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Germering bei München

Anfang Juni 2015


Henri und Chloé betrachteten schweigend das alte Haus. Es wirkte riesig und düster, sogar jetzt im hellen Schein der Mittagssonne.

Die zweigeschossige Villa, an der Germeringer Stadtgrenze, lag versteckt in einem kleinen Park, der aus einem alten Bestand aus Buchen und Kastanien bestand. Das Haus wurde im Stil des Historismus mit Elementen der Neorenaissance erbaut und war ein Vertreter des typischen Landhauses der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Die Werksteinfassade wurde durch einen sechseckigen Turm bestimmt, dessen verschieferte Haube mit einer Laterne versehen war. Die kostbare Villa stand auf einer kleinen Anhöhe, und erhob sich wie ein dunkler, bedrohlicher Schatten gegen den blauen Himmel.

Chloé bekam eine Gänsehaut, deren Ursprung sie sich nicht erklären konnte. Lag es an der finsteren Atmosphäre des Hauses? Sie saß neben Henri in seinem alten Auto, das er am Straßenrand geparkt hatte.

„Es sieht wirklich unheimlich aus“, meinte Henri und schnitt eine Grimasse in Richtung der Villa. „Bist du sicher, dass du da reinwillst?“

„Klar! Du weißt doch, ich stehe auf alte Häuser und Flohmärkte.“

Sie blickte auf ein großes Holzschild, das an eine Eiche genagelt war, die an der Garageneinfahrt stand.


Haus und Inventar zu verkaufen


Beim Frühstück hatte sie die Anzeige in der Zeitung entdeckt und sie musste den ganzen Tag in der Schule daran denken. Sie hatte eine Schwäche für alte Sachen und konnte stundenlang durch Flohmärkte stöbern.

„Man kann nie wissen, was man da so alles findet. Ich wette mit dir, dass es in der Villa eine Menge schöner alter Dinge gibt.“

„Du meinst wohl Gerümpel“, erwiderte Henri, musste aber grinsen, da er die Leidenschaft von Chloé süß fand.

„Was für dich nur altes Gerümpel ist, sind für mich echte Schätze! Nun komm schon, lass uns endlich reingehen.“

Sie stieg aus und wartete auf Henri.

„Was meinst du denn, was du da findest?“, fragte er, als er neben ihr stand.

„Ich habe mal auf dem Flohmarkt die alte Lampe in meinem Zimmer gefunden. Außerdem die tollen Bilder und alten Bücher.“

„Ja, schon, ich weiß. Aber ...“ Henri brach seinen Satz ab.

„Aber was?“

„Aber du weißt ja nicht, wo all dieser Kram herkommt. Und du weißt auch nicht, wem die Sachen vorher mal gehört haben.“

„Na und?“

„Also, ich finde es ist irgendwie unheimlich.“

„Ach was, dummes Zeug. Nun komm endlich!“

Sie schritt auf das Haus zu. Henri zögerte noch, dann lief er hinter ihr her. Die Haustür stand offen, es befanden sich bereits andere Menschen im Inneren und stöberten durch die Einrichtung.

Die Räume wirkten alle ziemlich dunkel. Schwere Samtvorhänge vor den hohen Fenstern ließen nur einen schmalen Spalt Tageslicht herein. Die Fußböden waren mit dunklem Mahagoni-Parkett verlegt. Sogar die Möbel waren aus dunklem Holz. Das Haus erzeugte eine trübselige Atmosphäre.

Aber das alles störte Chloé nicht. Nur Henri fühlte sich unbehaglich. Sie musste ihn an der Hand hinter sich herziehen, wie eine Mutter, die ihren widerspenstigen Sohn zum Zahnarzt bringt.

„Furchtbar gruselig“, murmelte er leise vor sich hin. Chloé musste lächeln. Wenn man Henris muskulöse Arme und Schultern ansah, würde man ihn für einen harten Kerl halten. Aber sie wusste, er war innerlich sanft und sensibel. Das war einer der Gründe, warum sie sich in ihn verliebt hatte.

Chloé sah sich um. Es kommt immer darauf an, wie man die Dinge betrachtet, sagte sie zu sich selbst. Die dunklen Farben und die Schatten in den Räumen hatten schon ihren eigenen Reiz. Dieses Haus hätte aus einem alten Buch oder Film stammen können. Es wirkte elegant, prunkvoll und erhaben.

