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Quellenbibliografien, Darstellungen und Enzyklopädien
ОглавлениеCox und Paravicini
Es gibt nur eine Bibliografie, welche die gedruckte europäische Reiseliteratur aller Länder und Zeiten – freilich aus einem eurozentrischen Blickwinkel – umfassend verzeichnet: Sie ist von dem US-amerikanischen Linguisten und Bibliographen Edward Godfrey Cox zusammengestellt und unter dem Titel A Reference Guide to the Literature of Travel. Including Voyages, Geographical Descriptions, Adventures, Shipwrecks and Expeditions in drei Bänden veröffentlicht worden (Cox 1935–1949). Cox’ Verzeichnis, das nahezu 10.000 Titel bietet, ist nach Ländern und Regionen gegliedert und listet innerhalb dieser Abschnitte die Reiseliteratur chronologisch auf. Neben dieser Universalbibliografie gibt es zudem Spezialverzeichnisse. Als ein Musterbeispiel für eine einzelne Epoche sei die dreibändige analytische Bibliografie zu den Europäischen Reiseberichten des späten Mittelalters hervorgehoben (Paravicini 1994–2000). Sie unterrichtet in klarer Gliederung, durchdachter bibliografischer Beschreibung und mit hoher Erschließungstiefe über die heute noch auffindbaren Handschriften und Frühdrucke der Reisenden vom 14. Jahrhundert bis zur Reformation.
Henzes Enzyklopädie
Die Enzyklopädie der Entdecker und Erforscher der Erde ist das umfangreiche Lebenswerk des Geografen Dietmar Henze, dessen erster Band bereits 1973 erschien. Der Berichtszeitraum reicht von den Anfängen der Geschichtsschreibung bis zum Ende des 19. Jahrhunderts, die Artikel sind im Alphabet der Reisenden angelegt, beschränken sich auf knappe biografische Angaben und enthalten hauptsächlich Sachinformationen zur jeweiligen Entdeckerleistung. Das Grundwerk wurde 2005 abgeschlossen und ist heute in einer sechsbändigen Neuausgabe zu benutzen (Henze 2011).
Zu einem der Schwerpunktbereiche der Reiseforschung, zur Sozialgeschichte des Reisens, bietet die folgende Tabelle eine Übersicht zu Darstellungen und Bibliografien nach Epochen:
Tab.1 Reiseepochen und Quellenbibliografien
Epoche | Sozialgeschichtliche Darstellung | Quellenrecherche |
Mittelalter | Ohler: Reisen im Mittelalter 1986/2004Reichert: Erfahrung der Welt 2001 | Paravicini: Europäische Reiseberichte 1994–2000Reichert: Quellen zur Geschichte des Reisens 2009 |
Frühe Neuzeit | Gräf/Pröve: Wege ins Ungewisse 1997/2015 | VD 16 (Datenbank)VD 17 (Datenbank) |
18. Jahrhundert | Blanke: Politische Herrschaft 1997 | Eutiner Landesbibliothek VD18 (Datenbank) |
19. Jahrhundert | Prein: Bürgerliches Reisen 2005 | Universitätsbibliothek Johann Christian Senckenberg Frankfurt am Main Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz |
20. Jahrhundert | Keitz: Reisen als Leitbild 1997Pagenstecher: Der bundesdt. Tourismus 2003/2012 | Deutsche Nationalbibliothek Frankfurt am Main und Leipzig |
In einer zweiten Tabelle erfolgt eine Übersicht über die wichtigsten Bibliografien der Reisequellen zu einzelnen europäischen Zielländern. Sie kann nur eine knappe Auswahl als erste Einstiegshilfe in ein Themengebiet anbieten, keineswegs ein vollständiges Tableau aller vorliegenden Bibliografien.
Tab.2 Quellenbibliografien zu europäischen Zielländern
Land | Bibliografie/Literaturverzeichnis | Berichtszeitraum |
England | Robson-Scott: German Travellers 1953Maurer: Aufklärung u. Anglophilie 1987Fischer/Fitzon: Von Bemerkungen 2003 | 1400–18001700–18001770–1870 |
Italien | Tresoldi: Viaggiatori tedeschi 1975–1977Schudt: Italienreisen im 17. u. 18. Jh. 1959Fischer/Fitzon: Von Bemerkungen 2003 | 1452–18701600–18001770–1870 |
Frankreich | Grosser: Reiseziel Frankreich 1989Struck: Nicht Ost – nicht West 2006 | 1600–18001750–1850 |
Griechenland | Chatzipanagioti-Sangmeister 2006Bechtle: Wege nach Hellas 1959Meid: Griechenland-Imaginationen 2012 | 1700–18001770–19201910–1960 |
Niederlande | Bientjes: Holland u. d. Holländer 1967Chales de Beaulieu: Dt. Reisende 2000 | 1400–18001648–1795 |
Osteuropa | Nitsche: Die Osteuropa-Bestände 1989 | 1700–1920 |
Polen | Struck: Nicht Ost – nicht West 2006 | 1750–1850 |
Schweiz | Wäber: Landes- u. Reisebeschr. 1899–1909Hentschel: Mythos Schweiz 2002 | 1479–19001700–1850 |
Spanien/Portugal | Ruppert: Bibliogr. d. histor. u. Reiselit. 1994Kürbis: „Spanien ist noch nicht …“ 2006 | 1400–18501800–1900 |
Skandinavien | Taetz: Richtung Mitternacht 2004Albertsen: Reisen in d. Uninteressante 1986Hartmann: Dt. Reisende d. Spätaufkl. 2000 | 1500–17001700–18001770–1815 |
Russland/Sowjetunion | Poljakov: „Mit aufrichtiger Feder“ 1999Metzger: Bibliogr. dt.spr. Sowjetunion-Reiseberichte 1991 | 1550–19001917–1990 |
Auf einen Blick
Die Forschungsgeschichte zur Reiseliteratur zeigt, dass die Gattung bis zum ersten Drittel des 20. Jahrhunderts aus dem Kanon der germanistischen Literaturwissenschaft ausgeschlossen war, da sie als „undichterische“ Zweckform nicht zur „schönen Literatur“ gezählt wurde. Erst mit den hochschulpolitischen Impulsen der 1970er Jahre zeichnete sich eine Erweiterung des Literaturbegriffs ab, in deren Verlauf auch die Reiseliteratur als dokumentarisches Genre entdeckt wurde. Die moderne historische Reiseforschung seit den 1980er Jahren verfuhr von vornherein interdisziplinär, so dass neben der Literatur- und Geschichtswissenschaft verschiedene Disziplinen von der Geografie bis zur Kultursoziologie an der Betrachtung beteiligt waren. Inzwischen zu einem Modethema der Kulturwissenschaften geworden, steht das Arbeitsfeld Reiseliteratur allerdings ohne einen entsprechenden Unterbau an verlässlichen Epochen- oder Gesamtdarstellungen sowie ohne Grundbibliografien, Handbücher oder Lexika da. Während in den Anfangsjahren der Reiseliteraturforschung Fragen nach der Gattungsabgrenzung und dem Fiktionalitätsstatus des Genres im Vordergrund standen, werden in jüngster Zeit zunehmend Probleme des fremdkulturellen Verstehens und der Imagebildung durch Reiseliteratur thematisiert, schließlich wird auch nach ihrer Funktion in geschlechter- und diskursgeschichtlichen Hinsichten, etwa mit kolonialhistorischen Bezügen, geforscht.