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Mama

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Wer sind Sie?

Erkennst du mich nicht, Emily?

Warum tragen Sie einen Schleier? Haben Sie mich hier eingesperrt?

Ich bin zu dir gekommen, um zu sehen, was aus dir geworden ist, Emily.

Mama?

Siehst du, du erkennst mich doch.

Warum trägst du den Schleier?

Ich bin an Brustkrebs erkrankt, Emily. Die Chemo hat mir stark zugesetzt. Du würdest dich fürchten, so ohne Haare und ganz mitgenommen.

Warum bin ich gefesselt?

Damit du nicht wegläufst. Warum fesselt man sonst?

Aber ich lauf doch nicht weg.

Ich habe dir alles hingestellt, was du brauchst. CampingKlo, Matratze, Decke, Kissen, was zu trinken. Cola mochtest du immer so gerne. Und hier, ich hab dir Frühstück mitgebracht, Chicken Nuggets und zwei Cheeseburger. Und ... einen Cappuccino.

Ich hab keinen Hunger. Oder ... gib mir mal den Cappuccino rüber. Latte wär’ mir lieber.

Ich habe dich immer so vermisst, Emily.

Und warum bist du dann nicht zu uns gekommen?

Lasse wollte es nicht.

Papa wollte es nicht? Du lügst, Papa hat sich nichts sehnlicher gewünscht. Immerhin war ich erst sechs, und er musste arbeiten. Da hätte er dich gut brauchen können. DU LÜGST!!!

Du gingst dann schon zur Schule, und er wusste, wie sehr ich unter dem Tod von Jella gelitten habe.

Ich konnte nichts dafür, Mama. Jella rannte einfach los.

Ja, so hast du das damals behauptet. Aber die Spaziergänger am Strand haben es anderes berichtet.

WAS denn?

Jella ist an der Wasserkante entlang gelaufen, und du hinterher.

Ja, das stimmt.

Dann plötzlich war da dieser Priel, und Jella lief einfach hinein.

Ja, und ich hinterher. Ich wollte sie rausziehen.

NEIN, du hast sie hineingeschupst. Reingedrückt ins Wasser.

NEIN. Mama, was behauptest du da?

Nicht ich, Emily, sondern die Leute um euch herum.

Und warum bin ich nie verurteilt worden? Oder in so ein Heim gekommen?

Weil du nicht strafmündig warst, mit sechs Jahren.

Und die Leute? Warum haben sie Jella nicht geholfen?

Du musst dich nur erinnern. Versucht haben sie es, aber Jella wurde mit der Strömung hinweggesogen. In Sekunden. Weggerissen, ins offene Meer.

Und wo warst DU?

Ich war gerade unterwegs, für euch Pommes holen. Erinnerst du dich nicht? Ihr habt gequengelt. „Mama, bitte, hol uns Pommes“, und Papa hat alles versucht, Jella zu retten, aber vergebens.

ICH WAR NICHT SCHULD!

DOCH!

Du warst nicht einmal mehr da, als Jella gefunden und beerdigt wurde.

Nein, da war ich schon weg. Aber Papa hat mir geschrieben, damals. Die sofort eingeleitete Rettungs- und Suchaktion blieb doch erfolglos. Ich habe gedacht, sie sei tot. Sie konnte nur tot sein. Bei den Temperaturen in der Nordsee.

Erst drei Wochen später wurde Jellas Leiche dann endlich von einem Hubschrauber entdeckt. Mehrere Kilometer weiter westlich von dem eigentlichen Unglücksort in St. Peter-Ording. Dann wurde sie endlich geborgen und beerdigt. Was von ihr übrig war.

Papa hat DIR geschrieben?

Ja, mein Herz. Auch schon vor der Beerdigung.

Nun liegt Papa neben Jella. Seit drei Wochen.

Ja, mein geliebter Lasse. Erzähl mir von ihm. Von seinem Unfall. Von eurem Leben. Das hilft. Dann kannst du alles besser verarbeiten.

Papa war wie immer mit seinem Fahrrad unterwegs. Hat seine Post verteilt. Dann hat ihn ein Laster übersehen und überfahren. Er war sofort tot. Ich durfte ihn auch gar nicht mehr sehen, so zugerichtet war er. Und die Post ganz über die Unfallstelle verteilt und voll Blut. Da haben sich viele beschwert.

Emily, wir werden hier einige Tage zusammen verbringen, um alles zu verarbeiten. In neun Tagen wirst du 20. Das feiern wir, und dann bist du endlich frei. Auch tief drinnen in deinem Herzen.

Es ist auch Jellas Todestag.

Eben. Und bis dahin wirst du schön nachdenken, was damals genau geschah.

Mama, lass bitte das Licht an, ich fürchte mich sonst.

Nein, Emily. Zum Nachdenken braucht’s Ruhe und Dunkelheit. Keine Ablenkung. Du hast eine kleine Steckdosen-Leuchte. Die reicht für das Nötigste. Waschen, Zähne putzen, Klo und Nahrung.

Waschen? Wie denn? WO denn?

Ach, richtig. Hier, Handtücher, Waschlappen, Zahnpasta und Zahnbürste, Gurgelwasser und ein paar Slips zum Wechseln. Dann noch eine Haarbürste. Bei deinen langen Haaren brauchst du eigentlich einen Föhn. Eine Steckdose gibt es bei dir leider nicht. Also entfällt Haare waschen. Sonst erkältest du dich noch hier unten. Und wenn deine Haare fettig werden, mach dir nichts draus. Sieht hier unten sowieso keiner.

Du hast nichts gegessen?

Nein, ich habe keinen Hunger.

Bis später, Emily. Und nutze die Zeit.

Du weisst, warum...

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