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6. Kapitel

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Drei Tage nach Käthes Tod gab es eine Trauerandacht. Die Leiche war noch nicht freigegeben, und Käthe hatte sich ein Urnenbegräbnis im Jünkerather Friedwald gewünscht. So feierten die Hinterbliebenen zunächst eine Totenmesse. Frederike entschloss sich, daran teilzunehmen. Sie wollte einen Blick auf die Trauernden werfen. Vor der Kirche stand Klara mit einigen Bewohnern des St. Ägidius. Sie löste sich von der Gruppe, als sie Frederike sah, und kam zu ihr herüber.

»Was für ein Tag! Sie fehlt mir so sehr«, sagte sie traurig. »Inzwischen wird schon ihr Appartement geräumt. Es bleibt so wenig von uns zurück, wenn wir sterben.«

Frederike drückte liebevoll ihren Arm. »Dir bleiben die Erinnerungen. Keiner geht so ganz, solange es Menschen gibt, die sich erinnern.«

Klara lächelte unter Tränen. »Ein schöner Gedanke. Ich hoffe, dass man sich auch an mich erinnert.«

Frederike nickte. »Lass uns reingehen und ein paar Spuren im Leben hinterlassen.«

Während der Trauerfeier saß Frederike in der vorletzten Bank und musterte die Besucher. Allzu viele waren es nicht. Die meisten waren aus dem Altenstift, Bewohner, Zimmernachbarn und Betreuer. Sie entdeckte auch ihren Zahnarzt. Plötzlich blieb ihr Blick an einem jungen Mann hängen, der ihr irgendwie bekannt vorkam. Klara, die neben ihr saß, folgte ihrem Blick und flüsterte ihr zu: »Das ist Käthes Neffe.«

»Den habe ich schon mal gesehen. Ich weiß nur gerade nicht, wo ich ihn hintun soll. Wie heißt er?,« flüsterte Frederike zurück.

Doch da begann gerade die Wandlung, und alle knieten sich hin. »Später!«, hauchte Klara.

Nach der Messe gingen beide zurück zum Altersheim. »Erzähl mir von dem Neffen«, forderte Frederike. Sie hatte gehofft, sie könne nach der Feier noch einen Blick auf den jungen Mann werfen, doch der war in der Menge verschwunden.

»Ich kenne ihn nicht persönlich, habe ihn nur mal von Weitem gesehen. Käthe nannte ihn Jogi, mehr weiß ich auch nicht.«

»Standen sie sich nahe?«

»Ach, ich glaube, das ist zu viel gesagt. Sie freute sich, wenn er sie besuchen kam. Du weißt ja, wie das hier läuft. Selbst wenn das Verhältnis zur ›buckelijen Verwandtschaft‹ nicht besonders herzlich ist, freut man sich über Besuche, da man weiß, dass die anderen Bewohner diese neidvoll zur Kenntnis nehmen. ›Du hast ja noch Verwandtschaft‹, ist bei uns die Statusaussage schlechthin. Hier ist ja sonst auch nicht allzu viel los. Ich hatte aber den Eindruck, dass sie ihn ein bisschen gönnerhaft behandelte.« Klara dachte nach. »Sie hat erzählt, dass er in Trier arbeitet. Warum fragst du?«

Frederike schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht … Er erinnert mich an jemanden, aber ich komm nicht drauf, an wen. Vielleicht ist er mir auch nur aufgefallen, weil er den Altersdurchschnitt der Trauergäste deutlich gesenkt hat.«

»Käthe bezeichnete sich mal als seine Erbtante. Ich glaube, sie vermutete hinter den Besuchen durchaus niedere Beweggründe. Das war für sie aber kein Grund, sich nicht auf ihn zu freuen.«

Frederike horchte auf. »War Käthe so gut betucht?«

Klara zuckte mit den Schultern. »Das Appartement von ihr ist das teuerste hier im Haus, und sie hat nie über Geldsorgen geklagt – im Gegensatz zu vielen anderen hier. Aber sie ist natürlich auch verwandt mit Andrea Bader, unserer Heimleiterin. Vielleicht bekam sie Sonderkonditionen.«

