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Schleiermacher und Fichte
Оглавление»Ich halte mich mehr an die angenehmen als an die gelehrten Gesellschaften. Die Philosophie liegt freylich hier im Argen. Doch habe ich einen Prediger Schleyermacher gefunden, der Fichtes Schriften studirt und das Journal mit einem andern Interesse als dem der Neugier und Persönlichkeit liest.« (KFSA 24, 12) Was Friedrich Schlegel am 26. August 1797, knapp einen Monat nach seiner Ankunft in Berlin, an Friedrich Immanuel Niethammer berichtet, markiert den Beginn eines einzigartigen »Symphilosophierens« und damit den Beginn der philosophischen Berliner Frühromantik. Bereits am 21. Dezember zieht Schlegel in Schleiermachers provisorische Predigerwohnung vor dem Oranienburger Tor, die dieser für die Zeit des Umbaus der Charité zugewiesen bekommen hatte. Das Zusammenleben, das von den Freunden scherzhaft als »Ehe« bezeichnet wird, in der Schleiermacher die Rolle der Frau einnehme,1 dauert bis zu Schlegels Wegzug nach Jena im September 1799. Für Schlegel war Schleiermacher, wie er bereits 1797 an den Bruder August Wilhelm schrieb, derjenige, mit dem er seine »Ideen von Symphilosophie« realisieren konnte (28. 11. 1797; KFSA 24, 31). Umgekehrt hatte auch Schleiermacher in dem Freund einen Geistesverwandten gefunden, dem er seine »philosophischen Ideen so recht mittheilen konnte und der in die tiefsten Abstraktionen mit mir hineinging […]. Kurz für mein Daseyn in der philosophischen und litterarischen Welt geht seit meiner nähern Bekanntschaft mit ihm gleichsam eine neue Periode an« (an Ch. Schleiermacher, 22. 10. 1797, KGA V/2, 177).
Am Beginn dieser neuen Periode stand offenbar das gemeinsame Interesse an Fichtes Philosophie, und so traf sich Schlegel schon im September 1797 mit Schleiermacher, um – wie er schreibt – »mit ihm zu Fichtisiren« (an C. G. von Brinckmann, KGA V/2, 23). Dies scheint die in der Forschung seit langem verbreitete und bis heute weithin akzeptierte These zu stützen, Fichtes Philosophie habe auf die Formierung der frühromantischen und besonders der Friedrich Schlegelschen Philosophie einen entscheidenden Einfluss ausgeübt.2 Demnach habe Schlegel sich während seines ersten Jenaer Aufenthaltes (ab Sommer 1796) zunehmend an Fichte orientiert und die dabei gewonnene Konzeption dann unter dem Einfluss Schleiermachers durch dessen Moralkritik und die Einbeziehung der Religionsthematik modifiziert. Für Schleiermacher dagegen ist das für Friedrich Schlegel postulierte Fichte-Erlebnis nicht nachweisbar; sein Denkweg vor der Begegnung mit Schlegel stellte sich, wie bereits Wilhelm Dilthey treffend schrieb, »als eine Combination von Kant und Spinoza« dar (Dilthey 1870, 298). Auch in der Zeit des Symphilosophierens mit Schlegel finden sich bei Schleiermacher, bei allem Respekt gegenüber Fichte, eher distanzierende Bemerkungen zu dessen Philosophie; ein Fichte-Erlebnis lässt sich hier nicht ausmachen. In den symphilosophischen Projekten der Berliner Frühromantik spielt Fichte keine besondere Rolle; sie beziehen sich auf einen »Anti-Leibniz« (zu dem es immerhin Vorarbeiten gibt, KGA I/1, 75–103), auf die Herausgabe eines »Philosophischen Journals«, das die Freunde mit eigenen Beiträgen bestreiten wollten, und natürlich auf die gemeinsame Übersetzung des Platon.
