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Schleiermachers Ironieverzicht

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❶ Friedrich Schlegel, so eine nicht unumstrittene These, habe die Abkehr vom frühromantischen Denken durch Ironieverzicht vollzogen.1 Schlegels Weggefährte Friedrich Schleiermacher, selbst einer der Protagonisten der Frühromantik und zugleich derjenige, der die frühromantischen Konzeptionen in eine systematische Form transformiert hat,2 hatte sich dagegen schon immer einer affirmativen Verwendung des Ironiebegriffs enthalten. Bereits Ingrid Strohschneider-Kohrs musste in ihrem umfassenden Werk über die romantische Ironie feststellen, Schleiermacher zeige das Bild »eines fast gänzlichen Mangels von Resonanz auf den Ironie-Begriff Schlegels«:3 »Alle […] Zeugnisse Schleiermachers lassen nichts erkennen von der hohen Begeisterung, mit der in der Romantik das Prinzip der Ironie als Ausdruck eines tiefgreifenden geistigen und künstlerisch wirksamen Geheimnisses neuentdeckt und als besondere Möglichkeit künstlerischer Spontaneität und Besonnenheit proklamiert wird.«4

Seit 1960, als dies gedruckt wurde, hat sich an diesem Befund auch durch die inzwischen zahlreich erschienen Bände der Kritischen Schleiermacher-Gesamtausgabe nichts geändert. Im Gegenteil, wir wissen jetzt, dass Schleiermacher spätestens in seiner Hallenser Vorlesung zur Philosophischen Ethik 1805/06 ausgesprochen kritisch zum Ironiekonzept der Frühromantik Stellung nahm. Eine solche ausdrückliche Bezugnahme war bisher nicht bekannt; sie findet sich in einer Nachschrift der Vorlesung durch den aus Bremen stammenden Medizinstudenten Adolf (bzw. Adolph) Wilhelm Müller (1784–1811). In den anderen zu diesem Kolleg überlieferten studentischen Nachschriften findet sich diese Formulierung nicht:

»Jedes Handeln was ein Aneignen muß zugleich wieder in die Gemeinschaft übergehen, also kein Handeln was auch Bildung, was nicht zugleich als Stiften der Liebe und persönlichen Verbindung. Die Individualität als sittlich gebildet darf sich am wenigsten isoliren. Wer noch nicht ethisch individualisirt ist nicht fähig für die größere Sphäre da ihr Gehalt leer, sobald nicht diese Bildung voraus. Daher die jetzige Denkungsart: die übrige Welt sei zu schlecht für einen individuell gebildeten und nur für die Persiflage gut und nur durch Ironie sei die Gemeinschaft der Gebildeten möglich. In dem Maaß einer individuell gebildet, ist er der Bildende und überlegen für die Gemeinschaft. Je lebendiger er sich seiner Individualität bewußt, desto mehr der Trieb sich zu offenbaren. Dies Handeln in der Zeit angesehen zerlegt sich in bestimmte Momente, als Besitzergreifen, und Bilden des in Besitz genommenen. Es gibt nicht Besitzergreifen ohne Bilden in die Individualität und umgekehrt: kein Bilden für die Individualität was nicht wieder ein Anbilden. Dies bestimmt das Maaß der Sittlichkeit für den einzelnen und die Masse die zu bilden, oft Fehlen dieser sittlichen Maxime: Anhäufung von Eigenthümlichem zum Bilden, dessen Masse aber zu groß, wodurch dies für das Bilden der andern verloren geht; von idealer Seite aber das Überladen von Planen in die Ferne die alles Bilden verderben. Oft Anweisung der Mäßigung, was bedeutet ein richtiges Verhältniß des realen wie idealen Eigenthümlichen zur bildenden Kraft; wenn diese hinter der bildbaren Masse zurückbleibt Trägheit.«5

Deutlicher lässt sich kaum sagen, dass Schleiermacher das frühromantische Ironiekonzept für verfehlt hält, und es ist offenkundig, dass er hier auf seinen ehemaligen Freund und Weggefährten Friedrich Schlegel anspielt, dem er sich zu dieser Zeit schon entfremdet, mit dem er aber noch nicht gebrochen hatte.

