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Sterben vor Lachen

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Schrecken und Gelächter scheinen unvereinbar. Heulen und Zähneklappern antworten jenem, nicht Kichern. Das Lachen bricht, wenn überhaupt, erst aus, sobald das Entsetzen gebannt ist. Den beiden unterschiedlichen Konstellationen dürfte allerdings etwas gemeinsam sein. In Erschrecken oder in Gelächter ausbrechen werden diejenigen, denen etwas begegnet, das die gewöhnliche Ordnung der Dinge zerreißt oder außerhalb ihrer liegt. Was sich ereignete, hat die in der einen oder anderen Weise Reagierenden an ihre Grenzen gebracht. Die Extreme berühren einander. Dies ist ein alter Gedanke; klassisch formuliert hat ihn Samuel Taylor Coleridge:

Indeed, paradoxical as it may appear, the terrible by a law of the human mind always touches on the verge of the ludicrous. Both arise from the perception of something out of the common order of things – something, in fact, out of its place; and if from this we can abstract danger, the uncommonness will alone remain, and the sense of the ridiculous be excited. The close alliance of these opposites – they are not contraries – appears from the circumstance, that laughter is equally the expression of extreme anguish and horror as of joy: as there are tears of sorrow and tears of joy, so is there a laugh of terror and a laugh of merriment.1

Mag es auch paradox scheinen, so rührt doch das Schreckliche nach einem Gesetz des menschlichen Geistes immer an die Schwelle des Lächerlichen. Beide entspringen der Wahrnehmung von etwas außerhalb der gewöhnlichen Ordnung der Dinge – von etwas, das nicht an seinem Platz ist; und wenn nun die Gefahr wegfällt, bleibt allein das Ungewöhnliche daran und erregt den Sinn fürs Lächerliche. Die enge Verbindung der Gegensätze – sie widersprechen einander nicht – ist dem Umstand abzulesen, daß Lachen gleichermaßen Ausdruck äußerster Angst und äußersten Grauens ist wie Ausdruck von Freude: wie es Tränen der Trauer und Tränen der Freude gibt, so gibt es auch ein Lachen des Schreckens und ein Lachen der Fröhlichkeit.

Für das Lächerliche (»ludicrous«, »ridiculous«) trifft Coleridge den Vorbehalt, die Gefahr müsse wegfallen: »abstract danger«. Aber was für das Lächerliche gilt, das gilt nicht selbstverständlich auch für das Lachen: Es gibt das Auflachen im Schrecken, den »laugh of terror«. Als das Dritte, auf das beide bezogen sind, gerät der Leib in den Blick, besonders die Fähigkeit, noch Luft zu schöpfen: im Lachen ändert sich das Atmen, im Schrecken kann es einem den Atem verschlagen. Mehrere europäische Sprachen spannen in zwei merkwürdigen Wendungen das Lachen unmittelbar zusammen mit dem, was aus äußerstem Schrecken hervorgehen kann und wie wenig anderes seinerseits Schrecken hervorruft: dem Tod. ›Sterben vor Lachen‹ und ›sich totlachen‹ lauten die beiden Formeln. Eine von ihnen erscheint erstmals in einer Episode der Odyssee, deren epischer Held, Odysseus, die späteren tragischen und komischen Helden präfiguriert.2

Die Episode (18.1–116)3 steht an entscheidender Stelle: Odysseus ist angekommen, ohne bereits als der erkannt zu sein, der er ist: Hausherr des Palasts auf Ithaka. Er ist heimgekehrt und doch noch nicht daheim. Seine Wege haben ihn bis vor die Türschwelle gebracht, diese Zone des Übergangs, aber nicht schon auf diese. Insofern die Odyssee insgesamt das Epos von der Rückkehr des Helden in die Heimat ist, wird es in der Episode ernst; ohne diesen Bezug auf den Kern der Geschichte wäre sie es wohl kaum. Der Ernst, der in ihr das Lachen grundiert, erschließt sich von der Frage her, wer es eigentlich ist, der zurückgekehrt ist. Die Herrschaft des Odysseus über Ithaka – das ergibt sich aus allem, was während seiner zwanzigjährigen Abwesenheit geschah – kann nicht auf dynastischem Erbrecht beruht haben, auch wenn bereits sein Vater Laërtes König war. Dem Sohn Telemachos machen andere Fürstensöhne die Nachfolge streitig, gegen die er sich allein nicht durchsetzen würde.4 Eben darauf scheint es in diesem Gemeinwesen anzukommen: sich durchzusetzen, kraft seiner Muskeln ebenso wie kraft des eigenen Verstandes. Die Freier sind nicht so sehr Usurpatoren als Prätendenten – Teilnehmer eines Wettbewerbs um den ersten Rang in einem Land, dessen König als verschollen gilt. Für Odysseus, der die Nebenbuhler in seinem Hause vorfindet, hängt alles davon ab, sich als der Stärkere und Klügere zu erweisen. Nicht sein Name, nicht seine alten Rechte zählen, sondern allein die ihm verbliebene Fähigkeit, mit einer vielfachen Übermacht fertig zu werden. Darum verhüllt er seinen Namen und erscheint als Bettler vor den Freiern. Gewiß sind die Lumpen des Bettlers die klug gewählte Verkleidung des Königs Odysseus. Doch im Sinne dessen, daß allein der Mann, der er ist, Odysseus zum König macht, sind sie zugleich etwas anderes als eine Verkleidung: die Requisite einer Probe darauf, daß ihm die Herrschaft zusteht.