Was also, so ist zu fragen, hat es angesichts dessen mit dem »Fichtisieren« auf sich? Schleiermachers Denkweg nimmt seinen Ausgang bei Kant, allerdings in einem aristotelisch orientierten ethischen Kontext; im Mittelpunkt steht der Freiheitsbegriff in der Kritik der praktischen Vernunft. Mit dem Studium Spinozas anhand der zweiten Auflage der Jacobischen Spinoza-Schrift in den Jahren 1793/94 wird dann aber die kritische Philosophie Kants insgesamt mit Spinoza rekombiniert. Im Ergebnis wird der transzendentale Gedanke einer vernunftkritisch gebrochenen Substanzmetaphysik eingeordnet.3 In dieser Hinsicht optiert Schleiermacher wie Friedrich Schlegel für eine objektive Philosophie. Durch die Orientierung auf den Kantischen Freiheitsbegriff verfügt Schleiermacher dabei auch schon vor der Begegnung mit Fichte über ein Konzept von Subjektivität und Individualität. Dieses Konzept auf dem Boden eines objektiv gerichteten Philosophierens zu entfalten, dürfte eines der Themen beim gemeinsamen »Fichtisieren« von Schleiermacher und Schlegel gewesen sein.4
Gegenüber Fichte wahrt Schleiermacher dabei durchgängig eine kritische Distanz. An ihm vermisst er vor allem die Einheit von Philosophie und Leben, an der ihm – mit Friedrich Heinrich Jacobi – besonders gelegen war.5 Die angestrebte Vereinigung von Philosophie und Leben bedeutet für Schleiermacher die Vereinigung von Idealismus und Realismus, aber nicht im Sinne Fichtes als Einholen der »natürlichen«, realistischen Einstellung durch den vollendeten kritischen Idealismus,6 sondern im Sinne eines aus Spinoza abgeleiteten Objektivismus. Fichte wird von Schleiermacher im Rahmen seiner vorgängigen Kritik an Kants Freiheitsbegriff als ein konsequenter Idealismus der Freiheit rezipiert, die Begründung dieses Idealismus jedoch für defizitär gehalten. Fichte nähme die Natur und das alltäglich gelebte moralische Leben nicht in ihrer eigenen, positiven Bedeutung ernst, sondern betrachte sie als ein bloß negatives, vom Ich Gesetztes und zu Überwindendes.
In seiner im Athenaeum erschienenen Rezension der Fichteschen Schrift Die Bestimmung des Menschen (1800) argumentiert Schleiermacher, dass weder der Idealismus noch der Realismus die Selbstbestimmung aus Freiheit darlegen könnten; diese Einsicht könne nur »aus der innern Stimme des Gewissens unmittelbar« hervorgehen (KGA I/3, 242). Wenn, so heißt es, »der theoretische Idealismus für den, der sich außer der Schule befindet, nur dient, um die Hindernisse aus dem Wege zu räumen, welche die realistische Spekulation seinem Gelangen zum Bewußtsein der Freiheit verursachen könnte: so ist er ihm warlich überall nicht brauchbar, weil ja jene Spekulation nur eine Verkünstelung des Verstandes ist, und außer der Schule ebenfalls nicht vorkommen kann. Sollte aber nicht Fichte seiner theoretischen Philosophie Unrecht thun unter uns Unphilosophen, oder Naturphilosophen, wenn er sie für uns nur auf diesen Gesichtspunkt stellt? Sollte man nicht vom Moralismus aus, sobald man nur über ihn denken will, auch nothwendig auf den Idealismus kommen müßen?« (KGA I/3, 242 f.) Der nicht aus dem lebendigen Moralismus, der Stimme des Gewissens, abgeleitete Idealismus der Freiheit ist für Schleiermacher – wie auch sein Gegenpart, der theoretische Realismus – nur eine Abstraktion oder »Verkünstelung« des Verstandes.
