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Kommissar Laskari, Selma und Karim standen in der Nähe des Fensters, als das letzte Blitzlicht flammte. Der Pathologe der Mordkommission hatte inzwischen alles getan, was zu tun war, und wusch sich im Badezimmer die Hände.

Der unbekannte Tote wurde auf eine Tragbahre gelegt, mit einem Tuch zugedeckt und hinausgetragen. Alles, was zurückblieb, war ein großer Blutfleck auf dem Teppich.

Laskari hatte sich auf den Fenstersims geschwungen. Eine Zigarette hing zwischen seinen Lippen. Seine spitzen Knie hätten in einer anderen Situation lächerlich gewirkt.

„Es gibt kaum eine Möglichkeit, herauszufinden, wer der Mann war. Wir haben eine Verbrecherkartei, sind auch mit Interpol verbunden. Aber durch die Flüchtlingswellen nach Griechenland hat die Datenbank Lücken wie ein mottenzerfressener Damenpullover. Zum zweiten Mal innerhalb von vierundzwanzig Stunden haben Sie viel Glück gehabt, Karim. Die Prinzessin hatte recht mit der Annahme, dass Sie in Gefahr sind. Wir sollten besser auf Sie und Ihre Schwester aufpassen. Ich werde mir diesbezüglich Gedanken machen.“

An der Tür zum Hotelzimmer tauchte Labolas auf. Er sah Karim mit einem besorgten Lächeln an, dann zog er die Augenbrauen hoch und nickte ganz leicht mit dem Kopf. Es war eine kaum merkliche Bewegung, aber sie sagte alles.

„Entschuldigen Sie mich“, bat Karim und ging zur Tür. Die Polizisten ließen ihn auf einen stummen Wink des Kommissars durch. Karim trat zu Labolas.

„Na, was gibt es Neues?“, erkundigte sich Karim und zog den Gefährten aus der Hörweite der Uniformierten.

„Ich war im Café Melina und habe mit dem Besitzer gesprochen. Er machte auf mich einen verdächtigen Eindruck, so, als würde er etwas verbergen. Ich halte es für sehr wahrscheinlich, dass er die Hände im Spiel hat. Er heißt Georgios Karamanlis. Aber es wird schwer sein, ihn zum Sprechen zu bringen, denn hier fürchtet sich jeder vor Thaz Laraanji, dem Statthalter von Athen.“

„Was hast du herausbekommen? Was für Menschen verkehren in diesem Café?“

„Ich habe erzählt, dass ich einen Neffen von mir suche, der vor wenigen Tagen mit einem Schlauchboot aus der Türkei kam und die Balkanroute in Richtung Deutschland nehmen wollte. Georgios Karamanlis und ich haben etwas zusammen getrunken. Aber seine Angst ist so groß, dass sie ihm selbst dann den Mund versiegelt, wenn er nicht mehr nüchtern ist.“

„Kann ich gut verstehen. Seine Freunde sind nicht sehr wählerisch mit ihren Mitteln. Ich werde mir mal dieses Café selbst ansehen.“

„Du solltest aber ohne Selma dort hingehen.“

„Warum?“

„Es handelt sich um eine von Männern dominierte Gruppe. Frauen werden nicht als vollwertige Gesprächspartner angesehen.“

„Ich verstehe“, meinte Karim und dachte daran, dass es in seiner syrischen Heimat nicht anders ist.

„Du solltest allein dort auftauchen und den Mann darum bitten, deine Familie aus der Türkei nach Griechenland zu schmuggeln.“

„Du glaubst, er hätte die Mittel und Wege dazu?“

„Wenn nicht er selbst, dann kennt er die Personen, die das können. Und genau diese Kontakte suchen wir, denn sie führen dich zu Thaz Laraanji, der als einträglichen Nebenjob einen Schleuserring von der Türkei nach Griechenland unterhält.“

„Gut. Ich werde ihn bitten, meine schwangere Frau aus der Türkei nach Athen zu schmuggeln.“

„Du brauchst dazu viel Geld für diesen Schlepper.“

„Ich habe aber kein Geld“, meinte Karim und zog die rechte Augenbraue empor.

