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Delta Hotel

Kerameon 27, Athen, Griechenland


„Hast du mit ihr gesprochen?“, erkundigte sich Selma Al Sayed, nachdem sie das Hotelzimmer betreten und die Tür hinter sich verschlossen hatte.

„Ja“, antwortete Karim, der zwei Jahre ältere Bruder von Selma.

„Und? Nun mach es nicht so spannend!“, fauchte seine Schwester und warf zwei Einkaufstaschen auf das Bett.

„Faizah geht es gut, wenn du das gemeint hast, aber du hast doch heute bereits selbst mit ihr telefoniert.“

„Das meinte ich nicht! Du weiß genau, was ich wissen wollte.“

Natürlich wusste Karim, was seine Schwester interessierte. Bevor sie aus der syrischen Stadt Hesen Dera geflüchtet waren, hatte Karim eine Liebesbeziehung mit Faizah, der hübschen Nachbarstochter, begonnen. Die Flucht hatte das Liebespaar getrennt. Karim war mit seiner Schwester Selma durch den Abyssos, die Unterwelt der Dämonen, gereist, da auf beide ein Auftrag in Deutschland wartete. Gleichzeitig war die Bevölkerung von Hesen Dera in die Türkei geflüchtet.

Karim hatte während der abenteuerlichen Reise durch den Abyssos und den Hades von Faizah geträumt und das Mädchen in guter Hoffnung gesehen.

„Ja, das weiß ich genau“, meinte Karim nachdenklich.

„Karim! Du nervst langsam! Nun sag mir schon, was los ist“, sagte Selma, mittlerweile leicht genervt.

„Faizah ist wirklich schwanger.“

Selma grinste breit und warf sich dem Bruder an die Brust. „Ich gratuliere, Karim, das ist wundervoll.“

„Danke, Selma.“

„Wie geht es ihr? Wie verträgt sie die Schwangerschaft? Ist ihr oft übel?“

„Äh?“

„Du weißt das nicht?“

„Nein. Aber sie hörte sich gut an.“

„Du bist ein Dummkopf! Warum hast du Faizah nicht danach gefragt?“

„Wir sprachen über wichtigere Dinge“, antwortete Karim.

„Was könnte denn wichtiger sein?“

„Hm.“

„Na gut, ich will es gar nicht wissen“, meinte Selma und löste sich aus der Umarmung. „Hast du es Vater oder Tarek bereits gesagt?“

„Nein ... ich habe bisher nur mit Faizah telefoniert.“

„Und wann hast du vor, es Vater zu sagen?“

„Hm.“

„Nun?“

„Ich werde später mit ihm sprechen, versprochen.“

„Unser Vater muss es wissen. Es ist sein Enkelkind.“

„Enkelkinder.“

„Wie bitte?“

„Es werden Zwillinge“, erklärte Karim.

„Zwillinge?“ Selma riss verwundert die Augen auf.

„Ja. Zwei Jungs.“

„Woher willst du das wissen? Faizah ist fast zweitausend Kilometer entfernt!“

„Der Hades sagte es mir.“

„Du meinst deine Traumbilder aus dieser Halle?“

„Ja.“

„Du solltest nicht alles glauben, was du träumst.“

„Es war kein Traum, sondern die Läuterung durch den Hades.“

„Und du glaubst daran?“

„Ja ... es war so realistisch.“

„Die Realität entspricht nur selten der Wahrheit. Was sagte Faizah dazu?“

„Sie weiß es nicht. Es ist ihr auch egal, wichtig ist nur, dass die Kinder gesund geboren werden.“

„So sehe ich es auch.“

„Jetzt lass uns über andere Dinge sprechen. Gibt es Neuigkeiten von Obox-ob?“

Obox-ob, Herr der Geisterwelt, hatte den Geschwistern bei der Flucht aus der Türkei geholfen. Als Gegenleistung wurde von Selma und Karim das Versprechen geleistet, nach Ares, dem Gott des Kriegsgemetzels, zu suchen, der aus dem Hades geflohen oder entführt worden war. Selma besitzt die Gabe, mit den Wesen der Geisterwelt Kontakt aufzunehmen, zu kommunizieren und in deren Welt zu reisen. Sie hatte die Vereinbarung mit Obox-ob getroffen.