»Woher stammt Käthe?«

»Sie ist wohl ursprünglich aus der Eifel, hat aber lange in Meerbusch gewohnt. Ich habe immer gedacht, dass es ihr in der Stadt zu teuer wäre«, vermutete Klara. »Aber ich kann es dir nicht sagen. Für Käthe war Geld ein Tabuthema.«

»Ich schaue mal, was ich herausbekommen kann.«

Als Frederike Klara von der Seite ansah, fiel ihr der kleine Knopf in Klaras Ohr auf. »Ach, du hast ja deine Hörgeräte wieder. Sind das die besagten?« Ihr Mundwinkel zuckte leicht.

Klara blickte sie indigniert an. »Natürlich nicht! Die habe ich gestern zu meinem Hörgeräteakustiker gebracht.«

»Na, der war bestimmt begeistert. Was hat er gesagt?«

Klara kicherte. »Ich habe ihm die Geschichte erzählt. Da hat er ohne viel Federlesens das Döschen an sich genommen und gesagt, dass er die Dinger zum Hersteller schickt. Da könne er sowieso nichts machen.« Sie seufzte. »Aber ich habe nicht viel Hoffnung. Die sahen wirklich übel aus. Und dabei waren sie verdammt teuer!«

»Ich staune ja, dass du sie überhaupt wiedergefunden hast.«

Klara winkte ab. »Ich hatte Glück im Unglück. Das Gäste-WC im Foyer hat noch einen Flachspüler. Ich hatte schon Sorgen, dass ich tagelang auf eine Zeitung kacken müsste.«

»Ohhh, wie eklig. Sei still, ich will gar nichts mehr davon hören.« Frederike schüttelte sich.

Sie beschlossen, zum Abschluss ihres Besuches noch ein Runde durch den Garten zu drehen. Die Stockmalven blühten um die Wette.

»Die hätte ich gerne noch in Dunkelrot in meinem Garten.« Frederike hielt Ausschau nach Samenständen.

Da hielt Klara einen älteren Mann an. »Mensch, Horst, gut, dass ich dich sehe.«

Horst schaute sie irritiert von oben herab an. »Du weißt schon, dass ich bei der Trauerfeier für Käthe neben dir gesessen habe?«

»Ja, schon, aber da habe ich dich noch nicht gebraucht.«

Horst richtete sich auf. »Du brauchst mich? Ich fühle mich geehrt«, bemerkte er mit leichtem Sarkasmus.

Frederike betrachtete ihn amüsiert. »Und das ist …?«, fragte sie Klara.

»Darf ich vorstellen? Horst Blume, Steuerberater a. D. … Horst, das ist meine Nachbarin … also, meine frühere Nachbarin Frederike Suttner«, stellte Klara die beiden einander vor.

Beide nickten sich zu, dann wandte sich Horst wieder an Klara: »Also, was erfreut dich so an meiner Gegenwart?«

»Bestimmt nicht das, was du hoffst«, schnauzte Klara.

Horst grinste. »Schade! Vielleicht später?«

»Lass gut sein, du bist mir zu alt. Nein, wir haben eine Frage zu Käthe. Weißt du, wie ihr Neffe heißt?«

»Ich kenne nur den Spitznamen, der kleine Jogi.«

Frederike mischte sich ein: »Wissen Sie vielleicht, wie Käthe finanziell gestellt war?«

Horst schaute sie mit hochgezogenen Augenbrauen an. »Ist das wichtig?«

»Das weiß ich noch nicht.«

Er nickte. »Also gut, jetzt kann es ja nicht mehr schaden. Sie hat mich vor einiger Zeit mal um einen steuerlichen Rat gebeten. Daher weiß ich, dass Käthe über einige Immobilien verfügte.«

Klara machte große Augen. »Wirklich? Das hätte ich jetzt nicht gedacht.«

Horst lächelte. »Sie war noch eine feine Dame vom alten Schlag. Über Geld spricht man nicht, das hat man.«

Frederike bedankte sich für die Information und ließ beide im Garten zurück. Immobilien? Das könnte spannend werden.