„Das dachte ich mir bereits. Ich habe auf dem Rückweg etwas Bargeld besorgt.“

„Sollte ich fragen, wie und wo du das gemacht hast?“

„Nein, besser nicht. Aber es ist nur Geld, die Menschen nehmen das viel zu wichtig. Hier, stecke die Scheine ein und am besten so, dass die Polizisten das nicht bemerken.“

Er reichte ihm ein dickes Bündel Euro-Banknoten. Karim ließ dieses unverzüglich in einer Jackentasche verschwinden.

„Sehr gut“, sagte Karim. „Damit werde ich auf den Busch klopfen.“

„Hä? Ich verstehe nicht, was das bedeutet.“

„Es gibt in meiner Heimat ein Sprichwort“, erklärte Karim. „Wenn du nur häufig genug auf den Busch klopfst, dann kommt irgendwann die Beute hervor.“

„In meiner Welt heißt das anders“, antwortete Labolas. „Wenn du auf den Busch klopfst, dann überzeuge dich vorher, dass kein blutgieriges Monster darinsitzt.“

„Ich werde mich bemühen, aufzupassen“, meinte Karim. „Aber wie willst du das Monster erledigen, wenn du es nicht jagst?“

Labolas zuckte mit den Schultern und seufzte. „Aber pass gut auf. Ich werde in der Nähe sein, und bei Bedarf einschreiten.“


Karim betrat wieder das Hotelzimmer und schritt zum Fenster.

„Hat Labolas etwas herausfinden können?“, wollte der Kommissar wissen.

„Nein, leider gar nichts“, log Karim, der dem Polizisten noch immer nicht völlig vertraute.

Laskari hatte sich inzwischen vom Fenstersims heruntergeschwungen. Er warf einen raschen Blick zu dem Polizeifotografen hinüber, der seine Apparaturen einpackte.

„Haben Sie keinen Verdacht, wer hinter der Sache steckt?“, wollte Selma wissen.

„Einen Verdacht schon, aber keine Beweise. Und in der Welt der Menschen genügt ein Verdacht nicht.“

„Was sind Ihre Vermutungen?“, hakte Karim nach.

„Es wird sich wohl um einen Schergen gehandelt haben, der im Dienst von König Leviathan stand.“

Der Kommissar ließ sich Feuer geben und sog tief den Rauch der Zigarette ein. Sein Gesicht entspannte sich etwas.

„Danke. Ich habe mein Feuerzeug verloren“, sagte Laskari. „Ich werde mich mit einigen Freunden besprechen, wie wir Sie in Athen besser beschützen können.“

„Tun Sie das. Ich bin über das Handy immer erreichbar“, antwortete Karim.

Die Gefährten sahen dem Kommissar nach, als er das Zimmer verließ.

„Was hast du jetzt vor, Karim?“, erkundigte sich Selma.

Der Bruder erklärte seinen Plan, allein das Café Melina aufzusuchen. Selma wollte anfangs protestieren, ließ sich dann jedoch überzeugen, als Karim versicherte, dass Labolas immer in seiner Nähe bleiben würde.


Die Fahrt in die Lisiou 22 war für Karim anstrengend. Er war übermüdet und körperlich erschöpft. Das Taxi fuhr quer durch die Innenstadt. Solange sie die normale Straße benutzten, kamen sie zügig voran. Dann ließ sich der Taxifahrer einfallen, einen Umweg zu machen, um die Strecke abzukürzen, wie er Karim – in den Rückspiegel grinsend – mitteilte.

Und im Nu steckten sie hilflos verkeilt in einem Gewirr enger und überfüllter Gassen. Der Fahrer kurbelte das Fenster herunter und fluchte in einem grässlichen griechischen Dialekt. Aber in Athen kümmerten sich nur die Hunde um den Krach, sie bellten und verstärkten den Lärm nur noch. Drohend wurden Fäuste gegen den Taxifahrer geschüttelt.

