Читать книгу Hörnchen & Bär. Haufenweise echt waldige Abenteuer - Andreas H. Schmachtl - Страница 9
Kapitel vier
Оглавление… in dem es womöglich spukt
Der Tag hatte wirklich nett angefangen. Mit einem ordentlichen Frühstück, einer Runde Sausen um den Wipfel und so.
Anschließend hatte Hörnchen es sich mit seinem Waldmärchenbuch auf dem untersten Ast bequem gemacht, weil der irgendwie am besten zum Buch passte. Der Tee im Becher dampfte, alles war gut, und Hörnchen beschloss: »Meinetwegen könnte das Leben nur aus solchen Vormittagen bestehen.«
Der unterste Leseast war übrigens deutlich breiter als die oberen. Man konnte also besser darauf herumlümmeln. Er hatte nur den Nachteil, dass er eben recht weit unten aus dem Baumstamm ragte. Darum bekam man alles mit, was sich am Waldboden tat. Wenn zum Beispiel jemand unter dem Baum hindurchlief, konnte das ziemlich beim Lesen stören. Vor allem, wenn dieser Jemand sich mit einem anderen unterhielt. So wie jetzt!
Hörnchen starrte hoch konzentriert in sein Buch und wollte die beiden unter sich auch bestimmt nicht belauschen. Trotzdem hörte er leider ganz deutlich, wie der eine Jemand etwas fragte. Worauf der andere Jemand antwortete: »Waldgeister? Klar, davon gibt’s haufenweise. Hier ganz in der Nähe.«
Die beiden gingen dann einfach weiter, als wäre nichts Besonderes geschehen. Aber Hörnchen bibberte: »Wald-g-geister?!«
Selbstverständlich hatte Hörnchen schon vorher von Waldgeistern gehört. Sein ganzes Waldmärchenbuch wimmelte nur so von ihnen. Da war zum Beispiel der hinterhältige Knorri in Kapitel fünf, der genau wie eine kleine Krüppelkiefer aussah. So eine wuchs tatsächlich dahinten bei den drei Felsen …
Pinsula und ihre giftige Schar waren angeblich von echten Pilzen kaum zu unterscheiden. Na, dann erkannte Hörnchen die nie und nimmer. Pilze wuchsen doch direkt dort unten zwischen den Baumwurzeln …
Die unzähligen Irrlichter im Buch hatten erst gar keine Namen, weil man sie ohnehin nie erwischen konnte. Hörnchen blickte sich skeptisch um. Wo er auch hinsah, tröpfelte Sonnenschein durch das dichte Blätterdach und ließ Lichtflecken über den Waldboden huschen. Aber es hätten ebenso gut die fürchterlichen Irrlichter sein können …
Waldmärchen-Spuk
Kapitel dreizehn im Waldmärchenbuch berichtete vom schemenhaften Ohm, der in mondhellen Nächten wie ein Nebelschleier über den Waldboden schwebte. Hörnchen war zum Glück nachts nicht oft wach, weil er ja schlief. Aber ansonsten hätte er den fiesen Ohm womöglich ebenfalls für einen normalen Nebelschleier gehalten …
Trotzdem, oder womöglich genau deshalb, hatte Hörnchen die Waldmärchen besonders gern und immer wieder gelesen. Allerdings hatte er bisher angenommen, dass sie allesamt eben nur Märchen waren. Und es die Geister nicht wirklich gab. Und falls doch, dann vielleicht irgendwo im wilden Norden oder so. Jedenfalls weit, weit weg. Oder nicht?
Ganz plötzlich fühlte sich Hörnchen nicht mehr wohl. Das Waldmärchenbuch klappte er jedenfalls gleich besonders gründlich zu. Man konnte ja nie wissen. Und auch der unterste Leseast befand sich bei genauerer Betrachtung viel zu dicht am Waldboden, wo es womöglich doch haufenweise Waldgeister gab!
»Okidoki, das war’s«, beschloss Hörnchen und wollte den Tag lieber noch ein bisschen weiter oben im Baum verbringen. Er stand auf, drehte sich um, da starrten ihn zwei goldene Augen aus einem geisterhaft grünen Gesicht an.
»Mann, Hopp!«, rief Hörnchen erschrocken, weil der Laubfrosch wieder mal an der allerungünstigsten Stelle herumklebte.
