Читать книгу Erfahrung Neu Delhi-Neustrelitz.., Pakistan.., Iran..,Himalaja - Andreas Goeschel - Страница 6
ОглавлениеMittwoch, 7. Februar, der 22. Tag.
Die Wende in der Geschichte der Reise
Wir begeben uns das letzte Mal ins deutsche Cafe, um zu frühstücken. Wir sitzen dort mit einem Typen aus Singapur am Tisch und es kommt zu einer angeregten Unterhaltung, bei der wir auch noch viel über Singapur erfahren.
Dann tauschen wir noch Adressen. Wer weiß, vielleicht sind wir ja mal in der Gegend...
Unsere Klamotten haben wir schon vorher komplett zusammengepackt.
Alles riecht nun tatsächlich vollkommen nach Abreise.
Als wir zum Hotel zurückkommen, hat jemand mein Motorrad.., jedenfalls war es umgekippt. Angeblich wäre es von alleine umgefallen! Was absolut nicht sein kann.
Na ja, jedenfalls hat es nun ein paar Kratzer, es sind ja nicht die ersten.
Der Kupplungshebel ist abgebrochen.
Wir packen den Rest zusammen, verlassen das Zimmer, unser indisches Zuhause und fahren zu Mukesh.
Endabrechnung im Hotel haben wir gemacht. Und auch diese Papiere werden sorgfältig aufgehoben. Alles Wichtige ist sowieso kopiert und unter uns verteilt verstaut.
Bei Mukesh warten wir immer noch auf die Papiere für die Motorräder, denn ohne die geht sicherlich gar nichts.
Inzwischen habe ich den Hebel gewechselt und mein Licht repariert.
Lutz ist unsicher, seine Maschine läuft schon wieder nicht richtig.
Bestimmt wieder Luft im System. Noch mal alles abdichten, neue Nullringe, dann fester ziehen, mit diesem altbekannten Schrauber- Horror im Genick:
Denn: Nach f e s t kommt a b! Und das natürlich gerade so richtig bei Hohlschrauben von Kraftstoffanlagen. Und erst recht wenn man gerade eben seine Reise antreten will.
Mittags, gute Wärme, Sonne, wie immer. Staub, Dreck und Lärm ebenfalls.
Tausende unbekannte Gesichter und... die uns bekannten und ein paar sehr angenehme darunter. Ein paar liebgewordene.
Die beiden süßen, kleinen Mädelchen, die nie aufdringlich gewesen waren und fast stets was von Lutz oder mir bekommen haben. Verdreckt, wie Müllsammler es in so einer Stadt eben sind.
Ihre Schätze, leere Plastiktüten, unter dem Arm. Doch wie leuchteten die glänzenden Augen aus den verstaubten Kindergesichtern, wenn sie ein paar Rupis bekamen und sich sofort Früchte oder billige Leckereien kaufen konnten. Diese Augen waren so klar und dankbar, daß Lutz oft die nimmersatten, unzufriedenen deutschen Fettlebegören als widerlichen Kontrast zu diesen Drahtbeinen hier erwähnte.
Stets hatten sie uns gewinkt und gegrüßt und sich immer echt gefreut, auch wenn es mal nichts gab.
Lutz hatte vor ein paar Tagen einen größeren Karton guter Kekse gekauft.
Damit ist er dann in so ein Straßenrandlager hineingeklettert. Dort lebten Menschen wie man sich das kaum vorstellen kann. Es waren Menschen, die so gut wie nichts besaßen. Eigentlich unvorstellbar. Menschen des Abgrunds. Und ihre Kinder.
Lutz hatte den Kindern die Keksschachtel hingehalten und innerhalb von drei oder vier Sekunden war der Karton leer gewesen. Sie hatten sich hineingekrallt, die Hände voll, die Münder voll. Schnell war es gegangen. Ein paar waren heruntergefallen, andere haben sich draufgestürzt.
Abends hat er dann im Hotel an der Erde gesessen und geheult.
Ich war befremdet.
Wir können nichts ändern!
Er meinte, doch, immer da, wo man ist, da soll man auch was machen.
Doch nun würden wir Delhi verlassen.
Endlich Abfahrt!
Um 13.50 Uhr starten wir von Delhi aus in Richtung Norden.
Der Kilometer-Stand Auf meiner Armatur war vierundvierzig.
Die Straßen sind trotz des regen Verkehrs teilweise recht gut befahrbar und wir haben schnell die ersten 100 Kilometer geschafft.
Es pocht ein anderer Puls. Lutz sagt sich um sich Mut zu machen, wenn er seine 200 Stunden auf diesem Motorhocker absitzt, dann ist er Zuhause. Und er sagt auch, daß er es allein auf keinen Fall geschafft hätte. Als wenn nun schon was geschafft wäre, außer daß wir losgefahren sind.
Doch es ist schön und befreiend, durch die Alleen zu brummen.
Die Luft wird gut.
Das Auge bekommt genug grün zu sehen. Es passiert endlich was Konkretes. Wir rücken tatsächlich der Heimat näher. Wir sind auf Reise. Das Wetter ist wunderbar. Die Menschenmassen lassen wir hinter uns und der Straßenverkehr ist erträglich und auch belustigend. Es gibt viel Neues zu sehen und eine gewisse Normalität kehrt ein. Wir fahren langsam, zwischen vierzig und fünfzig Stundenkilometer.
Abends fahren wir in die Dämmerung. Allerdings hatten wir uns fest vorgenommen, auf keinen Fall nachts zu fahren. Schon am Tage ist es mitunter sehr abenteuerlich, wenn plötzlich sechs Meter hoch beladene Lastkraftwagen schwankend über die Straße pendeln, die Autos weichen aus und ziehen ihre Slalombahn zwischen Ochsenkarren, Kühen, Rikschas, Hunden und Menschen mit oftmals halsbrecherischer Geschwindigkeit.
Wir fahren sowieso langsam, denn die Motore müssen ja vorsichtig eingefahren werden.
Im Dunkelwerden haben wir uns dann plötzlich verloren.
Ich fahre bis dorthin zurück, wo ich Lutz das letzte Mal gesehen hatte.
Es ist ein ganzes Ende.
Ich finde ihn nicht und denke über die Konsequenzen nach, sollten wir uns tatsächlich nicht wiedertreffen.
Da wird mir ziemlich mulmig zumute.
Dann wieder dorthin zurück, wo ich vorhin gewendet hatte.
Da steht er und wartet. Denn dort hatte er mich zuletzt gesehen.
Kurz vorher hatte er mich unbemerkt überholt, war aber der Annahme gewesen, gesehen worden zu sein.