Irgendwie kamen sie aus dem Chaos wieder heraus. Nach einer weiteren Stunde Fahrzeit parkte der Fahrer gegenüber dem Café Melina.

Karim stieg aus und bezahlte. Er überquerte die Straße und betrat das Café. Die Gerüche von frischem Kaffee und griechischer Küche strömten ihm entgegen. Der Raum war größer, als er angenommen hatte. Überall standen kleine Tische herum.

Ein Kellner kam auf Karim zu und geleitete ihn zu einem freien Tisch.

„Sie wollen essen, Herr?“, fragte er.

„Ja. Außerdem würde ich gern mit dem Inhaber sprechen.“

„Mit Georgios Karamanlis?“, hakte der Kellner nach.

„Ja, bitte.“

„Wen darf ich melden?“

„Mein Name ist Karim Al Sayed.“

„Ich werde es ausrichten“, sagte der Kellner, reichte Karim eine Speisekarte und verschwand anschließend in der Küche.

„Muss es Georgios Karamanlis sein?“, fragte eine Frauenstimme hinter Karim. „Glauben Sie nicht auch, dass wir uns besser unterhalten können, wenn er nicht hier ist?“

Karim drehte sich überrascht um.

Es war das erste Mal, dass er Sofia Vangelis sah, aber manchmal sieht man ein Bild, das sich einem wie mit Feuerlinien ins Gedächtnis gräbt.

Sie sah blendend aus: sensibler, schöner Mund, warme, klare Augen, samtige, gepflegte Haut, weiblicher, schlanker Körper. Die blauschwarzen Haare waren offen und fielen wild auf den Rücken. Sie hatte volle Lippen mit dem Ausdruck einer hungrigen Sinnlichkeit. Die hohen Jochbeine gaben ihrem Gesichtsoval einen rassigen, fast hochmütigen Anschein. In den großen, von seidigen Wimpern überdachten Augen drückten sich Wärme und Freundlichkeit aus.

Das Herz von Karim machte einen Sprung, der ihm eine Goldmedaille im Stabhochsprung eingebracht hätte.

Die junge Frau hatte erstaunliche Ähnlichkeit mit Faizah, seiner großen Liebe, die derzeit in einem Flüchtlingslager in der Türkei lebte. Woher kam diese verblüffende Ähnlichkeit? Fast glaubte er, diese Frau wäre eine Schwester von Faizah, aber das war doch unmöglich.

Die Unbekannte trug ein schwarzes Kostüm, das ihre wunderbare Figur betonte. Der Rock war seitwärts geschlitzt und zeigte die schlanke Form ihrer Schenkel. Schwerer Silberschmuck klirrte an ihren Handgelenken, als sie dem Kellner einen Wink gab und dann zu Karims Tisch kam.

„Darf ich mich zu Ihnen setzen?“, fragte sie mit einem kleinen, spöttischen Lächeln.

„Äh ... gerne ...“, stammelte Karim verlegen.

„Ich heiße Sofia Vangelis“, stellte sich die Schwarzhaarige vor.

„Hm ... angenehm ... Karim Al Sayed ... so ist mein Name.“

„Es freut mich, Sie kennenzulernen. Sie wollen mit dem Besitzer dieses Cafés sprechen?“

„Ein Freund hat ihn mir empfohlen“, antwortete Karim ausweichend.

Irgendetwas war an Sofia Vangelis, das ihn vorsichtig stimmte. Sie war wie einer jener schwarzen Panther, die man hinter den Gittern eines Käfigs beobachten kann, schön und anmutig, aber in der Tiefe ihrer Augen brannte ein lockendes, gefährliches Feuer.

