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Wir haben einen Feind da draußen

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»Ich will, dass ihr in Panik geratet«, mahnte Greta Thunberg wieder und wieder, als sie 2019 durch die Hallen der Weltpolitik tingelte. Führende Persönlichkeiten verschiedener Couleur – aber keineswegs alle – sonnten sich im Glanz ihrer Rechtschaffenheit und versuchten, sie für ein gemeinsames Selfie zu gewinnen. Das eine aber, was sie unter keinen Umständen taten, war, in Panik zu geraten. Und genauso wenig beherzigten sie die Aussage, die Klimakrise stelle eine dem Krieg vergleichbare Notlage dar. Seit Jahren schon handelt es sich hierbei um einen Eckpfeiler der klimawissenschaftlichen und -aktivistischen Agitation, welche die Kriegsanstrengungen der Alliierten gerne als einen faktischen Beleg für eine Gesellschaft anführt, die dem Tode ins Auge geblickt, ihre Überlebenskräfte gebündelt, sich ausschließlich einem Ziel gewidmet und es so geschafft hat, den Feind unter extremem Zeitdruck zu besiegen. Der meistzitierte Aufsatz darüber, wie die US-amerikanische Wirtschaft fossile Brennstoffe zu hundert Prozent durch erneuerbare Energien ersetzen könne, verwies auf die Hundertausenden Flugzeuge, die während des Zweiten Weltkriegs von GMs und Fords Fabriken bereitgestellt wurden. Warum also nicht auch Windturbinen und Solarkollektoren? 2011, das heißt in jenem Jahr, in dem dieser Aufsatz publiziert wurde, drängten NGOs aus allen Bereichen der Umweltschutzbewegung die Führungskräfte der Vereinigten Staaten und Chinas dazu, endlich den Kriegszustand auszurufen – schließlich bezifferte die WHO, die höchste Behörde in Fragen menschlicher Gesundheit, die Zahl der durch die Erwärmung Getöteten auf mehr als 150 000 Menschen pro Jahr.

Nur den wenigsten Minister*innen und hochrangingen »politischen Entscheidungsträger*innen« im Globalen Norden dürfte es gelungen sein, nichts über die Parallele zwischen Klimakrise und Krieg zu vernehmen. In der bis dato detailliertesten Gegenüberstellung Strategies for Rapid Climate Mitigation. Wartime mobilisation as a model for action? analysiert Laurence Delina, ein mittlerweile in Hongkong lebender Nachhaltigkeitsforscher, wie Staaten ihre Ressourcen – Geld, Arbeit, Technologie – bündeln und fossile Treibstoffe mit der erforderlichen Geschwindigkeit abwickeln könnten. Ein Leser dieses Buches, der vor Greta Thunbergs Streik wohl berühmteste Klimaaktivist, Bill McKibben, verbreitete in seinem 2016 erschienenen Essay »A World at War« auf glanzvolle Weise diese Analogie, indem er die jüngste Saison der arktischen Eisschmelze als eine verheerende feindliche Offensive sowie die Feuerstürme und Dürren, über die damals in den Nachrichten berichtet wurde, als überwältigende Attacken beschrieb, nur um im nächsten Moment die Metapher in sich selbst einstürzen zu lassen: »Es ist nicht so, dass die Erderwärmung wie ein Weltkrieg ist. Sie ist ein Weltkrieg. Zu ihren ersten Opfern zählen paradoxerweise diejenigen, die am wenigsten zu der Krise beigetragen haben. Und dennoch muss man von einem Weltkrieg sprechen, der gegen uns alle gerichtet ist«, schrieb er, um im gleichen Atemzug dafür zu plädieren, wie auch im vorangegangenen Weltkrieg den Produktionsapparat umzurüsten.

McKibben war ein wichtiger Unterstützer der Kampagne von Bernie Sanders im Präsidentschaftswahlkampf 2016, der vorschlug, die USA solle die Klimakrise »so angehen, als befänden wir uns im Krieg« – »Wir haben einen Feind da draußen« –, und obwohl er an der Nominierung zum Kandidaten scheiterte, adoptierte die demokratische Partei vor der Wahl offiziell seine Forderung nach einer kriegsähnlichen Mobilisierung. Hillary Clinton versprach, im Weißen Haus einen »Kontrollraum ausschließlich für den Klimawandel« einzurichten, der dem Kartenraum von Franklin D. Roosevelt nachempfunden sein sollte, von dem aus er den Kriegsfeldzug leitete. Ein Ableger der US-Klimaschutzbewegung entwickelte einen »Siegesplan« mit der ikonischen Silhouette amerikanischer Soldaten, die statt einer Flagge eine Windturbine hissten; Demonstrationszüge waren zu sehen, die Frontbanner mit der Aufschrift »Erster Weltkrieg, Zweiter Weltkrieg, CO2-Weltkrieg« und dem ernsten Gesicht von Uncle Sam trugen. Jene Aktivist*innengeneration – darunter Alexandria Ocasio-Cortez –, die 2019 vermehrt auf der Bildfläche erschien, hielt weiterhin an dieser Trope fest und sorgte wiederum auch dafür, dass etablierte Persönlichkeiten wie Joseph Stiglitz und Ed Miliband noch im gleichen Jahr eine kriegszeitenähnliche Reaktion forderten. Und tatsächlich galten der Klimanotstand und das Bedürfnis, in Panik zu geraten, als die Leitmotive des Jahres 2019, dem letzten Jahr v. C., wie sich spätestens bestätigte, als das Time Magazine Greta Thunberg zur »Person des Jahres« kürte und sie auf dem Cover der Ausgabe vom 23. Dezember auf einer von Wellen umbrandeten Klippe stehend porträtierte. An diesem Tag lag der 41-jährige Mann, der auf dem Markt in Wuhan arbeitete, bereits fiebrig und hustend zu Hause.

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