Читать книгу Tibitu und Tibitea - Andreas Jäger - Страница 11
ОглавлениеFünftes Kapitel
Später beim Abendessen zog der Vater seine Stirn in sorgenvolle Falten.
„Was ist los? Was hast du?“, fragte die Mutter mit besorgtem Unterton in der Stimme.
„Der Drache ist wieder gesehen worden. Familie Schwalbe hat ihn zuerst gesehen. Auch die Wildschweine an der westlichen Grenze des Waldes haben ihn gesichtet“, antwortete der Vater bedächtig und fügte sogleich hinzu:
„Er ist über die Donnerberge gekommen und hat die Grenze des Waldes überflogen.
Dabei hat er abwechselnd Feuer gespuckt und ein schrilles Kreischen ausgestoßen.
Ebenso plötzlich, wie er aufgetaucht war, drehte er dann ab und verschwand wieder in Richtung der Donnerberge.
Alle Tiere haben fürchterliche Angst vor ihm gehabt.“
„Was bedeutet dieses Kreischen?“, fragte Tiba.
„Das weiß niemand!“, schüttelte der Vater den Kopf.
„Niemand versteht die Drachensprache. Und ich kenne auch keinen Tierhüter, der sich in einen Drachen verwandeln kann.“
„Vielleicht können Drachen überhaupt nicht sprechen. Vielleicht können wir Tierhüter uns deswegen nicht in einen Drachen verwandeln.“, meldete sich nun Tibitea, die bislang nur still dagesessen hatte, eifrig zu Wort.
„Das ist gut möglich!“, lächelte der Vater sie an.
„Aber mach dir keine Sorgen, meine Kleine. Der Drache ist zwar riesig groß. Bis an unsere Hütte traut er sich aber nicht heran. Hier seid ihr sicher.“
„Aber wir können doch wegen dieses Drachens nicht Tag und Nacht die Waldgrenze im Westen bewachen.“, warf nun die Mutter ein.
„Es gibt doch noch so viel anderes zu tun! Bald ist auch das Tierfest. Stell dir vor, alle Tiere sitzen friedlich zusammen und dann greift der Drache an!“
„Das ist schon richtig.“, gab der Vater zu.
„Wir werden uns etwas einfallen lassen müssen. Denn wir können unsere Tiere nicht ohne Schutz lassen.“
„Hat es so etwas, wie diesen Drachen schon einmal gegeben, oder ist dieser Drache einmalig?“, wollte Tiba wissen.
„Vor vielen Jahren ist unter den Fischen des Flusses eine Erzählung umgegangen, dass ein Tier, auf das die Beschreibung eines Drachen passen würde, den Fluss herunter getrieben worden sein soll. Es soll rot-grün gewesen sein. Und es war tot.“, erläuterte der Vater mit einem bedächtigen Kopfschütteln.
„Ich bin mir bis heute nicht sicher, ob ich diese Geschichte glauben soll, auch wenn mir Papa Wels, den ich damals danach gefragt hatte, bei seinen langen Barteln geschworen hat, dass er dieses Tier im Fluss hat treiben sehen. Ich denke, wir werden das nie genauer erfahren.“, schloss der Vater seine Erzählung.
*
Tibitu hatte sich von dieser Unterhaltung kein Wort entgehen lassen. Zuerst hatte er geglaubt, sein Vater habe mit der Geschichte vom Drachen nur deswegen angefangen, um ihm und Tibitea einmal mehr einzuschärfen, ja nicht das Gebiet der Hütte zu verlassen.
Aber die ernste Sorge für die anderen Tiere des Waldes in den Worten seines Vaters, brachte Tibitu zu der Überzeugung, dass an der Geschichte mit dem Drachen doch mehr dran sein musste, als er bisher geglaubt hatte.
Während sich seine Familie noch über den Drachen, dessen Eindringen in das Waldgebiet und die zu treffenden Maßnahmen unterhielt, reifte in Tibitu ein verwegener Entschluss.
Er würde sich allein auf den Weg nach Westen machen und in das Gebiet der Donnerberge eindringen. Alles andere würde sich dann schon finden.
Dann würde er dem Drachen ordentlich die Meinung sagen und ihm ein für allemal verbieten, die anderen Tiere zu ängstigen. Das konnte doch nicht so schwer sein.
In diese und andere Gedanken versunken, räumte er mit Vater und Tiba zusammen den Tisch ab.
*
Später, als alle schon zu Bett gegangen waren, stellte sich Tibitu nur schlafend und wartete ungeduldig die Zeit ab, bis Tibitea, mit der er sich das Zimmer teilte, tief und fest atmete. Leise, um seine Schwester nicht zu wecken, stand er auf, schnappte sich seine Kleider und seinen Zaubersack und schlich sich aus dem Haus.
Erst, als er die Hütte schon ein ganzes Stück hinter sich gelassen hatte, zog er sich an, hängte sich seinen Zaubersack um und nahm entschlossen seinen Weg auf, schnurstracks nach Westen, in jene Richtung, in welcher nach den Erzählungen des Vaters der Drache gesichtet worden war.