Читать книгу Einführung in die interkulturelle Literaturwissenschaft - Andrea Leskovec - Страница 11
4. Methoden
ОглавлениеMethodenpluralismus
Innerhalb der interkulturellen Literaturwissenschaft gibt es keine einheitliche oder spezifische Methode, sondern eine Vielzahl von Ansätzen und Modellen, die methodologisch unterschiedlich konzipiert sind, je nachdem, an welcher Hilfs- oder Partnerdisziplin sie sich orientieren. Unterscheiden lassen sich kulturwissenschaftliche, hermeneutische, textzentrierte und empirische Methoden. Erstere überwiegen in der kultursemiotischen, der kulturanthropologischen und der kulturthematischen Literaturwissenschaft sowie der Diskursanalyse und dem new historicism, hermeneutische Methoden in der interkulturellen Hermeneutik, textzentrierte in Stoff-, Themen- und Motivgeschichte sowie bei poststrukturalistisch und dekonstruktivistisch ausgerichteten Ansätzen. Dabei ist der Ausgangspunkt der interkulturellen Literaturwissenschaft der Begriff der Fremdheit und die Frage nach Strategien der Auflösung bzw. der Annäherung an Fremdes. Fremdheit kann eine textexterne Kategorie sein, was bei kultureller, sozialer, biologischer oder existenzieller Fremdheit der Fall ist, eine textinterne Kategorie, die man auch als poetische Alterität (vgl. Mecklenburg 2008, 223–231) oder als Fremdheit des literarischen Diskurses bezeichnen kann, oder relationale Fremdheit, wie sie durch die Beziehung Leser-Text zustande kommt. Literatur kann aber auch selbst als das Andere oder das Fremde definiert werden. Die Methoden zur Auflösung oder Annäherung bestimmen sich dann je nachdem, welche Dimension von Fremdheit „aufgelöst“ werden soll.
Kulturwissenschaftliche vs. literaturtheoretische Methoden
Daher bietet sich eine Kombination von kulturwissenschaftlichen und textzentrierten Methoden an. Mit Hilfe von kulturwissenschaftlichen Methoden können Texte rekontextualisiert werden, d.h. sie werden zu ihrem ursprünglichen Kontext in Beziehung gesetzt. Die Rekontextualisierung ermöglicht einen komplexen Einblick in gesellschaftliche, historische, moralische, ästhetische oder wissenschaftliche Diskurse, und bezieht mentalitätsgeschichtliche, psychoanalytische, soziologische, anthropologische, ethnologische oder geschlechterspezifische Fragestellungen mit ein. Kulturwissenschaftliche Methoden ermöglichen aber auch die Kontextualisierung der innertextlichen Wirklichkeit, denn Literatur „integriert und speichert in einer Gesellschaft geführte kulturelle Diskurse“ (Becker 2007, 164). Hierbei geht es um die Eruierung und Ergänzung von Faktenwissen oder explizitem Wissen und die Klärung von kulturellen Alltagscodes und kulturwissenschaftlichem Wissen oder implizitem Wissen, wozu Sinnkonstruktionen, Normen, Wertvorstellungen oder Ideen gehören. Allerdings transportiert Literatur nicht nur solches Wissen, sie reflektiert es gleichzeitig bzw. setzt sich affirmativ oder subversiv dazu in Beziehung.
Kulturwissenschaftliche Methoden
Kultursemiotik
Die Kultursemiotik, die auf Ernst Cassirer zurückgeht, begreift Kultur als System von Zeichen (vgl. A. Assmann 2006, 27–54). Der Semiotiker Umberto Eco versteht unter Zeichen oder Signifikaten „kulturelle Einheiten, das heißt innerhalb spezifischer Kulturen geformte Begriffe und gemeinsam geteilte Vorstellungsbilder“ (ebd., 31). Ausschlaggebend ist hierbei die Tatsache, dass Menschen sich durch den Gebrauch von Zeichen und Symbolen orientieren, sich in gewisser Hinsicht ihre Umwelt erklären und kommunizierbar machen. Zeichen dienen also der Orientierung und sind Teil kommunikativer Handlungen, wobei sie jedoch in der Regel auf etwas anderes verweisen; sie sind nicht identisch mit dem, was sie darstellen. Primäres Mittel der Kommunikation ist natürlich die Sprache, die ihrerseits als Zeichensystem funktioniert und über die „Menschen ihre Welt, ihre Kultur und sich selber erschaffen“ (ebd., 29). Die kultursemiotische Methode beschäftigt sich vor allem mit kulturellen Zeichensystemen, sie beschreibt Zeichen in ihren kulturellen Kontexten und untersucht ihren Verweischarakter. Dabei geht sie davon aus, dass sich Kulturen oder Gesellschaften weitgehend derselben kulturellen Codes bedienen, über die sie kommunizieren.
