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Kapitel 4

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Auf dem Besucherparkplatz der Klinik fand er um diese Zeit noch ohne Probleme einen Parkplatz. Gleich hinter der Eingangstür befand sich der Empfangstresen. Eine Dame saß dort, um Informationen zu geben und die Telefonanlage zu überwachen. Sozusagen die Logistikabteilung des Krankenhauses.

Markus reichte ihr den Überweisungsschein und den Terminzettel über den Tresen.

„Zum Kernspin? Das finden sie in der radiologischen Abteilung im zweiten Untergeschoss. Nehmen sie bitte den gegenüberliegenden Aufzug und fahren sie auf U2. Ich werde sie schon einmal telefonisch anmelden, Herr Schmidt.“ Markus bedankte sich und ging zu dem Aufzug. Er drückte die Pfeiltaste nach unten und wartete. Während des Wartens konnte er auf einem Schild, welches neben dem Aufzug angebracht war, lesen, was sich in diesem Hause wo befand. In U2 befand sich die radiologische Abteilung, die Containerversorgungsanlage, der Andachtsraum und der Abschiedsraum. Toll, Radiologie und Abschiedsraum auf einer Ebene. Markus schnürte es die Kehle zu und er bekam kaum noch Luft. Ein Klingeln wies ihn darauf hin, dass der Aufzug das Erdgeschoss erreicht hatte und gleich zum Einsteigen bereit war. Mit einem leichten Zischen öffneten sich die Türen des Aufzuges und Markus konnte eintreten. U2, hell leuchtete der Schriftzug auf, als er den Knopf gedrückt hatte. Die Türen schlossen sich und der Aufzug setzte sich mit einem leichten Rucken und einem Ächzen, so als hätte er keine Lust auf diese Fahrt, in Bewegung. Es geht abwärts, dachte Markus. Zwei Stockwerke unter die Erde. Kannst dich ja schon mal dran gewöhnen.

Wieder ruckte der Aufzug und öffnete seine Türen. Markus trat heraus, um sich zu orientieren. Alles war in helles Neonlicht getaucht. Zur Radiologie ging es nach rechts. Wenn man nach links ging, würde man den Andachtsraum und den Abschiedsraum erreichen. Markus ging nach rechts und erreichte bald die Anmeldung der Radiologie.

„Herr Schmidt?“, fragte eine junge MTRA durch das einen Spalt weit geöffnete Fenster.

„Ja, der bin ich. Meinen Überweisungsschein habe ich an der Anmeldung im Erdgeschoss hinterlegt.“

„Ich weiß, der ist mittlerweile schon mit der Rohrpost bei uns eingetroffen. Ich würde sie bitten in Kabine eins zu gehen. Ich hole Sie dort gleich ab.“

„Danke sehr.“ Ohne eine Antwort abzuwarten, verschwand sie hinter dem Fenster und ließ Markus stehen.

Die Kabine unterschied sich überhaupt nicht von der in Dr. Hansen’s Praxis. Markus schloss die Tür hinter sich und wartete. Kurz darauf öffnete sich die innenliegende Tür und die Dame vom Fenster bat ihn herein.

„Nehmen Sie bitte dort auf dem Stuhl Platz. Es wird gleich ein Arzt kommen und alles Weitere mit ihnen besprechen. Mein Name ist übrigens Becker. Sollten Sie noch Etwas brauchen, können Sie jederzeit nach mir rufen. Ich bin direkt nebenan.“

„Okay, danke Frau Becker. Bis später dann.“

Der Arzt, welcher das Zimmer betrat, war sehr groß und ausgesprochen hager. Der weiße Kittel hing an ihm herunter, sodass es so aussah, als ob es in seiner Größe kein passendes Kleidungsstück gegeben zu haben schien. Außerdem waren seine Kitteltaschen mit medizinischen Utensilien gefüllt, welche zusätzlich an dem Kittel zogen. Sein Haar war schon leicht ergraut und seine Augen lagen tief in ihren Höhlen. Dunkle Augenringe verstärkten die etwas unheimliche Ausstrahlung, welche er im Raum verbreitete.

Der Arzt trat auf ihn zu und streckte ihm die Hand zum Gruß entgegen. „Dr. Rosahl. Ich bin Radiologe und werde heute die Kernspin Untersuchung bei Ihnen durchführen. Zuerst einmal möchte ich Ihnen erklären, wie die Untersuchung durchgeführt wird. Sie sehen hinter mir den Schreibplatz mit dem Bildschirm darauf. Dahinter befindet sich ein Fenster, durch welches ich die ganze Zeit Einblick in den Untersuchungsraum habe. Zusätzlich ist eine Gegensprechanlage installiert, über welche wir uns verständigen können. Während der Untersuchung bekommen sie eine Klingel in die Hand, mit der Sie sich jederzeit bemerkbar machen können.“

