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2.1.3 Internationale Nachfragekenngrößen
ОглавлениеDie zentrale Quelle für den internationalen Reiseverkehr stellen die Publikationen der United Nations World Tourism OrganisationUnited Nations World Tourism Organisation (UNWTO) dar. Von dieser werden seit 1950 weltweit die internationalen Touristenankünfte erfasst. Die Entwicklung der von der UNWTOUNWTO veröffentlichten Daten ist in Abbildung 19 dargestellt.
Auch mit diesen Daten, die ja nur einen Teil der touristischen Nachfrage, nämlich den grenzüberschreitenden Tourismus spiegeln, wird eindrucksvoll das Wachstum der touristischen Nachfrage in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts nachgezeichnet. Internationale Touristenankünfte sind seit Anfang der 1950er Jahre weltweit von 25 Millionen auf inzwischen 1,4 Milliarden angestiegen. Auch bei diesem Indikator pausen sich – wie bereits bei der bundesrepublikanischen Nachfrage – politische oder wirtschaftliche Ereignisse (wie z. B. der Anschlag auf das World Trade Center am 11. September 2001 oder die Bankenkrise 2007/2008) als kurzfristige Rückgänge der Nachfrage durch, ohne dass bislang Anzeichen für eine strukturell bedingte Nachfragesättigung erkennbar sind. Von der UNWTO wird dementsprechend für das Jahr 2030 eine Zunahme auf 1,8 Milliarden internationale Touristenankünfte prognostiziert (UNWTO 2014, S. 14).
Abb. 19:
Entwicklung der internationalen Ankünfte seit 1950 nach UNWTO-Reisegebieten (Quelle: eigene Darstellung nach UNWTO div. Jahrgänge)
Dabei entfällt auf den innereuropäischen Reiseverkehr (der Binnentourismus in den USA wird bei diesen Daten ja nicht erfasst) der Hauptanteil der internationalen Reisen. Zwar ist der relative Anteil der Ankünfte in europäischen Ländern seit 1950 von etwa zwei Dritteln auf inzwischen gut die Hälfte der weltweiten internationalen Ankünfte zurückgegangen. Gleichzeitig stellen europäische Reisende aber auch heute noch knapp die Hälfte der internationalen Touristen (vgl. Abb. 20). Dabei finden nach wie vor mehr als drei Viertel der internationalen Reisen innerhalb der von der UNWTO ausgewiesenen Reisegebiete statt, sind also innerkontinental (UNWTO 2019, S. 16).
Die wirtschaftliche Entwicklung in den asiatischen Ländern paust sich auch in deren Zunahme der relativen Anteile an den internationalen Touristenankünften auf inzwischen mehr als ein Viertel der internationalen Ankünfte durch, wobei der asiatische Quellmarkt in etwa gleicher Höhe auch zur touristischen Nachfrage beiträgt. Der Anteil Afrikas an den internationalen Touristenankünften liegt – trotz der Ausweitung von Fernreisen – nur bei etwa 5 %. Und auch die spektakulären touristischen Entwicklungsprojekte der letzten beiden Jahrzehnte in den Golfstaaten machen sich im weltweiten Maßstab nur begrenzt bemerkbar. Gleichzeitig kann – in Analogie zu den Entwicklungen in Deutschland und Europa in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts – für die erste Hälfte des 21. Jahrhunderts unterstellt werden, dass die Wachstumsdynamik im Tourismus in den kommenden Jahrzehnten – sofern sich die politischen und ökonomischen Grundkonstellationen nicht grundlegend ändern – stark vom asiatischen Markt (sowohl als Quell- als auch als Zielmarkt) geprägt wird.