Wir sind sehr froh. Es ist eine Praxis, die wir vorher abgemacht hatten und die auch stets funktionierte. Wenn man sich verliert, anhalten, warten. Und dann bis dahin zurück, wo man sich das letzte Mal gesehen hat. Zwischen diesen Punkten, wo das Verschwinden bemerkt wurde und dem letzten Sichtkontakt, da wird man sich immer wieder finden. Nur andere Sperenzchen sollte man dabei unterlassen.
Da wir Unterkunft suchen und noch nichts gefunden haben, fahren wir weiter in die zunehmende Dunkelheit. Und das, was wir nur aus Warnungen kannten, merken wir nun sofort. Welch große Gefahr das Fahren in der Dunkelheit ist, zeigt sich auf erschreckende Weise.
Laster ohne Licht rasen an uns vorbei. Sie fahren alle wie die Wahnsinnigen. Die Karren, Autos, Radfahrer, Tiere, Fußgänger, alles quirlt im Spuk von Licht und Dunkelheit durcheinander. Die Beleuchtung der Fahrzeuge ist das Gefährlichste, denn viele haben gar keine, manche nur vorne oder nur ein funzliges Lämpchen. Zuweilen wird aber auch alles von bestialischem Flutlicht überstrahlt, das dann eine um so schwärzere Dunkelheit hinterläßt.
Es ist ziemlich aktiver Horror.
Wir nehmen uns nun richtig ernsthaft vor, nur noch im Hellen zu fahren, nachdem wir gegen 19.00 Uhr im Hotel „Gold” in der Stadt Panipat das Etappenziel ausgemacht haben. Der Preis ist auch Gold, denn fast 800 Rupis sind immerhin das Dreifache vom Tagespreis für das „Roxi“.
Dafür haben wir aber eine feine Dusche und ein schönes Zimmer, wo wir unser zuvor erstandenes leckeres Abendessen in aller Ruhe einpicken können. Der unvermeidliche Fernseher ist auch wieder dabei.
Donnerstag, 8.Februar 23. Tag
Unsere Tage in Indien sind gezählt, bald sind es die Stunden.
Trotz des ständigen Gehupes und des LKW-Lärms von der Magistrale vor der Haustür, haben wir gut geschlafen. Bin zwar noch heiser, aber die Schluckbeschwerden sind weg. Unser gestriges Abendbrot, sowie das heutige Frühstück bestehen aus Bananen, Honiggebäck, gebackenem Toast und Tee, das Ganze für zwei Mark.
Halb neun in der Frühe geht es weiter. Ungefähr 200 Kilometer vor Amritsar ist dann Pause und Mittagessen.
Nach dem Mittag habe ich habe Angelika angerufen, das wir nun auf Rücktour sind.
Wenn wir heute bis Amritsar kommen, haben wir fünf Prozent der Strecke geschafft.
Wie immer wird es früher dunkel, als wir erwartet hatten und wir können in der kurzen Dämmerung kein Hotel finden. Wir verstoßen also wieder gegen unseren Vorsatz und fahren in die schnell kommende Nacht hinein.
Allerdings mit größter Vorsicht und so gelingt es uns, ohne besonderes Mißgeschick, die Stadt zu erreichen.
Einmal bleibe ich mit meinem querliegenden Rucksack auf dem Seitengepäckträger bei einer Kreuzungsanfahrt an einer Rikscha hängen.
Bei lediglich zehn Stundenkilometern ist das, Gott sei Dank, kein Problem.
Das Quartier kostet diesmal nur 200 Rupis und das Essen fünfzehn.
Heute hängt ein Bild Mohammeds über unserer Schlafstatt und draußen nörgelt der Fernseher vor sich hin. Hoffentlich nicht die ganze Nacht!
„Andreas beleidigte Mohammed, und ich kann das dann alles wieder gut machen”, schreibt Lutz ins Reisetagebuch! Was er allerdings so ab und zu vor sich hin betet, weiß ich nicht. Außerdem regt er sich ein bißchen darüber auf, daß ich aus Versehen Bier verschüttet habe.
Ich denke, daß dies eine gottgefällige Tat war.., vor dieser Religionskulisse jedenfalls, ansonsten ist es natürlich allergrößte Sünde. Gegen Zehn gehen wir schlafen. Lutz wieder mal mit Ohrstöpseln.
Freitag, 9.Februar, der 24.Tag
Die Staatsgrenze
Lutz schreibt am nächsten Tag weiter:
Die Ohrstöpsel habe ich mir raus gemacht, da es tatsächlich nach Mitternacht ruhig war. Doch morgens ging Radio „Mullah” wieder raumübergreifend los.
Immer so ziemlich der gleich Singsang.
Andreas klagt immer noch über Brustschmerzen und Hustenreiz.
Bei mir war alles schnell wie weggeblasen. Die Luft in Delhi und die Luft hier unterscheiden sich wie Jauche von Mineralwasser.
Wir sind um sieben Uhr aufgestanden und müssen heute, nach den ersten 500 Kilometern, einiges an den Motorrädern machen. Öle wechseln usw.
Jetzt wieder ich:
Vorm Hotel gibts Tee und etwas Süßes.
Den Enfield „Show Room” mit der dazugehörigen Werkstatt, finden wir ziemlich schnell und die Arbeit ist ab halb elf in vollem Gange.
Die Leute hier sind recht nett und machen die Arbeiten natürlich so, wie es eben in Indien üblich ist. Allerdings in dieser Werkstatt recht routiniert. Wir sehen ihnen dabei genau auf die Finger. Nicht nur aus Mißtrauen und Vorsicht. Es geht darum, soviel Umsicht wie möglich walten zu lassen, denn wir wollen es ja bis nach Hause schaffen. Da dulden wir Schluderei in der Motor – Wartung natürlich nicht. Es ist auch eine gute Gelegenheit, etwas mehr über die Eigenheiten der Maschine zu erfahren. Alles scheint soweit in Ordnung zu sein.
Um 13 Uhr können wir dann weiterfahren, bringen schnell die 30 Kilometer bis zum Grenzkontrollpunkt Vagha hinter uns. Es bleibt nun nichts übrig. Die Stunde der Wahrheit naht. So stürzen wir uns in die „Freuden” einer Grenzüberquerung von Indien nach Pakistan.
Leere Hallen, leere Schalter. Ruhiges, parkartiges Anwesen. Ein paar Zivilisten und müde Soldaten sind hier die Hüter.
Drei Kontrollen auf indischer Seite. Ich muß noch mal mit einem Beamten zurück fahren um Geld zu tauschen.
Sie wunderten sich, daß wir kein Carnet haben. Aber das ist nicht ihr Problem. Ob die Pakistaner uns wegen des fehlenden Carnets zurückschicken? Das wäre unterschiedlich, sagte der gelassene Mann in Toga und mit dem lässigen Turban auf dem Schädel, manchmal kämen welche zurück, andere scheinen durchgekommen zu sein. Sie wissen da auch nichts.