Weshalb aber hat Schleiermacher von Anfang an das Ironiekonzept des Freundes nicht übernommen, sondern weitgehend ignoriert? Strohschneider-Kohrs legt nahe, dies habe daran gelegen, dass für Schleiermacher »Fragen der ästhetischen Formung und das Problem des künstlerischen Schaffens« in der Zeit der engen Gemeinschaft mit Friedrich Schlegel keine große Relevanz hatten.6 Das gilt jedoch nur sehr eingeschränkt, denn Schleiermacher diskutierte, wie aus dem Briefwechsel hervorgeht, mit dem Freund eingehend auch Fragen des literarischen Stils seiner eigenen Schriften – wie der Reden über die Religion (1799) und der Monologen (1800) – und unternahm darüber hinaus Versuche auf dem Feld der Poesie.7 Eine Erklärung für Schleiermachers Ironieverzicht, so meine These, hat vor allem an der philosophischen Bedeutung der Ironie-Figur anzusetzen, denn hier gibt es – trotz aller sonstigen, sehr weitgehenden Übereinstimmungen – von Anfang an eine fundamentale Differenz zwischen Schleiermacher und Friedrich Schlegel. Kurz gesagt: Für Schlegel ist die Ironie eine Reflexionsfigur der Beziehung auf das Absolute, während Schleiermacher die Beziehung auf das Absolute im Modus der Unmittelbarkeit denkt.

❷ Die philosophische Figur der Ironie bezieht sich auf eine Problematik der Kantischen Philosophie, die vor allem durch Friedrich Heinrich Jacobi als deren Begründungsdefizit ausgesprochen worden war. Es geht im Kern um die in der transzendentalen Dialektik der Kritik der reinen Vernunft dargelegte Unmöglichkeit, das Unbedingte denkend zu bestimmen und damit dem Verstandesdenken Grundlage und Halt zu verschaffen. Wir könnten, so heißt es in Jacobis Spinoza-Buch, nur »Ähnlichkeiten (Übereinstimmungen, bedingt nothwendige Wahrheiten) demonstrieren, fortschreitend in identischen Sätzen. Jeder Erweis setzt etwas schon Erwiesenes zum voraus«; und Jacobi fügt dem im Blick auf seine eigene Position hinzu: das »Principium« des Erwiesenen sei »Offenbarung«.8 Organ zum Empfangen dieser Offenbarung ist nach Jacobi schließlich das Gefühl, welches »das Wissen im Glauben begründet«.9 Dessen Unmittelbarkeit gelte, so Jacobi, »in Absicht auf uns, weil wir das eigentliche Mittelbare davon nicht erkennen«.10

Friedrich Schlegel ist aus dem Letztbegründungsprogramm Jacobi-Reinhold-Fichtescher Prägung ausgestiegen. Die Berührung des Unendlichen und des Endlichen, an dem die Ironie ihren Ort hat, steht daher innerhalb eines anderen Begründungsversuchs von Philosophie. In seiner Rezension von F. H. Jacobis Roman Woldemar (1796) spricht Schlegel von einem Wechselerweis. Es sei, so heißt es dort, ein »von außen unbedingter, gegenseitig aber bedingter und sich bedingender Wechselerweis der Grund der Philosophie« (KFSA 2, 74).11 Das bedeutet zunächst und vor allem, dass die Wechselwirkung des Bedingten in sich den Grund der Philosophie bildet und nicht ein Unbedingtes, das von dem Bedingten unterschieden wäre; das Unbedingte ist vielmehr die Totalität der Wechselerweise und damit des Bedingten selbst. An die Stelle der Deduktion aus dem Unbedingten (bei Fichte: den Grundsätzen der Wissenschaftslehre) tritt dann ein rückläufiges Begründen des Unbedingten aus dem Bedingten. Diese Struktur beschreibt Schlegel in seinem Republikanismus-Aufsatz (1796) im Zusammenhang mit der Frage, dass »jede Negationen eine Position, jede Bedingung etwas Bedingtes voraussetzt«, wie folgt: »Alle Negationen sind Schranken einer Position, und die Deduktion ihrer [der Negationen] Gültigkeit ist der Beweis, daß die höhere Position, von welcher die durch sie limitierte Position abgeleitet ist, ohne diese Bedingung sich selbst aufheben würde.« (KFSA 7, 11 f.) Das Bedingte beglaubigt das Bedingende und beide bedingen sich wechselseitig in einer Struktur, die Schlegel ausdrücklich als »Zirkel« beschreibt (KFSA 7, 12). Schlegel ist sich des Gegensatzes zu Fichte in dieser Frage voll bewusst: »Die Cyklisazion ist wie eine Totalisazion von unten herauf. Bey Fichte doch ein Herabsteigen.« (KFSA 16, 68)12