Eins hatte die Erfahrung Frederike gelehrt: Die meisten Morde geschahen, wenn die Liebe verloren ging oder Geld ins Spiel kam. Doch war es hier Mord? Frederike spürte dieses innere Jucken – ihr Instinkt sagte ihr, dass die Todesfälle keine natürlichen Ursachen haben konnten. Sie fragte sich, wieso hier noch keine Ermittlungen aufgenommen worden waren. Auf jeden Fall könnte es sich lohnen, der Spur des Geldes zu folgen. Für alle Fälle …

Zu Hause angekommen, wartete ihr Nachbar Max schon auf sie und übergab ihr ein Paket mit Blumenstützen, das der Paketbote bei ihm abgegeben hatte. Sie kaufte vieles im Internet, denn die Auswahl vor Ort war oft zu bescheiden für ihre noch aus Düsseldorfer Zeiten geprägten Ansprüche. In ihrer Nachbarschaft waren inzwischen fast alle schon im Rentenalter, sodass ihre Päckchen und Pakete stets irgendwo in der Nachbarschaft landeten und kein Paketbote zweimal kommen musste. Man hatte hier viel Zeit. So setzten sich Frederike und Max erst einmal auf die Bank vor dem Haus und plauderten über Gott und die Welt. Max zündete sich genüsslich ein Pfeifchen an und zog die Luft geräuschvoll ein.

»Du hörst dich an wie Darth Vader«, kommentierte Frederike den Lungenzug. »Ich habe mal gehört, dass man Pfeife nicht auf Lunge raucht.«

»Mache ich auch gar nicht«, rechtfertigte sich Max, »ich atme immer so!«

»Dann solltest du mal über ein anderes Laster nachdenken. Das hört sich ja furchtbar an.« Frederike betrachtete ihn aufmerksam. »Geht es dir gut?«

»Schlechten Leuten geht es immer gut!«, brummelte Max. Er gehörte zu den wenigen Menschen in Frederikes Umfeld, die nicht alle naselang von ihren Krankheiten redeten, was sie sehr erholsam fand.

»Was treibst du so in letzter Zeit? Du bist viel unterwegs.« Auch wenn Max nicht zu den neugierigen Menschen zählte, war ihm nicht verborgen geblieben, dass sie in den letzten Tagen häufiger als gewöhnlich das Auto aus der Garage geholt hatte.

»Ach, ich war öfter mal Klara Limes in Hillesheim besuchen.«

»Klara? Das ist schön. Wie geht es ihr?«, fragte Max interessiert.

»Wie soll es ihr schon gehen? Sie sitzt im Altersheim und dreht Däumchen. Gesundheitlich und geistig ist sie aber noch richtig gut zurecht.« Frederike reckte sich. »Was machen eigentlich deine Enkel? Ich habe sie schon ewig nicht mehr in meinem Garten gesehen.«

Max winkte ab. »Die haben jetzt einen E-Scooter bekommen und sind die ganze Zeit hier auf den Feldwegen unterwegs. Da sind wir Alten abgemeldet.«

»Dürfen die denn schon mit so einem Teil fahren?«

»Ach, du weißt ja, wie das hier läuft. Auf den Feldwegen interessiert das doch keinen. Früh übt sich …«

»… wer sich mit achtzehn den Hals brechen will«, vervollständigte Frederike das Sprichwort sarkastisch. »Na, die werden sich schon irgendwann an meinen Kuchen erinnern und wieder auf der Matte stehen.« Sie stand auf. »So, ich hab zu tun.«

»Überarbeite dich nicht«, spottete Max und blieb noch eine Weile auf der Bank sitzen.

Als Frederike ins Haus trat, griff sie nach dem Telefon. Auch bei ihrem Gespräch mit Max war ihr Käthe Gilles nicht aus dem Kopf gegangen. Ihre Gedanken kreisten um den Nachlass und um die Rolle des Neffen. Kurz entschlossen wählte sie ihre alte Büronummer.

