miteinander einen trinken oder machten irgendwelchen Quatsch. Umso weniger verstand ich, warum Nadine ausgerechnet Stephan heiratete.

Stephan war das totale Gegenteil von mir. Er war extrem solide, dachte in seinen frühen Zwanzigern schon an Familie, Haus und ans Bäume-Pflanzen. Auch seine berufliche Laufbahn war sehr solide. Vielleicht war es das, was Nadine immer wollte. Am Ende eine Sicherheit, eine Familie, Geborgenheit und ein Heim. Bei mir sah das aufgrund meines Studiums völlig anders aus. Es war stets ungewiss, wo ich beruflich landen würde, und genauso ungewiss, wo ich überhaupt leben würde. Wahrscheinlich spürte Nadine, dass ein Verbleib in meinem Heimatort keine sonderlich reizvolle Option für mich war.

Letztendlich heirateten die beiden, bekamen eine Tochter, Stephan baute ein Haus und nahm dafür auch ein Darlehen auf. Also alles völlig normal und solide. Auch mein Leben lief in etwa so, wie ich es befürchtet hatte. Wie nicht anders zu erwarten, verließ ich meinen Heimatort, zog weit weg, ins Ausland, studierte, war in der Privatwirtschaft für IT und Kommunikation zuständig und landete letztlich als Faktenchecker bei Mimikama in Wien.

Als ich dann wieder einmal auf Heimaturlaub war, traf ich nach langen Jahren Nadine wieder.

Es war ein grauer Novembernachmittag. Die Blätter waren bereits von den Bäumen gefallen. Der leicht modrige Geruch des faulenden Laubs lag über der Stadt. Die Sonne war seit Tagen nicht zu sehen gewesen und die feuchtkalte Luft wies darauf hin, dass der Winter vor der Tür stand. Eigentlich nicht das richtige Wetter für einen Spaziergang durch die Innenstadt. Aber da ich selten zu Besuch war, wollte ich auch rausgehen. Es war also Zufall, dass ich Nadine traf.

Ich bemerkte sie zuerst. Sie sah alles andere als glücklich aus. Gebeugt, bedrückt. Immerhin zauberte die Wiedersehensfreude ein Lächeln in ihr Gesicht. Wir nahmen uns an diesem Nachmittag spontan Zeit und setzten uns in ein Café. Gemütliches Ambiente. Auf den Tischen standen Kerzen, der Raum hatte eine angenehme, fast schon zu warme Temperatur. Die dick gepolsterten Sitze waren wie die Temperatur im Raum: angenehm, aber doch ein klein wenig zu viel. Jedenfalls ein angenehmer Ort, um ein ausgedehntes Gespräch zu führen. In dieser Atmosphäre bemerkte ich recht schnell, dass irgendetwas mit Nadine nicht stimmte.

Nach anfänglichem Small Talk brach sie unvermittelt in Tränen aus. Leise schluchzend erzählte sie von ihrem anfänglich guten Leben, von einer stabilen Normalität, bis zu diesem verfluchten Tag. Dem Tag, als Stephan seine Arbeit verlor. Sparmaßnahme des Unternehmens. Stephan war daraufhin viel zu Hause, machte viel an Haus und Garten und das war auch gut so.

Doch leider verlief seine Jobsuche nicht so, wie er sich das erhofft hatte. Das wirkte sich natürlich auch auf seine Laune aus. Er fragte sich, warum ausgerechnet er es jetzt so schwer hatte. Dazu kam der Druck wegen dem Hauskredit und der selbstauferlegte Druck, als Mann seine kleine Familie ernähren zu müssen. Stephan suchte im Internet nicht nur nach Jobs, sondern auch nach Antworten, die ihm seine Misere erklärten. Antworten, die er auf Social Media fand, die seine Erwartungshaltung erfüllten.

Stephan konsumierte Informationen, die sein vermeintliches Scheitern in einem anderen Licht darstellten. Da war die Rede davon, dass die Regierung lieber Fremde ins Land holen würde, anstatt den eigenen Bewohnern Arbeit und Sicherheit zu bieten.

Verschiedenste Verschwörungsmythen bekam Stephan auf Facebook oder YouTube zu Gesicht. Da hieß es, die Bevölkerung würde ausgetauscht werden, die eigenen Traditionen würden wegen einer gewollten Islamisierung absichtlich zerstört, der Staat, in dem Stephan lebte, würde gar nicht wirklich existieren. All diese vielen Geschichten veränderten Stephan. So erzählte es mir Nadine, während sie mit zitternden Händen ihre Kaffeetasse hielt.

Ihre Stimme war schwach, nicht so laut und forsch wie früher, sondern offensichtlich geprägt durch die letzten Jahre. Ihr Kaffee war wohl mittlerweile längst kalt, da sie während der langen Erzählung selten und immer nur in kleinen Schlucken aus der Tasse trank. Ihr Wesen kam mir verändert vor. Früher hätten wir niemals einen ganzen Nachmittag in einem Café verbracht. Wir wären trotz der Kälte draußen herumspaziert und hätten unsere Probleme mit einer Dose Bier in der Hand diskutiert und zerpflückt. Nun saß Nadine da, starr und verheult, und breitete ihr ganzes Leid vor mir aus.