„Ich komme regelmäßig hierher. Der Kaffee ist fantastisch und das Essen lecker und preisgünstig. Und ich sitze dann immer an diesem Tisch hier. Ich sage das nur, damit Sie nicht glauben, dass ich ... dass es zu meinen Gewohnheiten gehört, junge Männer so einfach anzusprechen.“

„Ich freue mich darüber.“

„Es hat nichts zu bedeuten. Ich möchte mich gern mit Ihnen unterhalten. Wie lange sind Sie schon in Athen?“

„Erst kurze Zeit“, antwortete Karim wahrheitsgemäß. „Ich habe hier geschäftlich zu tun.“

„Aber doch nicht den ganzen Tag. Wenn Sie wollen, kann ich Ihnen Athen zeigen. Es hat viele Sehenswürdigkeiten, und ich kenne jeden Winkel in dieser Stadt. Ich bin hier geboren und aufgewachsen.“

„Ich habe heute Abend nichts vor.“

„Ich arbeite abends“, erwiderte Sofia und sah ihn prüfend an. „Ich tanze im exklusiven Yacht Club Istioploikos.“

„Was ist das für ein Club?“

„Er gehört einem reichen Reeder und verfügt über eine angenehme, vornehme Atmosphäre. Nicht so primitiv und schmutzig wie die meisten Clubs im Großraum Athen.“

„Wo ist dieser Club?“

„Im Hafen von Piräus. Die genaue Adresse lautet: Papadiamanti 2-6. Ich würde mich sehr freuen, Sie heute Abend dort begrüßen zu können. Wenn Sie sich die Mühe machen, zu kommen, werden Sie sicher angenehm überrascht zu sein. Der Inhaber heißt Jannis Nikiforos. Werden Sie heute kommen?“

Das lockende Feuer in der Tiefe ihrer Augen wurde noch stärker. Sie hatte so große Ähnlichkeit mit Faizah, dass sich das Herz von Karim zusammenzog und seinen Blutdruck in gefährliche Höhen trieb. Aber anders als Faizah hatte Sofia einen geheimnisvollen Charme, eine indirekte Erotik, die durch jede ihrer Bewegungen ausgedrückt wurde.

„Gut. Ich werde kommen“, versprach Karim, der nicht den Hauch einer Chance gehabt hätte, diese Einladung auszuschlagen.

Der Kellner kam, um die Bestellung aufzunehmen. Sofia sah auf ihre kleine, mit Brillanten eingefasste Armbanduhr und blickte rasch zu Karim.

„Ich habe mich heute verspätet“, sagte sie. „Seien Sie mir nicht böse, wenn ich Sie allein lasse. Aber ich muss mich beeilen. Wir sehen uns also heute Abend wieder, ja? Sie werden es nicht vergessen?“

„Wie könnte ich Sie vergessen? Ich werde heute Abend im Yacht Club sein. Hoffentlich laufen Sie mir dann nicht wieder so schnell weg.“

„Ich verspreche es Ihnen, dass ich mir Zeit nehmen werde.“

Sie erhob sich rasch. Der Silberschmuck an ihrem Handgelenk klirrte, als sie Karim zuwinkte. Im nächsten Moment war sie verschwunden.

„Wer ist das?“, fragte er den Kellner, der abwartend neben Karim stand. Sein Gesicht war so ausdruckslos, dass es an die Öffnung am Rohr eines Staubsaugers erinnerte.

„Madame Vangelis isst regelmäßig hier. Ich vermute, sie wohnt in der Nähe. Aber sie hat es immer sehr, sehr eilig.“

„Ja, sie schien es auch heute wieder eilig zu haben“, meinte Karim. „Konnten Sie mit Ihrem Chef sprechen?“

„Ja. Herr Karamanlis wird gleich kommen. Was kann ich Ihnen servieren?“

Karim bestellte gegrillte Scampi und eine Flasche Mineralwasser. Kurz darauf sah er in das Gesicht eines anderen Mannes. Er trug eine graue Flanellhose, ein dunkelblaues Polohemd und elegante Lederschuhe. Ein maskenhaft starres Lächeln stand in den winzigen Fältchen seiner Augenwinkel.

