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Nun also Katharina. Schöner Name, wenn man so will.

Ist ja auch eine Schönheit, sagt Voss. Die langen schwarzen Haare, lockig bis zur Schulter. Das Gesicht, naja, schmal mit hellen aufgeweckten Augen und großen weißen Zähnen. Also doch, eine Schönheit.

Jedenfalls was man sieht.

Der Hülsmann sieht mehr. Und kann sich trotzdem nicht beschweren. Warum auch. Katharina ist schon was Besonderes.

Ja, ohne Widerrede.

Mein Schneewittchen, sagt Hülsmann. Und wie er das sagt, denkt er schon wieder hinter das Wort.

Vielleicht weil ihm jetzt die Gegenspieler im Kopf herumspuken, die böse Königin und der Jäger. Und natürlich die Utensilien des Bösen: der Spiegel, der vergiftete Apfel, der Haarkamm. Aber vielleicht denkt Hülsmann auch an Schneeweißchen. Ein Begriff, den die Grimm-Brüder ebenfalls verwendet haben und den Hülsmann so gern benutzt. Schon um Schneewittchen ein weiteres Kosewort an die Seite zu stellen.

Egal, Schneewittchen ist keine verstoßene Prinzessin, sondern Ärztin im Krankenhaus Prenzlauer Berg an der Fröbelstraße. Noch nicht lange, dafür ist sie noch zu jung, aber lang genug, dass sie geachtet ist. Schließlich kann die junge Frau was. Jedenfalls in ihrem Fach der Allgemeinmedizin. Das Studium an der Humboldt-Universität war nicht umsonst.

Natürlich nicht!

Geachtet ist sie auch vom Vater, dem Parteisekretär, schließlich ist sie jetzt Einzelkind. Sein Einzelkind, wie er immer vor der Mutter betont.

Doch das war nicht immer so.

Katharina hatte einen Bruder. Hatte, weil er tot ist.

Eine tragische Geschichte, sagt Katharina.

Und dennoch literarisch, ergänzt Hülsmann. Dabei hat er den Bruder nur einmal gesehen.

Damals, als er in Uniform im Wiener Café stand, um Katharina abzuholen. Ausgerechnet im WC. Ein Offiziersschüler der Nationalen Volksarmee. Mit Uniform, versteht sich. Schon das war filmreif. Wie er sich ungefragt an den Tisch setzte und bestellte. So als sei er bei der Armee, wo alle zu parieren haben. Oder in einem Restaurant am Fernsehturm. Dort wo die Touristen den Anspruch auf Service mit viel Trinkgeld erkaufen. Peter wusste, wie er sich in Szene setzte. Er kannte seine Wirkung. Nun aber war er mitten im Kiez. Prenzlauer Berg!

Hier gehen die Uhren anders, sagt Hülsmann. Die Zeit verkriecht sich in den Hinterhöfen der Mietskasernen. Nur um stillzustehen. Denn da findet weder die Sonne noch der Fortschritt hin.

Aber was ist schon Fortschritt?

Katharinas Bruder hatte eine eigene Vorstellung von Fortschritt. Und merkte dabei gar nicht, dass er mit seiner Uniform wie ein Fremdkörper wirkte. Erst recht in den heiligen Hallen des WC, die der Boheme vorbehalten sind. Aber schon mit dem Wort Boheme wusste er nichts anzufangen. Dann eher mit der heiligen Halle.

Das WC eine heilige Halle?

Warum nicht. Gut, heilig ist vielleicht übertrieben. Hier diskutieren die Leute über sehr irdische Dinge, auch wenn sie gar nicht in die Zeit passen. Aber wer bestimmt das schon, was in die Zeit passt?

Und eigentlich müsste es heißen, was der Zeit passt. Oder?

Hülsmann lächelt. Der Zeit passt eben vieles nicht, sagt er. Wie viel es ist, bestimmt derjenige, der die Wecker stellt und die Turmuhren aufzieht.

Wobei wir wieder mitten in der philosophischen Diskussion wären und dann ist auch Graf Kierow nicht mehr weit. Jedenfalls im Wiener Café. Da lässt sich trefflich streiten, vor allem über Kunst und Politik.

Im Wiener Café wird viel gestritten. Auch geplant wird viel. Etwa Ausstellungen in Abrisshäusern oder auf Dachböden. Vielleicht mit Hemmling, dem Maler oder Graf Kierow als Laudator. Oder Lesungen und die nächste Wohnungsbesetzung. Zuweilen auch Ausreisen oder gar Fluchten. Aber auch das ist nichts Ungewöhnliches oder gar Spektakuläres.

Im Wiener Café wird auch so mancher Text entworfen. Für Flugblätter zum Beispiel. Oder für Zeitungen, die in den Kellern der Zionskirche gedruckt werden. Texte, die immer neue Debatten anstoßen. Am Puls der Zeit, sozusagen. Politische, versteht sich von selbst, auch wenn sie so gar nicht politisch daherkommen. Aber doch kritisch. Sehr sogar, wie Graustock bestätigt. Und alle nicken.

