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1.6.2 Zur griechisch-römischen Theatertechnik
ОглавлениеDie zum Teil aus der Militärtechnik stammende Theatertechnik dient vor allem einer Vertiefung der Komplexität des Erlebens.
Abb 7 Bewegungsmomente der antiken Bühnenmaschinerie. (Quelle) [<< 72]
Grundsätzlich existiert eine Diskrepanz zwischen schriftlicher Überlieferung und archäologischen Befunden: Wenn Dramen bereits des 5. Jahrhunderts v. Chr. die Verwendung von Technik wie dem Flugkran nahelegen, so können archäologische Beweise frühestens 100 Jahre später, am Ende des 4. und im 3. Jahrhundert erbracht werden. Je nachdem, ob Autoren in ihren Studien nun mehr den Andeutungen in den Dramen oder mehr der archäologischen Verifizierung zuneigen, unterscheidet sich ihr Befund. Unklar ist beispielsweise, ob bereits Aischylos selbst den Flugkran als Bühnenmaschine (9) benutzt hat. Sicher wurde er später für die Aufführung aischyleischer Dramen verwendet. Der Flugkran bestand aus einem schwenkbaren Mast, der sich mit seinem metallenen Drehzapfen von 14 Zentimeter Durchmesser in einer viereckigen metallenen Büchse drehte. An seinem horizontalen Arm, dem Daktylos, konnten die Gestalten mittels einer Seilrolle zusätzlich aufwärts und abwärts bewegt werden, sodass sie zu schweben schienen. Der Flugkran erfordert hohe Stabilität und setzt einen festen Bühnenbau vom Typ eines Paraskenientheaters voraus. Im Athener Dionysostheater reitet im Gefesselten Prometheus des Aischylos Okeanos auf einem geflügelten Tier am Flugkran durch die Luft.99 Götter können in hellenistischer Zeit zudem auch an den Seilzügen, den Aiorai (10), horizontal über dem Proskenion hin- und herschweben. Von den für aischyleische Tragödien verwendeten Maschinen war die Roll- und Wagenbühne, das Ekkyklema (1), besonders attraktiv. Im Agamemnon rollt es aus dem Mitteltor der Skene heraus. Darauf befindet sich Klytaimnestra mit den Leichen des Agamemnon und der Kassandra. In der Totenspende erscheint auf dem Ekkyklema Orest zusammen mit Pylades und den Leichen von Klytaimnestra und Aigisth. Das Ergebnis der grausamen Tat wird dem Publikum präsentiert, nicht die Tat selbst. Ein solches Ekkyklema benötigt einen Umfang von etwa drei mal vier Metern, um die Personen aufnehmen zu können. Wenn ein solches Gefährt, auf Rollen, Walzen oder Rädern in fest verlegten Holz- oder Steinschienen bewegt und mit Gegengewichten versehen, nach vorn aus dem Skenengebäude der Thyromatabühne herausragen kann – wie in Eretria –, handelt es sich um eine Exostra (2). Sie ist besonders geeignet für Epiphanien. Die Periakten (4), dreiseitige, mit bemalter Leinwand bespannte Drehprismen, beschreiben erst Vitruv und Pollux.100 Sie sind keinesfalls älter als die Thyromatabühnen und selbst hier nicht unbestritten. Drehprismen zeigen in den Öffnungen dieser [<< 73] Bühnen Ortswechsel an, etwa eine Berg- oder Flusslandschaft, das Meer. Sind sie als eine Art Drehscheibe mit mittlerer Rückwand ausgebildet (5 – 7), so tragen sie nach Pollux alles herein, was für die Flugmaschine zu schwer ist, zum Beispiel auf Meerestieren reitende Götter, aber auch plastische Aufbauten, die Örtlichkeiten markieren, etwa den Ida-Berg im Paris-Urteil.101 Wenn auf dem Stropheion auf der einen Seite der Heros steht, kann er durch eine Drehung blitzschnell vergöttlicht