“Soweit die peripheren Geschehnisse. Bei der Untersuchung selbst liegen Sie in einer Art Röhre. Dort fährt ein starker Magnet ihren Körper ab und richtet die Pole in ihrem Körper für eine kurzen Zeitraum aus. Daraus errechnet der Computer dann Bilder, welche ihre Organe ganz ohne Röntgenstrahlung, also rein durch Magnetismus, sichtbar machen. Zusätzlich werde ich Ihnen für eine bessere Beurteilbarkeit noch ein Kontrastmittel spritzen. Haben Sie das soweit verstanden oder gibt es von ihrer Seite noch Fragen.“

Markus hatte nicht alles verstanden, hörte sich aber sagen: „Ja, alles verstanden. Lassen Sie uns anfangen, Herr Doktor.“

„Okay. Dann füllen Sie bitte noch diese beiden Formulare aus. Eines ist die Einverständniserklärung, welche sie auch auf die Risiken einer Kontrastmittelinjektion hinweist, das andere ist ein sogenannter Anamnesebogen, aus welchem ich grob erfahren kann, ob sie Vorerkrankungen oder Allergien haben.“

Markus füllte die beiden Bögen aus und unterschrieb.

Danach wurde er in den Raum geführt, in welchem sich das Gerät befand. Eine riesige Röhre, die oben und unten geöffnet war. Er musste die Schuhe ausziehen und sich auf eine Art Schlitten legen. Dann staute der Arzt seine Armvenen und injizierte ihm langsam das Kontrastmittel.

„Alles okay Herr Schmidt?“

„Ja, mir wird nur ein wenig warm und ich habe so einen metallischen Geschmack im Mund.“

„Das sind ganz normale harmlose Nebenwirkungen. Das haben Sie ja sicher vorhin im Aufklärungsbogen gelesen?“

„Ja, habe ich“, log Markus. Den Bogen hatte er sich gar nicht durchgelesen. Er wollte nur, dass er schnell mit der Untersuchung fertig war und endlich wieder an das Tageslicht konnte, weit weg von Dr. Rosahl mit seinen Maschinen und dem Abschiedsraum.

„Ich werde Ihnen jetzt noch eine Klingel und Ohrstöpsel in ihre Ohren geben, da es etwas laut werden wird. Sollte etwas nicht in Ordnung sein, betätigen sie bitte umgehend die Klingel. Ich gehe dann mal zu meinem Platz und starte die Untersuchung. Bis nachher dann Herr Schmidt. Wir werden im Anschluss den Befund sofort besprechen.“ Damit verließ er den Raum. Markus lag nun alleine auf dem Schlitten und schaute sich erst einmal um. Der Raum war nicht sonderlich groß. Alles war in einem hellen Gelbton gestrichen. Die Decke setzte sich aus weißen Platten zusammen, die unzählige Perforationen aufwiesen. Hinter seinem Kopf befand sich die Öffnung zu der Röhre des Kernspins. Bedrohlich hatte sie ihr gefräßiges Maul geöffnet, um ihn gleich darin aufzunehmen und an seiner Diagnosestellung teilzuhaben. Langsam, fast unmerklich, setzte sich der Schlitten in Bewegung und transportierte ihn unaufhaltsam auf die Öffnung zu. Schon war er mit dem Kopf im Gerät verschwunden und konnte nun außer den nüchternen Wänden des Apparates nichts mehr sehen. Immer tiefer verschwand er im Bauch der Röhre und es machte sich ein beklemmendes Gefühl in ihm breit. Wie in einem Sarg, dachte er. So muss es in einem Sarg sein. Markus spürte Panik in sich aufsteigen und klammerte sich fest an die Klingel in seiner Hand. Schnell schloss er die Augen und versuchte sich zu beruhigen. Jetzt schien es loszugehen. Er spürte nichts von der Untersuchung, aber er konnte trotz der Ohrstöpsel ein immer wieder kehrendes lautes Geräusch hören. Es kam stakkatoartig mit der immer gleichen Anzahl an Impulsen und einer kurzen Pause dazwischen. Bitte lieber Gott, lass alles gut werden. Bitte hilf mir. Ich weiß, ich war in den letzten Jahren nicht gerade das, was man einen Christen nennen würde, aber ich verspreche Dir, dass ich mich ändern werde.

Wie lange er dort gelegen hatte, konnte er nicht genau sagen. Ihm fiel aber auf, dass die Geräusche der Maschine aufgehört hatten. Der Schlitten bewegte sich fußwärts und er konnte endlich wieder den Raum sehen. Gott sei Dank. Das habe ich schon einmal geschafft. Jetzt nur noch die Besprechung und alles wird wieder gut.

Über den Lautsprecher hörte er Dr. Rosahl’s Stimme. „Bitte kommen Sie durch die Kabine wieder nach draußen. Vergessen Sie bitte nichts im Untersuchungsraum. Danke.“

Markus setzte sich erleichtert auf und zog seine Schuhe wieder an. Durch die Kabine verließ er den Raum und war froh das Gefühl der Enge und des Eingesperrt seins nicht mehr zu empfinden.

„Ach, da sind Sie ja.“ Dr. Rosahl hatte schon an seinem Platz auf ihn gewartet. „Bitte nehmen Sie doch neben mir Platz. Ich werde Ihnen nun zeigen was ich sehen konnte.“

Markus nahm voller Anspannung neben ihm Platz. Auf dem Bildschirm konnte man sehr deutlich die Strukturen seiner inneren Organe sehen.