„Hier herrscht ja schon totales Gedränge“, meinte sie.

Ein junges Ehepaar interessierte sich für eine Tiffanylampe, eine ältere Frau schien von einer Sammlung alter Porzellanfiguren in einer Vitrine fasziniert zu sein und ein älteres Paar betrachtete eine Kaminuhr aus Messing auf einem Sockel.

„Wem gehört denn dieses Haus?“, fragte Henri so laut, dass es alle hören konnten. „Einer bösen Hexe?“

„Du spinnst ja!“

„Na, es ist jedenfalls jemand, der es gerne dunkel hat. Vielleicht Graf Dracula? Wo stehen denn die Särge? Im Keller?“

„Blödmann!“, antwortete Chloé grinsend, da ihr die erschrockenen Gesichter der anderen Interessenten gefielen. „Hier ist aber nichts für mich. Lass uns mal in ein anderes Zimmer gehen.“

Bevor Henri etwas erwidern konnte, war sie schon auf dem Weg ins Esszimmer und zog ihn hinter sich her. Sofort fiel ihr der große Mahagonitisch auf, über dem ein schwerer Kronleuchter hing.

„Ist er nicht fantastisch?“, rief sie begeistert aus.

„Wer ist er?“

„Na, der Kronleuchter, Dummerle. Er sieht unheimlich teuer aus. Ich glaube, wenn sie etwas Sonne ins Zimmer ließen, würden alle diese Kristalle noch mehr glitzern.“ Sie seufzte ergriffen. „Ich wünschte, ich hätte auch mal eines Tages so einen tollen Kronleuchter in meinem Haus hängen.“

„Aber sie lassen niemals Sonne in dieses Zimmer, weil sie es dunkel haben müssen. Die Sonnenstrahlen verbrennen Vampire!“

„Du widerholst dich, Schätzchen.“

„Ich kann nichts dafür. Ich finde dieses Haus so ... ach, vergiss es.“

„Kann ich Ihnen helfen?“, fragte plötzlich jemand mit einer sanften Stimme hinter ihnen. Chloé und Henri drehten sich überrascht um. Eine junge blonde Frau mit weichem Lächeln und tiefgrünen Augen stand dort. Sie wartete geduldig, bis die beiden ihr antworteten.

„Sind Sie die Besitzerin?“, fragte Henri verwundert, da die junge Frau so gar nicht in sein Bild eines Vampirs passen würde.

„Ja, ich bin Louise von Armannsperg. Dieses Haus gehörte meiner Mutter, bevor ...“ Sie unterbrach sich und zwang sich dann, weiterzusprechen. „... bevor sie starb.“

Henri sah zu Chloé hinüber.

„Gibt es etwas Besonderes, das Sie sehen möchten?“, fragte die junge Eigentümerin. Ihre Stimme klang so weich und zerbrechlich, wie auch ihre ganze Erscheinung wirkte.

„Nichts Spezielles, Frau Armannsperg“, erwiderte Chloé mit einem warmherzigen Lächeln. „Aber ich hoffte, etwas zu finden, das nicht zu teuer ist. Zum Beispiel Bücher, Modeschmuck oder so etwas.“

„Ja, ich verstehe. Vielleicht finden Sie etwas Interessantes im Keller. Meine Mutter war eine eifrige Leserin, sie hatte kistenweise Taschenbücher und, ja, ich glaube, auch Modeschmuck. Bitte, sehen Sie sich ruhig alles an.“ Sie zeigte lächelnd auf eine Schwingtür. „Der Weg zum Keller geht durch die Küche. Die Tür dort vorne.“

„Vielen Dank“, erwiderte Chloé, aber die junge Frau hatte sich schon einem anderen interessierten Kunden zugewandt.

„Von wegen Vampir“, flüsterte Chloé zu Henri. „Pah! Die junge Frau sieht doch völlig harmlos aus.“

„Aber du willst jetzt nicht wirklich in den Keller gehen, oder?“, fragte Henri skeptisch.