Die Anspannung wächst. Die Hoffnung auch. Wir wollen alles richtig machen! Dazu haben wir uns gegenseitig selber regelrecht vergattert.
Bloß nichts selber versauen!
Inzwischen rechnen die Beamten alle Umtausch - Quittungen nach, vergleichen mit den Kaufbelegen und Rechnungen. Hätten wir schwarz getauscht, wäre uns das hier zum Verhängnis geworden. Gut, daß wir alles aufgehoben haben, die Hotelrechnungen, sämtliche Belege und Quittungen.
Als ich weg bin, geht ein Beamter zu Lutz und will die Motorräder und das Gepäck filzen.
Lutz fragt ihn rundheraus, ob er Rauschgift suchen würde und stellt gleich klar, daß wir keines haben. Er erzählt dem Mann freundlich, daß wir weder rauchen noch Alkohol trinken und mit Rauschgift absolut nichts zu tun haben.
Es war zwar nun nicht ganz die Wahrheit, aber ausreichend überzeugend vorgetragen, denn die Prozedur wird gar nicht erst begonnen.
So bleibt uns hier sicher viel Nerverei erspart.
Und so ist das dann alles, was die Ausreise betrifft. Auf der indischen Seite des einzigen Grenzüberganges dieser Tausende Kilometer langen Grenze zwischen Indien und Pakistan verläuft somit erst mal alles recht normal.
Wir befahren dann die Schleuse zwischen den beiden Staaten und treffen noch zwei Polen, die uns, nach Indien einreisend, entgegen gewandert kommen.
Die ersten zwei Checks auf pakistanischer Seite sind dann auch problemlos.
Als das Carnet verlangt wird, zeigt Lutz dem Soldaten schnell die indische Zulassung. Dieser nimmt die Papiere gelassen entgegen und trägt nur die Nummernschildnummern in eine Liste ein. Dann gehts durch. Die Stempel der Einreise sind schon im Paß.
Ich sage, daß wir durch sind. Vor Überraschung bin ich recht aufgeregt. Beim Ordnen und Verstauen all der Formulare finde ich meinen Paß nicht.
Ich muß ihn hier eben irgendwo verloren oder liegengelassen haben.
So wuseln wir eine Zeit lang rum und es riecht schon nach unterdrücktem Streit, weil wir ja, so wie wir hier stehen und packen und fummeln, nun nicht gerade unauffällig sind.
Das gesamte Gelände wirkt wie innerhalb einer Kaserne. Oberflächlich recht ordentlich alles, Fahnenmaste mit den Flaggen daran, weiß getünchte Bordsteine und gefegte Plattenwege. Ein recht ruhiges Areal.
Ich gehe zurück, frage verschiedene Posten und muß zurück bis zu den Indern. Der letzte indische Posten hat dann tatsächlich den Reisepaß von mir. In der Aufregung hatte ich ihn an dieser Stelle glatt vergessen.
Lutz wartet inzwischen wie auf Kohlen.
Ich denke dann, daß die Grenzkontrolle nun gelaufen ist.
Lutz ist, wegen meiner Schußlichkeit wütend auf mich. So verkennen wir die Situation.
Es ist müßig darüber zu spekulieren, ob wir mit mehr Pfiffigkeit einfach durchgekommen wären. Wir hätten vielleicht nur die Straße zügig gerade aus fahren brauchen. Oder leise an der Abbiegung zum Zoll vorbeischieben müssen. An dem letzten Wachposten, der den Ausgang der Grenzstation markierte einfach vorbei.
Möglicherweise wäre dieser Posten in Selbstverständnis der Annahme gewesen, daß alles in Ordnung sei. Alle nötigen Bescheinigungen hatten wir jedenfalls.
Doch unbeherzt melden wir uns beim Zoll, begeben wir uns somit zur Endstation.
Dort plötzlich einige geweckte Hunde. Noch interessiert sich niemand für die Motorräder. Männer, die gar nicht identifizierbar sind, aber durch ihr forsches, selbstverständliches Auftreten einen offiziellen Eindruck machen, wollen wissen, wieviel Dollar wir haben, wieviel indische Rupis wir haben...
Wenns nur darum geht, kein Problem.
Im Handumdrehen tauscht einer mit unglaublicher Geschwindigkeit und zu selbstbestimmtem Kurs unsere restlichen indischen Rupis gegen pakistanische Rupis. Das war nicht der Rede wert. Dann gings um Dollar und überhaupt um Geld. Lutz hat, schon etwas paralysiert, einen Tausendmarkschein am Wickel, den er aber dann doch noch schnell und unerkannt wieder in seiner Geldhülle verschwinden läßt.
Oh, waren da unter den Umhängen, in denen das getauschte Geld verschwand, flinke Finger am Werke! Sie waren etwas zu sehr beschäftigt, somit hatten wir uns dann doch schnell gefangen und reagierten nun besonnen.
Wir haben nur Reisechecks.
Dann gehts los: Wo sind die Carnets?? Carnet de Passage!? Für die Motorräder!
Wir erzählen und erklären. Es hilft nichts.
Innerlich steigt uns das Blut zu Kopfe. Äußerlich tun wir so, als würden sie etwas von uns wollen, was vollkommen absurd ist.
Doch das ist für die Männer genauso absurd.
Kein Carnet bedeutet, die Maschinen bleiben hier. Sie zeigen uns, was sie meinen, wedeln demonstrativ mit einem Stapel Carets vor unseren Nasen.
No problem, wir dürfen einreisen. Selbstverständlich. Dagegen gibt es nicht das geringste einzuwenden. Doch die Motorräder nicht.
Dabei geht es doch nur um die Motorräder. Und so absurd es für die Zolltypen ist, daß wir ohne Carnets einreisen wollen, so absurd ist für uns der Gedanke die Motorräder hier zu lassen.
Unser freundschaftlicher Bekannter aus Berlin, ein Deutscher, der nicht umsonst Paki genannt wird, denn er hat wohl dreizehn Jahre in diesem Land hier gelebt, hatte uns doch diese einfache Weisheiten mit auf den Weg gegeben.
Recht banale Sprüche waren es, an welche wir uns nun klammerten.
Ihr müßt einfach mehr Zeit haben als die.
So simpel das auch klingt, es ist eine der besten Regeln überhaupt.
Nicht nur für Asien, nicht nur für die Reise oder für Probleme beim Reisen, nein, überhaupt und generell.
Das ist fast eine Ideologie des Erfolges.
Wir befolgten sie ja auch schon eine Weile immer mal.
Doch hier sollten wir diese Prämisse das erste Mal zur Blüte auflaufen lassen.
Wir hatten uns schon lange, lange im Vorfeld vorgenommen so geschickt wie nur möglich alle Register zu ziehen, damit es läuft, so, wie wir es wollten.