Das Theorem des Wechselerweises verweist auf zwei Philosophien, deren vielfältige Kombination – nicht zuletzt durch Jacobis polemische Intervention, Transzendentalphilosophie sei umgestülpter Spinozismus – das Denken der nachkantischen Philosophie nachhaltig bestimmt hat: Spinoza und Kant. Dass Bestimmtheit Negation sei, diesen Satz hatte Schlegel wohl aus Jacobis Spinoza-Buch als Grundthese Spinozas kennen gelernt. Er verbindet sich offenbar mit dem der All-Einheit als Totalität des Bedingten, das als das Bedingende nur durch das Bedingte affirmierbar ist. Der Wechselerweis besteht dann näher darin, dass sich (a) das Bedingte wechselseitig stützt, d. h. eine systematisch gerichtete Totalität darstellt (und nicht eine bloße Kette von Folgerungen aus einem Bedingten), und (b) darin, dass die Totalität als das Bedingende zum Bedingten durch letzteres affirmiert wird und zugleich das Bedingte stützt. Der letztere Punkt bezeichnet, wie wir noch sehen werden, den Einsatzpunkt der Ironie.

Der zweite Referenzpunkt für das Theorem des Wechselerweises ist, wie bereits erwähnt, Kant. Schlegel zielt hier auf die in der transzendentalen Dialektik vorgetragene Auffassung, die Totalität der Bedingungen selbst sei das Unbedingte. Der transzendentale Vernunftbegriff sei, so Kant, »der von der Totalität der Bedingungen zu einem gegebenen Bedingten«, welche Totalität nur durch ein Unbedingtes möglich sei: »Da nun das Unbedingte allein die Totalität der Bedingungen möglich macht, und umgekehrt die Totalität der Bedingungen jederzeit selbst unbedingt ist: so kann ein reiner Vernunftbegriff überhaupt durch den Begriff des Unbedingten, sofern er einen Grund der Synthesis des Bedingten enthält, erklärt werden.«13 Das Unbedingte ist jedoch für Kant durch die Vernunft begrifflich nicht zu bestimmen, sondern die Vernunft verstrickt sich bei dem Versuch einer solchen Bestimmung unvermeidlich in dialektische Oppositionen, welche die Form des Widerspruchs haben.14 Damit ist der Einsatzpunkt der Ironie weitergehend bestimmt: in den Totalisierungen des begreifenden Denkens – der Suche nach der Totalität der Bedingungen – kommt das Bedingte mit dem Unbedingten so in Berührung, dass das begreifende Denken unvermeidlich die Form einer absoluten Widersprüchlichkeit annimmt. Ironie, so lässt sich vorgreifend sagen, ist die Form, worin diese Widersprüchlichkeit bewältigt werden soll. Ihr Einsatzpunkt ist also die Totalität unter der Form absoluter Gegensätzlichkeit als Aporie des begrifflichen Denkens.

Zu betonen ist dabei jedoch, dass Schlegel das Begründungsverfahren der Philosophie nicht von einem vorausgesetzten und der Reflexion entzogenen Absoluten respektive Unbedingten abhängig macht. Dies wird auch daran deutlich, dass er die Setzung eines Absoluten, das nicht mit der Welt des Bedingten (und damit auch der bedingten Bedingungen) vermittelt ist, als einseitige und falsche »Abart« der Philosophie ansieht, als »Mystizismus« (KFSA 18, 6, Nr. 22.23).15 Die vom mystischen Denken intendierte Einheit – als Hauptexponenten des Mystizismus gelten ihm Jacobi und Fichte – bleibt für sich genommen eine leere Abstraktion. Eine gegenläufige Tendenz zur Allheit des Wissens verfolgt der Empirismus, dem jedoch die Richtung auf die absolute Einheit fehlt, d. h., der die Totalität des Empirischen verfehlt. Die dritte Abart der Philosophie schließlich ist der Skeptizismus, der nach Schlegel »eine unendliche Menge, eine Allheit von Widersprüchen« setzt und damit eine negative Totalität konstituiert (KFSA 18, 4, Nr. 9). Diese »drei Abarten vernichten sich nicht nur gegenseitig sondern auch jede selbst« (ebd., Nr. 6). Festzuhalten ist jedoch, dass für Schlegel ein für sich gestelltes Absolutes nicht die Alternative darstellt, sondern ein, wie sich in Anlehnung an Hegel sagen ließe, sich vollbringender Skeptizismus, denn die Form der Totalität ist ja die der Widersprüchlichkeit als »absolute Synthesis absoluter Antithesen«.