„Also, Herr Schmidt was sie hier sehen, ist die Leber. Daneben das sind Dünndarmschlingen, das sogenannte Duodenum. Das was hier in der Kurve des Dünndarmes liegt, ist der Kopf der Bauchspeicheldrüse. Mit dem Mauszeiger fuhr er das angesprochene Organ ab. Und hier im Kopfbereich der Bauchspeicheldrüse sehen sie eine sehr deutliche Veränderung in der Struktur. Da die Bilder sehr gut geworden sind, kann ich Ihnen schon eine Diagnose liefern. Es handelt sich mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit um ein Adenocarcinom der Bauchspeicheldrüse. Das ist eine nicht gutartige Veränderung des Organs.“ Er sprach das so, als würde er von seinem letzten Urlaub erzählen.

Markus hatte plötzlich das Gefühl, als würde sich der ganze Raum um ihn herum drehen. Adenocarcinom. Das war doch dieser vernichtende Ausdruck, über den er im Internet gelesen hatte. Das war doch der Tumor mit der höchsten Sterblichkeitsrate. Ich werde sterben. Nein, ganz sicher ist das hier eine Verwechslung. Ganz sicher waren das nicht seine Bilder und der Scharfrichter Dr. Rosahl hatte soeben sein Urteil über jemand anderen gesprochen und er war nur der Schöffe in diesem Prozess.

„Hr. Schmidt? Alles in Ordnung?“

Was für eine blöde Frage von jemandem, der einem gerade das Todesurteil übermittelt hat. Markus verspürte so etwas wie Hass gegen diesen Menschen. Er war ihm schon unsympathisch gewesen, als er den Raum betreten hatte. Sicher hätte ein anderer Arzt eine bessere Diagnose gestellt. Hierfür war einzig und alleine dieser hagere Quacksalber schuld, der selbst aussah, als wäre er dem Tod von der Schippe gesprungen.

„Ja, alles in Ordnung“, hörte er sich sagen. Er redete entgegen seines inneren Aufruhrs völlig ruhig und sachlich. „Ich habe über das Adenocarcinom schon im Internet gelesen. Sieht wohl nicht besonders gut aus?“

Los, sag, dass alles nur ein schlechter Scherz war, dachte er so bei sich. Oder vielleicht ist alles nur ein Traum.

„Leider nicht. Der Tumor hat sich schon ausgebreitet und ist dadurch inoperabel geworden. Wir können nur noch symptomatisch behandeln. Das heißt, wir können auftretende Symptome behandeln, aber den Tumor leider nicht mehr sanieren.“

Was eine dämliche Sprache. Sanieren. Von was reden wir hier überhaupt? Von einem kranken Gebiss? Oder von einem Haus?

„Wie lange werde ich noch zu leben haben?“ Wieder kam es ihm so vor, als hätte er diese Frage nicht selbst gestellt und sei nur ein unbeteiligter Zuhörer.

Die Statistik sagt, dass in ihrem Stadium die mittlere Überlebenszeit bei ca. sechs Monaten liegt. Das kann etwas länger oder auch etwas kürzer sein.“

Statistik. Scheiß drauf. Wer erhebt so etwas überhaupt? Was sind das nur für Menschen die Schicksale anderer statistisch erfassen? Ich soll sterben und dieser Dr. Tod plaudert munter darauf los, als ginge es zum Kaffeekränzchen.

„Kann ich im Moment noch etwas für Sie tun?“

„Nein danke.“

„Die Befunde werden ihrem Hausarzt unverzüglich zugestellt. Ich würde Sie bitten, sich dort in den nächsten Tagen vorzustellen, um mit ihm alles Weitere zu besprechen. Alles Gute Herr Schmidt.“

Alles Gute. Wir zynisch das klang. Alles Gute, in so einer Situation. Arschloch. Der Mensch war ihm so unsympathisch wie nichts anderes auf dieser Welt.

Markus ergriff die ihm angebotene Hand und sah Dr. Rosahl nach, wie dieser den Raum verließ. Der hatte gut reden. Er durfte ja leben. Alle anderen hier durften leben. Adenocarcinom. Da war er ja gerade richtig im zweiten Untergeschoß. Eigentlich konnte er ja gleich hierbleiben.

„Die Untersuchung ist beendet, Herr Schmidt. Sie können dann gehen. Das Ergebnis bekommt ihr Hausarzt mit der Post. Alles Gute für die Zukunft.“ Frau Becker hatte für ihn unbemerkt den Raum betreten und fing an geschäftig aufzuräumen.

„Danke.“ Markus erhob sich und verließ mit unsicheren Schritten den Raum. Als er durch die Tür auf den Gang gelangt war, hing von der Decke herab unübersehbar der Wegweiser zum Andachtsraum. Da gehe ich erst mal hin. Ich kann jetzt sowieso kein Auto fahren. Hoffentlich ist niemand dort.

Lebe jetzt

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