Kulturelle Codes
Kulturelle Codes lassen sich definieren als „kulturspezifische Sinn-Muster mit ideologischen, moralischen oder religiösen Inhalten, [die] durch Erziehung, Sozialisation und tiefenpsychologische Prägung auf den Einzelnen übertragen werden“ (Tonn 2004, 253). Nach Roland Barthes zitieren sie das Wissen der Zeit und sind literarischen Texten eingeschrieben, wobei sie auf etwas verweisen, das im Gedächtnis einer Kultur oder Kommunikationsgemeinschaft als Wissen gespeichert ist. Barthes unterscheidet fünf Codes. Den kulturellen Code definiert er wie folgt: „Lastly, the cultural codes are references to a science or a body of knowledge; in drawing attention to them, we merely indicate the type of knowledge (physical, physiological, medical, psychological, literary, historical, etc.) referred to, without going so far as to construct (or reconstruct) the culture they express“ (Barthes 1987, 20). Kulturelle Codes werden durch bestimmte Verfahren gespeichert: Dazu gehören Textformulierung, Ritualisierung, Gattungsbildung, Grammatikalisierung und Monumentalisierung (vgl. Posner 2003). Sie verweisen demnach auf etwas, was sich nicht unbedingt explizieren lässt und das unterhalb der Textoberfläche als implizites Wissen mitläuft und in gewisser Weise vorausgesetzt wird. Kulturelle Codes wirken unbewusst, als „automatisch übernommene Muster und Strukturen, Diskurse und Ideologien, Stereotype und Vorurteile, Symbole und Mythen“ (Mecklenburg 2008, 176). Demnach sind sie als Zeichen zu verstehen, die (literarischen) Texten eingeschrieben sind und die durch Semantisierung der jeweiligen Bedeutungsträger entschlüsselt werden können. So können bestimmte Alltagscodes wie Kleidungsstil, Produktnamen oder Einrichtungsstile implizites Wissen oder kulturwissenschaftliches Wissen transportieren. Alltagscodes werden dadurch zu Zeichenträgern. Geht diese semantische Dimension von Alltagscodes in literarischen Werken verloren, werden bestimmte Implikationen unter Umständen nicht erkannt, wie beispielsweise die Ironisierung der Figuren durch bestimmte Attribute der Alltagskultur. Die Bewusstmachung kultureller Codes hat demnach zwei Implikationen: Zum einen geht es um die semantische Vertiefung der literarischen Texte, zum anderen jedoch auch um eine Annäherung an eine andere Kultur oder Kommunikationsgemeinschaft über die Klärung impliziten kulturwissenschaftlichen Wissens.
