Читать книгу Pappelallee - Andreas H. Apelt - Страница 11

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Ein komischer Vogel ist er ja.

Wer? Der Graustock?

Nein, der natürlich auch. Aber ich mein den Hülsmann.

Ach der, jaja, wie der schon rumläuft. Mit dieser schweren alten Zimmermannskluft. Und das nur wegen der großen Taschen und dem Stoff, der so derb ist, dass der noch in hundert Jahren hält. Nur waschen kann das keiner.

Ja, das sieht schon komisch aus, ein bisschen wie früher. Und der Hut erst. Vielleicht weil keiner die langen schwarzen Haare sehen soll.

Also ein Gang zum Friseur könnte da nicht schaden.

So gehen sie auseinander, die Frenzel und die Postfrau. Vorn im Hauseingang, wo die Briefkästen in einer langen Reihe an der Wand hängen.

Doch Hülsmann ist das egal. Genauso wie ihm vieles andere auch egal ist. Lebt eben sein eigenes Leben, da im zweiten Stock eines Mietshauses im Pappelkiez, Prenzlauer Berg. Fährt zur Arbeit ins Theater, Frühschicht oder Spätschicht, schiebt die Kulissen hin und her, baut auf und ab, trägt was hierhin und dorthin. So wie man das macht, wenn man sich Theaterarbeiter nennen darf. Oder besser Theaterhandwerker, was auch nichts anderes ist als ein Kulissenschieber. Und damit die unterste Ebene der Hierarchie im Theater beschreibt. Da ist der Lothar schon was anderes als Theaterelektriker oder die Leute auf dem Schnürboden oder gar die Requisiteure.

Aber Hülsmann ist auch das egal. Wenigstens, er ist am Theater. Und das wegen der Stücke, ob am Abend oder in den Proben. Es sind die Dialoge, die es ihm angetan haben. Dialoge?

Ja, Dialoge. In den Worten spiegeln sich die Seelen der Menschen, sagt er. Es ist wie das Abschreiten eines unbekannten Terrains. Ein Schachspiel mit Worten und unvorhersehbarem Ausgang. Umso komplizierter, desto besser. Am Ende gibt es immer einen Sieger. Oder zwei Verlierer.

Und das nur wegen der Sprache. Die Sprache verrät die Menschen. Dazu brauchen sie gar nicht handeln. Die Sprache verrät sogar das Denken.

Also dann doch wieder Dialoge. Das Aufeinanderprallen von Gefühlsarmeen und Denkpolizisten. Egal ob Heiner Müller oder Molierè, alles interessiert ihn. Vielleicht weil er selbst schreibt, aber das ohne Erfolg. Theater! Als wenn die Welt nicht Theater genug ist.

Hülsmann bringt es so zu nichts, wie schon Frau Neumann bei der letzten Aussprache betonte. Und die weiß es genau. Ist schließlich Kaderleiterin an der Volksbühne. Eine Autorität also und das will schon was heißen. Oder könnte zumindest.

Da hat Hülsmann nur gelacht, den schwarzen Hut wieder aufgesetzt und das Zimmer der Kaderleiterin verlassen. Wozu sollte er es bringen?

Er hat doch was, etwa eine Freundin, eine echte, und die ist immerhin Ärztin, auch wenn der Vater Katharinas gegen diese Beziehung ist. Aber was anderes kann auch Hülsmann nicht erwarten, schließlich ist der Vater in der Partei und dann noch ein Sekretär. Und Parteisekretäre, egal an welcher Institution sie auch immer arbeiten, werden sich immer schwertun mit Menschen wie Hülsmann. Menschen, die so gar nicht in das Bild der Gesellschaft passen, wie der Vater das sagt. Und Heinrich Hoffmann, wie der Vater heißt, hat dafür immer ein Gefühl, ob jemand passt oder nicht. Schließlich hat er Lebenserfahrung.

Kein Wunder, denn dank der gesellschaftlichen Bedingungen, wie er bei jeder Gelegenheit betont, hat er sich hocharbeiten können. Und das aus ärmlichen Verhältnissen. Die Mutter Putzfrau, der Vater Schaffner. So ist aus dem Dreherlehrling eines Schwermaschinenkombinats ein Propagandist und aus dem Propagandisten ein FDJ-Sekretär geworden. Dazu bedurfte es einiger Anstrengung, die Heinrich Hoffmann nicht scheute. Parteilehrjahr heißt so eine Anstrengung, also Schulung, sozialistische Ökonomie und Marxismus-Leninismus, damit das Ganze eine Grundlage hat. Lernen, lernen, nochmals lernen war einer der Wandzeitungssprüche, mit denen Hoffmann groß geworden ist und die er ganz und gar verinnerlichte. Wenn dann noch ein fester Klassenstandpunkt hinzukommt, kann nichts mehr schiefgehen. Gar nichts mehr.

Hoffmann lächelt. Es ist so ein vielsagendes überhebliches Lächeln. Am Ende ist aus dem FDJ-Sekretär ein Parteisekretär im Kabelwerk Oberspree geworden. Einer, der jetzt hinter einem großen Bürotisch sitzt und sich nicht mehr die Hände schmutzig machen muss. Dafür ist er eine Art zweiter Betriebsdirektor mit weitgehenden Vollmachten, wenn es um den Produktionsprozess und die Planerfüllung geht. Und er kann in verantwortlicher Position am Sieg des Sozialismus arbeiten. Was schon schwer genug ist. Auch wenn die Republik in wenigen Monaten ihren 40. Geburtstag feiert. Geschafft ist es noch lange nicht.