„Ares befindet sich nicht in der Welt der Geister, er bezweifelt auch, dass sich der Kriegsgott noch im Abyssos aufhält. Dort würde seine Anwesenheit schnell bemerkt werden. Ein Gott in der Unterwelt fällt auf.“

„Was glaubt er stattdessen?“

„Obox-ob vermutet, dass sich Ares in der Welt der Menschen versteckt hält. Er glaubt sogar, er würde sich hier in der Nähe von Athen aufhalten.“

„Warum glaubt er das?“

„Dieser Ares scheint ziemlich verliebt zu sein, sagte Obox-ob.“

„Ach ja? Wer ist die Glückliche?“, hakte Karim mit einem ironischen Klang in der Stimme nach.

„Aphrodite.“

„Und wer ist das?“

„Du ungebildeter Kerl!“

„Entschuldige bitte! Du scheinst vergessen zu haben, dass ich an der Stadtmauer stand, um Hesen Dera zu verteidigen, statt in der Schule zu sitzen und zu lernen.“

„Du hast recht. Aphrodite ist die Göttin der Liebe, der Schönheit und der sinnlichen Begierde.“

„Klingt aufregend.“

„Ja, scheint sie auch zu sein. Obox-ob meint, sie wäre das schönste Geschöpf, das er je zu Gesicht bekommen hat.“

„Gut, das heißt, dieser Ares hat einen guten Geschmack. Aber was hat das mit unserem Auftrag zu tun?“

„Diese Aphrodite lebt mit Hephaistos, ihrem Gemahl, in einer der zwölf Wohnungen des Olymps.“

„Aphrodite ist verheiratet?“

„Ja, mit Hephaistos, so erklärte es mir Obox-ob.“

„Und dieser Ares ist in Aphrodite verliebt, obwohl sie verheiratet ist?“

„Ja. Sie scheinen eine heimliche Affäre zu führen.“

„Diese Aphrodite geht fremd?“, rief Karim entsetzt.

„Ja. Obox-ob meinte, das täten fast alle Götter. Übrigens auch die Könige, Prinzessinnen und Fürsten der Unterwelt. Du erinnerst dich?“

„Ja, sicher. Prinzessin Targunitoth scheint auch regelmäßige Affären zu haben. Aber was ist mein Glauben noch wert, wenn selbst die Götter keine Vorbilder mehr sind, sondern die Ehe brechen?“

„Eine gute Frage, Karim. Wir sollten bei nächster Gelegenheit den Imam danach fragen.“

„Ja! Das werde ich tun. Aber nun erzähl bitte weiter, was Obox-ob noch sagte.“

„Er glaubt, dass sich der verliebte Ares in der Nähe der Aphrodite aufhalten wird, also in Griechenland. Außerdem meint Obox-ob, dass Ares nach seinem Schwert suchen wird.“

„Nach einem Schwert?“, erkundigte sich Karim und zog die rechte Augenbraue empor.

„Bevor Ares zur Läuterung in den Hades verbannt wurde, hat Zeus, sein Vater, von ihm verlangt, sein Schwert abzugeben.“

„Und? Hat er das getan?“

„Vermutlich. Aber Obox-ob kann nichts Genaues dazu sagen.“

„Wo vermutet er das Schwert des Ares?“

„Es gibt ein Gerücht, dass Ares es ins Meer geworfen hat. Jedoch kann niemand darüber eine sichere Aussage treffen.“

„Also wird sich dieser Ares in der Nähe seiner Geliebten aufhalten und nebenbei nach seinem Schwert suchen?“, stellte Karim als Vermutung auf.