Auf der Schwelle des Hauses lagert ein Bettler, Iros – ein anderer Bettler, wie es scheint, denn auch Odysseus ist ja als ein solcher gekleidet. Iros heißt eigentlich Arnaios (18.5). Dieser eigentliche Name ist sprechend, hergeleitet von arnymai: Arnaios ist einer, der kriegt, der etwas bekommt: wie es, im besseren Falle, einem Bettler passiert. Ins Burleske aber rückt die Figur ihr Rufname ›Iros‹: Dieser ist nämlich gebildet als männliches Gegenstück zum Namen der Iris, der Götterbotin. Iros dient den Freiern als Laufbursche (18.7). Der Dichter kontrastiert die Extreme höchster kosmischer Macht einerseits, des sozialen Bodensatzes andererseits. Iros ist prädestiniert, Gelächter auf sich zu ziehen. Das Lächerliche der Szene grundiert jedoch der Tod: der mögliche Tod des Iros, den, je auf ihre Art, Antinoos (18.85) wie Odysseus (18.91) erwägen, und, als Präfiguration, der Tod der Freier. Beides verdichtet ein Vers in der Formel des Sterbens vor Lachen, gelō ekthanon (18.100).

Iros verkörpert einen Typus, der später in der Komödie Karriere machte: den Verfressenen. Dieser Typus bildete sich dann in zwei Varianten aus: der des gutmütigen Verfressenen, der anderen ihr Teil gönnt, und der des mißgünstigen Verfressenen, der alles für sich will. Einer der letzteren Art ist bereits Iros. Er macht Odysseus die Schwelle streitig, weil er dort sein Futter empfängt. Dem Hausherrn die Schwelle des Hauses streitig zu machen verstößt eklatant gegen die Sitte. Aber es ereignet sich hier ja, vergleichbar Oidipous’ Hochzeit mit seiner Mutter, in der Weise unheilbringender Verblendung, für die eine andere Epoche den Terminus ›tragische Ironie‹ prägte. Odysseus verschärft diese Ironie der Situation zu einer bewußten Ironie, wenn er von sich in der dritten Person redet. Die wahre Drohung, als eine von Odysseus ausgehende, ist damit vor Iros zugleich ausgesprochen und nicht ausgesprochen:

Alt bin ich freilich – doch schlag ich dir Brust und Rippen noch blutig.

Morgen dann hätte ich größere Ruhe, vermut’ ich: ich meine

Nämlich, du würdest in gar keiner Weise den Weg wieder finden,

Nochmal ins Haus des Sohns des Laërtes, Odysseus, zu kommen. (18.21–24)

Ironie, Verhüllung, ist dies, eben weil Iros es nicht durchschaut; daß der Bettler Odysseus ist, wissen zu diesem Zeitpunkt nur Telemachos (16.154–219) und, allerdings, alle, die es lesen. Zwischen dem Autor, den herausgehobenen Figuren – Odysseus und Telemachos – und den Adressaten des Epos besteht gleichsam eine Verschwörung der Wahrheit. Vor den Freiern treibt Odysseus die Ironie noch weiter, indem er, der – was seine Lumpen vorübergehend verhüllen – körperlich weit Überlegene, sich als gebrechlichen Greis hinstellt:

Freunde! Ein alter, von Leid überwältigter Mann kann wohl schwerlich

Kämpfen mit jüngeren Männern! (18.52–53)