„Sie wollen mich sprechen?“, fragte er höflich. „Was kann ich für Sie tun?“

„Sie sind Georgios Karamanlis?“

„Ja. Ich habe Sie noch nie hier gesehen. Ich freue mich über jeden neuen Gast. Sie werden zufrieden sein. Ich stehe selbst in der Küche.“

„Ich bin überzeugt davon, dass das Essen gut sein wird“, fiel Karim ihm ins Wort. „Ich bin gekommen, um Ihnen ein Geschäft vorzuschlagen, Herr Karamanlis.“

Der Kellner, der das Mineralwasser gebracht hatte, öffnete die Flasche, goss etwas in ein Glas und verschwand wieder.

Der Wirt beobachtete Karim aufmerksam. Seine Augen waren so schmal geworden, dass sie zwischen den bläulich verfärbten Lidern kaum noch zu sehen waren. Karim sah ihm an, dass er überlegte.

„Setzen Sie sich zu mir und ich werde Ihnen sagen, welche Art von Geschäft das ist, Herr Karamanlis“, lud Karim den Wirt ein und nahm einen Schluck aus dem Glas.

Mit einer vorsichtigen Bewegung ließ dieser sich Karim gegenüber nieder. Das markante Gesicht mit den vorstehenden Backenknochen und dem schmallippigen Mund sah wie eine Kohlezeichnung aus.

Karim warf einen raschen Blick in die Runde. Außer ihnen war jetzt nur noch ein einziger Gast anwesend, ein alter Mann, dessen Hände so sehr zitterten, dass er kaum sein Glas an die Lippen heben konnte.

„Ein Freund, dessen Name ich nicht nennen möchte, hat mir Ihre Adresse gegeben“, sagte Karim leise, sich ein wenig über den Tisch nach vorne neigend. „Es handelt sich um ein Geschäft, bei dem für Sie fünftausend Euro drin sind.“

In seinen zusammengezogenen Augen leuchtete es kurz begehrlich auf. Seine Zungenspitze erschien zwischen den Lippen, fuhr einmal rasch hin und her und verschwand wieder.

„Ich bin ein syrischer Flüchtling“, begann Karim, „und komme aus Hesen Dera. Meine Heimatstadt wurde völlig zerstört. Wir mussten mitten in der Nacht fliehen. Ich habe es nach Athen geschafft. Aber meine Frau leider nicht, die sich in einem türkischen Flüchtlingslager befindet. Ich möchte sie um jeden Preis hierher holen. Meine Frau ist schwanger! Wir werden Zwillinge bekommen. Ich bezahle einen anständigen Preis für ihre sichere Flucht aus der Türkei.“

„Weshalb kommen Sie zu mir? Ich bin Inhaber eines kleinen Cafés. Es ist gegen das Gesetz, Menschen illegal nach Europa einzuschleusen. Außerdem, warum sollte gerade ich das tun?“

„Ich erwarte nicht, dass Sie persönlich meine Frau nach Athen bringen. Aber ich wäre bereit, die fünftausend Euro auch für den Namen der Person zu bezahlen, die mir helfen könnte. Ich habe nicht viel Zeit. Wie bereits gesagt, meine Frau ist schwanger und wir wollen, dass unsere Kinder in Deutschland zur Welt kommen, das würde unseren Asylantrag positiv beeinflussen.“

Karim nahm wieder einen Schluck Mineralwasser und beobachtete den Wirt über den Rand des Glases hinweg. Der zupfte an der einen Ecke seines Hemdkragens herum und blickte den Gast abschätzend an.

Plötzlich sagte er: „Es tut mir sehr leid, aber ich fürchte, ich kann Ihnen da nicht behilflich sein. Ich tue zwar alles, um meine Gäste zufriedenzustellen, aber das geht ein bisschen zu weit. Natürlich weiß ich, wie jeder in Athen, dass es Organisationen gibt, die sich mit dem Menschenschmuggel nach Europa befassen. Aber wie Sie dazu kommen, mich damit in Verbindung zu bringen, ist mir unbegreiflich.“

Karim spürte innerlich, dass er den Fisch im Netz hatte. Während der Wirt gesprochen hatte, wurde es ihm klar. Er hätte ganz anders gesprochen, wäre er wirklich über das Angebot entrüstet gewesen. Das Angebot von fünftausend Euro hatte einen tiefen Sprung in die Maske seiner Gelassenheit geschlagen.

