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Vorwort

Die vergleichende Studie von Andrea Weitzel zum Einfluss der handelnden Personen auf die aktuelle Berichterstattung in Deutschland und Italien betritt aus zwei Gründen Neuland. Zum einen erfasst sie die Publikationspräferenzen anhand eines konkreten, in beiden Ländern bedeutenden Themas – der Berichterstattung über den Euro und die Eurokrise. Zum anderen ermittelt sie die relative Bedeutung von vier Ebenen – den individuellen Berufsauffassungen der befragten Journalisten und ihren thematisch relevanten Einstellungen und Meinungen, den wahrgenommenen Sichtweisen von Kollegen und Vorgesetzten sowie den generellen Vorgaben durch die redaktionellen Linien der erfassten Zeitungen. Zudem berücksichtigt sie die jeweiligen nationalen Kommunikationskulturen. Aus den genannten Gründen vermittelt ihre vergleichende Journalistenbefragung besonders realistische Informationen über den Prozess der Nachrichtenproduktion in Deutschland und Italien.

Die Verfasserin beschreibt anhand ihrer Befragungsergebnisse Gemeinsamkeiten und Unterschiede der individuellen Dispositionen deutscher und italienischer Journalisten sowie ihre Handlungsmöglichkeiten in ihrem redaktionellen Umfeld. Grundlage sind vereinfachte Tabellen mit Prozentangaben, vielfach ergänzt durch Mittelwerte. Bereits hier zeigt sich ein breites Spektrum von Gemeinsamkeiten der Journalisten beider Länder, vor dem sich gravierende Unterschiede in einzelnen Sachfragen besonders deutlich abheben. So vertreten die deutschen Journalisten zum Euro ähnlich positive Meinungen wie die heimische Bevölkerung. Sie berichten folglich für ein ähnlich gestimmtes Publikum, während die italienischen Journalisten mit ihren positiven Meinungen mit einer eher negativ gestimmten Bevölkerung rechnen müssen. Nach den Ansichten italienischer Journalisten besitzt der Staat erheblich mehr Verantwortung für ein breites Spektrum wirtschaftlicher Probleme als nach Ansicht ihrer deutschen Kollegen. Vor allem sollte er Unternehmen unterstützen, „denen es schlecht“ geht. Schon diese beiden Beispiele zeigen, dass die Berichterstattung deutscher und italienischer Zeitungen auf unterschiedlichen Voraussetzungen beruht. Diese Unterschiede werden paradoxer Weise durch eine verblüffende Gemeinsamkeit verstärkt: die weitaus meisten Journalisten beider Länder sehen nur eine sehr geringe Distanz zwischen ihren Meinungen und den Meinungen der Kollegen. Entsprechend groß dürfte der in verschiedene Richtungen wirkende Gruppendruck bei der Berichterstattung über beispielsweise staatliche Hilfen für Unternehmen sein.

Im zweiten Teil ihrer Untersuchung analysiert die Verfasserin den Einfluss der wirtschaftspolitischen Einstellungen der Journalisten sowie ihrer Meinungen zum Euro auf ihre Meinung zu konkreten Maßnahmen sowie zur Publikationswürdigkeit von entsprechenden Meldungen. Diese Analysen führt sie, weil zwischen den Journalisten beider Länder keine nennenswerten sozialen Beziehungen bestehen, sinnvoller Weise getrennt für die deutschen und italienischen durch. In das grundlegende Analysemodell führt sie schrittweise weitere Variablen ein, etwa die Anpassungsbereitschaft der Befragten an ihre Kollegen, und prüft jeweils, ob sie einen signifikanten Beitrag zur Erklärung der simulierten Nachrichtenauswahl leisten. Auf diese Weise entsteht gut nachvollziehbar ein komplexes und realistisches Bild von den Voraussetzungen der aktuellen Berichterstattung über den Euro und die Eurokrise in Deutschland und Italien. Zudem wird deutlich, dass sich individuelle Sichtweisen von Journalisten im Rahmen ihrer sozialen Einbettung nur moderat auf den Tenor der Berichterstattung auswirken. Ihr Einfluss beruht – von spektakulären Ausnahmen abgesehen – nicht darauf, dass sie im Einzelfall die Berichterstattung stark prägen, sondern darauf, dass sie im Einklang mit ihren Kollegen die Sichtweisen des Publikums – abhängig von den vorhandenen Meinungen – langfristig bestärken oder in eine andere Richtung lenken.

Mainz, im November 2020 Professor (em.) Dr. Hans Mathias Kepplinger

Kollegenorientierung im Journalismus

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