Um den Kampf herbeizuführen, tut Odysseus so, als müsse er ihn verlieren (vgl. 21.275–284): seine Ironie ist schlau. Aber ihren Schleier kann er gleich lüften; Worte und Lumpen haben getäuscht, der Leib spricht die Wahrheit. Erstaunt rufen die Freier aus:

Jetzt trifft Iros Aïros das Unheil, das er herbeirief:

Welch einen Hinteren zeigt uns der Alte da unter den Lumpen! (18.73–74)5

Im Clinch der Bettler parodiert der Dichter Zweikämpfe aristokratischer Kriegshelden. Diese würden um Macht und Ehre streiten, bei jenen geht es um die Wurst, den gestopften Magen einer Ziege, den der Freier Antinoos als Preis für den siegreichen Bettler ausbot (18.43–49, 118–119). Doch die Eingeweihten – und das sind wieder neben Odysseus selbst sein Sohn Telemachos und die Leser – wissen, daß es zugleich nicht um einen Ziegenmagen geht, sondern um etwas Großes, das für den Verlauf des Epos alles Entscheidende: Odysseus’ Zutritt zu seinem Haus, um seine Heimkehr.

Parodien werden lesbar als solche, insofern das durchscheint, was sie parodieren – hier eine aristokratische Kampfszene. Wie für Hektor vor Ajax in der Ilias (7.206–218) gibt es für Iros gegenüber dem Fremden, dem verkannten Odysseus nämlich, kein Zurück mehr (18.66–77), nachdem sie den Kampf jeweils selbst angezettelt haben – mögen sie, bebend vor Angst, auch noch so sehr wünschen, es gäbe ein Zurück. Und abgesehen von dieser speziellen Parallele ist ein allgemeines archaisches Muster des epischen Zweikampfs erkennbar: Die Gegner tauschen vor dem Kampf Drohreden aus (18.9–33), präparieren sich zum Duell (18.66–67), einem von ihnen hilft eine Göttin (18.69–70), der Unterlegene ›beißt in den Staub‹ (18.98),6 der Sieger verspottet den Besiegten (18.104–107).7 Schließlich aber ist diese Parodie auch keine Parodie – denn bei einem der beiden Kämpfer handelt es sich um einen Helden des Trojanischen Krieges. Daß er Iros mühelos außer Gefecht setzt, versteht sich jedenfalls für wissende Leser von selbst.

Doch welcher Sinn liegt darin, daß die Freier angesichts dieses Kampfes ›vor Lachen sterben‹ (gelō ekthanon, 18.100)? Sie hatten ihn schon vorher mit Lachen begleitet: ekgelasas (18.35), geloōntes (18.40). Wie immer der Kampf ausging, eine Freude war ihnen als Zuschauern sicher: die Schadenfreude. Ihr Lachen über den Schaden des Iros (18.111: gelōontes) ist indes kurzsichtig. Was sie als Unterhaltung betrachten, kündet ihren Untergang an. Die Freier ähneln Iros in mehrfacher Hinsicht – darin, daß auch sie den Fremden ruppig behandeln, sich an fremdem Eigentum vergreifen, ihrem Bauch verfallen sind, großmäulig auftreten und sich ebenso schamlos wie feige verhalten. Iros verschuldet selbst seinen Fall (18.73); das Gleiche tun die Freier. Die Verbindung zwischen dem Schicksal des Iros und dem der Freier spricht Telemachos im Gespräch mit Penelope aus – hier, im 18. Gesang, noch als Wunsch:

Würden doch jetzt so die Freier in unsrem Palast überwältigt,

Senkten sie so ihre Köpfe zu Boden, die einen im Hofe,

Andre im Haus, und würde doch jedem so schwach in den Knieen,

So, wie jetzt jener Iros da draußen am Tor unsres Hofes

Sitzt, als wär’ er betrunken und wackelt nur so mit dem Kopfe.

