Читать книгу Einführung in die interkulturelle Literaturwissenschaft - Andrea Leskovec - Страница 6

Vorwort

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Die Begriffe Interkulturalität, Fremdheit und Andersheit haben in den letzten Jahren durch einen inflationären Gebrauch an Schärfe verloren, ihre Bedeutung ist in Öffentlichkeit wie Wissenschaft nach wie vor weitgehend unklar. Als interkulturell wird mittlerweile alles bezeichnet, was in irgendeiner Art und Weise mit Kulturen und deren Verquickungen, mit Kulturtransfer und Globalisierung, mit Transnationalität und Transkulturalität, mit kultureller Diversität und Multikulturalismus zu tun hat – um nur einige Schlagworte der Diskussion um Interkulturalität zu nennen. Ein ähnliches Schicksal erfährt der Begriff Fremdheit, der als zentraler Begriff des Interkulturalitätsdiskurses unscharfen Definitionen und Abnutzungen unterliegt. Als fremd wird oftmals völlig unreflektiert und pauschalisierend all dasjenige definiert, was sich außerhalb des eigenen Kulturkreises befindet. Fremdheit wird also in erster Linie kulturell gedacht, als etwas, was aus den Rahmen der eigenen Kultur herausfällt, wobei allerdings oftmals völlig unklar ist, was mit dem Begriff Kultur eigentlich bezeichnet wird. Geht man also von einem Paradigma aus, das Fremdheit und damit verbunden Interkulturalität als Begriffe versteht, die das „Andere“ als Anderes der fremden Kultur bezeichnen, fallen andere Fremdheitsaspekte schnell durch dieses enge kulturwissenschaftliche Raster. Interkulturell ist dann auf die Auseinandersetzung mit der Alterität der anderen Kultur beschränkt und wird damit zu einer Beschreibungskategorie, mit deren Hilfe Unterschiede und Gemeinsamkeiten im weitesten Sinne erfasst werden können, was, im Hinblick auf die gesellschaftliche Brisanz der Thematik, fraglich erscheint. Kann man andere Kulturen wirklich verstehen, wenn Fremdheit aufgelöst, abgebaut, beseitigt wird? Geht es dabei nicht vielmehr um ein Verstehen der Oberfläche von Kulturen, um einen reinen Funktionalismus, der darauf hinausläuft, dass Kulturen linealisiert werden, dass Brüche und Risse in der Oberfläche weder wahrgenommen noch thematisiert werden? Eine in dieser Weise verstandene Interkulturalität verstärkt den Trend zur Normalisierung, zur Glättung und Harmonisierung von Gegensätzen, zu einer Politik des Konsenses, die hier nicht in Absprache gestellt werden soll, deren beruhigende Tendenzen jedoch mit einem Fragezeichen versehen werden. Konzentrieren sich Interkulturalität und Fremdheitsforschung lediglich auf Oberflächenerscheinungen, entwerfen wir das Bild einer kulturellen Beruhigung und nehmen unbezähmbare Phänomene, die die Oberfläche aufreißen, nicht wahr. Hinter der Fassade des Konsenses verbirgt sich die Opakheit von Phänomenen, die sich einer Schließung und Beruhigung, einem logischen Zugriff entziehen und dennoch existieren. Gerade der Umgang mit solchen Phänomenen stellt eine Herausforderung dar und bildet eine grundlegende Kompetenz im Umgang mit Fremdheit.

Vor diesem Hintergrund muss sich auch die interkulturelle Literaturwissenschaft legitimieren. Einerseits sollte sie als gesellschaftswirksame Literaturwissenschaft Kompetenzen im Umgang mit Fremdheit fördern, andererseits darf sie dabei ihren genuinen Gegenstand, den literarischen Text, nicht aus den Augen verlieren, sondern ihn literaturtheoretisch zu erfassen suchen. Oftmals werden gerade im fremdsprachlichen Literaturunterricht Texte landeskundlich instrumentalisiert, da sie ausschließlich auf die Kulturzugehörigkeit von Leser/in und Text oder auf die Thematisierung kultureller Fremdheit hin untersucht werden. Sie werden referenziell funktionalisiert, d.h. es geht hauptsächlich um die Frage, inwiefern sie zum Verstehen einer anderen Kultur beitragen, wobei das Spezifische der Literatur, ihre Literarizität, nur ansatzweise wahrgenommen wird. Der vorliegende Band versucht daher, interkulturelle Literaturwissenschaft als Teil einer kulturwissenschaftlichen Literaturwissenschaft zu verorten, die sowohl literaturtheoretisch als auch kompetenzorientiert ist. Im Zentrum steht dabei der literarische Text mit seinen vielfachen Alteritäten, wobei sprachliche Verfahren genauso in den Blick gerückt werden wie andere Fremdheitsaspekte des literarischen Diskurses, also produktions- und rezeptionsästhetische Fremdheit, kontextuelle Fremdheit und thematische Aspekte, worüber eine tiefergehende Auseinandersetzung mit Phänomenen wie Interkulturalität und Fremdheit erfolgen kann.

Das Buch versteht sich als Einführung in den komplexen Bereich der interkulturellen Literaturwissenschaft, wobei besonders auf ihre Entwicklungen, Inhalte, Ziele und Methoden im deutschsprachigen Raum eingegangen wird und auf die Frage nach ihrer gesellschaftlichen Funktion als Instrument der Kompetenzentwicklung. Darüber hinaus werden die Grundbegriffe der interkulturellen Literaturwissenschaft ausführlich besprochen und durch alternative Konzepte ergänzt. Hierzu gehören in erster Linie ein an Bernhard Waldenfels geschulter phänomenologischer Fremdheitsbegriff, der die unterschiedlichen Dimensionen des Fremden beschreibt, und ein handlungstheoretischer Interkulturalitätsbegriff, der Interkulturalität nicht nur als deskriptive Methode versteht, sondern darüber hinaus als Kommunikationssituation.

Besondere Aufmerksamkeit erfährt die interkulturelle Hermeneutik als theoretisches Konzept des Fremdverstehens, wobei besonders auf die Problematik des Verstehens und die Frage nach alternativen Schließungsprozessen eingegangen wird. Abschließend werden anhand von konkreten Textbeispielen aus der deutschsprachigen Literatur Aspekte einer interkulturellen Textanalyse vorgestellt.

Einführung in die interkulturelle Literaturwissenschaft

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