Читать книгу Der Papst kommt - Andrea Hensgen - Страница 6
ОглавлениеBotanischer Garten
Die junge Frau des Juristen steigt ihm aus eben jener Straßenbahn entgegen, die Kolja hätte nach Hause bringen sollen. Er bleibt stehen, und wäre genauso gut mit einem netten, flüchtigen Gruß in die Bahn hinein an ihr vorbei gewesen.
Selbstverständlich erkennt sie ihn sofort wieder.
„Hallo! Haben Sie sich unsere schöne Stadt angeschaut?“
Kolja nickt.
„Von der Pyramide zum Schloss, über den blauen Weg bis zur Majolika, man ist ja schnell fertig damit.“
„Der blaue Weg?“
„Ja, die 1.645 blauen Kacheln, die vom Schloss aus über die große Wiese bis zur Majolika führen, da sitzt man ganz nett in diesem Hof.“
„Das habe ich wohl verpasst.“
„Na, dann schauen Sie mal bei Ihrer nächsten Tour vorbei, Sie bleiben doch noch eine Weile hier, oder?“
„Ja, schon.“
Sie kommt Kolja einen Schritt näher. Weshalb sie in diesem Augenblick beschließt, ihn kennenlernen zu wollen, verscheucht sie mit einem verlegenen Lächeln, und macht sich zugleich selbst Mut dazu mit einem ungewollten, ruckartigen Nicken. Die offenen Haare fallen ihr ins Gesicht, und Koljas Blick hakt sich fest an der Kette um ihren Hals, feine, goldene Glieder auf sonnengebräunter, glatter Haut. Diese Neigung zwischen Schlüsselbein und Schulterblatt, und wenn der eine Finger über die obere Vertiefung gleitet und der zweite diesem harten Knochen folgt und beide sich berühren in dieser Mulde, bevor sie ... , jede Frau beginnt Kolja an dieser Stelle zu erkunden.
„Sie waren etwas verwirrt gestern Abend, stimmt’s?“
„Ja, stimmt.“
Wahrscheinlich läuft sie Marathon oder betreibt sonst einen Ausdauersport, ein magerer, fast knochiger Körper, die enge Jeans und das knappe, weiße T-Shirt stellen ihn weitaus deutlicher zur Schau als die weite, lange Jacke, die sie gestern Abend trug. Gestern schätzte Kolja sie jünger ein. Könnte sogar sein, dass sie zwei Kinder großgezogen hat, eher von einem anderen Mann als von diesem kleinen Juristen.
„Der Papstbesuch ist schuld, alle reden jetzt von solchem Zeug. Fritz verpasst keinen Fernsehauftritt von dem Kerl, als könnte er ihm an der Miene ablesen, was den tatsächlich antreibt. Sind Sie etwa auch katholisch?“
„Früher mal.“
„Ach, auch ausgetreten! Habe ich mit achtzehn hinter mich gebracht. Der Verein ist doch ’ne Zumutung für jeden, der vernünftig denken kann. Und das Getue jetzt, wenn der Papst mal ein paar Häftlingen die Füße wäscht. Haben Sie gewusst, dass die Felgen des Papamobils vergoldet sind? Da war für mich endgültig Schluss, aber wir gehen besser mal zur Seite.“
Das Gebimmel einer nahenden Straßenbahn, sie kommt laut scheppernd zum Stehen. Die Frau fasst Kolja am Ärmel und schiebt ihn vorbei an dem Gedränge, steuert ihn um die Pyramide herum. Touristen und lärmende junge Kerle bevölkern am Sonntagnachmittag den Marktplatz. Rentner in beigen Leinenjacken mitsamt ihren Frauen in hellen Kostümen halten sicheren Abstand zu einer Gruppe schwarzgekleideter Punks, viel zu gleichgültig, als dass sie in ihren schweren Lederklamotten, klobigen Stiefeln und den glänzenden Metallringen rund um den Kopf provozieren wollten.
Kolja streift dicht an einem Jungen vorbei, dessen schmale, dreckige Finger geschickt eine Zigarette drehen. Er sitzt auf dem Boden, Rücken und Schultern hat er wie eine Katze eingezogen.