„Das vermutet Obox-ob. Wir sollten die Umgebung vom Olymp überprüfen. Außerdem müssen wir recherchieren, von welcher Stelle Ares sein Schwert ins Meer geworfen hat.“

„Und wie sollten wir dieses Kunststück ausführen?“

„Dafür gibt es doch das Internet, Karim.“

„Dann brauchen wir einen Computer mit Internet-Zugang.“

„Keiner benutzt mehr einen Computer. Ich werde uns ein i-Pad besorgen, so sind wir ständig online, selbst wenn wir uns durch Athen bewegen.“

„Was ist ein i-Pad?“

„Ach, Karim ...“

„Ich kann dir erklären, wie man eine Kalaschnikow oder eine Panzerbüchse bedient und abfeuert!“

„Ja, schon gut. Ein i-Pad ist ein Tablet, ein kleiner, flacher, tragbarer Computer mit Internetzugang.“

„Dann besorg uns so ein Teil.“

„Ja, werde ich tun. Hast du bereits deinen Rucksack kontrolliert?“

„Nein, warum?“

„Es war Labolas. Während du im Koma gelegen bist, hat er deine Kalaschnikow mit in den Abyssos genommen. Er meinte, hier in Athen würdest du sofort mit einer Maschinenpistole verhaftet werden. Die Menschen scheinen in ständiger Angst vor Terroranschlägen zu leben, und du als Syrer stehst ganz oben auf der Gefährdungsliste. Du besitzt nur noch deine Makarow Pistole und den Jambia Krummdolch. Labolas sagte, du sollst die Waffen gut versteckt tragen, wenn wir uns in Athen bewegen.“

„Das erscheint mir vernünftig zu sein.“

„Du solltest mit Labolas Kontakt aufnehmen. Er wird dich über die Neuigkeiten informieren.“

„Ja, werde ich tun.“

Labolas ist ein koboldartiger Dämon aus dem Abyssos, der von Prinzessin Targunitoth den Auftrag erhalten hatte, die Geschwister auf der Flucht von Syrien nach Deutschland zu begleiten. Karim verfügt über die Gabe, mit den Dämonen im Abyssos Kontakt aufzunehmen, mit diesen zu kommunizieren und die Unterwelt zu betreten.

„Dann frage ihn bei dieser Gelegenheit, ob es im Abyssos Informationen über den Aufenthaltsort von Ares oder von seinem Schwert gibt.“

„Ja, werde ich tun.“

„Und du telefonierst mit unserem Vater! Er hat ein Recht darauf zu erfahren, dass er Großvater wird.“

„Ja, ja, schon gut.“

„Außerdem habe ich etwas zu essen gekauft. Du solltest dich stärken, denn du hast abgenommen und viel Kraft verloren.“

„Oh ja, ich habe mächtigen Hunger! Was machst du zwischenzeitlich?“

„Ich werde in die Innenstadt fahren und uns ein i-Pad kaufen. Wir sollten schnellstmöglich mit der Recherche und unserer Suche nach diesem Ares und seinem Schwert beginnen.“

„Woher hast du eigentlich das Geld, um das alles zu bezahlen?“

„Obox-ob.“

„Was ist mit ihm?“

„Er hat mir gezeigt, wo ich das Geld finde“, erklärte Selma.

„Man kann in Athen Geld finden?“, hakte Karim verblüfft nach.

„Obox-ob sagte, man kann überall Geld finden, wenn man nur weiß, wo es versteckt ist. Er führte mich zu zwei Orten, wo Geld verloren wurde. Dieses nahm ich mir.“

„Ist das kein Diebstahl?“

„Keine Ahnung. Aber wir brauchen dringend das Geld, daher sollten wir nicht so kleinlich sein. Jemand hat es verloren, und ich habe es eben gefunden.“

„Aber ...“

„Kein Aber! Wir müssen das Hotelzimmer bezahlen, wir brauchen etwas zum Essen, ein Handy und ein i-Pad. Wie sollte das alles finanziert werden?“

„Äh ... ich ...“

„Ach, hör doch auf. Wie hättest du ohne dieses Geld mit Faizah telefonieren können? Alles kostet Geld!“

„Schon gut.“

„Jetzt iss etwas und ruf bei Vater an!“


Im Zeichen des Ares

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