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1. Forschungsgeschichte bis zum Ende der 1990er Jahre Anfänge der literaturgeschichtlichen Betrachtung
ОглавлениеRobert Prutz
Am Beginn der historisch fundierten Auseinandersetzung mit dem Reisebericht als literarischer Kunstform steht der Literaturhistoriker und Publizist Robert Prutz (1816–1872) mit seinem Aufsatz Über Reisen und Reiseliteratur der Deutschen (1847). Prutz entwickelte seine Beobachtungsmaßstäbe aus einer Kritik an den erstarrten Klischees der klassisch-romantischen Italienberichterstattung. Er forderte einen politisch wachen Blick bei der Darstellung von Auslandsfahrten, eine „Durchdringung der Poesie und der Geschichte, der Kunst und der Wirklichkeit, der Literatur und des Lebens“ (Prutz 1973, 42), wobei ihm insbesondere die Reiseliteratur geeignet schien, diese emanzipativen Tendenzen auszudrücken. Seine literaturgeschichtlichen Herleitungen setzen im 16. und 17. Jahrhundert ein, wo er eine intensive Reisetätigkeit feststellt, ohne dass es zu einer angemessenen Reiseliteratur gekommen sei. Erst mit den gelehrten „enzyklopädische[n] Reisen“ (ebd., 35) um 1700 beginne die substantielle literarische Verwertung der Auslandserfahrungen, die in der darauf folgenden Epoche der Empfindsamkeit im Zeichen von Naturschwärmerei und Wandersehnsucht gestanden hätten. Als das „Mekka der Naturreisenden“ (37) habe die Schweiz gegolten, ein Land, das durch die Kunstreisen nach Italien im klassisch-romantischen Zeitalter als bevorzugtes Reiseziel abgelöst worden sei. Das Italienbild wäre seither von „kunstkennerische[n]“ (40) und archäologischen Interessen bestimmt gewesen. In seiner eigenen Gegenwart, so Prutz, könne ein Umschlagpunkt ins Politische festgestellt werden: Paris sei nun das „Herz der neuen Geschichte“ (43), wie u.a. die Reiseberichte der dort ansässigen Autoren Heine und Börne zeigten.