Kulturanthropologie
Die kulturanthropologisch ausgerichtete literaturwissenschaftliche Methode versteht literarische Texte in erster Linie als Beitrag zum Verstehen fremder wie eigener Kultur. Ihrer Auffassung nach transportieren literarische Texte kulturspezifisches Wissen über Lebensformen und Denk- und Wahrnehmungsweisen von Gesellschaften. Die Metapher „Kultur als Text“ (vgl. Bachmann-Medick 2004a und 2004b) fasst die grundlegende Auffassung der kulturanthropologischen Literaturwissenschaft zusammen, dass sich nämlich auch über literarische Texte anthropologische Konstanten und spezifische Kommunikationsweisen einer Gesellschaft oder einer Kultur beschreiben lassen. Der literarische Text fungiert dabei als „Träger kultureller Selbstdarstellung und -repräsentation von Gesellschaften“ (Becker 2007, 188); über die Analyse von Texten erfolgt also die Freilegung kultureller, sozialer, gesellschaftlicher und historischer Grundlagen einer Gesellschaft bzw. Kultur. Obwohl diese Methode den gesellschaftlichen Status von Literatur sowie deren Verwendungs- und Wirkungszusammenhang stärker gewichtet, versteht sie Literatur aber nicht einfach als „Behälter kultureller Identität“ (Bachmann-Medick 2003, 444). Berücksichtigt wird auch die spezifisch literarische Struktur von Texten, daher werden bei der Analyse literarischer Texte kontextuelle mit textbezogenen Methoden verbunden, wodurch versucht wird, „der besonderen Literarizität/Fiktionalität und ästhetischen Ausdrucksform literarischer Texte“ (ebd., 155) gerecht zu werden. Dazu gehört auch die Hintergehbarkeit von Homogenität, denn gerade Literatur ist ja ein Medium, in dem Verdrängtes, Brüche und Inkohärenzen einer Kultur, Gesellschaft oder eines Individuums artikuliert werden. Diese Arbeitsweise geht einerseits auf die literaturwissenschaftlichen Wurzeln des Fachs zurück, andererseits auf den Ethnologen Clifford Geertz und dessen Konzept der „dichten Beschreibung“ (vgl. Geertz 1983), das kulturelle Handlungen wie Texte beschreibt. Kultur kann Geertz zufolge nicht empirisch-deskriptiv beschrieben werden, sondern impliziert immer auch eine hermeneutische Auslegung bestimmter kultureller Phänomene innerhalb des jeweiligen Kontextes, weswegen die Interpretation kultureller Phänomene immer auch von Kontext und Interpret abhängig ist.
Kultur als schwer zu dechiffrierender Text
Kultur ist nach Geertz nicht als homogenes Ganzes zu verstehen, das als solches wissenschaftlich vermittelt werden kann, sondern ist eine komplexe Formation, ein schwer zu dechiffrierender Text. Die Arbeitsweise des Ethnologen, so Geertz in seinem Werk Dichte Beschreibung (1983) gleicht daher „dem Versuch, ein Manuskript zu lesen […], das fremdartig, verblaßt, unvollständig, voll von Widersprüchen, fragwürdigen Verbesserungen und tendenziösen Kommentaren ist“ (ebd., 15), worin sie der Arbeitsweise des Literaturwissenschaftlers gleiche. Im Kontext der interkulturellen Literaturwissenschaft hat die kulturanthropologische literaturwissenschaftliche Methode eine wichtige Position, da sie Texte nach institutionalisierten Selbst- und Fremdbildern befragt, aber gleichzeitig auch auf deren Infragestellung und ihren Konstruktionscharakter aufmerksam macht und von daher zu einem recht komplexen Bild kultureller Formationen beitragen kann.
Kulturthematische Literaturwissenschaft
Die kulturthematische Ausrichtung der Literaturwissenschaft hat sich in Anlehnung an die Komparatistik entwickelt, die Gemeinsamkeiten und Unterschiede von Literaturen verschiedener Kulturen untersucht, und zwar auch über literarische Themen, was als Thematologie bezeichnet wird. Dabei konzentriert sich die kulturthematische Literaturwissenschaft vor allem auf das interkulturelle Potenzial literarischer Texte, unter dem sie die „Anschließbarkeit der Lebenswelten“ (Hudson-Wiedenmann 2003, 448) versteht, die aufgrund von Themenbereichen, die allen Kulturen inhärent seien, gegeben ist. Im Kontext der interkulturellen Germanistik hat sich vor allem die Beschäftigung mit der sozialanthropologischen Dimension von Themen durchgesetzt, mit sog. Kulturthemen, die nach dieser Auffassung in allen Kulturen vorzufinden sind, denn bestimmte Themen seien zu bestimmten Zeiten „einer Kultur inhärent und prägten diese in ihren Ausdrucksformen“ (ebd., 452). Wichtige Anregungen erfuhr diese Methode durch die im angelsächsischen Raum praktizierten cultural studies, die überwiegend auf Themen wie Gender, Rasse, Identität und Körper fokussieren.