In diesem Zusammenhang ist, ohne dass ich hier näher darauf eingehen will, daran zu erinnern, dass Schlegel im Rückgang auf Platon und Kant bereits 1796 eine eigene Konzeption von Dialektik begründet und als erster in der nachkantischen Philosophie die Dialektik als Organon des Findens und Mitteilens der Wahrheit versteht.16 Der dialektische Prozess überwindet die Einseitigkeiten der genannten drei Abarten der Philosophie und verbindet fortschreitend Spekulation (Mystizismus) und Empirie in einem polemischskeptischen Verfahren der Vernichtung des Irrtums, wie es dann in der Jenaer Vorlesung zur Transcendentalphilosophie (1800/01) näher ausgeführt wird. Der dialektische Prozess als totalisierendes Verfahren findet seine Grenze dort, wo Totalität nicht abschließend bestimmt werden kann. Das Setzen des Absoluten17 führt, analog zu den dialektischen Oppositionen Kants, zu einem »unauflöslichen Widerstreit des Unbedingten und Bedingten«; dies nennt Schlegel in den Lyceum-Fragmenten Ironie (KFSA 2, 160). In der Ironie ist die Grenze des Erkennens als Grenze des Begriffs erreicht: »Eine Idee«, so heißt es im Athenaeum-Fragment 121, »ist ein bis zur Ironie vollendeter Begriff, eine absolute Synthesis absoluter Antithesen, der stets sich selbst erzeugende Wechsel zwei streitender Gedanken.« (KFSA 2, 184) Sie bringt den »unauflöslichen Widerstreit des Unbedingten und Bedingten« (KFSA 2, 160) zum Ausdruck. Dieser Widerstreit ist die antinomische Form des Wechselerweises, in dem das Bedingte und das Unbedingte sich gegenseitig stützen und voraussetzen, deren Vereinigung aber begrifflich nicht vollzogen werden kann. Die antinomische Form der Idee als höchste Erkenntnis ist die Erkenntnis der Grenze des Erkennens selbst, aber wir können sie – so betont Schlegel in Vorwegnahme eines später von Hegel gebrauchten Arguments – als Grenze nur erkennen, indem wir »auf irgend eine Weise (wenn gleich nicht erkennend)« schon immer über sie hinaus sind (KFSA 18, 521, Nr. 23). Dies geschieht, wie es im Abschluß des Lessing-Aufsatzes heißt, »durch Allegorie, durch Symbole«, durch welche »überall der Schein des Endlichen mit der Wahrheit des Ewigen in Beziehung gesetzt und eben dadurch in sie aufgelöst wird« und »an die Stelle der Täuschung die Bedeutung tritt« (KFSA 2, 414). Schlegel definiert die Ironie daher im »Lyceum«-Fragment 42 mit einem gewagten Ausdruck auch als »logische Schönheit« (KFSA 2, 152), die den absoluten Widerspruch ästhetisch überspielt, indem sie ihn als Schein (Täuschung) entlarvt und ihm dadurch die Bedeutung seines Gegenteils gibt.

Philosophisch ist Ironie die Konsequenz eines Begründungsverfahrens, das auf ein unvermitteltes Absolutes oder Unbedingtes als Grund des Bedingten Verzicht leistet, wie es bereits in dem Theorem des Wechselerweises liegt. Ironie ist nicht die Form des Innewerdens einer Unmittelbarkeit, sondern sie gibt dem notwendigen Scheitern der totalisierenden Reflexion an den Antinomien eine Bedeutung über das negative Resultat und damit die Grenzen des begreifenden Erkennens hinaus. Sie ist, sozusagen, Fortsetzung der Reflexion mit anderen Mitteln und verliert diesen Bezug auf die Reflexion auch nicht, denn der Enthusiasmus, mit dem die Ironie die Grenze überschreitet, wird durch den Skeptizismus sogleich wieder ernüchtert: das Totalisieren mündet in das Verstehen der »Welt«, und beides – Totalisieren und Verstehen – ist unendlich, solange die Welt im Werden ist.