»Frau Suttner, das ist ja eine Überraschung«, begrüßte sie ihr junger Ex-Kollege, der inzwischen aber wohl auch schon über fünfzig war.

»Guten Morgen, Herr Wieland. Es ist schön, dass ich Sie erreiche.« Sie erinnerte sich gerne an den Kollegen, den sie damals eingearbeitet und mit dem sie lange Jahre eng zusammengearbeitet hatte. »Ich bin heute Nachmittag in Düsseldorf unterwegs und wollte fragen, ob Sie Lust hätten, mit mir eine Tasse Kaffee zu trinken?«

Wieland wirkte zunächst etwas verdutzt, aber durchaus erfreut, und so verabredeten sie sich für sechzehn Uhr im Bazzar Caffè in der Düsseldorf Altstadt.

Frederike hatte sich früh auf den Weg gemacht und die diversen Staus rund um den Kölner Ring eingeplant, sodass sie schon gegen halb vier im Café eintraf. Es dauerte eine Weile, bis ein Tisch frei wurde. Sie hatte diesen gerade in Beschlag genommen, als auch schon Klaus Wieland eintraf. Nachdem sie sich begrüßt hatten, bestellten beide einen Cappuccino. Frederike beschloss, direkt mit der Tür ins Haus zu fallen. »Können Sie mir einen Gefallen tun?«

Wieland lachte. »Ich dachte mir schon, dass Sie nicht nur mit mir über alte Zeiten sprechen wollen. Was liegt an?«

Frederike zögerte kurz. »Ich bin bei mir in der Eifel auf eine Sache gestoßen, die ich merkwürdig finde.«

Klaus Wieland wurde hellhörig. »Dann schießen Sie mal los. Wenn Sie etwas merkwürdig finden, steckt auch etwas dahinter. Ich habe noch nie erlebt, dass Ihr Instinkt Sie im Stich gelassen hat.«

»Und mein Instinkt arbeitet gerade auf Hochtouren. In einem Altersheim bei mir in der Nähe gab es mehrere Todesfälle. Das ist eigentlich nichts Ungewöhnliches. Aber die Häufung verwundert mich. Und dass es anscheinend auch Leute erwischt hat, von denen man dachte, dass die noch hundert werden.«

»Was vermuten Sie?«

»Für Vermutungen ist es zu früh. Aber ich möchte sichergehen, dass hier keiner nachhilft.«

»Wird in der Sache schon ermittelt?«

»Nein, nicht offiziell. Aber ich habe mitbekommen, dass die letzten Todesfälle in der Pathologie in Gerolstein gelandet sind.«

»Das ist sehr vernünftig. Die meisten Mediziner schreiben viel zu schnell den Totenschein aus, zumal bei alten Menschen. Ich möchte nicht wissen, wie hoch die Dunkelziffer hier ist.«

»Genau! So eine Erbtante ist schnell aus dem Weg geräumt, wenn keiner genauer hinschaut.«

Klaus Wieland grinste. »Aber das sind da ja anscheinend ganz schön viele Erbtanten und -onkel. Um wie viele Tote handelt es sich denn?«

»Zwölf, von denen ich weiß.« Frederike erschrak selbst, als sie sich die Zahl nennen hörte.

Klaus Wieland sog die Luft zwischen den Zähnen ein. »Das ist eine ganze Menge. Das sollte sich wirklich die Polizei ansehen.«

»Ich denke, das ist nur noch eine Frage der Zeit. Vor Ort läuft schon die Gerüchteküche heiß.«

»Wollen Sie, dass wir uns hier einschalten?«

»Nein, das ist ja nicht Ihr Bereich. Aber eine der Toten kommt aus dem Düsseldorfer Umland und hat anscheinend einiges an Vermögen hinterlassen. Das interessiert mich.«

Wieland schmunzelte. »Also daher weht der Wind. Vielleicht doch ein Erbfall? Wollen Sie, dass ich ein wenig recherchiere?«