Kulturthemen
In Deutschland ist es besonders die Bayreuther Interkulturelle Germanistik, die sich mit der interdisziplinären Erforschung sog. Kulturthemen wie Fremdheit, Essen, Toleranz, Höflichkeit und andere beschäftigt. Die thematisch ausgerichtete interkulturelle Literaturwissenschaft versteht sich als Teil der Kulturwissenschaft und zentriert ihr Aufgabengebiet auf die kulturell-gesellschaftliche Funktion und die kontextuelle Verortung literarischer Texte, die zu einer kulturkontrastiven Perspektive auffordert und „jene Vergleichsdimensionen freilegt, die das Erfassen kulturmodifikabler Wirklichkeitskonzepte im Vermittlungsprozess ermöglicht“ (ebd., 453). Im Wesentlichen geht es um die komplexe Erschließung von Kulturen über Kulturthemen, wobei besonders drei Themenbereiche berücksichtigt werden. Den ersten Themenbereich stellen die Universalthemen dar, worunter Themen zu verstehen sind, die „universale anthropologische Konstanzen“ (ebd., 454) betreffen. Dazu gehören Themen wie Leiblichkeit, wobei der Leib/Körper als komplexes Gebilde verstanden wird, das sich nicht auf körperliches Sein beschränken lässt, sondern Dimensionen wie Wahrnehmung, Empfindung, kulturelle Verortung usw. miteinbezieht, außerdem die Erfahrung der Lebensabschnitte und Lebensalter wie Kindheit, Adoleszenz und Alter. Der zweite Themenbereich umfasst Themen der Alltagserfahrung, wozu Essen, Arbeit oder Gesundheit gehören. Das dritte Themenfeld schließlich betrifft Themen, die mit Fremdheitserfahrung und interkultureller Kommunikation zu tun haben. Hierzu zählen Themen wie Fremdheit, Höflichkeit, Grenze und Toleranz. Dieser Ansatz geht von der Anschließbarkeit der Kulturen aufgrund bestimmter Themen aus, wodurch auf Analogien und Differenzen zwischen den Kulturen hingewiesen werden kann, auf kulturspezifische Denkweisen und Vorstellungen sowie auf die kulturell geprägte Wahrnehmung.
Die Methode des Kulturvergleichs ist von Universalismusgegnern immer wieder kritisch hinterfragt worden, jedoch ist die Existenz zumindest einiger Universalthemen schwerlich zu bestreiten. Die Methode der Kulturthemen eignet sich einerseits zur vergleichenden Beschreibung kultureller Phänomene, andererseits können Kulturthemen als Movens für einen interkulturellen Dialog verstanden werden, da sie Anknüpfungsmöglichkeiten bieten. Allerdings ist diese Methode nur unter bestimmten Voraussetzungen durchführbar: Einerseits sollte sich die Beschreibung der anderen Kultur nicht nur auf Gewohntes und Alltägliches beschränken, sondern auch Brüche in der Lebenswelt thematisieren, die durch den Einbruch des Fremden entstehen, wodurch die Heterogenität von Kulturen sichtbar gemacht werden kann. Um vorgefasste Meinungen und damit Stereotypisierung zu vermeiden, sollte die Beschreibung von Kulturthemen andererseits vom Text ausgehen, denn nur die jeweilige Verarbeitung durch den literarischen Text kann ein authentisches Bild als individuelle Sicht liefern, das als Anknüpfungsmöglichkeit für einen Kulturvergleich dienen kann.
Kultursoziologischer Ansatz
Die kultursoziologische Methode innerhalb der Literaturwissenschaft ist mit dem Namen Pierre Bourdieu verbunden, der Literatur in ihrem produktions- und rezeptionsästhetischen Kontext untersucht. Hierbei geht es also um die Rekonstruktion jener Bedingungen, unter denen Autoren schreiben und unter denen Literatur rezipiert wird. Dazu gehören das Milieu des Autors, die Institutionen des Buchmarktes, wozu Verlage, Literaturkritik und Literaturwissenschaft zählen, und die Rezeptionsgegebenheiten, die sich aus dem Publikum und den jeweiligen Bildungsstandards ergeben. Es geht demnach um die „Beschreibung des literarischen Feldes innerhalb der politischen und sozialen Machtstrukturen einer Gesellschaft“ (Becker 2007, 196). Bourdieu versteht Kultur einerseits als ein Komplex von Normen und Regeln, die das Verhalten von Menschen steuern, andererseits als Raum von „klassen- bzw. milieuspezifischen Lebensstilen“ (ebd.). Literatur beschreibt und vermittelt bestimmte Lebensstile, die beim Lesen rekonstruiert werden können.