Der Junge sieht auf, blickt Kolja geradewegs ins Gesicht.
„Haste mal ’nen Euro, Alter?“
Rehbraune, junge Augen, und ein freches Grinsen, in dem das Vergnügen des Kindes mitschwingt, dem es unverhofft gelungen ist, einen Erwachsenen zu verblüffen.
Die Frau sieht ihm tatenlos dabei zu, wie Kolja nach seinem Geldbeutel greift und vergeblich nach einem Fünf-Euro-Schein sucht. Münzen hat er keine, unmöglich kann er dem Jungen zehn Euro schenken.
Sie scheint nicht gewillt, ihm auszuhelfen, wirkt vielmehr erstaunt, fast ungeduldig-verärgert.
„Tut mir leid, ich habe kein Kleingeld dabei.“
Der Junge quittiert es mit einem mitleidigen Grinsen. Im Blick der Frau liest Kolja bloß Unverständnis. Hilfloses Zaudern ist sie von ihren sonstigen Begleitern offenbar nicht gewohnt. Kolja durchzuckt es, sich wortlos umzudrehen und wegzugehen. Seit langem fehlt ihm der Elan, eine neue Bekanntschaft zu beginnen, wenn sich nicht auf Anhieb etwas wie Wohlwollen und Gleichklang einstellt.
„Macht nichts, Alter. Trotzdem viel Spaß mit Deiner Puppe!“
„Ich heiße Simona, und Sie?“
Erst jetzt kommt es Kolja in den Sinn. Bis zu diesem Augenblick sind sie tatsächlich einander namenlos Seite an Seite durch die Stadt gelaufen. Vermutlich wartet sie insgeheim seit zwei Stunden darauf, wie lange es brauchen wird, bis ihm endlich ihr Name fehlte.
„Kolja.“
„Na, das passt doch. Wir können uns duzen, oder?“
„Ja, schon. Aber es braucht eine Weile bei mir, bis ich mich darauf eingestimmt habe.“
„Geht mir gar nicht so. Du hast kein Wort gesagt zu dem Bild eben in der Kunsthalle, ich meine das von Grien!“
„Wahrscheinlich bin ich insgesamt eher langsam, und dazu ziemlich unerfahren, was Kunst angeht.“
„Warte ich eben.“
Simona streckt ihr Gesicht der Sonne entgegen, lässt sich zurückfallen an die Rückenlehne der Bank und schließt die Augen.
Mattes Lavendelblau durchbricht kräftiges Rosenrot, darüber schwingt lichtes Schleierkraut dem Himmel zu.
Der Botanische Garten gehört zu Karlsruhes Attraktionen. Kolja fühlt sich hier endgültig zurückversetzt in jene Zeit, an jene Plätze, zu denen das Wort Promenade passt, und Tanzcafés, Ausflugsdampfer, Ansichtskarten. Ein fast erzwungenes Dämpfen jeglicher Lebensfreude. Wieder scheint es Kolja, als gehöre dieser Platz bereits einer Vergangenheit an, mitsamt dessen müßigen Besuchern, denen der Anblick solch raffinierter Blumenpracht genügt und ein Kaffee unter der filigranen Stahlkonstruktion der Orangerie.
Als Lustgarten war dieser Teil des Schlossparks gedacht, mit Gewächshäusern, Volieren, Grotten und Brunnen. In seiner streng formalen Anlage erwuchs ihm bald seine besondere Eigenart zu innerhalb des übrigen Schlossparks und dessen freizügig-offener Gestaltung.
In Simonas Worten klang dies weitaus schnoddriger, während ihrer improvisierten Führung eben.
Ein seltsamer Zufall, der sie heute Mittag zusammengeführt hat. Kolja lässt seinen Blick auf ihr ruhen. Sie reagiert nicht darauf und genießt zugleich die Aufmerksamkeit, hellwach unter ihren geschlossenen Augen. Kolja spürt die Spannung ihres Körpers.