»Lieb, dass Sie fragen. Ja. Können Sie mir Auskünfte einholen über die Vermögensverhältnisse einer Käthe Gilles, früher wohnhaft in Meerbusch?«

»Meerbusch? Die Hochburg der deutschen Millionäre?«

»Genau. Bei uns strolcht nämlich auch noch ein Neffe herum. Da lohnt sich vielleicht ein Blick.«

»Bauchgefühl? Ihr Riecher fehlt uns hier wirklich. Haben Sie nicht ab und zu Sehnsucht nach uns und Ihrer alten Tätigkeit? So etwas wie eine externe Beraterin? Ich räume für Sie auch gerne wieder meinen Schreibtisch«, scherzte er. »Wissen Sie eigentlich, dass man Sie intern immer noch als den ›Bluthund‹ rühmt?«

»Ach herrje, ist Ihnen allen da nichts Besseres eingefallen?«

»Zumindest nichts Passenderes! Wenn Sie an etwas dran waren, ließen Sie nicht locker, unter keinen Umständen! Das war schon beeindruckend und manchmal auch ein wenig angsteinflößend. Also überlegen Sie es sich. Wir hätten da gerade einen ganz besonders interessanten Fall!«

»Stopp! Das will ich gar nicht wissen. Ich komme gerne mal ab und an vorbei, um mit Ihnen einen Cappuccino zu trinken. Aber die Arbeit fehlt mir nicht. Mein Leben besteht nun aus Katzenpflege und Gartenarbeit. Das wöchentliche Highlight ist die Probe des Kirchenchors. Ich lese nicht mal Krimis.«

Klaus Wieland lachte. »Das kann ich gut verstehen. Wenn meine Frau abends den Tatort einschaltet, gehe ich ins Nebenzimmer und lese Zeitung.«

»Die ist doch auch voll von schlechten Nachrichten. Probieren Sie es mal mit Unkrautjäten – das macht den Kopf frei.«

»Ich werde es mir merken. Ist das jetzt Ihr neues Hobby?«

Frederike nickte. Sie tauschten sich noch eine Weile über die Entwicklungen der letzten Jahre aus, dann schaute Wieland auf die Uhr. »Ups, schon so spät. Ich muss los!« Er stand auf. »Ich melde mich, sobald ich etwas weiß.«

»Wird es lange dauern?«, fragte Frederike schnell.

»Also trotz der entspannenden Gartenarbeit immer noch ungeduldig! Es hätte mich auch gewundert«, grinste Wieland, »nein, ich melde mich heute noch. Versprochen.«

»Klasse! Dafür zahle ich Ihren Cappu.« Frederike schwenkte ihre Geldbörse, und Wieland verließ winkend das Lokal.

Frederike bummelte noch eine Weile durch die Altstadt, stellte aber fest, dass der Trubel um sie herum sie einfach nur noch nervte. Also machte sie sich auf den Heimweg. Sie war froh, in Kürze Informationen über Käthe Gilles zu bekommen. Irgendwie hatte sie den Eindruck, dass hinter diesem Tod mehr steckte. Oder war es doch bloß Zufall? Wie passte das Ganze zu den anderen Todesfällen? Sie wusste es nicht und beschloss, sich von ihren Zweifeln erst einmal nicht abhalten zu lassen. Tja, vielleicht war das Bild mit dem Bluthund gar nicht so falsch! Und irgendwie waren das ja auch ganz liebe Tiere, oder?

Ihre Gedanken wanderten zu Angela und ihrem neuen Galan. Sie machte sich Sorgen. Ein arbeitsloser Chemiker – in einer Region mit einer Arbeitslosenquote unter drei Prozent und nachgewiesenem Fachkräftemangel. Wo gab es denn so was? Hatte sie etwa Vorurteile gegen gut aussehende junge Männer, die auf Kosten der Allgemeinheit lebten? Oder war sie einfach bloß eifersüchtig? Trotzig schüttelte sie diesen Gedanken ab.