Mentalitätsgeschichtlicher Ansatz
Der mentalitätsgeschichtliche Ansatz versucht über Literatur die Mentalität einer Gesellschaft zu rekonstruieren. Der Begriff Mentalität betrifft dabei diejenigen Deutungsmuster, Vorstellungen, Empfindungen und Verstehensmodelle, die die Wahrnehmung des Menschen vorstrukturieren und die Rezeption und Interpretation von Wirklichkeit steuern. Es geht um ein Repertoire verinnerlichter Vorstellungen und Deutungsmuster, die, vereinfacht ausgedrückt, die Identität einer Gesellschaft formen oder ausmachen. Hierzu gehören Vorstellungen über Themen wie Kindheit, Tod, Krankheit, Individuum, Familie, Geschlecht, Körper, Seele, Raum, Zeit, Geschichte und anderes, an denen Grundüberzeugungen, affektive und kognitive Reaktionen und Wertvorstellungen einer Gesellschaft oder Epoche ablesbar sind. Natürlich sind diese Inhalte nicht unmittelbar zugänglich, sie müssen über die Beschäftigung mit unterschiedlichen Quellen, auch der Literatur, erschlossen werden. Dabei kommt der Literatur eine gesonderte Stellung zu, denn sie dient nicht als direkter Beleg für mentale Strukturen einer Gesellschaft, da sie Wirklichkeit immer perspektivisch und reflektiert darstellt.
Diskursanalyse
Die Diskursanalyse, die insbesondere mit dem Namen Michel Foucault verbunden ist, untersucht die Regeln und Prozeduren, die in einem Ordnungssystem oder Diskurs wirksam sind. Für das kulturwissenschaftliche Paradigma ist sie insofern interessant, als sie über die Analyse gesellschaftlicher Regelsysteme wie Kontroll-, Ausschluss- oder Selektionsverfahren, die Texten eingeschrieben sind, Aussagen über das Selbstverständnis von Gesellschaften machen kann. Dadurch kann das Regelsystem einer Gesellschaft freigelegt werden, das darüber entscheidet, was zu einer bestimmten Zeit wahr oder falsch, normal oder unnormal, sagbar oder tabuisiert ist. Diskursanalyse ist demnach immer auch die Analyse der Machtstrukturen innerhalb einer Gesellschaft. Dabei geht die Diskursanalyse davon aus, dass literarische Texte einerseits ein „interdiskursiv geprägtes Medium“ (Becker 2007, 158) sind, d.h. von anderen Diskursen geprägt sind, deren Spuren sich in den Texten nachzeichnen lassen. Insofern sind sie Teil eines archivierten gesellschaftlichen Wissens. Zum anderen fragt die Diskursanalyse auch nach dem Verhältnis von Literatur zu anderen gesellschaftlichen Diskursen, wobei Literatur affirmativ oder subversiv sein kann. Dann wird sie nach Foucault als Gegendiskurs verstanden. Indem sie subjektive Erlebnisse auf eine spezifische Art wiedergibt, kann sie sich erstens den Zwängen des herrschenden Diskurses entziehen und zweitens diesen unterlaufen.
new historicism
Der new historicism ist eine kultur- und literaturwissenschaftliche Methode, die sich in der amerikanischen Literaturwissenschaft entwickelt hat und von Stephen Greenblatt iniziiert wurde. Er geht von der soziokulturellen und historischen Verortung literarischer Texte aus und versucht deren jeweiligen Entstehungskontext zu rekonstruieren, indem er die Verschränkung der unterschiedlichen gesellschaftlichen, literarischen, wissenschaftlichen, ökonomischen und anderen Diskurse der Entstehungszeit berücksichtigt. Ausschlaggebend ist dabei die Auffassung von der Geschichtlichkeit von Texten und von der Textualität von Geschichte. Texte, so die Überzeugung des new historicism, sind immer in bestimmte historische Kontexte eingebettet, aus denen heraus sie verständlich werden. Andererseits ist auch Geschichte als textuelle zu verstehen: Geschichte existiert nicht als unmittelbar zugängliche Metaerzählung, sondern konstituiert sich über literarische und nicht-literarische Texte, die ihrerseits bestimmte narrative Strukturen haben, selektiv vorgehen und daher als „Konstruktionen kulturellen Wissens“ (Neumeyer 2004, 181) gelesen werden müssen. Über die Analyse von Texten wird eine bestimmte Zeit oder Kultur zugänglich, wobei eben die Struktur der Texte Rückschlüsse auf Machtstrukturen, Selektionsprinzipien und Ähnliches zulässt. Literarische Texte werden dabei nicht mehr als autonome Einheiten verstanden, sondern gemäß der Intertextualitätstheorie als Schnittstelle unterschiedlicher Diskurse.
