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Ein weiter Weg

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Er war gegangen und gegangen, um aus diesem verfluchten Tal herauszukommen. Immer wieder war er querfeldein marschiert, in der Hoffnung, irgendwo auf eine größere Straße zu stoßen. Flugzeuge zogen Kondensstreifen am Himmel, und Fußgänger kamen ihm entgegen, zuletzt eine Frau in mittleren Jahren. Ein großer Bernhardiner, der frei ohne Leine lief, trottete in ihrer Nähe.

Der Mann hielt auf ein Kraftwerk zu, dessen Schornsteine und Kühltürme in weißen Wasserdampf getaucht waren. Noch war es hell, die Sonne beschien die Landschaft mit ihrem goldenen Licht. Er strebte auf das Kraftwerk zu, aber es wurde einfach nicht größer und kam nicht näher. Erst in der Dunkelheit sollte er es erreichen.

Der Mann durchquerte eine Ortschaft und kam an einem Gasthof vorbei. Er fühlte sich versucht, einfach einzukehren, aber er hatte nur noch wenig Geld in der Tasche, und so unterließ er es.

Jetzt am Samstagabend herrschte eine rege Betriebsamkeit im Ort. Autos fuhren und einige hielten. Leute stiegen aus, und die Autos setzten ihre Fahrt fort. An anderer Stelle starteten welche und fuhren davon. Sicher besuchten die Insassen Verwandte oder Freunde, dachte der Mann.

Er kam an einer Kirche vorbei, und die Glocken läuteten den Sonntag ein. Aber er wollte weiter, weiter in die große Stadt.

Nach Stunden kam er noch einmal in das Dorf, das nun ruhiger war, und ihm wurde bewusst, dass er im Kreis gegangen war. Noch einmal hielt er auf das Kraftwerk zu, welches inzwischen von tausend Lichtern beleuchtet wurde. Irgendwo startete ein Auto.

Endlich erreichte er die Anlage und staunte über deren Ausmaße. Überall leuchteten Lampen und Neonröhren. – Es waren hunderte, tausend. Er bemerkte den Waldweg, der am Werk vorbeiführte. Den beschloss er zu nehmen. Auf halbem Weg machte er in einer Hütte Rast und kam aus dem Wald heraus, als er weiterging.

Er war stundenlang marschiert, die Beine liefen wie von allein. Langsam wurde er müde. Er ging auf einem Fußgängerweg neben einer Straße. Inzwischen hatte er das Werk weit hinter sich gelassen. Da der Autoverkehr ihn nervte, beschloss er, die Straße zu verlassen und sich in die Büsche zu schlagen.

Aber auch hier blieb er nicht lange, da eine Bahnlinie hier entlangführte. Es war sicher gefährlich und auch verboten, hier zu gehen. Das zeigte sich schon allein durch die Güterzüge, die vorbeifuhren.

Bei der nächsten Gelegenheit kletterte er den Hang deshalb wieder hinauf und befand sich auf dem Gehweg einer Straße. Er war in einem Industrieviertel, wie die Werke, die sich um ihn herum befanden, verrieten.

Er war schon wieder eine Weile unterwegs, als ein Jeep neben ihm hielt. Der Fahrer in Zivil machte ihn darauf aufmerksam, dass er sich auf einer nicht öffentlichen Straße befand. Der Mann ließ sich den Weg erklären, verließ die verbotene Straße und wandte sich nun endgültig heimwärts zum nächsten Bahnhof.

Veilchen im April 2008, Ausgabe 21

Karl Farr

Veilchen-Anthologie Band 1

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