Als sie zu Hause ankam, hatte Klaus Wieland ihr schon auf den Anrufbeantworter gesprochen und um Rückruf gebeten. Sie wählte seine Handynummer und lobte: »Das ging ja wirklich schnell.«

»Ja, ich habe eben nicht geschaltet, als Sie mir den Namen sagten. Käthe Gilles – die kennt hier jeder. Sie ist in Düsseldorf als Stifterin und Sponsorin eine große Nummer gewesen, hat jahrelang die UNICEF-Gala organisiert und war eine große Kunstmäzenin. Sie kennen sie übrigens.« Klaus Wieland wartete auf ihre Reaktion.

»Lassen Sie mich nachdenken. Der Name Gilles ist hier in der Region häufiger vertreten, sodass ich keine Verbindung hergestellt habe, und ich bin der Dame hier nie begegnet. Käthe Gilles … mmh … war da nicht irgendetwas mit der Kunstsammlung?«, dachte Frederike laut nach.

»Genau, wir sind ihr im Rahmen der Ermittlungen im Fall Küpper begegnet. Eine nette ältere Dame, sehr vornehm. Klingelt es jetzt bei Ihnen?«

Frederike nickte: »Ja, jetzt wo Sie es sagen. Das war also Käthe Gilles. Eine angenehme Person. Wie schade, dass ich ihr hier nicht mehr begegnet bin. Sie war sehr aufmerksam und hochintelligent.«

»Und schwerreich«, ergänzte Klaus Wieland. »Sie verfügte in Düsseldorf über mehrere Immobilien, teils sogar in Kö-Lage. Dazu gibt es auch noch eine exquisite kleine Kunstsammlung. Die Lady war millionenschwer.«

Frederike pfiff durch die Zähne. »Na, wenn das kein Motiv ist. Gibt es direkte Nachkommen?«

»Soweit ich weiß, nicht. Der Ehemann ist bereits vor zwölf Jahren verstorben, und das Paar war kinderlos. Es gibt natürlich Verwandtschaft. Da wird das Rennen auf das Erbe jetzt losgehen!«

»Haben Sie vielleicht etwas über den Neffen herausgefunden?«

»Nein, so genau habe ich aber auch nicht recherchiert.«

»Man müsste mal einen Blick ins Testament werfen.«

»Da müssen Sie bis zur offiziellen Testamentseröffnung warten. Ohne konkreten Anlass können wir hier keinen Einblick nehmen.« Anscheinend waren die Grenzen von Klaus Wielands Hilfsbereitschaft erreicht.

Doch Frederike wollte auch gar nicht mehr. »Nein, das ist klar. Ich bin froh über die Infos. Damit kann ich arbeiten. Ich habe den Eindruck, dass zumindest der Neffe keine Zeit verlieren wird, einen Erbschein zu beantragen. Sollten Sie etwas hören oder lesen, vielleicht in der Rheinischen Post, lassen Sie es mich wissen.«

»Das mache ich. Es war schön, mal wieder mit Ihnen zu plaudern«, verabschiedete sich Klaus Wieland.

Käthe Gilles – Frederike erinnerte sich gut an die hochgewachsene stolze Frau mit dem klaren Blick und der melodischen Stimme. Ihre Begegnung war schon mehrere Jahre her. Das musste in den Neunzigern gewesen sein. Käthe Gilles entsprach überhaupt nicht dem blond gefärbten und braun gebrannten Klischee der typischen Düsseldorfer Hautevolee. Ihre Kleidung war schlicht und geschmackvoll, und sie hatte sich viel Zeit genommen für die Ermittler. Damals wieselte ein kleiner weißer Zwergpudel um sie herum, den sie sogar mit in die Kunstsammlung nahm. Das war aber auch das einzige Indiz, das für ihre Sonderstellung sprach, denn normalerweise herrschte hier striktes Hundeverbot. Frederike fühlte eine leichte Trauer, als sie sich an die Begegnung erinnerte. Sie hatte die Frau gemocht. Schade, dass es nun zu spät für ein Wiedersehen war. Es wäre schön gewesen, hier in der Eifel ein Gesicht aus der alten Heimat zu entdecken. Frederike fragte sich, was Käthe Gilles in die Eifel verschlagen hatte. Vielleicht war es Käthe ja genauso gegangen wie ihr – zurück zu den Wurzeln.