»Habe ich dich erschreckt?«, fragte Hopp.
»Eigentlich habe ich das allein hingekriegt«, antwortete Hörnchen und flitzte ohne ein weiteres Wort den Baum hinauf. Das war vielleicht ein bisschen unhöflich. Immerhin hätte er sich mit Hopp unterhalten können. Aber Hörnchen wollte sich jetzt nicht unterhalten. Er wollte einfach nur in den Baum hinauf. Vielleicht wollte er sich sogar in seiner urgemütlichen Schlafhöhle verkriechen. Die lag nämlich schon im nächsten Stockwerk. Als Hörnchen den Ast davor erreichte, grüßte Hettie freundlich: »Hey, Hörnchen!«
Doch statt mit »Hey, Hettie!« zu antworten, brüllte Hörnchen erschrocken: »Aaaah!!!« Mit einem Satz war er in seiner Schlafhöhle, steckte den Kopf unter die Decke und bibberte bis in die fusselige Schwanzspitze.
Wenn Hörnchen sich erschreckte, dann machte er das übrigens so gründlich, dass sich alle anderen meistens mit erschreckten. Darum flatterte Hettie von ihrem Zweig auf, landete aber sofort wieder und lugte vorsichtig in die Schlafhöhle. Hörnchen war inzwischen beinahe vollständig unter seiner Decke verschwunden.
»Hörnchen?«, fragte Hettie.
»Ich bin nicht da!«, antwortete Hörnchen.
»Nicht?«, staunte Hettie. »Aber ich höre dich doch.«
»Na, dann muss das wohl ein Irrtum sein«, antwortete Hörnchen. Hettie hüpfte in die Schlafhöhle, lugte vorsichtig unter die Decke und erklärte: »Da bist du doch.«
»Pssst. Das soll keiner wissen«, flüsterte Hörnchen. »Ich verstecke mich doch vor den Waldgeistern.«
»Wald-g-geister?«, hauchte Hettie entsetzt. Hörnchen rückte ein bisschen zur Seite, und schon hockten sie zu zweit unter der Decke. Hörnchen berichtete genau, was geschehen war. Vorsichtshalber zählte er sogar die üblen Gesellen aus seinem Waldmärchenbuch auf. Obwohl Hettie die natürlich kannte.
»Aber das sind doch nur Märchen«, sagte sie. »Die hat sich irgendjemand schlicht und ergreifend ausgedacht. Und zwar schon vor laaanger Zeit.«
»Darum geht’s ja«, sagte Hörnchen. »In diesen uralten Geschichten steckt immer ein Körnchen Wahrheit.«
»Immer?«, staunte Hettie.
»Ja meistens«, versicherte Hörnchen. »Und womöglich sind es sogar mehrere Körnchen Wahrheit.«
»Das wäre dann schon ein Haufen Wahrheit«, überlegte Hettie. Sie hatte übrigens so gut wie beschlossen, Hörnchens Schlafhöhle notfalls nie wieder zu verlassen. Doch da fiel Hörnchen etwas ein. Bär war heute gar nicht vorbeigekommen, um ihn zum Angeln abzuholen. Hörnchen hatte zwar keine Ahnung, wie spät es sein mochte. Aber Bär war ZU SPÄT, das stand fest.
»Glaubst du, die Waldgeister haben ihn … erwischt?«, fragte Hettie.
»Das will ich ihnen nicht raten«, antwortete Hörnchen und klang viel mutiger, als er sich eigentlich fühlte. Trotzdem schlüpfte er unter seiner Decke hervor und verkündete: »Halte durch, Bär. Ich rette dich!«
»Warte, ich rette mit«, rief Hettie und flatterte hinter Hörnchen her, der wie ein Blitz den Baumstamm hinabsauste.