Mit seiner Kritik repliziert Schleiermacher auf einen Angriff Fichtes, denn im ersten Teil seiner Schrift nimmt Fichte in der Charakteristik des Determinismus offenkundig auf Schleiermachers Reden über die Religion (1799) Bezug. Seine Quintessenz lautet: »Ich bin eine durch das Universum bestimmte Aeußerung einer durch sich selbst bestimmten Naturkraft« (FGA I, 6, 207). Was, so fragt Fichte weiter, sei gegen diese Vorstellung überhaupt einzuwenden? »Begebe ich mich auf ihren Grund und Boden, auf den so gerühmten Standpunkt einer Uebersicht des Universum, so muß ich ohne Zweifel mit Erröthen verstummen. Es ist also die Frage, ob ich überhaupt auf diesen Standpunkt mich stellen, oder in dem Umfange des unmittelbaren Selbst-Bewußtseyns mich halten; ob der Erkenntniß die Liebe, oder der Liebe die Erkenntniß untergeordnet werden solle« (FGA I, 6, 214).7
In seinen Monologen (1800), die fast zeitgleich mit Fichtes Bestimmung des Menschen erschienen waren, hatte Schleiermacher ausdrücklich den Standpunkt der »Unphilosophie« als Zugang zur moralischen Weltansicht bezogen, welche mit dem Standpunkt des Idealismus übereinkommen soll. Diese anonym erschienene Schrift, die von einigen Zeitgenossen zunächst als Produkt Fichtes angesehen wurde und in der Forschung vielfach als Beleg für den Fichteschen Einfluss auf Schleiermacher galt, ist in Wahrheit ebenso ein Manifest für den Idealismus der Freiheit wie gegen den Begründungszusammenhang der Fichteschen Philosophie selbst. Am deutlichsten wird dies in Schleiermachers Selbstanzeige: »Dieses Büchlein enthält die Aeußerungen eines Idealisten über die wichtigsten Verhältnisse des Menschen, und macht mit der eigenthümlichen Denkungsart bekannt, welche diese Philosophie, in dem Verfasser wenigstens, begründet hat«; dies ermögliche es, »Gegenstände mit denen Jeder zu thun hat, aus dem Gesichtspunkt des Verfassers zu betrachten, und die Lehre zu welcher er sich bekennt von einer andern als der gewöhnlichen Seite in ihrem Einfluß auf den Charakter und das Leben kennen zu lernen«.8 Man vergleiche damit Fichtes Aussage in der Zweiten Einleitung in die Wissenschaftslehre (1797), wo es explizit heißt: »Der Idealismus kann nie Denkart seyn, sondern er ist nur Speculation.« (FGA I, 3, 210 f.) Schleiermacher hat seine Worte offenbar sehr bewusst gewählt, um seine Distanz zu Fichte deutlich zu machen. Diese besteht darin, dass er, wie es unter dem 4. 1. 1800 in einem Begleitbrief zur Übersendung der Monologen an C. G. von Brinckmann heißt, im Rahmen des Idealismus »die wirkliche Welt« sich »warlich nicht nehmen laßen« wolle (KGA V/3, 316).
Seine Position gegenüber Fichte fasst Schleiermacher am 28. 3. 1801 in einem Brief an F. H. C. Schwarz prägnant zusammen: »Die Vereinigung des Idealismus und Realismus ist das, worauf mein ganzes Streben gerichtet ist […] Schlegel, der schon so viel dahin Abzielendes gesagt hat, wird nicht verstanden […] Man kann innerhalb des Idealismus […] nicht stärker entgegengesetzt sein als er [Fichte] und ich. […] Bei dieser großen Verschiedenheit hat es mir immer für die Philosophie leid getan, daß auch vertrautere Schüler von Fichte das Meinige für das Seinige halten konnten […] Indes ist doch der Hauptpunkt unserer Verschiedenheit, daß ich nämlich die von Fichte so oft festgestellte und so dringend postulierte gänzliche Trennung des Lebens vom Philosophieren nicht anerkenne, auch im ersten Monologen schon stark genug angedeutet« (KGA V/5, 73–76).