Abendfüllende Gespräche hatte es tatsächlich nur über diese Thematik gegeben. Nun war es soweit, das Examen lief.
Erst mal fanden lange Diskussionen mit verschiedenen Leuten statt. Dann mit den Effendis, uniformierte Hauptleute.
Man will uns sogar nach Delhi zurückschicken.
Da protestieren wir lauthals, daß wir nie wieder nach Indien zurückgehen werden und wie froh wir seien, endlich Pakistan erreicht zu haben.
Wir schimpfen lautstark auf die schlechte Luft in Indien und daß wir dort so krank geworden seien. Und wie wir uns nach Pakistan gesehnt hätten. Hier sei es doch tatsächlich ein ganz anderes Niveau.
Das alles kommt bei denen recht gut an. Die beiden Länder können sich ja nicht riechen. Und wir wiederum konnten es augenblicklich riechen, daß wir sicherlich nicht zurück geschickt werden würden.
Immerhin wäre es ja auch eine Blamage für die ersten Posten.
Wer weiß schon was so hinter diesen undurchsichtigen Beduinen - Larven vor sich geht!?
Als mir einer der Typen diskret zublinzelt und zischelnd verkündet, er hilft uns und wir helfen ihm, da wissen wir, es wird weitergehen.
Wir werden schon ins Geschäft kommen.
Immerhin ist erst mal soviel klar, daß wir nicht sofort zurück müssen.
Und wenn wir nicht zurückmüssen, dann müssen wir hierbleiben.
Und da wir nicht ewig hierbleiben können, werden wir irgendwann weiterziehen. Die Zeit spielt für uns, denn die Schichten der Zöllner und Soldaten wechseln ja auch und es ist unwahrscheinlich, daß das Geschäft mit uns anderen überlassen wird.
Der große Chef, der, wie fast alle, recht viel kleiner ist, als wir, schlägt dann die einzige Lösung vor, die er vor seinem pflichtschuldigen Gewissen verantworten will:
Wir sollen in Begleitung eines Zollbeamten zur Bahnstation nach Lahore fahren. Das ist die nächste große Stadt und etwa 30 Kilometer von der Grenze entfernt. Dort werden dann Fahrscheine für uns und die beiden Maschinen gekauft und dann sollen wir mit der Bahn, zusammen mit den Maschinen, welche unter Zollverschluß stehen, weiter nach Quetta fahren. Für die dortige Zollstation würde er einen Brief schreiben und wir müßten uns da melden, um unsere Fahrzeuge wieder frei zu bekommen.
Heute ist es jedoch für alles zu spät. Wir sind aber seine Gäste und dürfen im Aufenthaltsraum der Zöllner bleiben. Somit dürfen wir hier in der Zollstation übernachten. Wir könnten auch ins Land hinein. Doch die Idee kommt uns gar nicht erst.
Es ist, ja, man muß es so sagen, es ist schön hier. Wunderschön.
Ruhe, Vogelgezwitscher in den riesigen Bäumen, die Luft ist sehr gut und warm, die Männer sind freundlich und witzig, wir können uns frei bewegen.
So lassen wir es alles auf uns zukommen. Es ist 18.00 Uhr pakistanischer Zeit und ich stelle die Uhr um 30 Minuten zurück.
Wie schon erwähnt, weit über 2000 Kilometer Grenze zwischen diesen beiden Staaten und es gibt nur diesen einen Übergang!
Zu allem Überfluß wird der auch noch jeden Tag um halb vier nachmittags geschlossen.
Bis zum nächsten Vormittag halb neun geht dann zwischen diesen beiden Ländern an dieser Stelle nichts mehr. Somit wohl sonst auch nicht.
Wie unter diesen Umständen geschmuggelt wird, ist schwer vorstellbar, denn die Grenze ist ähnlich der ehemaligen innerdeutschen Bastion.
Die haben hier aus der täglichen Schließung einen regelrechten Kult gemacht und zelebrieren das jeden Tag wie eine Art Zirkusvorstellung.
Sogar Tribünen wurden dafür errichtet. Touristen scheinen gern gesehen zu sein, denn als wir filmen, wird nicht etwa gemurrt oder gedroht, wir werden an die dafür besten Plätze geführt. Es wird dafür gesorgt, daß wir Platz genug für unsere Arbeit als Dokumentaristen haben, und bereitwillig wird auch überall Platz gemacht. So kann Lutz gut filmen. Man muß sich vorstellen, daß in dem sonst verödeten Übergangsgelände so etwa Tausend Menschen dem Spektakel zusehen und auch daran teilhaben.
Das Ritual des Flaggeneinholens und die dazugehörige Maskerade wurden sicher von den Engländern übernommen und stammen noch aus der Kolonialzeit.
In dieser Art dürfte es wohl einmalig auf der Welt sein.
Choralartige, hymnische Parolen werden von Hunderten Menschen auf beiden Seiten des Grenzüberganges gerufen. Es ist immer ein Vorrufer und dann dröhnt der Chor der Massen. Auch von der indischen Seite wogen die inbrünstigen, triumphierenden Rufe der Zuschauer.
So etwas ist in unseren Breiten unvorstellbar.
Abendländische Fußballbrüllereien sind möglicherweise mächtiger und lauter aber es ist nicht ein Funke der mentalen Kraft in ihnen, wie sie diese Menschen hier offenbaren. Nicht ein Fünkchen dessen, was diese Leute hier bewegt.
Alles ist in diesem Choral enthalten: Die Liebe zu Gott, eine tiefe Sehnsucht, sie rufen den Schöpfer selbst, sie zeigen ihr Innerstes. Und sie haben etwas in sich, was ihnen diesen Ruf überhaupt erst möglich macht.
Der Ruf eint sie, und das Leben in ihren Köpfen ist plötzlich eine Melodie. Sie sind dabei. Und sie singen diese Melodie, sie sind diese Melodie selbst.
Danach trotten wir mit den zurückflutenden Massen wieder zum Zollgebäude.
Lungern erst ein bißchen auf dem Hof, dann im Raum. Und alles klingt nach.
Gegen Abend sind drei untere Chargen für die Nachtschicht da und machen uns recht säuerlich und eindeutig klar, daß wir in ihrem recht bequemen Aufenthaltsraum nichts zu suchen haben. Auf die ausdrückliche Einladung des Superassessors hatten wir es uns dort nämlich schon recht heimisch gemacht. So trollen wir uns in die Zollhalle. Es ist eine kahle, sterile Halle.
Wie ein toter Bahnhof mit dem Charme eines leeren Schlachthauses.
So etwa zwölf mal acht Meter und vier Meter hoch.
Blanke, große Gepäcktische, Bänke an den Wänden. Ölsockel und Beton.
Wir schlafen auf den Bänken.
Samstag,10. Februar, 25. Tag
Billige Alternative: Bahnen und Busse.