Gegen die Militarisierung! Gegen den Wehrkundeunterricht an den Schulen! Für die Einführung von Zivildienst! Das ist der Fortschritt wie ihn Graustock, Voss und Hülsmann verstehen. Und nun saß einer vom Militär an ihrem Tisch. Noch dazu so ein künftiges hohes Tier.

Selbst Kierow, der sonst immer schlagfertig ist, blieben die Worte im Halse stecken.

Aber geschehen ist geschehen.

Das Ende hat sich Katharina lieber nicht anschauen wollen, auch nicht Hülsmann und Ottmar Graustock. Während der uniformierte Peter weiter bestellte und ganz selbstverständlich die versteinerten Mienen der Gäste ignorierte, verließen sie das Café. Geschlagen, mit hängendem Köpfen und sprachlos, als hätte ihnen, zu allem Unglück, der Peter die Worte geraubt.

Und das will schon was heißen, wenn Graustock und Hülsmann schweigen.

Ja, der Peter. Eine glückliche Hand hatte der trotzdem nicht. Denn auch diese Siege sind nur Pyrrhussiege. Verloren hat er trotzdem, egal, ob er sich in der Öffentlichkeit oder in Katharinas Umfeld bewegte. Schon die Schule schaffte er gerade so. Mit der Lehre als Maschinist im Fernsehwerk Oberschöneweide sah es nicht besser aus. Immerhin war er so im sicheren Schoß der Arbeiterklasse. Noch dazu wo er mit gesellschaftlicher Arbeit glänzte. Die Freie Deutsche Jugend war seine zweite Heimat. FDJ, was für Buchstaben, die eine ganze Welt beschrieben und diese gelb auf blauem Grund umspannten. Seine Welt leuchtete rosarot wie der Sozialismus, dessen Siegeszug nicht aufzuhalten war. Und vielleicht halfen seine zweite Heimat und die Kandidatur als Mitglied der SED, dass die Lehrer ein Auge zudrückten, wenn es um den Abschluss ging. Geschafft ist schließlich geschafft.

Nun stand dem jungen Mann die Welt offen. Peters Zukunft hieß Armee. Als Vertreter der Arbeiterklasse zur Armee! Nicht ein und ein halbes Jahr, wie üblich für den Grundwehrdienst. Nein, nicht mal drei Jahre, um Unteroffizier zu werden und den beruflichen Fortgang zu sichern, waren ihm genug. Zehn Jahre, so viel sollten es schon sein. Berufssoldat!

Kein Wunder, wenn der Peter bald zum Liebling seines Vaters wurde. Nun war wenigstens noch ein weiterer der Hoffmanns im Klassenkampf. Und hielt den Kopf hin, wo es wehtut. Genau so hat es Vater Hoffmann gesagt. Genossen, wo es wehtut!

Den Kopf hat er wirklich hingehalten, der Peter, auch noch als er schon ahnte, dass etwas mit seiner jungen Frau nicht stimmen konnte. Die Ute hatte es nämlich auch auf Uniformen abgesehen. Allerdings haben ihr wohl die Uniformen von Peters Vorgesetztem besser gefallen als die von Peter. So ein richtiger Oberleutnant ist ja doch eine ganz andere Nummer. Kein blutjunger Offiziersschüler.

Der Klassenkampf an der vordersten Front fand bald sein erstes Opfer. Vielleicht hätte es Peter auch noch verkraften können, dass die Ute ein Verhältnis mit dem Oberleutnant hatte, wenn nicht … Ja, wenn nicht genau dieser Oberleutnant ihn immer zu Sonderaufgaben in die Kaserne beorderte, während er selbst die Ute im Neubaublock um die Ecke besuchte. Mit Blumen, in der Regel Nelken, Weinbrandbohnen und einem guten Tropfen Rotkäppchen. Ganz im Klassenauftrag versteht sich.

Peter musste es geahnt haben. Die Eifersucht machte jedenfalls nicht vor dem Klassenbewusstsein halt. Und Eifersucht kann auch pflichtbewusste Offiziersschüler rasend machen. So fand eine hoffnungsvolle Karriere, wie Vater Hoffmann zu jeder Gelegenheit betont, ein jähes Ende. Und das nur wegen der Ute, die anderen Männern schöne Augen machte. Ja, das konnte sie. Große schwarze Augen. Pflichtvergessen. Weiber eben! Immer sind es die Weiber!

Peter mochte sich das nicht lange ansehen. Er nahm seine Dienstwaffe und schoss sich in den Mund. Und das im Zimmer des Oberleutnants. Dabei war der nicht einmal anwesend. Zum Glück, wer weiß, was sonst noch passiert wäre.

Seiner Ute hinterließ Peter keinen Brief. Wohl aus Rache, sagt Katharina. Aber das ist Interpretation. Andere sagen, dass er sich in dem Brief abfällig über Vorgesetzte geäußert habe. Da hat man das Schriftstück lieber gleich verschwinden lassen.

Was wohl auch besser ist.

Jedenfalls für die Nationale Volksarmee und unseren Parteisekretär, der jetzt allein den Kopf hinhalten muss, wo es wehtut. Denn Pflicht ist eben Pflicht.

Pappelallee

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