„Woher soll ich auch wissen, wer Sie sind“, fuhr er nach einer Weile des Schweigens fort.

Karim griff in seine Jackentasche und holte sein Handy hervor. Er öffnete den Foto-Ordner und zeigte dem Wirt Bilder von Faizah und dem Flüchtlingslager, die er in den vergangenen Tagen über WhatsApp erhalten hatte.

„Das ist Faizah, meine Frau“, erklärte Karim. „Das sind mein Vater und mein Bruder. Sie leben alle gemeinsam in einem engen Zelt in einem türkischen Flüchtlingslager.“

„Besser als im Bürgerkrieg“, sagte der Wirt trotzig, war aber trotzdem von den gezeigten Fotos berührt.

„Da haben Sie natürlich recht. Ich bin Allah auch dankbar für seine Gnade, dass meine Frau und meine Familie aus Syrien flüchten konnten. Aber die Ehefrau gehört zu ihrem Ehemann und nicht in ein Flüchtlingslager, umgeben von jungen Männern. Sie verstehen, was ich meine.“

„Ich glaube, ich verstehe es. Keine Frau sollte allein in einem solchen Lager leben müssen.“

Nun griff Karim erneut in seine Jackentasche und holte das Geldbündel hervor, das er von Labolas erhalten hatte. Der Wirt konnte erkennen, dass es mehrere Tausend Euro waren. Deutlich zeigte sich der Widerstreit von Angst und Gier in seinen Zügen. Wieder fuhr er sich mit der Zunge über die Lippen. Er rieb die Handflächen gegen die Beine seiner Flanellhose. Es fehlte nicht viel, ihn zu überzeugen, und beim Anblick des Geldes brach ihm der Schweiß aus.

Karim rollte das Geldbündel auf und legte vier Fünfhundert-Euro-Scheine vor den Wirt auf den Tisch.

„Weitere dreitausend Euro bekommen Sie, wenn Sie mich mit der Person zusammenbringen, die mir helfen kann, meine Frau aus der Türkei zu holen. Ich habe ebenso großes Interesse daran wie Sie, dass unser Geschäft nicht von den falschen Menschen aufgeschnappt wird. Sie verstehen, wie ich das meine?“

Der Wirt nickte. Langsam zog er die vier Geldscheine zu sich herüber, faltete sie zusammen und steckte sie in die offene Brusttasche seines Polohemdes. Als er sich mit dem Handrücken über die Stirn fuhr, zitterte seine Rechte.

„Ich werde sehen, ob ich etwas für Sie tun kann. Sie können sich darauf verlassen, dass ich schweigen werde. Auch ich habe großes Interesse daran, dass nicht Leute, die uns gefährlich werden könnten, zuhören.“

„Und sagen Sie der Person, dass ich keine Zeit zu verlieren habe. Ich möchte meine schwangere Frau schnellstmöglich nach Deutschland bringen, dafür bin ich auch bereit, richtig gut zu bezahlen.“

„Sie können sich auf mich verlassen. Geben Sie mir Ihre Handynummer, unter der ich Sie erreichen kann. Ich melde mich telefonisch oder schicke Ihnen eine SMS. Wenn Sie diesbezüglich wieder zu mir kommen, dann benutzen Sie den rückwärtigen Eingang. Und achten Sie bitte darauf, dass Ihnen niemand folgt.“

„Ich werde darauf achten. Bitte melden Sie sich, so schnell wie möglich.“

Dann stand Karim auf, ohne auf das Essen zu warten und verließ das Café. Als er die Straße entlangging, auf der Suche nach einem Taxi, hatte er das Gefühl, beobachtet zu werden.


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