❸ Friedrich Schleiermacher kennt Vergleichbares nicht. Der Grund dafür ist, dass Schleiermacher mit Jacobi an der Figur der unvermittelten Unmittelbarkeit festhält. Dies kennzeichnet bereits die Position der Reden über die Religion (1799), wo die Religion von der Metaphysik und Moral geschieden und als gleichursprüngliches Vermögen proklamiert wird. Sie sei, so Schleiermacher, wesentlich »Anschauen des Universums, ich bitte befreundet Euch mit diesem Begriff, er ist der Angel meiner ganzen Rede, er ist die allgemeinste und höchste Formel der Religion« (KGA I/2, 213). Diese Anschauung ist unmittelbar, ebenso wie ihr subjektives Innewerden im Gefühl; sie kann daher in ihrer Ursprünglichkeit nicht begrifflich vermittelt dargestellt werden.

Von Jacobi – und insoweit folgt er Friedrich Schlegel – unterscheidet sich Schleiermacher dadurch, dass die ursprüngliche Anschauung nicht für ein Prinzip steht; in Abgrenzung zu Fichtes Wissenschaftslehre heißt es in den 1803 erschienenen Grundlinien einer Kritik der bisherigen Sittenlehre, eine »Wissenschaft von den Gründen und dem Zusammenhang aller Wissenschaften« dürfe »selbst nicht wiederum, wie jene einzelnen Wissenschaften, auf einem obersten Grundsaz beruhen«. Sie sei vielmehr »als ein Ganzes« zu denken, »in welchem jedes der Anfang sein kann, und alles einzelne gegenseitig einander bestimmend nur auf dem Ganzen beruht […], und so daß sie nur angenommen oder verworfen, nicht aber begründet und bewiesen werden kann« (KGA I/4, 48). Hierin ist unschwer Schlegels Konzeption des Wechselerweises wiederzuerkennen.

Im Unterschied zu Schlegel geht Schleiermacher jedoch von einer vorgängigen Präsenz der Totalität als Einheit in einer ursprünglichen Anschauung aus. Da diese aller Reflexion vorausliegende Einheit auch im Akt der Reflexion präsent ist, kommt es für Schleiermacher im Zuge des totalisierenden Verfahrens nicht, wie bei Schlegel, zu Antinomien, die aufgelöst und überspielt werden müssten, sondern indem man in der Anschauung bleibt, bleibt man auch in der durch sie verbürgten Identität.

In Schleiermachers Manuskript zur zweiten Hallenser Ethik-Vorlesung 1805/06 schließt Schleiermacher auf die »Frage, was man an die Spize der Sittenlehre stellen soll«, eine »Behandlung in Grundsäzen und Säzen« ausdrücklich aus und verweist auf eine »ursprüngliche Anschauung«, welche man »nicht in einem Saz zusammenfassen« könne, weshalb man »also unmittelbar in der Anschauung haften bleiben« müsse.18 Das bedeutet in der Konsequenz, wie Schleiermacher erläutert, dass »Denken und Anschauen […] gegeneinander irrational« bleiben: »Die Begriffe sind nichts als Repräsentanten des Anschauens. Muß man am Ende damit aufhören, daß Princip auf eine Anschauung zu beziehen, so kann dies nicht als Fundament der Wissenschaft angesehen werden, da es der Anschauung gehört«.19

Es versteht sich, dass die Anschauung nicht die Anschauung von Gegenständen der Erfahrung im Kantischen Sinne ist, sondern eine eher intellektuelle Anschauung der Totalität im Sinne der Anschauung des Universums in den Reden über die Religion von 1799. Irrational im Verhältnis zum (begrifflichen) Denken ist die ursprüngliche Anschauung deshalb, weil sie dem Begriff nicht zugänglich ist, wobei sie, als etwas Nichtbegriffliches, das begriffliche Erkennen allererst begründen soll. Diese Position, das sei hier nur am Rande erwähnt, gilt auch für die späteren Vorlesungen über die Dialektik, in denen das wissenschaftliche Verfahren einen transzendenten Grund – die Idee Gottes – als Ausgangspunkt nimmt, der als Einheit ohne Gegensatz im unmittelbaren Selbstbewusstsein präsent ist und die Einheit des Idealen und Realen und damit das Wissen als Einheit von Denken und Sein verbürgt.