„Klar, warum denn nicht?“

„Genau, warum nicht.“

Die Tür zum Keller stand offen, als wollte sie jeden einladen, die Schätze zu entdecken, die dort unten aufgestapelt waren. Zu Chloés und Henris Erleichterung war der Keller hell erleuchtet. Als sie die lange Holztreppe runtergingen, trafen sie einen Mann, der gerade wieder heraufkam. „Alles nur Trödel“, murmelte er enttäuscht und verschwand.

Unten im Keller war niemand außer ihnen. Chloé bemerkte sofort den unangenehmen Geruch, der ihnen entgegenschlug. Es war eine Mischung aus Schimmel, feuchten Wänden und Mottenkugeln. Sie war drauf und dran, umzukehren und wieder nach oben zu gehen, als ihr Blick auf die vollgestopften Kisten fiel, die überall herumstanden.

„Mit dem ganzen Kram könnten wir Tage zubringen“, schimpfte Henri. „Und gar keine Särge, wie vermutet.“

„Hör auf zu nörgeln und hilf mir lieber. Ich habe mit den Kisten ein gutes Gefühl.“

Die beiden fingen an, in den Kisten herumzustöbern. Dann pfiff Henri plötzlich begeistert durch die Zähne. „Mann oh Mann!“

„Was ist los? Hast du etwas Tolles gefunden?“

„Eintrittskarten!“ Er hielt ihr kleine Papiere vor die Nase. „Sieh nur, die sind von der Weltmeisterschaft 1954 in der Schweiz. Vielleicht sind das sogar Eintrittskarten vom Finale.“

„Für was für einen Sport denn?“

„Hä?“

„Was haben die in der Schweiz gemacht?“, wiederhole Chloé ihre Frage.

„Na, Fußball! Deutschland wurde dort Weltmeister!“

„Ach so. Aber das interessiert doch niemanden. Ich dachte, du hättest etwas Spannendes gefunden.“

„Du hast doch keine Ahnung“, antwortete Henri kopfschüttelnd, schob die Tickets ein und beschloss, diese zu kaufen.

Chloé wandte ihre Aufmerksamkeit wieder einer Puppe zu, die sie in einer Kiste gefunden hatte. Das Kleid der Puppe war alt und schmutzig, aber sonst war sie in einem guten Zustand. Sie könnte sie säubern und ihr ein neues Kleid anziehen.

„Was meinst du, was die Eigentümerin für diese Puppe haben will?“

Chloé sah zu der Stelle hin, wo Henri eben noch mit den Eintrittskarten gestanden hatte.

Er war verschwunden!

„Henri?“

Es blieb still. Sie legte die Puppe zurück und sah sich suchend um. Warum war Henri so plötzlich nicht mehr da? Wollte er ihr aus Spaß ein bisschen Angst einjagen? Oder war er nur ungeduldig geworden und wartete draußen auf sie?

„Henri!“, rief sie noch mal, diesmal mit lauterer Stimme. Ihr Herz klopfte wild, dann hörte sie: „Hier, huhu.“

Chloé stieß einen erleichterten Seufzer aus. „Du hast mir einen ganz schönen Schrecken eingejagt!“

„Entschuldige. Hey, schau mal die vielen tollen Sachen in diesem alten Schreibtisch.“

Chloé folgte dem Klang seiner Stimme, weil sie immer noch nicht sehen konnte, wo er war. Sie musste über Kisten klettern und geriet mit dem Kopf in ein riesiges Spinnennetz.

„Ihgitt, wie eklig!“ Sie schüttelte sich, als sie die klebrigen Spinnweben von Nase und Stirn abwischte. Aus den Augenwinkeln konnte sie etwas über den Boden huschen sehen. Eine Maus? Eine Ratte? Sie musste sich wieder vor Ekel schütteln. Am liebsten wäre sie fluchtartig nach oben gelaufen. Endlich fand sie Henri, der in den Schubladen eines alten Schreibtisches herumwühlte.

„Du findest noch mehr als ich“, neckte ihn Chloé. Ihr Tonfall erinnerte ihn daran, dass er es war, der zuerst nicht in dieses Haus kommen wollte.

„Ja, ich finde eine ganze Menge Sachen, die ich gerne haben möchte, aber außer den Tickets werde ich nichts kaufen. Kann ich mir nicht leisten“, sagte er traurig. „Ich muss immer noch das Geld für meinen Führerschein abbezahlen.“

Er schloss die Schublade und sah sich dann weiter im Keller um.