Den ersten Fragen nach Koljas Eindrücken der Stadt hing ihr schlechtes Gewissen an wie überflüssige Dankesworte einer längst erfüllten Bitte. Sie wollte es gutmachen, was Fritz sich gestern an Unhöflichkeit gegenüber einem fremden Gast herausgenommen hat. Aber nicht jedem von Fritz’ Opfern hätte sie zum Ausgleich einen gemeinsamen Nachmittag angetragen – oder mehr, wenn es allein in ihrer Hand läge und Kolja ihre Blicke eben nicht zu selbstgefällig deutet. In den vergangenen zwei Stunden war Kolja in Simonas Augen zu Fritz’ Gegenspieler und offenbar zu ihrem eigenen Retter gewachsen. Wahrscheinlich fällt ihm diese Rolle nach einer Reihe von Vorgängern zu.
Kolja schiebt Simona zu der Sorte Frauen, die auf Reisen den eigenen Geldbeutel am sichersten unter dem Hemd ihres Begleiters aufgehoben glaubt, und alles an unerfüllten Sehnsüchten gleich dazu steckt.
Wie er ist sie neu in der Stadt, mit dem Auftrag, ein neues Tourismuskonzept für die Stadt entwerfen. Ausgerechnet Karlsruhe hat sich dazu eine Fremde eingestellt. Zu Fritz war sie zwei Jahre lang wochenends gependelt. Mit dem Angebot dieser Stelle tat sich vor einem knappen halben Jahr die Gelegenheit auf, gemeinsam in einer Stadt zu wohnen. Es gibt tatsächlich einen Sohn aus einer geschiedenen Ehe, er verbringt dieses Wochenende bei seinem Vater. Karlsruhe hätte sich dieser Junge kaum als Wohnort ausgesucht, hätte er seiner Mutter nicht gezwungenermaßen folgen müssen. Die üblichen Schwierigkeiten, Simona hatte es sich leichter vorgestellt und mehr Einklang erwartet, zwischen ihrem Sohn und „meinem Freund“. So redet sie von Fritz.
Nun beschreibt sie im Auftrag der Stadt, was Karlsruhe einem Fremden zu bieten hat. Hans Baldung Griens Bild war heute Mittag eine ihrer ersten Stationen, „Die Geburt Christi“ gehört zu den Glanzstücken des Besitzes der Kunsthalle.
Dem Zufall ihres Zusammentreffens müsste Kolja dankbar sein. Gestern Abend war sie Teil der fremden Runde, jetzt sitzt sie an seiner Seite auf der Bank, mit einer größeren Bereitschaft, als sie in Worten benennen könnte oder sich selbst eingestehen würde.
Wieder hat Kolja gestern Abend unbefragt eine Gruppe fremder Menschen als Einheit gedacht, sie zusammengeschweißt und sich als Einzelner ihr gegenübergestellt.
Wie oft gerät jedermann in eine solche Lage, dass alle anderen sich scheinbar kennen, zumindest die Erfahrung teilen, bereits ohne „mich“ zusammen gewesen zu sein. Dazu reicht ein Zugabteil mit drei, vier Reisenden, in das Kolja hinzusteigt, jedes Mal in der ihm zur Gewohnheit gewordenen Annahme, dass die dort Sitzenden bereits eine Gemeinschaft bilden. Dabei gibt es keine einzige Erinnerung, die diesen Verdacht bestätigt hätte, während Koljas vieler Zugfahrten, dass ihm einer bloß zugenickt hätte, in stummem Einverständnis, nachdem ein anderer sich verabschiedet hatte.
Setzt sich darin die erste Erfahrung von Gemeinschaft fort? Eine verschworene Gemeinde, wie ein kleines Dorf, erkennt sofort und beobachtet sorgsam jeden Fremden. Oder verfahren die meisten Leute nicht ähnlich?
Simona öffnet die Augen.
Mit einem verschämten Lächeln weicht sie der Erklärung aus, warum sie sich den Anschein gibt, als kehre sie aus Träumereien zurück.
„Und, hast Du Deine Gedanken mittlerweile geordnet?“
Sie streckt sich nach allen Ecken, wie ein eben aufgewachtes Kind, neigt den Kopf zur Schulter und sieht Kolja unschuldig an. Es fehlte nur noch, dass sie sich die Augen reibt.