werden. Das Hemikyklion oder das Hemistropheion lassen genauso schlagartig Menschen verschwinden. Da man die Thyromatabühnen oft auch für die Neue Komödie, den Mimus und Pantomimus einsetzt, ergeben sich viele weitere Überraschungsmomente. Der nach den Seiten zu ziehende Hintergrund- oder Zwischenvorhang (Siparium; 8) stammt von der Mimus- und Jahrmarktsbühne. Er ist dort Spielhintergrund und gestattet Auftritte. Auf der hellenistischen Thyromatabühne können mit ihm die Öffnungen verschlossen werden, in der römischen Komödie kann er ein Versteck auf offener Bühne bilden, bei Mimen und Pantomimen den hinteren Teil der Bühne abtrennen, den Chor oder Instrumentalisten verbergen. Der Hauptvorhang (Aulaeum; 13) hingegen, prachtvoll farbig durchwebt mit Götter- oder Menschen-, besonders aber Heldenfiguren, unten befestigt, verdeckt vor der Vorstellung die Schauwand des römischen Theaters. Er wird herabgelassen und am Ende der Vorstellung heraufgezogen. Ebenfalls eher nach Rom verweist das dem Wort nach griechische Pegma (Gerüst; 12), eine vorzugsweise in Amphitheatern verwendete Schleudermaschine. Gladiatoren werden in die Luft geworfen oder Menschen in die Arena geschleudert, wo sie wilden Tieren begegnen. Das hölzerne Gerüst kann sich nicht nur emporrecken: Kommen in Schauspielen Szenen vor, in denen sich die Erde öffnet, fällt das Pegma in sich zusammen.
Zu den Versenkungen (11) schreibt Heinrich Braulich: „Wenn am Ende des ersten Teiles der Promethie, im Gefesselten Prometheus, Prometheus in den Abgrund versinkt oder Klytaimnestra im dritten Teil der Orestie, in den Eumeniden, aus dem Erdreich emportaucht, so muss mit Versenkungsapparaturen gearbeitet worden sein. Das Anapiesma war eine solche mit Seilwinden betriebene Aufzugs- und Versenkungsmaschine.“102 Am Rande oder in der Mitte der Orchestra befand sich zudem der Ausstieg für die aus der Unterwelt kommenden Geister oder die dem Erdreich zugehörigen Gottheiten, die Charonstiege, benannt nach dem Fährmann des Totenreiches.
Neben allen diesen Vorrichtungen für Bewegungen findet sich mit der Rollskene von Megalopolis (3) noch eine bühnentechnische Rarität: In dem 368/67 v. Chr. durch [<< 74] Eingemeindung von 40 Orten gegründeten Megale polis (lat. Megalopolis, große Stadt) auf der westarkadischen Hochebene entsteht zunächst ein Parlamentshaus für die 10.000 Abgeordneten des arkadischen Bundes. Umzüge, Tänze und Chöre arkadischer Männer, Frauen, Knaben und Mädchen finden auf dem Platz davor statt, auch Dramen werden aufgeführt. Man baut deshalb 350 v. Chr. am dahinter liegenden Berghang einen steinernen Zuschauerraum. Doch zwischen dem Parlamentshaus – dessen prächtige Säulenfassade man nicht verstellen will – und dem Theatron bleibt nur wenig Platz. Man löst das Problem, so einige Forscher, durch eine etwa 30 Meter breite und acht Meter hohe temporäre Thyromatabühne für Theatervorstellungen, die, auf Steingeleisen mit drei Schienen rollend, schnell in der Skenothek, einem Bühnenschuppen, verschwinden und den Platz für Versammlungen und Festlichkeiten freigeben kann. Der Streit in der Archäologie kreist um die Frage, ob die Skenothek tatsächlich eine Rollskene enthalten habe (Dörpfeld, Bulle) oder nur ein Aufbewahrungsraum für ein Holzgerüst gewesen sei, welches man bei Bedarf in der Orchestra errichtete (Fiechter).103