Heute sind wir schon um sieben Uhr aufgestanden.
Es ist noch richtige ländliche Ruhe. Aber eben richtige Ruhe. Nach Delhi eine berauschende, friedliche, unvorstellbare Ruhe. Eine Ruhe, die sich auf uns überträgt. Eine Toilette und Waschbecken ist auch an der Zollhalle und somit ist es doch durchaus recht komfortabel.
Ruhig beginnt dieser Morgen und dieser Urwert trägt auch zu ausgeglichener, zuversichtlicher Laune bei. Wir sind allein in dieser großen Halle.
Noch regt sich außer uns nichts hier. Die Nachtschicht hat es hier wohnlich sicher besser, als es ihnen ihr eigenes Zuhause bietet.
Im Laufe des Vormittags treffen die Jungs von gestern ein und es ist schon ein bißchen so, als kämen alte Bekannte. Irgendwie wunderlich ist es.
Der Boß der Station Vagha setzt sich an einen Tisch und schreibt in unserem Beisein langsam und umständlich einen Brief, der an den Chief-Officer des Customs-House in Quetta adressiert ist. Das Original geht per Post nach Quetta und die Durchschrift-Kopie bekommen wir mit.
Unsere Personalien, die Daten der Motorräder und unsere Ankunft in Quetta sind der Inhalt, verbunden mit der Anregung, in dieser Sache mit uns nach eigenem Ermessen, natürlich im Rahmen der Vorschriften, weiter zu verfahren.
Sie sind das Problem los. Wir kommen weiter. Die Zöllner sind zwar weiterhin sehr freundlich, geben sich jedoch in ihrer Arbeit ziemlich genau. Immer wenn der Chef uns etwas über den weiteren Verfahrensweg erklärt, und wir es zur Sicherheit noch mal wiederholen, strahlt er demonstrativ, lacht, als würde ihm ein Wonneschauer durch die Glieder fahren, als hätte er im Lotto gewonnen.
Er ist etwas dicklich, kleigewachsen, hat ein intelligentes, lustiges Gesicht, womit er aber auch um so ernster und besorgter dreinschauen kann, wenn ihm etwas gegen den Strich zu laufen scheint. Er gibt sich, als hätte er die Prozedur, mit welcher die Weiterreise ermöglicht wird, gerade für unseren Fall ersonnen. Sozusagen speziell für Lutz und mich und die Enfields erfunden.
Uns scheint es sonnenklar, daß sowas hier zu ihren Standards gehört.
Mit wichtiger Miene kommt es zum geschäftlichen Teil. Nun wird Kasse gemacht. Alle stehen herum, was der Abzocke den offiziellen Anstrich geben soll und die Weisheit und Bedeutung des Effendis, ihres genialen Chefs unterstreicht. Mit seinen Verkündungen steht er im absoluten Mittelpunkt der Aufmerksamkeit dieses unsichtbaren Theaterstückes.
Er erzählt, was der Brief kostet, was die Busrückfahrt für den Zollbegleiter von Lahore kostet, der mit Lutz auf dem Motorrad bis dorthin mitfahren wird.
Dann noch dies und das und schließlich sagt er, daß jeder von uns eintausend Rupis, also vierzig Mark bezahlen soll, womit alles abgegolten wäre.
Somit haben sie entweder total schlecht gepokert oder sie waren einfach nur fair und nutzten ihre Position nicht schamlos aus.
Unsere Schmerzgrenze wäre erst etwa beim Fünffachen gewesen. Unter uns hatten wir darüber geredet, daß mit hundert Dollar pro Nase zu rechnen sei.
Sie lassen uns weiterfahren, wenn auch nur mit der Bahn.
Es ist nicht sehr nach meinem Geschmack, aber nicht zu ändern.
Lutz hält zweitausend Rupis hin und ich auch. Kurze Irritation auf beiden Seiten. Tausend pro Person wird vom Hauptmann nochmals betont.
Möglicherweise hätten sie sich nun auch am liebsten gemeinschaftlich in den Arsch gebissen. Zweitausend pro Nase wären auch gut gewesen.
Doch nun ist es zu spät.
Um das zu kompensieren fällt dem Effendi plötzlich noch ein, daß wir dem Küchenjungen für den Tee auch noch hundert Rupis geben sollten. Das ist jedoch durchaus unasiatisch. Für Tee bezahlt man nie, wenn man eingeladen wird. Zumal er uns gestern vollmundig als seine Gäste bezeichnet hat.
Uns ist das doch scheißegal! Wir bezahlen. Vielleicht spüren die Anderen nun die Peinlichkeit und den Ausrutscher ihres Chefs erst recht. Außer der Junge mit dem Tee. Für den ist durch den Effendi gerade Weihnachten geworden.
Dann fahren wir los. Doch was heißt das schon? Ein Abschied wird das, als trennten sich Freunde. Mit Umarmungen wird nicht gespart. Beste Wünsche begleiten uns ungläubige Höllenhunde. Es ist echt wundersam. Tränen fließen zwar nicht, es hätte uns aber auch nicht gewundert.
Dann geht es ab. Durch die Flächen der Armut fahren wir die knapp dreißig Kilometer bis nach Lahore. Der Hilfszöllner grüßt stolz vom Rücksitz aus in viele Richtungen, wenn wir diese dörflichen Elendssiedlungen durchfahren.
Das Leben pulsiert, gluckst, lacht und winkt und macht wieder deutlich, daß Zufriedenheit keine Verwandte der sogenannten Hochkultur ist.
Es geht bis zum Bahnhof und sie lassen uns wirklich keinen Moment mit unseren Maschinen allein. Irgendwie hoffen wir immer noch, daß wir uns auf die eine oder andere Art verdrücken können und Pakistan auf unseren Gefährten durchqueren können.
Doch dann auf dem Bahnhof in Lahore, wo wir um neun Uhr fünfundvierzig eintreffen, merken wir deutlich, daß dies wohl nur ein frommer Wunsch bleiben muß. Und eigentlich ein undankbarer dazu. Brauchen wir uns doch nun erst mal um nichts zu kümmern. Wer weiß, was uns erspart bleibt durch diese Fügung.
Mal sehen, ob wir die Karten für uns und Motorräder noch bezahlen können. Wir haben zusammen nur noch etwa 3300 Rupis.
Daß wir nur so mäßig abgezockt wurden, ist vielleicht hauptsächlich unserer Beharrlichkeit und der immer wieder strapazierten Behauptung, wir hätten weder Dollar, noch D-Mark, sondern nur Reiseschecks, zuzuschreiben.