„Ein gelungenes Bild, würde ich sagen.“
„Hey!“
Sie richtet sich auf.
„Jetzt bin ich ja mal gespannt.“
Ihr fester Entschluss, ihm einen Vorschuss zu geben, liegt blank und offen in ihrem Gesicht, und Kolja weiß nicht, warum und auf was.
„Weil alles drinsteckt, was Du mir eben erklärt hast.“
„So leicht kommst Du mir nicht weg!“
„Wer ist denn hier der Kunstexperte? Ich kann Deinem Urteil nur zustimmen.“
„Und Du hast selbst überhaupt nichts darin entdeckt?“
Sie schiebt ihre Beine unter den Hintern und wippt leicht im Schneidersitz vor und zurück. Das Licht der Abendsonne bricht zwischen zwei Wolkenstreifen auf und eine überraschend schöne Sanftheit entspannt ihr Gesicht.
Sie jetzt an den Schultern fassen, die Hände an ihre Wangen legen und auf dieser warmen Haut wandern lassen – Kolja senkt den Blick zu Boden.
Sie könnte fast seine Tochter sein, viel zu unbedarft jung für ein Liebesverhältnis und für eine schwesterliche Freundin zu bedürftig, zu schwach. Seit ein paar Jahren gelingt es Kolja meist überraschend schnell und gut, das ab und an drängende Verlangen nach einer Frau zu besänftigen mittels der zur Genüge wiederholten Erfahrungen. Viel zu oft spannte sich gereizter Überdruss erschreckend bald über die anfängliche Begierde.
Er hält die Augen auf den Boden gerichtet. Simona würde es nur falsch deuten, was ihr sein Gesicht in diesem Moment an Nähe verspricht.
In der nüchternen Einschätzung, dass Kolja an diesem Gespräch über Kunst nichts liegt, nicht jetzt, treibt Simona das Spielchen weiter. Mit Blicken, scheinbar zufälligen Gesten, in ihrer Absichtslosigkeit nur umso verräterischer, sucht sie die Stimmung leichthin auszuweiten, als hinge sonstwas daran, Kolja für sich zu gewinnen.
„Oder ist das Gerede schuld, der Papst und Jesus an allen Ecken und Enden, dass Du keinen Spaß hast an dem Bild?“
Selbst Koljas Mitleid wäre Simona ein Funken Glut für ihr glimmendes Feuerchen an Hoffnung. Kolja ist das Geplänkel mit einem Mal leid. Zu Grien fällt ihm in der Tat nichts ein. Er sucht nach Eindrücken von vor Jahren besuchten Ausstellungen.
„Reichen denn nicht alle guten Bilder darüber hinaus, was sie abbilden, oder führen tiefer, wie immer Du es nennen willst.“
Da grinst sie, als sei ihre Strategie geradewegs aufgegangen, und Kolja endlich auf ihre Spur eingeschwenkt, ja als sei statt ihrer Kolja nun in der Not, mittels der Rede über die Kunst allem anderen auszuweichen, was an diesem Nachmittag ebenso gut beginnen könnte.
„Nenne mir mal ein Bild, an das Du jetzt denkst!“
Die Frage hat Kolja erwartet.
„Morandis Vasen und Krüge zum Beispiel. Sein Leben lang hat er nichts anderes gemalt und gezeichnet, immer wieder die gleichen Gefäße, mal in dieser, mal in jener Stellung. Nie im Leben stünden so viele Menschen vor seinen Bildern, ginge es bloß um diese Karaffen oder Flaschen.“
„Und worum geht es dann?“
Kolja zögert, sucht nach etwas in Simonas Blick jenseits dieses Spielchens, bevor er weiterspricht.
„Auf mich wirkt es, als wollte Morandi durch diese Krüge hindurchdringen, bis hin zu ihrer Auflösung oder Einswerdung mit ihrer Umgebung, mit dem Tisch, auf dem sie standen, oder mit dem Blatt Papier, auf das er diese Linien und Striche setzte, ich weiß es nicht. Am Ende hat er seinen Anteil immer mehr zurückgezogen, mit ein paar feinen Linien Umrisse nur noch angedeutet. Da könnte die Rundung eines Krugs genauso gut ein Hügel sein, seine sanfte Kuppe.“
„Das kapiere ich nicht.“
Vorgetäuschtes Unverständnis, Kolja soll bloß nicht aufhören zu reden – er schließt die Augen, für Sekunden, und führt es fort.
