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Neuansatz in der literaturwissenschaftlichen Forschung
ОглавлениеMartin Sommerfeld
Die erste literaturwissenschaftlich bedeutende Pionierstudie zum Reisebericht legte der Frankfurter Germanist Martin Sommerfeld (1894–1939) im Jahre 1924 vor. In einem Zeitschriftenartikel zum Thema Die Reisebeschreibungen der deutschen Jerusalempilger im ausgehenden Mittelalter (Sommerfeld 1924) plädierte der Autor für einen Neuansatz in der Forschung, indem er die spätmittelalterlichen Pilgerberichte als Textsorte mit einer eigenen Tradition kennzeichnete und diese einer geistesgeschichtlich inspirierten Erzählanalyse unterwarf. Sommerfeld vertrat vier grundlegende Thesen: So sei an dem Quellenmaterial eine „Verweltlichung des Wallfahrtsmotivs“ (ebd., 825) im allgemeinen festzustellen, das mit einer „Verweltlichung des Reiseberichts“ selbst einhergehe; des Weiteren sei eine „stetig fortschreitende Episierung der Darstellung“ (834) zu erkennen, die zu einer neuartigen Erzählhaltung führe; schließlich finde eine Empirisierung der Beobachtungsgegenstände statt, die sich „in dem stofflichen Anschwellen der Reisebeschreibungen auf naturwissenschaftlichem, historischem, politischen und ökonomisch-technischen Gebiet“ (838) widerspiegele. Gleichzeitig gab Sommerfeld zahlreiche methodische Hinweise zur Erforschung der Reiseschriften, etwa den, neben dem Bericht selbst auch Instruktionen, Reiseführer, Ausgabenbücher, Empfehlungsbriefe und die Zeichnungsskizzen der Pilger in die Interpretation einzubeziehen, oder bei der Erzählanalyse die „Anordnungsprinzipien“ (835) der Darstellung – Tagebuch oder lokale Zusammengehörigkeit, Funktion von Episoden, Erlebnisszenen oder Gesprächsverläufen – zu erfassen.