Sie atmete geräuschvoll aus, stand auf und ging in die Küche, um Hannelores Abendessen zuzubereiten.

Für den nächsten Tag hatte sich Frederike wieder Gartenarbeit verordnet. Dabei konnte sie ihre Gedanken fließen lassen. Jetzt, nachdem sie sich an die Begegnung erinnert hatte, war Käthe Gilles’ Tod zu etwas Persönlichem geworden. Sie würde keine Ruhe geben, bis sie das Geheimnis um den Todesengel gelüftet hatte. Und sie war sicher, dass es ein Geheimnis gab. Noch kannte sie nicht alle Fakten, aber das wäre nur eine Frage der Zeit. Und der richtigen Herangehensweise.

Die Zeit verging im Nu. Nachmittags stand unerwartet Angela am Gartentörchen. »Na, kann ich helfen?«

Frederike erhob sich stöhnend aus dem Blumenbeet, das sie gerade von Unkraut säuberte, und zog ihre schmutzigen Arbeitshandschuhe aus. »Gut, dass du da bist. Pause!«

Angela lachte. »Da komme ich ja gerade richtig! Soll ich uns einen Kaffee machen? Ich habe Teilchen mitgebracht.« Sie hob eine Tüte von der Dockweiler Biobäckerei in die Höhe.

Frederike lief das Wasser im Mund zusammen. »Wundervoll! Du bist ein Engel.«

Beide gingen ins Haus. Frederike wusch sich die Hände und wechselte die Schuhe, während Angela den Kaffeekocher auf den Herd setzte. Kurz danach zog würziger Kaffeeduft durch die Küche. Die beiden nahmen sich Tassen und Teller aus dem Regal und setzten sich an den alten Küchentisch. Frederike schob einen Hocker heran und legte die Füße hoch. Beide tranken schweigend ihren Kaffee und verzehrten die Fruchtschnitten. So konnte man das Leben genießen!

»Schön, dass du hier bist. Ich wollte sowieso etwas mit dir besprechen«, eröffnete Frederike das Gespräch, nachdem beide ihren ersten Hunger gestillt hatten. »Aber zunächst interessiert mich mal dein neuer Freund: Wie läuft es mit Jochen?«

Angela begann zu strahlen. Sie sprang auf und umarmte Frederike. »Ach, Tantchen, ich bin so glücklich. Jochen ist so ein wunderbarer Mensch. Jeden Tag schickt er mir kleine verliebte Botschaften aufs Handy. Und wir telefonieren jeden Abend, manchmal stundenlang. Er ist so verständnisvoll.«

Sie plapperte wie ein Wasserfall von den Vorzügen ihres neuen Galans, und Frederike hörte ihr amüsiert zu. Sie genoss es, Angela so glücklich zu sehen, auch wenn sie sich für ihre Nichte einen anderen Partner gewünscht hätte. Aber es war ja sicher nur ein Flirt, beruhigte sie sich selbst.

Nach einer Weile kam das Gespräch auf das St. Ägidius. Angela war voller Bedauern. »Die arme Klara! Dass ihre Freundin nun auch gestorben ist, tut mir so leid! Und schon wieder ein Todesfall im St. Ägidius. Bei uns im Krankenhaus haben wir kaum ein anderes Thema. Die Pathologie arbeitet auf Hochtouren, aber es herrscht anscheinend immer noch keine Klarheit. Zumindest habe ich davon nichts mitbekommen.«

»Gibt es denn bereits offizielle Ermittlungen?«, fragte Frederike interessiert nach, »im Altersheim weiß man nichts davon.«