Literaturtheoretische bzw. textzentrierte Methoden
Rezeptionsästhetik
Die Rezeptionsästhetik beschäftigt sich mit dem Vorgang des Lesens, den sie als kommunikativen Akt zwischen Leser und Text versteht. Sie geht davon aus, dass literarische Texte ein hohes Maß an Unbestimmtheiten enthalten, wodurch sie einen Deutungsspielraum eröffnen, in dem der Leser das Fremde des Textes mit dem Eigenen in Verbindung bringt. Im Kontext der interkulturellen Literaturwissenschaft ist der rezeptionsästhetische Ansatz aufgrund der Problematisierung des Erwartungshorizontes populär. Beim Lesen wird dieser durch die Interessenstruktur des Lesenden aktiviert, durch seine Erwartungen, Erfahrungen, Bedürfnisse und Motivationen, und, im Falle einer „interkulturellen“ Lektüre, natürlich auch durch einen anderen kulturellen Hintergrund. Die Frage, die sich Literaturwissenschaftler in diesem Zusammenhang gestellt haben, lautet: Unterscheidet sich aufgrund des anderen kulturellen Hintergrundes die Rezeption? Diese Frage ist nicht unproblematisch, denn erstens lässt sie sich nur mit Hilfe von empirischen Untersuchungen beantworten und zweitens ist die Rezeption ein viel komplexerer Prozess, der sich nicht nur durch kulturelle Faktoren bestimmen lässt, sondern die gesamte Sozialisation des Lesenden umfasst. Die Rezeptionsästhetik ist im Bereich des Fremdverstehens aber in anderer Hinsicht wichtig: Sie trägt zur Bewusstmachung des Erwartungshorizontes bei, und zwar indem die eigenen Reaktionen auf das Fremde, die durch bereits existierende Denkmuster, Vorurteile oder Stereotypen gelenkt werden, durch Selbstbeobachtung bewusst gemacht werden können. Die Artikulierung des Erwartungshorizontes bleibt ein unabschließbarer Prozess, da sich die eigene Subjektivität nicht objektivieren lässt und die Wahrnehmung des Eigenen durch blinde Flecken gekennzeichnet ist. Dadurch bleiben Teile des Eigenen unerkannt. Allerdings stellt sie einen Versuch dar, „die impliziten Eigenheiten des Verstehens zu explizieren und sie damit sowohl intersubjektiv kommunizierbar als auch der Kritik und Korrektur zugänglich zu machen“ (Schutte 2005, 202).
Hermeneutik
In philosophischer Hinsicht bedeutet Hermeneutik in erster Linie Auslegung oder Interpretation bestimmter Phänomene und das Reflektieren des Verstehensprozesses. Die interkulturelle Hermeneutik beschäftigt sich daher mit der Reflexion von Verstehen aus interkultureller Perspektive und versucht Verfahren für eine interkulturelle Kommunikation zu entwickeln. Sie beschäftigt sich also allgemein mit der Auslegung/Interpretation interkultureller Phänomene, wobei sie sich besonders auf kulturelle Alterität bezieht. Hierbei versucht sie den Verstehensbegriff, der letztlich auf das Einrücken des Fremden in eine gemeinsame Tradition abzielt, zu korrigieren. Schlüsselbegriffe der interkulturellen Hermeneutik sind Hermeneutik der Distanz, der Differenz, des fremden Blicks, die darauf abzielen, das Fremde bestehen zu lassen und durch das Verstehen des Fremden zu einem besseren Selbstverständnis zu gelangen.