Entsprechend missmutig schaut er mit berechtigtem Argwohn auf die Entgleisungen in der Gesellschaft. Da vergeht ihm das Lächeln gleich.

Muss doch nur daran denken, was da los ist in Budapest und neuerdings sogar in Berlin. Da sollen irgendwelche Bürger zur BRD-Botschaft und wollen am liebsten bleiben oder gleich nach dem Westen. Selbst wenn es nicht mal eine Handvoll ist und eigentlich völlig zu vernachlässigen. Aber, schimpft Hoffmann, wo kommen wir denn da hin, die Rechtsordnung so zu missachten. Und angefangen hat das alles mit der Perestroika. Kann ja gut sein, dass der Gorbatschow neue Ideen hat und so, aber ehrlich, vorher gab es so was nicht. Das muss man doch auch mal zur Kenntnis nehmen!

Entgleisung also, so eines seiner Lieblingswörter, der meist die Entfremdung vorangeht. Und natürlich fehlt in diesem Vokabular auch nicht die Entartung. Entartet ist bei Heinrich Hoffmann viel, die Jugend, die Zeit, das Denken, die Kunst.

Da haben es die Hülsmänner nicht leicht. Vor allem wenn sie sich zu allem Überfluss, mit eben dieser Kunst schmücken. Denn Kunst ist, wie Hoffmann meint, nicht nur nicht handfest, das ginge ja noch, Kunst ist gefährlich. Und man weiß ja nie, wo es damit endet.

Also, was noch?

Nun, Hülsmann hat sein Buch und den Mantel. Natürlich hat Hülsmann noch viele Bücher, aber dieses ist eben ein besonderes. Und das nicht nur wegen dem braunen Schweinsleder.

Kein Wunder, wenn es Hülsmann sein Heiligtum nennt. Alles was er darin festhält und das ist, obgleich ausgesucht, nicht wenig, wird Teil der Ewigkeit. Das Buch, das er auch heute liebevoll seine Parerga und Paralipomena nennt, behütet er wie seinen Augapfel. Stets trägt er es bei sich und hat dafür in die Innenseite seiner Weste eine Tasche genäht. Das Buch bläht so den Bauch, aber auch das ist Hülsmann egal, das Buch bleibt bei ihm.

Die Texte sind kaum leserlich. Hülsmanns Schrift ist nämlich klein, so klein, dass sie kaum zu entziffern ist. Da braucht es manchmal eine Lupe. Aber es liest ja auch niemand. Nur Hülsmann selbst und der hat allen Grund, das Buch bis zur letzten Seite zu füllen. Sei es mit Theaterstücken, Gedichten, Erzählungen, Zitaten oder nur Dialogen, die Hülsmann irgendwo aufschnappt und dann zu Papier bringt. Je kleiner er schreibt, desto mehr kann er sich mitteilen.

Das Buch ist Teil seiner selbst, mit ihm hält Hülsmann Zwiesprache, ihm vertraut er sein Denken und Fühlen an. Es ist eine Art Tagebuch ohne Tagebucheintragungen, weil Hülsmann seine Worte anderen Figuren in den Mund legt. Und diese Figuren wiederum sind Teil seines eigenen Theaters.

Ähnlich theatralisch verhält sich Hülsmann mit dem Mantel. Einem echten Zaubermantel, wie er sagt. Gekauft hat er ihn im Zweite-Hand-Laden Pappelallee, Ecke Stargarder. Es ist der größte Trödelladen im Kiez. Der Mantel ist aus schwerer schwarzer Wolle und so lang, dass er bis zu den Knöcheln reicht. Die Zauberkraft dieses Mantels besteht in seiner Tarnfunktion. Angezogen verschwindet man mit ihm und kann fortan die Welt aus dem sicheren Abstand eines Unsichtbaren betrachten. Also doch goldwert! Und wer wollte nicht mal unsichtbar sein und damit sich und alle Welt vergessen? Also auch das ist normal, jedenfalls nicht ungewöhnlich. Warum allerdings ausgerechnet dieser Mantel unsichtbar macht, kann nicht mal Hülsmann sagen, der sonst für alles eine Erklärung hat. Und das man an der Pappelallee, Ecke Stargarder, Zaubermäntel für zwanzig Mark verkaufen soll, erscheint auch wenig glaubwürdig. Aber vielleicht war es eben Zufall, so wie alles in der Welt Zufall ist oder Schicksal oder gottgegeben. Eben vorherbestimmt. Oder?

Nein, nein, so weit will dann auch Hülsmann nicht gehen. Immerhin hängt das wertvolle Stück griffbereit an einem dicken Haken neben seiner Wohnungstür. Ist er nicht mehr da, gibt es auch Hülsmann nicht. Der lässt sich dann im Mantel auf seinem dicken braunen Ledersessel nieder und betrachtet die Welt aus der Ferne. Entrücktsein, nennt er seinen Zustand selbst. Oder Kontemplation in Zeit und Raum!

So also ist es mit Hülsmann. Von wegen, dass er es zu nichts bringt. Da kann die Kaderleiterin an der Volksbühne noch so sehr das Gegenteil behaupten. Und was heißt das schon, es zu etwas bringen. Das Leben schreibt seine eigenen Aufgaben, sagt Hülsmann, wer sie löst, ist erlöst.

Also doch!

Was?

Ein komischer Vogel.

Pappelallee

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