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1.5.3 Die christliche Theaterfeindschaft

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Die Zugehörigkeit zur christlichen Glaubensgemeinschaft sollte nach dem Willen der Kirchenväter durch eine besonders enthaltsame Lebensweise ausgedrückt werden, die der römischen Verschwendungssucht eine Absage erteilt. In seiner traditionsbildenden Schrift De spectaculis verwirft Tertullian daher sämtliche Spiele, besonders aber jeg­lichen Besuch von Spielen durch Christen. In den Abschnitten 1 bis 13 wird vor allem der heidnische Charakter von Spielen herausgestellt, weshalb sie zum Götzendienst (Venus, Bacchus) verführen würden. In den Kapiteln 14 bis 28 betont er den körperliche Leidenschaften erregenden und unsittlichen Charakter der Spiele, dem sich eine [<< 62] kämpfende Kirche entgegenzustellen habe. Die beiden abschließenden Abschnitte verweisen im Sinne der Welttheatermetapher auf das Schauspiel der Wiederkunft des Herrn als das größte Schauspiel aller Zeiten, das andere überflüssig mache. Die im philosophischen Wahrheitsdiskurs vorgebrachten Gründe begleiten den Angriff Tertullians, der gesellschaftliche Erneuerung befördern soll: Heidnisch sind die Darstellungen nicht nur im theologischen Sinne, sondern auch, weil sie unwahre Abbilder mit den Eigenschaften Täuschung (Maske, Kothurn), Fälschung (Fiktion) und Verstellung (Stimme, Geschlecht, Alter, Kleidung) produzieren.

Die tiefe Bußgesinnung unter den monotheistischen Christen hebt sie aus der Masse jener Menschen heraus, die mehreren Göttern huldigen. Man unterwirft sich selbst dem ethischen Impetus, zunächst das eigene Leben zu ändern, und sei es auch auf einem peripheren Feld. Bei der enormen Nähe zum Beispiel zu den Glaubensinhalten und der Kultausübung für den Gott Mithras muss insbesondere der christliche Moralkodex eine Differenz herstellen, die im Widerstand gegen den als ein locker vereinigendes Band initiierten Kaiserkult gipfelt. In den daraus erwachsenden Christenverfolgungen (bis 311) bilden oft Folter- und Hinrichtungsszenen, an Christen begangene Gräuel, den Höhepunkt von Spielen, was deren Ablehnung umso einsichtiger macht. Bis ins 4. Jahrhundert hinein müssen sich die Kirchenväter jedoch auf Appelle beschränken, man kann in praxi kaum Einfluss auf das Spielgeschehen nehmen, bevor sich nicht das Christentum als Staatsreligion durchgesetzt hat.

Bei aller allgemeinen Ablehnung der Spiele gilt dem Kampf gegen den Mimus die oberste Priorität, da er Heidnisches und Körperliches unentwirrbar verflicht, weil er kaum über Texte fassbar ist und weil sich das Lachen stärker als jede andere Wirkung von Spielen rationalistisch-moralischer Argumentation entzieht. Zwischen Tertullian und Johannes Chrysostomus, Patriarch von Konstantinopel, erringt der Mimus die Vorherrschaft im römischen Theaterwesen. Chrysostomus gehört zu jenen gelehrten Kirchenoberhäuptern, die besonders häufig, intensiv und über einen langen Zeitraum gegen Theater predigen und auf diese Weise viele wertvolle Informationen überliefern. Wenn die Darstellungen auf den griechischen Bühnen einigen Philosophen ein Dorn im Auge waren, weil sie ihre Sozialutopien unterliefen, einigen Geschichtsschreibern, weil sie historische Vorgänge variierend interpretierten, dann ist der römische Mimus für Chrysostomus deshalb so abgrundtief verwerflich, weil er die Aufmerksamkeit der Gläubigen von der Kirche abzieht. Auch hier liegt wieder ein Konkurrenzverhältnis dem stets aufs Neue ausgesprochenen Bann zugrunde:

„Unaufhörlich schwatzen die Christen von den Miminnen, ihren Worten, ihrer Gestalt, ihrem Putz. Mimen, Pantomimen und Wagenlenker sind ihr tägliches Gespräch. Psalmen [<< 63] oder Stellen aus der heiligen Schrift weiß kaum einer herzusagen […] Wenn die Frau viel in die Kirche geht, gleich ist der Mann unzufrieden; er selbst aber geht tagelang ins Theater und zum Mimus. Man kommt aus dem Mimus mit unheiligen Gedanken zur Kirche; man vergisst, dass unsichtbare Engelchöre mit der Gemeinde mitsingen und steht lachend da vor dem Angesichte Gottes; man vergisst, dass man im Gotteshause ist und nicht im Theater. Was in der Kirche erbaut wird, wird durch den Mimus eingerissen. Wie eine trübe Schlammquelle verschlemmt er das Feld, das die Kirche zu reinigen sich bemüht.“88

Chrysostomus scheut keine Mühe, in wachsender Erbitterung stets neue Bezeichnungen für den Mimus zu finden:

„Theater der Wollust, eine unheilbare Pest, ein Gift, eine verderbliche Schlinge, ein Katheder der Pestilenz, Hochschule der Unsittlichkeit, Schule der Üppigkeit, Tanzboden der Unkeuschheit, der feurige babylonische Ofen, den der Teufel selber heizt […] Die Mimen und Miminnen sind Dreckmenschen, Hunde und Schweine, die im Schmutze wühlen und grunzen, ja Kloaken […].“89

Selbst dieser Ausdruck sei noch viel zu harmlos, meint Johannes Chrysostomus, er wolle aber Milde walten lassen. Mimen und Miminnen sind ganz selbstverständlich von aller christlichen Gemeinschaft ausgeschlossen. Er aber tritt, getreu seinen Überzeugungen, zusätzlich auch für die Exkommunikation von Besuchern des Mimus ein. Allerdings weiß er selbst, dass er kaum etwas erreichen kann.90 Die unheilige Allianz zwischen dem Kaiserhaus und der Bevölkerungsmehrheit in ihrer Freude am Mimus wird ihm schließlich zum Verhängnis. Er stirbt 407 in der Verbannung, weil er, als in Konstantinopel eine silberne Bildsäule der Kaiserin Eudoxia errichtet wird und zur Ehre des Tages Mimen und Pantomimen auftreten, die Kaiserin in öffentlicher Predigt eine Herodias nennt, die da tanzt, um Johannes’ Haupt zu erlangen.

Die gesamte Theaterhistoriografie wird nachantik in ihrer Ausprägung als philo­sophisch-ästhetischer Diskurs von zwei divergierenden Perspektiven überschattet, der platonischen und der aristotelischen. Wenn nach wissenschaftlicher Schärfe und geistiger Exklusivität gestrebt wird, muss Theater wegen seiner Wahrheitsferne als etwas Niedriges und Entbehrliches, ja Gefährliches gelten (Platon). Wird [<< 64] praktische Einflussnahme auf Personengruppen samt Machtausübung anvisiert, erscheint Theater in seiner Materialität und seiner Wirkung als ein nützliches Instrument (Aristoteles).

Es ist kein Ruhmesblatt europäischer Geistesgeschichte, über zweitausend Jahre lang – beeinflusst von christlicher Theaterscheu – das entspannte Verhältnis des Publikums zu den verschiedensten Theaterformen ignoriert zu haben. Theater in der Nachfolge von Platon und Aristoteles aus der Perspektive der Dichtung zu betrachten, wie es vom französischen Klassizismus bis hin zum Konzept vom „plurimedialen Text“ geschieht91, statt es als eigenständige Kunst zu analysieren, bedeutet eine enorme Einschränkung, die auf die Unsicherheit verweist, einen beweglichen Gegenstand zu erfassen. Während die Werte der Musik und der bildenden Kunst kaum in Abrede gestellt werden, büßt Theater für seine Körpergebundenheit und für seine Nähe zum Alltag. Die aristotelische Auffassung reicht mindestens bis einschließlich zu Bertolt Brecht, der zwar Aristoteles’ Dramenkonzeption kritisiert, gleichzeitig aber wie dieser die Fabel als Kernstück der Theaterveranstaltung ansieht. Die platonische reicht bis in den Neoliberalismus hinein, der bezüglich Theater den fehlenden Nutzen im Sinne von Rendite beklagt. Umso erstaunlicher die Resistenz einer Kunst, die tagtäglich nicht nur den platonischen Wahrheitsanspruch ignoriert, sondern auch die aristotelische Instrumentalisierung und den von allen Konkurrenten gemeinsam hergestellten schlechten Leumund.

Theatergeschichte

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