„Fangen wir vorne an, bei der konkreten und abstrakten Kunst. Die eine hält an den realen Dingen fest, die andere löst sie auf, in Farben und Formen, die alles und nichts bedeuten können. Wir Betrachter übersetzen, füllen dieses Abstrakte wieder mit Ideen oder mit eigenen Erfahrungen, wie Du willst. Dieser Gegensatz greift nicht mehr bei Morandis Bildern. Seine Krüge bleiben erkennbare Krüge. Und zugleich lösen sich ihre Grenzen, bis sie am Ende mit dem Grund verschmelzen oder der Grund durch sie hindurch scheint. Dabei ist es doch dieser Grund, vor dem sie eigentlich erst Gestalt gewinnen.“
Simona wendet sich um, presst ihren Rücken an das seitliche Geländer der Bank und setzt sich im Schneidersitz provozierend dicht vor Kolja. Das T-Shirt spannt über ihrer Brust, deutlich heben sich die Brustwarzen darunter ab.
„Klingt ja fast religiös – mit dem Grund zu verschmelzen!“
Sie reizt es aus, neigt den Kopf zur Seite.
Kolja lehnt sich zurück.
„Da haben sich schon schlauere Köpfe dran versucht, es in präzise Worte zu fassen.“
„Versuche es doch mal ganz profan!“
Die Kette gleitet über ihre nackte Schulter. Gleichmäßig gebräunte, glatte Haut, die verführt, ohne dass Kolja mit mehr als seinen Augen darüberstreift. Abrupt löst er seinen Blick. Da lassen auch ihre Augen ab von seinem Gesicht, heften sich an irgendwas in Koljas Rücken, als wollte sie es ihm damit leichter machen, dass sie ihre Aufmerksamkeit von ihm nimmt.
„Hast Du es noch nie erlebt, Dich in etwas aufgehoben zu fühlen und dabei ganz leicht, ganz unwichtig zu werden?“
Ihr Blick schnellt zurück.
„Von was denn?“
Kolja zögert.
„Ich weiß es nicht. Aber Morandis Bilder erinnern mich daran.“
Er greift nach ihrer Hand und legt sie in seine beiden Hände, – was völlig unsinnig ist und was dieser Augenblick nichtsdestotrotz erzwingt.
„Malen widersetzt sich der Vergänglichkeit, indem es das Hier und Jetzt über die Zeiten hinweg bewahrt, so heißt es doch. Ich glaube, Morandi gelingt es gerade im Gegenteil, unsere Vergänglichkeit zu fassen – und das gibt seinen Bildern diese Ruhe. Mit unserem begrenzten Leben, als einzelner Mensch, sind wir vielleicht viel weniger etwas von allem anderen Getrenntes, das allein aus sich selbst Gestalt gewinnt, als wir es glauben wollen.“
„Nicht schlecht, was Du alles in Morandis Krügen entdeckst!“
Simona neigt den Blick hinab zu ihrer beiden Hände, und Kolja sieht auf ihre schmalen Schultern, folgt wieder diesen Linien zwischen Hals und Brust, wo die Haut sich straff über die Knochen spannt. Immer scheint ihm hier das Schutzlose auf, weil es so bloß, so offenbar vor Augen tritt, wie der Körper von der Haut umschlossen wird, dieser feinen, verletzlichen Grenze, unter der sich ein Inneres verbirgt, unberührbar, unbegreifbar – im Letzten die Seele, was sonst.
Er spürt die Wärme ihrer verschwitzten Hand an seiner Haut und steht auf.
Der Park hat sich geleert. Sich selbst überlassen gewinnt er eine Würde, wie Kolja manchmal glaubte, sie aus großartigen Gemälden strahlen zu sehen, in menschenleeren Sälen.
„Glaubst Du, dass die Bilder unsere Blicke spüren?“