Auf den ersten Blick schien der Waldboden so auszusehen wie immer. Doch auf den zweiten Blick entdeckte Hörnchen ein paar Fußabdrücke. Sie waren riesig und irgendwie prankenhaft. Klarer Fall, die konnten praktisch nur von einem Waldgeist stammen! Aber um ganz sicher zu sein, würde Hörnchen ihnen wohl oder übel folgen müssen. Hettie folgte wiederum Hörnchen. Und auf diese Weise war Hörnchen nicht allein, als er entdeckte, dass die Spuren zunächst vom Baum wegführten. Im weichen Waldboden waren sie klar zu erkennen. Sie führten an den Schlüsselblumen vorbei, dann einmal um die Lichtung herum und endeten an der Brücke über den Fluss. Jedenfalls sah es so aus. Aber Hörnchen ließ sich nicht täuschen. Er wusste nämlich, dass man auf der Holzbrücke eigentlich nur bei Regen Fußabdrücke hinterließ. Oder wenn Schnee auf der Brücke lag. Er hopste hinüber und sagte: »Aha. Ich wusste es!«
Denn hier gingen die Spuren weiter. Sie führten schnurgerade am Flussufer entlang. Genau dort unten befand sich Bärs Höhle. Hörnchen und Hettie schlichen jetzt von Baum zu Baum. Sie lugten vorsichtig hinter den Stämmen hervor. Ehrlich gesagt, kamen sie auf diese Weise nur sehr langsam voran. Aber das war nun einmal so, wenn man einen gefährlichen Waldgeist verfolgte. Immerhin konnten sie Bärs Höhleneingang zwischen den zwei großen Buchen schon sehen. Ein großer Schatten schlich davor herum. Jetzt wurde die Sache doch ziemlich geisterhaft! Und Hörnchen wäre enorm gern irgendwo anders gewesen. Das ging aber nicht. Er hatte immerhin einen Bären zu retten!
Wild entschlossen schoss Hörnchen aus seinem Versteck hervor und warf sich brüllend auf den Schatten. Der fiel vor Schreck glatt um und sagte leicht verdutzt zu dem Hörnchen auf seiner Brust: »Hey, Hörnchen!«
»Bär?!«, staunte Hörnchen. Erleichtert schlang er seine Arme um Bärs Hals. »Zum Glück geht’s dir gut!«
Hettie kam nun ebenfalls herbei, setzte sich auch noch auf Bär und sagte: »Wir dachten schon, die Waldgeister hätten dich erwischt.«
»Waldgeister?«, staunte Bär. »Wie kommt ihr denn auf diesen Unsinn?«
»Unsinn?«, rief Hörnchen aufgeregt und plapperte los: »Ich habe heute mit eigenen Ohren gehört, wie sich zwei unter meinem Baum unterhalten haben. Der eine fragte irgendwas. Und der andere antwortete, da wären haufenweise Waldgeister ganz in der Nähe.«
Eigentlich hatte Hörnchen fest damit gerechnet, dass Bär nun entsetzt »Wald-g-geister« hauchen würde. Doch der sagte nur: »Ach, Hörnchen, der unter deinem Baum war ich.«
»Äh«, riefen Hörnchen und Hettie ein bisschen ratlos.
Und Bär erklärte: »Ich wollte dich zum Angeln abholen, wie immer. Da hat mich eine Biene gefragt, ob es in unserem Wald eigentlich gar keinen Waldmeister gibt. Na, da musste ich ihr doch sagen, dass haufenweise Waldmeister in der Nähe wächst.«
»Schon. Aber … die Spuren führten direkt zu deiner Höhle«, stammelte Hörnchen.
»Klar, es sind ja auch meine.« Erklärend reckte Bär seine enorm großen Hinterfüße empor. »Ich musste noch mal nach Hause, weil ich die Angel vergessen hatte.«
»Und es ging wirklich um Wald-m-eister statt um Waldgeister?«, fragte Hörnchen ungläubig.
»Japp«, sagte Bär. »Du hast dich schlichtweg verhört. Waldgeister gibt es schließlich gar nicht. Das weiß doch nun wirklich jeder.«
»Klar, alles Märchen«, antwortete Hettie und stupste Hörnchen vielsagend an. Der kapierte sofort und sagte: »Trotzdem können sie einem ganz schön Angst machen. Ist nicht schlimm, wenn du nicht allein sein möchtest, Bär. Wir können heute Nacht einfach bei dir schlafen. Ich meine, wo wir doch schon hier sind … und wir brauchen ja auch nicht viel Platz. Okidoki?«
»Okidoki«, sagte Bär. Als es dunkel wurde, machten sie es sich in der Bärenhöhle gemütlich. Sie erzählten sich sogar ein paar Waldmärchen. Aber ohne Geister – vorsichtshalber.