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1. Kapitel

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Änne ist tot!«

Frederike hatte kaum den kleinen Saal der dörflichen Gaststätte betreten, als Grete sie schon mit der Nachricht überfiel. Sie schob sich auf ihren Platz an der Eckbank. Die Chorprobe hatte noch nicht begonnen. Gerade lief der Wirt durch den Saal und nahm die Bestellungen entgegen.

Frederike konnte es kaum glauben. »Das gibt’s doch nicht! Ich habe sie doch kürzlich erst auf dem Kirchhof getroffen. Da wirkte sie noch so fit.« Sie war bestürzt.

Die nun tote Änne war bis zu ihrem Umzug ins Heim vor knapp zwei Wochen eine feste Größe im Sopran gewesen, und auch wenn ihre Stimme in den Jahren etwas zittrig geworden war, galt Änne als ausgesprochen tonsicher. Da war es schon ein Verlust gewesen, als sie mit ihren sechsundachtzig Jahren beschlossen hatte, ins St. Ägidius nach Hillesheim zu ziehen und damit Leudersdorf und dem Kirchenchor den Rücken zu kehren.

Elsbeth, ein voluminöser Alt mit einem Mordsbusen – alles Resonanzboden, wie sie gerne kicherte –, war erst vor zwei Tagen bei ihr zu Besuch gewesen.

»Änne sah gar nicht gut aus. Ich persönlich würde ja nie in ein Altersheim gehen, da kümmert man sich doch kaum um den Einzelnen. Und diese hektische Pflegerin – also, das geht gar nicht. Ich sag ja immer, zu Hause ist es am schönsten. Nein, was bin ich froh, dass ich Kinder habe. Die Silke hat schon gemeint, dass sie mich später zu sich ins Haus holen würde. Aber da gibt es ja nur diese kleine Einliegerwohnung, und da liegt der Eingang auch noch hinterm Haus …«

»Was hat sie denn erzählt?«, unterbrach Frederike den Redefluss.

»Die Silke meint …«

»Nein«, stöhnte Frederike, »natürlich die Änne. Wir reden hier von Änne. Schon vergessen?«

Elsbeth sah sie leicht beleidigt an. »Nichts hat sie erzählt, sie hat ja kaum geredet.«

»Kein Wunder, bei deinem Redefluss ist sie wohl nicht zu Wort gekommen«, nuschelte Frederike in sich hinein und erntete dafür ein zustimmendes Grinsen von Grete rechts von ihr.

»Wie hat sie denn ausgesehen?«

»Hab ich doch gesagt: schlecht!«, pampte Elsbeth, die die kleine Nebenbemerkung anscheinend gehört und durchaus übel genommen hatte.

»Was meinst du mit ›schlecht‹? Kannst du das konkretisieren?«, hakte Frederike nach und bemerkte gerade noch rechtzeitig, dass sie ihren »Verhörmodus« eingeschaltet hatte. Bis zu ihrer Pensionierung war sie Kommissarin bei der Düsseldorfer Kripo gewesen (Mordkommission!), und alte Muster sterben eben schwer.

Grete mischte sich ein: »Schaltet mal einen Gang runter. Wir sind schließlich zum Singen hier«, und zeigte auf das genervte Gesicht des Dirigenten.

»Meine Damen, meine Damen«, fistelte der, »Silentium! Ich erinnere an unsere nächste große Aufgabe. Wir wurden gebeten, für die Wallfahrt nach Barweiler drei Lieder beizusteuern. Wie sieht es aus?«

Versonnen ging Frederike nach der Probe nach Hause. Das mit Änne tat ihr leid, sie hatte die Alte gemocht.

Im Wohnzimmer fiel sie in einen bequemen Ledersessel, zog die Schuhe aus und legte die Füße entspannt auf den Tisch. Sie mochte dieses Zimmer, so wie sie ihr ganzes Haus mochte. Es war ihr ehemaliges Elternhaus, und daher verband sie viele Erinnerungen mit den einzelnen Räumen. Doch hatte sie, als sie vor acht Jahren in die Eifel zurückehrte, das Haus von Grund auf sanieren lassen. Erinnerungen waren gut und schön, doch sie wollte nicht in einem Museum leben. Sie bewohnte ihr Haus allein, nur Hannelore durfte ihr Gesellschaft leisten. Hannelore war ein Kater – gut, der Name war nicht klug gewählt, aber was wusste man schon bei einem acht Wochen alten Katzenkind über das Geschlecht –, und beide hatten sich schon an den Namen gewöhnt, als die Tierärztin bei der Impfung den Irrtum feststellte. Hannelore war inzwischen vier Jahre alt, ein wenig behäbig und leicht übergewichtig, wie viele seiner kastrierten Artgenossen. Er lag auf dem anderen Ledersessel, der schon deutliche Spuren seiner Krallen aufwies.

Frederike war geschieden – schon seit achtzehn Jahren, und ihre Erleichterung, als sie ihren Mann endlich los war, war so groß gewesen, dass sie nie mehr Interesse daran gezeigt hatte, sich wieder zu binden. Es war eine unangenehme Scheidung gewesen, mit viel schmutziger Wäsche und einer anschließenden fast einjährigen Stalking-Phase. Sie war weggezogen, hatte die Stelle gewechselt und hörte nach einigen Jahren, dass ihr Mann wieder geheiratet hatte. Inzwischen dachte sie nur noch selten an ihn. So war Hannelore der einzige Kerl in ihrem Leben.

Hier, in diesem Vierhundert-Seelen-Dorf, hatte sie mit ihrer Vergangenheit abgeschlossen. Es war ihr leichter gefallen als vermutet. Die heimische Sprache, alte Bekannte aus der Schulzeit und der Nachbarschaft – all das war »Heimat« und strahlte ein Gefühl von Geborgenheit aus, das Frederike seit ewigen Zeiten nicht mehr erlebt hatte und von dem sie gar nicht wusste, wie sehr sie es vermisst hatte. Sie war angekommen in der Eifel. Oder vielleicht auch nie richtig weg gewesen.

Müde ging sie zu Bett. Sie dachte an Änne. So schnell konnte es gehen.

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