„Eine ganze Menge alter Kram hier, findest du nicht?“

Bevor Chloé antworten konnte, hatte er wieder etwas Interessantes entdeckt und ging direkt darauf zu. Es war ein alter Holzschrank mit Schnitzereien an den Türen.

„Du scheinst gerne alles mögliche öffnen zu wollen“, bemerkte Chloé, als Henri die Hand nach der Schranktür ausstreckte.

„Du meinst, außer der Kleidung an deinem Körper?“

„Blödmann“, grinste Chloé als Antwort.

„Aber ich bin eben neugierig“, erwiderte er und öffnete den Schrank.

Ein merkwürdiger Geruch strömte ihnen entgegen, sodass beide einen Schritt zurücksprangen. Aber im nächsten Augenblick war der Gestank verschwunden.

„Ich glaube, da hat jemand etwas vergammeln lassen“, meinte Henri und ging wieder näher an den Schrank heran, um einen Blick hineinzuwerfen. Er sah dort alte Farbdosen, Pinsel, Blumentöpfe aus Ton und viele andere Dinge. Henri wühlte zwischen den Töpfen herum und stieß dabei einen rostigen Schraubenzieher und eine alte Kaffeebüchse um.

„Mist, alles nur Abfall hier drin!“

Der Blick von Chloé fiel auf das unterste Regal. Dort stand ein hölzerner Kasten mit eleganten Schnitzereien an den Seiten. Sie beugte sich näher heran, bis sie Einzelheiten erkennen konnte. Zuerst dachte sie, es wären Darstellungen von Engeln, aber bei näherem Hinsehen stellte sie fest, dass es Dämonen mit kleinen Flügeln waren. Außerdem befanden sich Schriftzüge auf dem Deckel, die aussahen wie altägyptische Hieroglyphen.

„Was ist denn das?“ Sie streckte die Hand nach dem Kästchen aus.

Als sie es in der Hand hielt, war sie überrascht, wie schwer es war. Das schwarze Holz schien massiv zu sein und war wahrscheinlich sehr teuer. Dann sah sie die sorgfältig ausgeführten Schnitzereien näher an. Unheimlich aussehende kleine Dämonen, mit grässlichen Fratzen, tanzten um den ganzen Kasten herum, hielten sich an den klauenartigen Händen und bildeten einen geschlossenen Kreis. Die einzelnen Figuren waren extrem fein geschnitzt, sogar die Haarstränge auf den pelzigen Körpern und Köpfen konnte man unterscheiden.

„Phantastisch!“, rief Chloé begeistert aus.

„Wie bitte? Ich finde den Kasten scheußlich!“, erklärte Henri.

„Weil du keine Ahnung von Kunst hast.“

„Das kann sein, aber ich habe ein ungutes Gefühl bei dem Kasten. Du solltest ihn schnell wieder zurück in den Schrank legen.“

Statt etwas zu erwidern, schüttelte sie den Kasten leicht und hörte ein Klappern im Innern. „Da ist etwas drin.“ Dann schüttelte sie den Kasten noch mal.

„Mach ihn doch auf.“

Chloé drehte den Kasten um. An einer Seite fand sie ein Schloss unter dem Deckel. Sie versuchte, ihn zu öffnen, aber er rührte sich nicht.

„Ich brauche einen Schlüssel.“

„Vielleicht können wir das Schloss aufbrechen.“

„Vielleicht sollte ich den Kasten kaufen“, schlug Chloé zu ihrer eigenen Überraschung vor.

Henri sah sie an, als hätte sie den Verstand verloren. „Warum willst du das Ding kaufen?“

„Das habe ich dir doch schon gesagt. Ich finde es einfach hübsch, es würde sicher toll auf meinem Schreibtisch aussehen.“

„Aber du weißt doch gar nicht, was da drinnen ist.“

„Das brauche ich auch nicht zu wissen. Ich schmeiße den Inhalt weg und benutzte das Kästchen für andere Dinge.“

Henri zog eine Grimasse. „Mädchen mit ihren Ideen!“, seufzte er. Dann wurde er wieder ernst und sah sich zusammen mit Chloé den Holzkasten an.