Abb. 20:
QuellmärkteQuellmärkte im internationalen Tourismus 2018 (Quelle: eigene Darstellung nach UNWTO 2019, S. 15)
Diese Entwicklung kann an einem Indikator veranschaulicht werden. Lange Zeit galten die Deutschen als „Reiseweltmeister“. Dieser Slogan bezog sich nicht auf die Reiseintensität, die Länge von Urlaubsreisen oder die Ausgaben pro Kopf der Bevölkerung, sondern auf die Summe der bei internationalen Reisen getätigten Ausgaben. Eine hohe Auslandsreiseintensität (höher als z. B. in Frankreich oder den USA) verbunden mit der – im Vergleich z. B. zu kleineren Ländern wie Dänemark oder Luxemburg – hohen Bevölkerungszahl resultierte in der Tatsache, dass die Deutschen die lange Zeit die höchsten absoluten Ausgaben im internationalen Reiseverkehr tätigten. Seit 2012 hat China diese Position des Landes mit der höchsten Ausgabesumme im internationalen Tourismus inne. Auch wenn dies bei zwar noch deutlich niedrigerer Auslandsreiseintensität und Ausgaben pro Kopf der Bevölkerung stark durch die reine Bevölkerungszahl mit beeinflusst wird, stellt es doch einen Hinweis auf die hohe Wachstumsdynamik und eine sich mittelfristig verändernde Konstellation der internationalen Quellmärkte dar.
Eine der Kenngrößen, die von der UNWTO mit publiziert wird, sind die Reisezwecke im internationalen Tourismus (vgl. Abb. 21). Da nicht von jedem Reisenden, der eine Grenze überschreitet auch wirklich der Reisezweck erfasst wird, handelt es sich dabei selbstverständlich um eine grobe Abschätzung, die aber mangels anderer zuverlässigerer Angaben ungeachtet möglicher methodischer Unzulänglichkeiten zumindest einen groben Eindruck des touristischen Nachfragemarkts vermittelt.
Nach diesen Angaben entfällt nur gut die Hälfte der internationalen Ankünfte auf Reisen, die gemeinhin im lebensweltlichen Verständnis als genuin „touristisch“ angesehen werden, nämlich diejenigen mit dem expliziten Reisezweck „Freizeit und Erholung“. Etwa jede siebte internationale Reise wird dem Geschäftsreisetourismus zugeordnet. Als weiterer – in sich allerdings nicht mehr ausdifferenzierter Reisezweck wird das VFR-Segment (Visit Friends and RelativesVisit Friends and Relatives, d. h. der Besuch von Bekannten und VerwandtenBesuch von Bekannten und Verwandten), Gesundheit und Religion ausgewiesen. Wird unterstellt das religiöse motivierte Reisen, wie z. B. die Pilgerreise von Mohammedanern nach Mekka (Haddsch) oder von Christen nach Lourdes maximal 1 % der internationalen Ankünfte ausmacht und der Tatsache, dass z. B. in Deutschland der primäre Reisezweck „Gesundheit“ nur 2 % der Reisen ausmacht (FUR 2014, S. 48), entfällt etwa ein Viertel der internationalen Reisen auf den Reisezweck des Besuchs von Freunden und Bekannten.
Abb. 21:
ReisezweckeReisezwecke im internationalen Tourismus 2018 (Quelle: eigene Darstellung nach UNWTO 2019, S. 7)
Für deutsche Großstädte gehen Schätzungen sogar davon aus, dass die Zahl der Übernachtungen von VFR-Reisenden mindestens genauso groß ist wie die Zahl der Übernachtungen im gewerblichen Übernachtungswesen. So wird für München angegeben, dass den 5,9 Mio. Gästen in gewerblichen Betrieben etwa 5 Mio. Besucher bei Freunden und Verwandten gegenüberstehen (Landeshauptstadt München 2012, S. 9). Dies soll als weiterer Hinweis darauf verstanden werden, dass selbst die wenigen (und methodisch nicht immer voll belastbaren) statistischen Basiszahlen im Tourismus nur einen Teil der touristischen Aktivitäten darstellen. Neben dem privaten VFR-Tourismus ist insbesondere auch der Tagestourismus ein Bereich, der sich nur begrenzt statistisch genau fassen lässt, sodass unterschiedliche Abschätzungen an die Stelle von konkret gemessenen Daten treten.