Hier auf dem Bahnhof beginnt dann eine langwierige Prozedur, die aber zu guter Letzt damit endet, daß wir im Zug nach Quetta sitzen. Wir haben für nur 530 Rupis, was so zwanzig Mark sind, 1200 Kilometer Bahnfahrt und Sitzplätze erworben. Wir sind in einer vollkommen fremdländischen und anders sprechenden Gesellschaft, von der wir bisher nur gehört haben, daß sie so sehr freundlich sein soll. Wir werden sehen.
Es ist inzwischen zwölf und der Zug scheint jeden Moment abzufahren.
Das Verladen geschieht unter Anteilnahme und Mithilfe einer breiten Öffentlichkeit auf diesem schönen, sehr vollen, großen Bahnhof.
Der Hilfszöllner sagt zu mir, daß er doch für den Brief noch dreihundert Rupis benötigt. Ich lächele ihn verschmitzt an und drohe lustig mit dem Finger und sage ihm so etwa: „Freundchen, Freundchen, dein Chef hat doch gesagt, es ist alles mit der Summe, die wir bezahlt haben, abgegolten. Das waren zweitausend Rupis! Du bist ein Schelm, ja, du bist ein Schelm, willst noch bißchen Geld für dich selber raushandeln, was?“ Jedenfalls brachte ich ihn somit zum Lachen und wir mußten schließlich alle drei laut lachen. Naja, hat er es eben noch mal auf eigene Faust versucht. Wir verdenken hier niemandem etwas.
Bisher.
Es sind eben Schlitzohren und wir sind doch für sie sowieso nur ungläubige Schweine. Und dennoch sind wir selber ja auch Schlitzohren, also ist da schon eine gewisse, augenzwinkernde Kumpanei.
Er verabschiedet sich dann doch mit Umarmungen von uns und Lutz steckt ihm im Händedruck, unsichtbar für alle, noch zweihundert Rupis zu.
Er sagt mir dann, daß wir ihn ja auch nicht enttäuschen dürfen, sonst gibt der den Brief vielleicht erst später auf.
Hat er auch wieder Recht.
Hier ein paar Stationen, die wir an diesem Nachmittag passierten:
14.40 Okara, 15.20 Sahiwal, 16.43 Mian Channum, 17.45 Khanewal Multan.
Danach wird es draußen dunkler, so daß es recht schwierig ist, die Namen der einzelnen Stationen zu entziffern. Manche kurze Unterhaltung mit den Mitreisenden tut dann ein Übriges, uns von der Verfolgung der genauen Strecke abzulenken.
Um 22.45 Uhr kommt dann ein größerer Halt: Khan Pur.
Ein gespenstischer, langer Bahnsteig, der in absoluter Dunkelheit des Umfeldes wie am Ende der Welt liegt. Durch die Abteilfenster unseres wartenden Zuges fällt fahles Licht auf den dunklen Boden des Bahnsteiges. Es unterstreicht jedoch nur die Schwärze der Nacht. Hier ist die Fremde. Der Atem einer anderen Zeit streift uns. Die Vorstellung, daß unser Zug ohne uns losfahren könnte, ist irgendwie da. Und sie ist äußerst trostlos. Das macht die Müdigkeit und auch die Erschöpfung des Tages, auch wenn körperlich kaum etwas geleistet worden ist.
Ein flutender, greller Lichtstrahl jagt heran. Es ist der Scheinwerfer einer Lock. Ein gewaltig donnernder Kasten, der einen schier endlosen Güterzug hinter sich hat. Das rast plötzlich auf dem Gegengleis an der anderen Seite der Plattform vorbei.
Der Fahrtwind dieses brausenden Ungeheuers wirbelt alles auf und beutelt uns zwischen Staub und Müllfetzen.
Als der Zug so schnell wie er gekommen ist verschwindet, bleibt die Dunkelheit um so fetter.
Ein schwarzes, brüllendes Ungeheuer mit der Geschwindigkeit von vielleicht einhundertdreißig Stundenkilometern. Am letzten Waggon kein Licht, die Lock schon einen Kilometer weiter, als das Rattern des Schienenstranges dumpf verhallt. Bald darauf setzt sich unser Zug in Bewegung. Allerdings mit der gewohnten, mäßigen Geschwindigkeit.
Sonntag, 11.Februar, 26. Tag
Quetta, Afghanistan ist zu sehen.
Trotz freundlicher Menschen in diesem recht ordentlichen, übervollem Zuge, wollen wir mißtrauisch bleiben und keine Vorsicht außer acht lassen.
Das heißt daß trotz bleierner Müdigkeit nur einer schlafen könnte. Einer muß das Gepäck bewachen. Es ist wohlweislich in direkter Sichtweite plaziert.
Doch wo? Könnte man überhaupt schlafen. Alles ist belegt. Und zwar dicht an dicht. Für uns bleibt knapp Platz zum Sitzen.
Lutz meint, daß man an der Erde schlafen könnte. Der Boden ist unvorstellbar schmutzig und ich halte das für undurchführbar.
Das Hinlegen auf den Boden würde neben irreparabler Verdreckung des Schlafsackes auch noch Gemütsschäden nach sich ziehen. Es ist, Müdigkeit hin oder her, es ist einfach derart würdelos.
Denn nicht nur Dreck, auch die Sitten, eigentlich Unsitten, lassen die Situation so ausweglos erscheinen. Wir sind bestimmt nicht pingelig. Aber weil viele Pakistaner die eklige Angewohnheit überall hinzuspucken haben, entfällt diese Möglichkeit.
Lutz läßt sich davon in seinen Plänen nicht beeindrucken. Einmal, da ich ihm klar gemacht habe, daß es nicht möglich ist, auf dem Abteilboden zu schlafen, ist er in Beweisnot, daß es -geht nicht- gar nicht gibt.
Er macht mir klar, daß wir schlafen müssen. Und es gibt nur eine Möglichkeit. Auf vielen der schmalen Pritschen schlafen auch zwei. Nur der Fußboden bietet tatsächlich eine Möglichkeit, die jedoch von absolut niemandem genutzt werden würde.
So rennt er dann schließlich ein paar Mal zwischen unserer Bankgruppe und dem Klo hin und her. Er hatte den Einkaufsbeutel, die langjährige provisorische Hülle seines Schlafsacks, zum Scheuerlappen umfunktioniert.
(Später hat er ihn wieder zum alten Zwecke benutzt!)
Gewissenhaft hat er die zwei Quadratmeter des Waggonfußbodens sauber gewischt. Dann den Beutel ausgewaschen, so gut das ging
Es ist nun tatsächlich leidlich sauber, und ich, der es als absolute Unmöglichkeit bezeichnet hatte, lege mich erst mal gemütlich hin.
Natürlich nicht in meinem eigenen Schlafsack. Der von Lutz ist nun mal schon ausgepackt. Lutz darf die erste Nachtwache machen.