Aufrecht kann er sich nicht auf die Füße mehr stellen, und Heimkehr

Gibt es nach Hause nicht mehr, so zerschlagen sind seine Glieder. (18.236–242)

Wenn der Dichter die Freier metaphorisch vor Lachen sterben läßt, dann weil sie am Ende ihr Leben verlieren werden der Verblendung halber, die durchweg in ihrem Lachen lag. Es begleitet ihren Weg in den Tod: Die Mägde lachen über den vermeintlichen Bettler (18.320: egelassan; 20.8: gelō); mit seinem Hohn über diesen bringt Eurymachos die anderen Freier zum Lachen (18.350: gelō); die Freier lachen Theoklymenos ins Gesicht, als er ihren Tod voraussieht (20.358: gelassan); sie lachen über die von Telemachos geladenen Gäste (20.374: geloōntes); sie lachen vor ihrem letzten Mahl (20.390: gelōontes); sie lachen – ein letztes Mal –, als Telemachos ihnen den Tod wünscht (21.376: gelassan). Nur ein einziges Mal wendet die Göttin selber dieses Lachen (20.346: gelō; 20.347: gelōōn) aus der Verblendung in die Wahrheit, die aber, der Normalität der Verblendung halber, die Gestalt momentaner Verrücktheit, von Wahnsinn (20.346: pareplagxen von paraplēssō, wörtlich: ›danebenschlagen‹) annehmen muß.

Pallas Athene indessen

Reizte die Freier zu unauslöschlichem Lachen. Ihr Denken

Ging in die Irre. Sie lachten bereits mit fremden Gesichtern.

Blutig wurde das Fleisch, das sie aßen, es füllten die Augen

Voll sich mit Tränen: es sah ihr Gemüt schon den kommenden

Jammer. (20.345–349)

Gnathmoisi (20.346), von Weiher hier wie schon von Voß mit »Gesicht« übersetzt, sind eigentlich die Backen oder Gebisse der Freier. Athene hat ihnen die Kiefer ausgehängt; die Bewegung der Mundpartie, die zum Lachen gehört, ist fremdgesteuert (vgl. 20.347: allotrioisin).8 Sie besitzen es nicht; es ist besessen, ein irres, totes Lachen. In ihm haben die Lachenden sich selbst verloren, so wie sterben heißt sich zu verlieren. Das Lachen der Freier ist nicht das ihre, weil sie nichts mehr zu lachen haben, wie die Prophezeiung des Theoklymenos (20.350–386), die so eingeleitet wird, klarmacht.9 Ihre lächerliche Torheit und ihr Verhängnis ist damit in ein einziges Bild zusammengezwungen. Dieses Bild entzieht sich jedoch. Daß die Freier zugleich unauslöschlich lachen (20.346: asbeston gelō) und weinen (20.347–348: osse dakryophin pimplanto) sollen, liegt jenseits der Grenzen des Vorstellbaren: sie sind überschritten, wo Menschen Marionetten der Götter werden. Die komische Seite des Schrecklichen, lachhaftes Puppentheater, zeigt hier, wie schrecklich das Schreckliche ist; im vorhinein ist der Satz aus klassischer Zeit entkräftet, das Komische müsse harmlos sein.10 Es wäre anachronistisch, die Szene tragikomisch zu nennen. Doch in das, was dann Tragikomik wurde, geht der große Fund ein, den Homer hier machte: das Lachen derer, für die es längst nichts mehr zu lachen gibt.

1Coleridge, ›Shakspeare [sic]‹, 147.

2Zur Odyssee im Verhältnis zu Tragödie und Komödie vgl. Aristoteles, Peri poiētikēs 1453a30–39. Euanthius sieht in der Ilias das Vorbild der Tragödie, in der Odyssee das Vorbild der Komödie, ›Commentum de comoedia‹, 4: »Homerus tamen, qui fere omnis poeticae largissimus fons est, etiam his carminibus exempla praebuit et uelut quandam suorum operum legem praescripsit: qui Iliadem ad instar tragoediae, Odyssiam ad imaginem comoediae fecisse monstratur.« Zum »Komischen«, »Tragische[n]« und ihrem Verhältnis bei Homer Auerbach, Mimesis, 25.

3Buch- und Versangaben ohne Zusatz beziehen sich im folgenden auf Homers Odyssee. Zitate folgen der Ausgabe Anton Weihers.

4Clarke, ›Telemachus and the Telemacheia‹, 129.

5›Aïros‹ – mit dem alpha privativum – bedeutet, sein Schicksal vorwegnehmend, ›Nicht-mehr-Iros‹ oder ›Nicht-mehr-Bote‹.

6Vgl. Ilias 16.469.

7Vgl. Ilias 21.122.

8Darin liegt ein Unterschied zum ›Lachen unter Tränen‹ der Andromache (Ilias 6.484). Zum Wahnsinn als göttlicher Schickung in der Odyssee vgl. Dodds, The Greeks and the Irrational, 67, 84.

9Vgl. de Jong, Narratological Commentary, 501–502.

10Aristoteles, Peri poiētikēs 1449a34–37.

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