In der Regel gehen hermeneutische Ansätze davon aus, dass jede Kommunikation, jeder Verstehensprozess von Fremdheit gekennzeichnet ist, da zwischen den Subjekten der Kommunikation eine subjektive Alterität besteht. Interkulturelle Hermeneutik beschäftigt sich darüber hinaus mit der Frage, welche spezifischen Verstehensprobleme sich bei kultureller Fremdheit ergeben und welchen Einfluss der jeweilige kulturelle Kontext auf den Verstehensprozess hat. Im Umfeld der interkulturellen Germanistik wurden als Verstehenskonzepte oder -methoden „Brückenkonzepte“ entworfen, mit deren Hilfe die hermeneutische Distanz zwischen den Kommunikationsteilnehmern überbrückt werden soll. Dazu gehören unter anderem Universalien in Form von Kulturthemen, Empathie, Verstehen und Dialog.
Die interkulturelle literarische Hermeneutik beschäftigt sich als literaturwissenschaftliche Methode mit der Auslegung literarischer Texte eines anderen, fremdkulturellen Kontextes. Dabei reflektiert sie die Voraussetzungen des Verstehens, den eigenen Standpunkt oder Blickwinkel, und entwickelt Methoden zur Interpretation literarischer Texte, wobei sie die spezifische Situation des fremdkulturellen Lesens berücksichtigt (zur interkulturellen literarischen Hermeneutik siehe ausführlicher Kapitel IV).
Formalismus-Strukturalismus
Die formalistisch-strukturalistische Literaturtheorie, womit insbesondere der russische Formalismus und der Prager Strukturalismus bezeichnet werden, bestimmt Alterität als Abweichung von einem normierten Sprachgebrauch. Durch diese poetische Funktion der Sprache kommt es zu einer Verfremdung des Dargestellten und darüber zur Desautomatisierung der Wahrnehmung. Fremdheit ist demnach eine poetische Kategorie, die den Text seiner rein abbildenden oder referenziellen Funktion enthebt. Literatur wird aufgrund der Literarizität als autonomes ästhetisches Gebilde definiert, das die „Wirklichkeit“ verfremdet. In diesem Zusammenhang untersucht interkulturelle Literaturwissenschaft das Abweichende, Fremde im literarischen Text und sensibilisiert für die Wahrnehmung von Fremdheit und Heterogenität. Gerade der literarische Text kann durch die Technik der Verfremdung Heterogenität inszenieren. Durch die Verflechtung oder Vermischung (Hybridisierung) unterschiedlicher Diskurse, Perspektiven, Stimmen oder literarischer Verfahren, verweist Literatur auf die Heterogenität, die Brüchigkeit von ganzheitlichen, homogenen Strukturen und Konstrukten wie Identitäten oder Ideologien. Darüber hinaus problematisiert die formalistisch-strukturalistische Literaturtheorie die Automatisierung der Wahrnehmung, ein Punkt, der besonders bei der Wahrnehmung des Fremden eine wichtige Rolle spielt, denn gerade hier kommt es durch eine automatisierte Wahrnehmung zur Aktivierung oder Bestätigung bereits vorhandener Vorurteile. Kunst und Literatur haben hier die Funktion, die Wahrnehmung zu stören und dadurch die Aufmerksamkeit zu schulen, wodurch es zu einer bewussteren Rezeption des Fremden kommen kann.
Poststrukturalismus
Poststrukturalistische Verfahren oder Methoden sind im Bezug auf den Interkulturalitätsdiskurs in verschiedener Hinsicht interessant.
– Sie stellen die traditionelle hermeneutische Prämisse der grundsätzlichen Verstehbarkeit in Frage.
– Sie thematisieren die postmoderne Pluralität.
– Sie radikalisieren das Konzept der Alterität, da sie die Dichotomie von Alterität und Identität betonen. Dabei gehen sie von der Annahme aus, dass Identitäten durch Abgrenzung und Ausgrenzung hergestellt werden, dabei aber das ‚Außen‘, der ‚Andere‘ oder ‚Fremdes‘ gleichzeitig eine Bedingung der Möglichkeit von Identität ist, da Fremdes immer zugleich Teil des Eigenen ist.