Er macht dann noch leise ein paar Video-Studien der schlafenden Mitreisenden. Die sehen wie Mumien aus, wie sie überall von der Müdigkeit überwältigt liegen. Der Schlaf tut dermaßen gut und es ist fast gemütlich und viel besser als auf den Sitzen, weil es möglich ist, sich auszustrecken, denn es ist genug Platz.
Drei Uhr in der Nacht ist wieder längerer Halt. Das Publikum wechselt. Ich sehe nun nach zwei Stunden Schlaf viele neue Gesichter.
Gegen vier habe ich ein interessantes Gespräch mit einem englisch sprechenden Pakistani. Wir erfahren von einem Schwarzmarkt für Mark und Dollar. Offiziell kostet eine Mark 25 Rupis und schwarz angeblich zweiunddreißig. Die Drängelei der Zöllner und das hastige Tauschen am Grenzübergang erscheinen somit in einem ganz anderen Licht. Klar, von ahnungslosen Touris kauft man schnell in den Wirrnissen der Unklarheiten die guten Dollars und Mark noch weit unter dem offiziellen Kurs. Und richtigen Gewinn beschert dann der Weiterverkauf auf dem schwarzen Markt. Also, auch im Osten nichts Neues!!
Ganz nebenbei erfahre ich, daß in Quetta, wohin der Zug uns bringt, letzte Woche minus 16 Grad waren. Sehr schöne Reisebedingungen...
Um dreiviertel neun am Morgen erreichen wir Sibi. Dort wird wegen der Anstiege in der Gebirgsregion ein Teil des Zuges abgekoppelt.
Hundert Rupis für das letzte Stück bis Quetta müssen wir beim Nachlösen bezahlen. Dafür gibts nun allerdings nur noch Stehplätze.
Als wir 10.35 Uhr Abigum ereichen, befinden wir uns in einem malerisch gelegenen, von Bergen umschlossenen Hochtal. Natürlich halten wir auch das mit der Video - Kamera fest, denn so ein feines, langweiliges Filmdokument sagt doch mehr aus als alle anderen Überlieferungen.
Im Zuge sind zwei angenehme pakistanische Soldaten. Der eine hat strahlend blaue Augen und ein schmales europäisches Gesicht. Wir sind ja auf der Route der Indogermanen. Und ein paar sind damals sicher hiergeblieben.
Zwei Stunden später Kolpur, die letzte Station vor Quetta.
Um halb zwei ist es dann soweit und der Zug fährt in den Bahnhof von Quetta ein. Quetta liegt ziemlich zentral im pakistanischen Hochland und ist sowohl Grenz-, als auch Distrikthauptstadt.
Die Motorräder bugsieren wir dann mit einheimischer Hilfe aus dem Waggon.
Wenn wir gleich durchgestartet wären, wären wir weg gewesen. Doch trödelig wie wir sind, kommt dann doch noch ein „General Wichtig“, der irgendwie Bescheid bekommen hat. Und so gehts, vom Bahnsteig direkt zum Gepäcklagerraum.
Dort hilft kein Diskutieren. Bitten und betteln haben keinerlei Effekt.
Auch ein kleiner Bestechungsversuch bringt unsere kurze Freizügigkeit nicht zurück. Die Maschinen sind immer noch unter Zollverschluß und wir sollen morgen früh zum Customs-House Quetta gehen und uns dort melden.
Wollen also morgen sehen, ob wir ohne viel Theater von hier wegkommen.
Wir kaufen ein paar Lebensmittel und essen erst mal was im schnell gebuchten Hotelzimmer.
Dann ein Spaziergang durch die Stadt mit einigen Filmereien.
Man war ja schließlich hier!
Ich suche immer noch nach einer Super-VHS Kassette für die Kamera.
Nicht zu bekommen. Kennt hier gar keiner.
Im Gehen treffen wir recht unerwartet auf einen Deutschen aus Bayern.
Wir kauderwelschen erst auf Englisch herum, bis es uns dann dämmert, daß es ja mit Bayern möglich sein muß die deutsche Sprache zu Kommunikationszwecken zu nutzen.
Kurzentschlossen versuchen wir auch die Qualität der Informationsübermittlung durch Anwendung der Heimatsprache zu verbessern. Seine bayrischen Signale sind dann auch leichter zu deuten, als die angelsächsischen Kodierungen vorher.
Er bittet uns, nach ein paar Freunden von ihm Ausschau zu halten. Sie wären ganz leicht zu erkennen, da sie mit einer alte Feuerwehr unterwegs sind.
Es gibt zwar keine Zufälle, aber zufällig, wenig später, als ich gerade wieder mal filme, sehen wir das große rote Feuerwehrauto mit deutschem Kennzeichen.
Als wir winken und rufen, hält der Fahrer den LKW mitten auf der Kreuzung an.
Das bietet gleich gute Gelegenheit, mich von zwei bohrend- freundlichen Polizisten loszueisen, die mir gerade erklärt haben, daß in der ganzen Stadt das Filmen und Fotografieren verboten sei. Ich hatte die beiden Ordnungshüter bei ihren Erklärungen gut vor der Linse.
Ihrer eigenen Eitelkeit muß das nicht wenig geschmeichelt haben. Sie beanstandeten nichts. Fragten, wie es uns hier gefällt, was wir von den Leuten hielten und ob alle freundlich wären und vieles mehr.
Daß da eine große, rote Feuerwehr fast mitten auf der Kreuzung stand, den gesamten Verkehr behinderte, und der Fahrer mit mir erst einmal ein längeres Schwätzchen machte, schien sie absolut nicht zu interessieren.
Wobei ich mir vorstellen kann, daß die uniformierten Männer auch ganz anders können. Doch wir beachten freundlich ihre Würde und ihre Kompetenz und der Öffentlichkeit entgeht es nicht, auf welch gutem Fuße die Ausländer mit der Staatsmacht stehen.
Nach ein paar Minuten fahren wir mit der Besatzung aus der Feuerwehr weiter. Man soll die Geduld von Polizisten eher nicht überstrapazieren.
Für morgen wird dann ein Besuch mit den Feuerwehrleuten vereinbart und wir suchen unser Hotel auf, duschen, waschen noch Wäsche und hauen uns dann in die Schlafsäcke. Es war ein langer, sehr interessanter Tag.
Montag, 12.Februar - 27. Tag
Studientage für asiatische Büroleistungen
Dieser Morgen sieht uns in völlig unbegründetem Optimismus grob packen und dann das sogenannte Customs-Office aufsuchen.
Wir sind viel zu früh dort. So warten wir. Schlendern durch die bewachten Straßen und schlagen ein bißchen die Zeit dabei tot.
Um halb neun ist hier wohl noch lange keine Bürozeit.
Irgendwie bekommen wir dann mit, daß wir am falschen Bürohaus sind und begeben uns mit einem der unvermeidlichen Tuk-Tuks in Richtung Airport. Dort ist das für uns entscheidende „Customs House Of Quetta”.