Sie erzählte mir, Stephan sei jetzt ein sogenannter Reichsbürger. Reichsbürger würden die Souveränität und Autorität des Staates nicht anerkennen. Deswegen wolle Stephan auch keine Steuern mehr zahlen. Er habe mittlerweile sogar eine Art Fantasieausweis, mit dem er sich als Bürger des Deutschen Reichs ausweise. Die Bundesrepublik Deutschland? Gäbe es für ihn nicht! Die sei doch nur eine GmbH. Eine Firma. Ein Marionettenstaat, gelenkt von den Siegermächten. Das Volk werde nur unterdrückt. Angela Merkel wäre eine Diktatorin und Freiheit gäbe es in diesem Regime für niemanden.

Stephan bezog sein vermeintliches Geheimwissen über YouTube-Videos, aus diversen WhatsApp-Gruppen und über Facebook-Seiten, deren Betreiber anonym blieben. Aber das spielte für Stephan keine Rolle, denn es waren ja die »Merkel-Propaganda« und die Lügenpresse, welche die Wahrheit zu unterdrücken versuchten.

Anfangs war es für Nadine eigentlich immer nur peinlich, wenn Stephan auf Familienfesten die wilden Geschichten erzählte, die er aus dem Netz bezog. Oder wenn er wieder mal das neueste YouTube-Video im Freundeskreis zeigte und laut behauptete, Merkel sei doch die Tochter von Adolf Hitler.

All das war Nadine zwar unangenehm, doch sie liebte Stephan. Außerdem war ihre Existenz vom Funktionieren ihrer Ehe abhängig. Das glaubte Nadine zumindest damals. Doch als dann irgendwann die Polizei vor der Tür stand, merkte Nadine, dass es langsam zu viel wurde. Stephan hatte sich geweigert, ein Bußgeld zu zahlen. Er sagte den Polizisten ins Gesicht, dass sie hier überhaupt keine Befugnisse hätten. Sie wären keine Vertreter der Obrigkeit, sondern würden für eine GmbH arbeiten.

Neben den wachsenden wirtschaftlichen Problemen der kleinen Familie tat sich nun also noch ein größeres Loch auf. Stephan kam immer häufiger in Konflikt mit dem Gesetz. Nadine tat ihr Möglichstes, um mit der Situation einigermaßen zurechtzukommen. Um den wirtschaftlichen Ruin abzuwenden, nahm sie zwei Aushilfsjobs an. Zudem übernahm sie noch den Haushalt und die Betreuung der kleinen Tochter, da Stephan sich vollends in seine Online-Welt verkroch.

Nadine stellte ihre Kaffeetasse ab. Tränen liefen ihr einmal mehr über die Wangen. Ihr Mascara war verschmiert. Krampfhaft suchte sie in ihrer Handtasche nach einem Taschentuch. Ich stand auf und nahm sie in den Arm. Ich hatte mit vielem gerechnet, aber nicht damit, dass Verschwörungsmythen sogar Familien zerstören können. Vor allem nicht die Familie einer sehr lieben Freundin.

Es dauerte ein paar Minuten, bis Nadine sich wieder gefasst hatte. Das endgültige Ende war für sie an dem Punkt erreicht, als Stephan ihr verbieten wollte, ihre kleine Tochter gegen Krankheiten impfen zu lassen. Zwar lassen sich gegen das Impfen von kleinen Kindern auch vernünftige Gründe anführen. Doch Stephans Gründe waren völlig absurd. Er meinte, Impfungen seien ein Instrument der Kontrolle. Regierungen würden Impfungen fordern, um Kinder bereits früh gleichzuschalten, sodass sie keinen eigenen Willen entwickeln würden. Als es um ihre eigene Tochter ging, war bei Nadine die Grenze überschritten. Sie packte ihre wenigen Sachen, nahm ihre Tochter und zog zu ihren Eltern.

Immerhin erwies sich die Scham, die Nadine mit sich trug, als völlig überflüssig. Ihr soziales Umfeld, insbesondere ihre Eltern, hatten längst bemerkt, dass mit Stephan etwas grob im Argen war. Nun stand sie vor den Scherben ihrer Ehe. Vor einem Haus, dessen Zwangsversteigerung bevorstand. Die Gelder reichten hinten und vorne nicht mehr. Stephan weigerte sich, rechtsverbindliche Ansprüche seitens der Bank zu begleichen. Seiner Meinung nach waren all die abgeschlossenen Verträge ungültig.

Von Stephan war sie mittlerweile auch formell geschieden. Kommunikation gab es, wenn überhaupt, nur mehr schriftlich. Wohin es für Nadine gehen würde? Das wusste sie nicht. Die Hände an die leere Tasse geklammert saß sie da. Sie hatte den Ort verloren, an den sie hinwollte: ihren Mann, ihr Haus, ihr Heim, ihre Familie. Was blieb, war Zukunftsangst.

Wir unterhielten uns noch eine Weile über allerlei unverfängliche Dinge. Dabei vergaßen wir etwas die Zeit. Draußen wurde es bereits dunkel. Leichter Nebel hüllte die Häuser mit seinem weißgrauen Schleier ein. Zeit zu gehen, Zeit, sich erneut zu verabschieden. Es war kein leichter Abschied. Das Gespräch hinterließ bei mir einen Kloß im Hals. Das spätherbstliche Wetter passte genau zu meiner Stimmung. Ich krempelte den Kragen meiner Jacke hoch, um meinen Hals vor der feuchten Kälte zu schützen. Vor dem Café blieb ich stehen und blickte Nadine auf ihrem Weg in die Ungewissheit nach.

Angriff auf die Demokratie

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