»Na, das würde ja wohl auch keiner an die große Glocke hängen«, bemerkte Angela trocken, »aber das ist sicher nur noch eine Frage der Zeit. Im Moment ist es aber, glaube ich, vor allem Frau Dr. Burkhardt, die Genaueres wissen will.«

Frederike nickte gedankenvoll. »Das hätte mich auch sonst gewundert. Ich wüsste zu gerne, was sie denkt, was hier vorgeht.«

Angela zuckte nur mit den Schultern und nahm sich noch einen Kaffee. »Und wie ist es mit dir? Ermittelst du schon? Bei so was kannst du doch sicher die Füße nicht stillhalten.« Sie stupste mit ihrem Zeh an Frederikes Bein.

»Ein bisschen. Ich habe mich etwas umgehört und bin im Kontakt mit Klara. Da hätte ich eine Bitte an dich.«

»Na, da bin ich mal gespannt.«

Frederike zögerte kurz. »Ich langweile mich in letzter Zeit ein wenig und fühle mich einsam.«

Angela starrte sie an. »Häh?«

Frederike schaute in ihre leere Tasse. »Ja, mir kam vorhin die Idee, ich könnte mir mal etwas Abwechslung verschaffen und ein paar Tage in die Tagespflege ins Altersheim gehen. Das war es, was ich mit dir besprechen wollte.«

Angela prustete los. »Du willst ins Altersheim? Also wirklich!«

Frederike zog einen Flunsch. »Die haben im St. Ägidius ein ganz tolles Programm. Singstunden, Seniorenturnen, Bingorunde und Nachmittagskaffee – das wird bestimmt schön.«

Angela lachte. »Ich weiß genau, was du willst. Spionieren! Dir reicht Klara nicht aus – du willst selbst undercover ermitteln!«

Frederike hob die Hände. »Ertappt! Kannst du mich anmelden? Ich glaube, das wirkt besser, als wenn ich selbst anrufe.«

»Klar, kann ich machen. Ab wann soll’s losgehen?« Angela stand auf und griff zum Telefon.

»So flott wie möglich. Ich will keine Zeit verlieren.« Frederike brannte förmlich darauf, selbst aktiv zu werden.

Angela telefonierte mit dem Seniorenheim und meldete ihre Tante an. Nachdem alle Daten erfasst waren, wurde ausgemacht, dass Frederike am nächsten Morgen gegen neun Uhr mit dem Seniorenbus zu einem Schnuppertag abgeholt werden sollte. Danach würde man weitersehen.

Als Angela aufgelegt hatte, meinte Frederike mürrisch, sie hätte doch auch selbst fahren können, doch Angela schaute sie mit ernstem Gesicht an.

»Du bist sowieso noch relativ jung für die Tagespflege. Wenn du auch noch selbst mit dem Auto vorfährst, nimmt dir keiner deine neue Rolle ab. Schick dich drein – du bist leicht dement und erholst dich zudem noch von einer Operation. Das ist perfekt für die Tagespflege. Und du kannst ungestört und naiv alle dummen Fragen stellen, ohne dass ein Todesengel oder was auch immer auf dich aufmerksam wird.«

Frederike lachte. »Ermittlungstaktisch an alles gedacht. Du würdest eine hervorragende Polizistin abgeben.«

Angela freute sich über das Lob, setzte aber noch nach: »Bitte, bitte, pass auf dich auf!«

Dann verschwand sie so schnell wie sie gekommen war.

Es war schon Jahre her, dass Frederike verdeckt im Einsatz gewesen war. Sie wurde jetzt doch nervös. Schließlich war sie nicht mehr die Jüngste und schon etwas eingerostet. Wie sollte sie dort auftreten, wie würde Klara reagieren? Und würde es ihr gelingen, dem mutmaßlichen Todesengel das Handwerk zu legen? Oder war sie doch zu sehr aus der Übung? Zu alt? Und wieso tat sie das eigentlich? Sie stellte den Wecker auf sieben Uhr, um nicht zu verschlafen. Doch nötig war das nicht, denn in der Nacht tat sie kein Auge zu.

Schlaf schön

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