Ein durchschlagender Einfluss Fichtes ist bei Schleiermacher nicht zu erkennen. Schleiermacher respektiert Fichte als einen dialektischen Virtuosen,9 der aber – so der immer wiederkehrende Vorwurf – dabei vom »Leben« abstrahiere. Die Idee einer Wissenschaftslehre als oberster »Wissenschaft von den Gründen und dem Zusammenhang aller Wissenschaften« (KGA I/4, 48), wie es in den Grundlinien einer Kritik der bisherigen Sittenlehre (1803) heißt, teilt Schleiermacher mit Fichte, meint aber, dass die »Erfindung« des Namens »Wissenschaftslehre« »vielleicht für ein größeres Verdienst zu halten ist, als das unter diesem Namen zuerst aufgestellte System« (ebd.). Der Grund liegt darin, dass Schleiermacher mit Schlegel der Philosophie aus einem obersten Grundsatz eine Absage erteilt. Die oberste Wissenschaft »darf selbst nicht wiederum, wie jene einzelnen Wissenschaften, auf einem obersten Grundsaz beruhen; sondern nur als ein Ganzes, in welchem jedes der Anfang sein kann, und alles einzelne gegenseitig einander bestimmend nur auf dem Ganzen beruht, ist sie zu denken, und so daß sie nur angenommen oder verworfen, nicht aber begründet und bewiesen werden kann« (KGA I/4, 48). Eine solche Alternative zur Fichteschen Wissenschaftslehre entwickelt Schleiermacher dann seit 1811 in bewusster Konkurrenz zu Fichte in seinen Vorlesungen über die Dialektik.10
1 1 Vgl. Schleiermacher an Charlotte Schleiermacher, 31. 12. 1797, KGA V/2,
2 2 Vgl. zuletzt Bärbel Frischmann, Vom transzendentalen zum frühromantischen Idealismus, Paderborn u. a. 2005, 17 ff.
3 3 Vgl. dazu oben Schleiermachers Auseinandersetzung mit Kant.
4 4 Wie bereits Wilhelm Dilthey, Leben Schleiermachers, Berlin 1870, 320, gesehen hat, übernimmt – unter dem Einfluss Schlegels – bei Schleiermacher zunehmend Platon die Stelle Spinozas, während Schlegel den zunächst auf Platon bezogenen Enthusiasmus nun auch mit dem pantheistisch gedeuteten Spinozismus in Verbindung bringt.
5 5 »Fichte […] habe ich freilich kennen gelernt – er hat mich aber nicht sehr afficirt. Philosophie und Leben sind bei ihm – wie er es auch als Theorie aufstellt – ganz getrennt« (an C. G. von Brinckmann, Ende 1799; KGA V/3, 313 f.).
6 6 »Demnach ist der tiefere Sinn der obigen Synthesis folgender: Ideal- und Real-Grund sind im Begriffe der Wirksamkeit (mithin überall, denn nur im Begriffe der Wirksamkeit kommt ein Real-Grund vor) Eins und eben dasselbe. Dieser Saz, der den kritischen Idealismus begründet, und durch ihn Idealismus und Realismus vereinigt, will den Menschen nicht eingehen; und daß er ihnen nicht eingehen will, liegt am Mangel der Abstraktion.« (Johann Gottlieb Fichte, Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre, FGA I, 2, 326).
7 7 Fichtes Anspielung auf Schleiermachers in den Reden gebrauchtes Bild für die ursprüngliche Einheit von Anschauung und Gefühl – die bräutliche Umarmung des Universums mit dem anschließenden Erröten des Jünglings – scheint mir evident zu sein: »Die geringste Erschütterung, und es verweht die heilige Umarmung, und nun erst steht die Anschauung vor mir als eine abgesonderte Gestalt, ich meße sie, und sie spiegelt sich in der offenen Seele wie das Bild der sich entwindenden Geliebten in dem aufgeschlagenen Auge des Jünglings, und nun erst arbeitet sich das Gefühl aus dem Innern empor, und verbreitet sich wie die Röthe der Schaam und der Lust auf seiner Wange«. (KGA I/2, 221 f.)
8 8 Berlinische Zeitung vom 28. 12. 1799, zitiert in: KGA V/3, XXXVIf.
9 9 Vgl. an C. G. von Brinckmann, 14. 12. 1803, KGA V/7, 158.
10 10 KGA II/10, 1.2; vgl. besonders die Historische Einführung, VIII–X.