Von diesem Standpunkt aus kann die Ironie nur als subjektives Spiel mit willkürlichen Entgegensetzungen erscheinen, weil sie die ursprüngliche Anschauung und damit den Grund des Wissens preisgibt. Dies erklärt, weshalb Schleiermacher in der eingangs zitierten Passage aus der Vorlesungsnachschrift zum Ethik-Kolleg 1805/06 das (Vor-)Urteil der Gegner der Frühromantik, die Ironie sei das frivole Spiel sich selbst ermächtigender Subjektivität, in der Sache weitgehend übernehmen kann. In dieser Hinsicht war er nie mit Schlegel konform gegangen, auch wenn er bis dahin jeden polemischen Akzent vermieden hatte. Dass er 1805/06 weniger Rücksicht nimmt, ist wohl dem sich abzeichnenden Zerwürfnis mit Schlegel geschuldet.

1 Matthias Schöningh, Ironieverzicht. Friedrich Schlegels theoretische Konzepte zwischen ›Athenäum‹ und Philosophie des Lebens‹, Paderborn u. a. 2002.

2 Vgl. Jaeschke und Arndt, Die Klassische Deutsche Philosophie nach Kant, 254 ff.

3 Ingrid Strohschneider-Kohrs, Die romantische Ironie in Theorie und Gestaltung, Tübingen 32002 (11960), 97.

4 Ebd., 100.

5 Schleiermacher, Ethik 1805/06, Nachschrift Müller (Winter 5/6. / Ethik. / Adolf Müller, Stadtbibliothek Bremen 134738, Bremen b. 652 Nr. 21), 128.

6 Strohschneider-Kohrs, Die romantische Ironie, 98.

7 Hermann Patsch, Alle Menschen sind Künstler. Friedrich Schleiermachers poetische Versuche, Berlin und New York 1986.

8 Friedrich Heinrich Jacobi, Werke. Gesamtausgabe, hg. v. K. Hammacher und W. Jaeschke, Hamburg und Stuttgart-Bad Cannstatt 1998 ff., Bd. 1, 1, 124.

9 Jacobi, Werke, Bd. 2, 1, 403.

10 10 Ebd., 33.

11 11 Gegen Tendenzen, den Wechselerweis als einen Schlüssel als Quasi-Prinzip von Schlegels Philosophie anzusehen, vgl. Frischmann, Vom transzendentalen zum frühromantischen Idealismus, 149.

12 12 Diese Methode nimmt Schlegel unabhängig von Fichte in Anspruch: »Auch die Methode der materialen Alterthumslehre erkannte ich selbst, lange ehe ich von Fichte wußte, für cyklisch.« (KFSA 16, 66, Nr. 62)

13 13 KrV B 379, AA 3, 251.

14 14 Vgl. Andreas Arndt, Widerstreit und Widerspruch. Gegensatzbeziehungen in frühromantischen Diskursen, in: Romantik/Romanticism. Internationales Jahrbuch des Deutschen Idealismus / International Yearbook of German Idealism 2008, hg. v. K. P. Ameriks u. a., Berlin und New York 2009, 80–100.

15 15 Vgl. hierzu Andreas Arndt, Mystizismus, Spinozismus und Grenzen der Philosophie. Jacobi im Spannungsfeld von F. Schlegel und Schleiermacher, in: Friedrich Heinrich Jacobi. Ein Wendepunkt der geistigen Bildung der Zeit, hg. v. B. Sandkaulen und W. Jaeschke, Hamburg 2004, 126–141.

16 16 Vgl. Andreas Arndt, Perspektiven frühromantischer Dialektik, in: Das neue Licht der Frühromantik. Innovation und Aktualität frühromantischer Philosophie, hg. v. Bärbel Frischmann und Elizabeth Millán-Zaibert, Paderborn u.a 2009, 53–64. – Zum Zusammenhang von Dialektik und Ironie vgl. auch die Einleitung von Andreas Arndt und Jure Zovko in: Friedrich Schlegel, Schriften zur Kritischen Philosophie 1795–1805, hg. v. A. Arndt und J. Zovko, Hamburg 2007, XVIII–XXVII.

17 17 Das ›Setzen‹ des Absoluten ist nach Walter Benjamin eine Konstitution des Absoluten durch die Reflexion, die sich damit ein Medium schafft, um Kontinuitäten bzw. Identitäten zu reflektieren. Vgl. Walter Benjamin, Der Begriff der Kunstkritik in der deutschen Romantik (1919), Frankfurt/M. 1973, 32.; Winfried Menninghaus, Unendliche Verdopplung. Die frühromantische Grundlegung der Kunsttheorie im Begriff absoluter Selbstreflexion, Frankfurt/M. 1987.

18 18 Schleiermacher, Entwürfe zu einem System der Sittenlehre, 82.

19 19 Schleiermacher, Ethik 1805/06, Nachschrift Müller, 4.

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