Verstehen/Auslegbarkeit
Eines der Grundprobleme der interkulturellen Hermeneutik ist sicherlich, dass sie sich die Frage nach der grundsätzlichen Auslegbarkeit des Fremden nicht zu stellen scheint. Sie geht nach wie vor von einem eher traditionellen Verstehenskonzept aus, dem die Rekonstruierbarkeit einer im Text scheinbar angelegten Einheit zugrunde liegt, oder anders ausgedrückt: Ziel jeglichen Verstehens ist die Einordnung der Teile in ein Textganzes. Dieses auf Hans-Georg Gadamer zurückgehende Verstehenskonzept setzt die Annahme voraus, literarischen Texten sei eine definitive Bedeutung eingeschrieben, die der Interpret zu entschlüsseln habe. Dagegen stellen poststrukturalistische Ansätze ein Denken in Differenzen, das die Einheit von Text und Sprache im Sinne der Einheit von Bezeichnetem und Bezeichnendem in Frage stellt, womit auch die Möglichkeiten objektiven Erkennens und objektiver Wahrheit obsolet werden. An die Stelle von binären Oppositionen als Welterklärungsmodell (z.B. Ich/der Andere; Mann/Frau; gut/böse; Einheimischer/Fremder; usw.), das Sicherheit und Bestimmtheit impliziert, tritt eine radikale Unbestimmtheit, die stabile Strukturen aufbricht. Die traditionellen Sinnsysteme werden hinterfragt und mit Vorstellungen von dynamischer, vielfältiger und zum Teil widersprüchlicher Sinnstiftung ersetzt. Der Poststrukturalismus ist damit eine Reaktion auf die zunehmende Pluralität oder Heterogenität der Wirklichkeit und, damit verbunden, von Begriffen wie Subjektivität und Vernunft. Das Subjekt ist nicht als homogene und durchschaubare, also verstehbare und auslegbare Einheit zu verstehen, sondern ist immer schon von Spuren eines Fremden gekennzeichnet, das sich einem Zugriff entzieht. Vernunft, ein zentraler Begriff der europäischen Aufklärung, verliert ihre Autorität, da sie nicht mehr als sinnstiftende Kategorie fungiert. Damit werden Zentrismen wie Egozentrismus, Ethnozentrismus oder Logozentrismus obsolet, da sie nicht der Tatsache Rechnung tragen, dass Eigenes (das Ich, die Nation/Ethnie, die Vernunft) immer auch Züge des Fremden tragen.
Dekonstruktivistisches Lesen
Die poststrukturalistischen Ansätze – hier sei besonders auf Psychoanalyse, Diskursanalyse, Gender Studies und Postkolonialismus verwiesen – dekonstruieren Konstruktionen von Homogenität, Macht und Logozentrismus, um damit das Funktionieren gesellschaftlicher, kultureller, politischer, sozialer oder geschlechtlicher Diskurse offenzulegen. Als Methode dient hierzu die Dekonstruktion, die Machtkonstellationen und -konstruktionen aufdeckt. Als analytische Methode ist sie als Lektüretechnik zu verstehen, die die Widersprüche, Heterogenitäten und Ungereimtheiten in Texten aufzudecken versucht, sie sensibilisiert für jene Stellen im Text, an denen Zuschreibungen oder Konstruktionen sichtbar werden. Die Dekonstruktion geht weiterhin davon aus, dass Sprache und Texte Risse oder Brüche aufweisen, die die Annahme eines einheitlichen Sinns, der den Texten inhärent sein soll, unterläuft. Anders ausgedrückt: Dekonstruktivistisches Lesen sensibilisiert für jene Stellen im Text, die sich einer eindeutigen Sinnzuschreibung entziehen, da sie in irgendeiner Form abweichen oder die angenommenen Sinnkonstruktionen verschieben, Eindeutigkeit aufbrechen. Die dekonstruktivistische Methode eignet sich also im besonderen Maße dafür, über die Bewusstmachung von ästhetischen Verfahren ein Reflektieren über unterschiedliche Diskurse zu iniziieren. Darüber hinaus schärft sie den Blick für Auffallendes, Abweichendes und verweist auf die Unabschließbarkeit und Relativität von Sinnkonstruktionen. Das liegt nicht zuletzt im literarischen Text selbst begründet, der Uneindeutigkeit und Bedeutungsoffenheit impliziert und damit die Subversion des Verstehens provoziert.