Wieder Warten.
Der Chef kommt erst so gegen zehn, was sicherlich elf heißt.
Wir wappnen uns in Geduld und Gleichmut. Wir haben Zeit. Das stimmt in diesem Falle zwar nicht so richtig, doch es ist tatsächlich die einzige Möglichkeit, mit den Behörden hier umzugehen.
Aber, welch eine angenehme Überraschung: schon kurz vor zehn Uhr kommt der Bearbeiter.
Nur, was nicht da ist, sind die Originalpapiere aus Vagha. Die amtlichen Papiere, wo der gesamte Vorgang geschildert ist. Wir haben ja die Kopien von dem Schreiben, doch auf Grund unserer Kopien will hier niemand eine Entscheidung treffen.
Wir sitzen also im Büro des „Assistent Collektor Of Customs”, so der offizielle Titel. Wir erzählen von Deutschland, berichten über unsere Reise und beobachten so nebenbei, was ein richtig wichtiger Beamter hier in Pakistan so zu leisten hat. Mittags werden wir eingeladen. Auf dem Schreibtisch stehen die Speisen auf einer ausgebreiteten Zeitung. Es sind Speisen von außerordentlicher Qualität. Wenn es nicht sogar das beste Essen bisher überhaupt ist, wie Lutz nicht unberechtigt meint. Es ist reichlich da und alle langen gemächlich zu. Immer wieder trinken wir guten Tee, der uns im Laufe des Tages ständig angeboten wird.
Die Arbeit unseres freundschaftlich gesonnenen Gastgebers besteht darin, Papiere und Dokumente zu bearbeiten, die ihm von Kollegen mit Bademantel-ähnlicher Bekleidung, Turban und Kalaschnikow höflichst hereingereicht werden. Er selber sieht recht westlich aus. Er trägt einen Jeans - Anzug, er ist jünger als wir und spricht gut englisch. Er hat gute, freundliche Augen und gute Manieren.
Was er so über den Tag leistet, offenbart sich uns, da wir den ganzen Tag bei ihm sitzen. Es sind wohl so an die zwanzig Unterschriften und Stempeldrucke, die er überflogenen Papieren verpaßt. Doch die absolute Hauptsache sind unsere Erzählungen und Antworten auf seine Fragen der Rest scheint ihm wie lästiges Beiwerk. Ein Arbeitstag eines Zolloffiziers in Pakistan.
Er ist echt interessiert, ausgewogen freundlich, aber nicht zu irgendwelchen Zugeständnissen bereit, was unsere Weiterreise per Zweirad betrifft.
Das muß sein Chef entscheiden. An dessen Autorität fällt ihm sicher nicht mal im Traum ein zu zweifeln. Und überhaupt müssen für alle Entscheidungen erst die Originalpapiere hier sein.
Vielleicht ist der Mann auch Geheimdienst Mitarbeiter. Jedenfalls genießt er sichtlichen Respekt. Wir somit auch. Dennoch rührt sich nichts.
Es ist zum Auswachsen. Natürlich bleiben wir ruhig.
Kurz nach drei verabschiedet man uns.
Bis morgen, heißt es. Um die gleiche Zeit.
Als wir das Gebäude verlassen, beutelt uns ein leichter Sandsturm und es ist empfindlich kalt im pakistanischen Hochland. Deshalb schnappen wir uns ein vorbeifahrendes Tuk-Tuk und lassen uns zum Bahnhof kutschieren.
Dort angekommen probieren wir bei einem anderen „Effendi” noch mal, die Maschinen frei zu bekommen.
Wir ziehen alle Register, packen die gesamte Trickkiste aus. Alles vergeblich. Keiner will sich offensichtlich über die Bestimmungen hinwegsetzen und man verweist uns wieder, höflich, aber bestimmt an die Zollbehörde.
Auf unserem Weg zum Hotel treffen wir dann die Leute mit der Feuerwehr wieder. Wir helfen denen, die Batterien zu wechseln. Sie haben Ärger mit dem Anspringen, wodurch die Starterbatterien so ziemlich leer waren. Nach dem Umbau lief die alte Merzer - Kiste wieder. Wir gehen zum Hotel.
Da treffen wir den Bayern, der sich inzwischen auch in unserem Hotel einquartiert hat. Denn hier gibt es eine Heizmöglichkeit. Es sind offen flammende Gasheizgeräte auf den Zimmern. Da nachts strenger Frost herrscht, war das für ihn ein guter Grund, das Hotel zu wechseln.
Auch zwei besondere Hartbeine sind in unserem Hotel untergebracht. Es ist ein belgisches Paar. Diese Beiden sind mit Fahrrädern unterwegs. Sie kommen aus ihrer Heimat und wollen nach Nepal. Hier im Hotel warten sie nur auf Ersatzteile für ihre modernen Räder.
Diese Tour der beiden läßt ziemlich staunen, irgendwie traut man anfangs seinen Augen und Ohren nicht, wenn man in der Fremde immer wieder außergewöhnlichen Menschen begegnet. Für viele der Weltreisenden sind die Unternehmungen das Leben in Selbstverständlichkeit.
Auch für uns ist die Reise ja nun doch schon Alltag geworden.
Doch einig sind wir uns, als wir anschließend die Radtour der Belgier reflektierten, daß wir unkomplizierte Räder nehmen würden, falls wir so was überhaupt draufhätten.
Carnets würde man allerdings nicht brauchen! Und viele andere Bedingungen, wie Hotelaufenthalte, Fährbenutzung, Eisenbahnfahrten, alles wäre einfacher und billiger. Reparaturen wären überall einfach durchzuführen, Spontanität und Beweglichkeit wesentlich vielschichtiger als mit den Motorrädern am Hacken. Dafür sind wir jedoch schneller und müssen uns nicht abstrampeln.
Wir sind dann ein paar Zimmer weiter zu dem neuen Gast rüber gegangen.
Es ist jetzt halb acht, und der Reisende aus Bayern ist unser Einladung gefolgt, wir sitzen zusammen in unserem Zimmer.
Etwas Kuchen hatten wir gekauft. Lutz spielt auf der Gitarre des Bayern.
Wenig später kommen auch noch die Feuerwehrleute und wir gehen wegen der Raucherei alle in sein Zimmer rüber. Da drei Leute qualmen, verabschiede ich mich recht schnell und gehe wieder in unsere Buchte.
Wie Lutz das bei denen so lange aushält, ist mir ein Rätsel.
Es ist halb neun und ich sitze in Ruhe und allein vor der Karte. Ich zeichne gleich die gesamte Strecke ein, die nun schon hinter uns liegt. Bis Quetta.
Lutz hat wohl noch bis halb Elf rumgeklimpert, ein paar Züge von den umgehenden Joints gemacht und ist dann auch pennen gegangen.