„Hey! Diese kleinen Figuren sind witzig! Was sollen die darstellen? Geister? Monster?“, fragte Chloé fasziniert.

„Keine Ahnung“, antwortete Henri nachdenklich. Das Kästchen gefiel ihm nicht, es hatte eine unheimliche Ausstrahlung.

„Glaubst du, es ist irgendwie böse? Verhext?“, erkundigte sich Chloé. Sie spürte instinktiv das gleiche Unbehagen, das auch Henri empfand.

„Dann leg es wieder zurück in den Schrank.“

„Nein! Ich muss es haben“, erklärte Chloé entschlossen.

Sie hob den kleinen Kasten hoch, sodass mehr Licht darauf fiel. Das rötliche Holz glänzte und die Schnitzereien wurden noch deutlicher. Jetzt war sie fast schon in das Kästchen verliebt. Ja, es würde wunderschön auf ihrem Schreibtisch aussehen. Sie könnte es zum Aufbewahren all der Dinge benutzen, an denen sie besonders hing: Briefe, Glücksbringer und Erinnerungen. Zuerst natürlich musste sie das, was sich noch darin befand, der Besitzerin zurückgeben.

„Glaubst du, dass der Kasten teuer ist?“

„Ich glaub nicht“, erwiderte Henri. „Er stand hier bei dem ganzen Gerümpel.“

„Hoffentlich kann ich ihn mir leisten“, meinte Chloé. „Ich will dieses schöne Stück unbedingt haben.“


„Wie viel kostet dieser Kasten, Frau Armannsperg?“, fragte Chloé die blonde Frau, als sie wieder oben im Erdgeschoss waren.

Die Eigentümerin warf einen Blick auf den Holzkasten und überlegte einen Moment.

„Wo haben Sie dieses wundervolle Stück gefunden? Ich kann mich nicht erinnern, dieses Kästchen jemals gesehen zu haben.“

„In einem Schrank im Keller, unter einem Haufen Gerümpel“, warf Henri schnell ein. Er hoffte, damit den Preis niedrig halten zu können.

„Das muss ein Gegenstand sein, der noch meiner Großmutter gehörte.“

„Wenn Ihnen der Kasten etwas bedeutet, dann stelle ich ihn wieder zurück“, entgegnete Chloé.

„Oh nein, nein. Ich möchte alles hier verkaufen“, protestierte Louise von Armannsperg schnell. „Sie können sich gar nicht vorstellen, mit wie vielen Ausgaben und Steuern dieses alte Haus belastet ist. Obwohl ich es geerbt habe, muss ich alles verkaufen.“

Chloé räusperte sich. „Sind zehn Euro genug, Frau Armannsperg?“

Die Eigentümerin sah sie überrascht an. „Es ist ein schönes Stück“, meinte sie nachdenklich. „Als ich sagte, ich müsste alles loswerden, meinte ich nicht, dass ich alles verschleudern kann. Es tut mir leid, aber ich muss etwas mehr dafür verlangen. Sehen Sie nur die besonderen Schnitzereien, welche Arbeit und Mühe sich der Künstler damit gemacht hat.“

„Wie wäre es mit zwanzig Euro“, schlug Henri vor und lächelte Chloé an.

„Das ist schon eher angemessen. Ja, gut, für zwanzig Euro können Sie meinetwegen den Kasten mitnehmen.“

Henri reichte Chloé einen zehn Euro Schein. „Mit einem Kuss sind wir wieder quitt.“

„Du bist süß, danke“, lächelte sie. „Den Kuss bekommst du später.“

Sie bezahlte das Kästchen und verließ mit Henri die alte Villa.


In Chloés Zimmer versuchten sie, den Kasten aufzukriegen. Henri wollte das Schloss mit einer Heftklammer öffnen, dann versuchte er es mit einer Sicherheitsnadel. Aber er bekam den Kasten nicht auf.

„Vielleicht sollte ich ihn einfach so lassen“, schlug Chloé vor. „Er könnte nur so als Schmuckstück dastehen.“

„Mich würde es verrückt machen, wenn ich nicht wüsste, was drin ist.“

„Ja, mich wahrscheinlich auch“, gab sie zu, obwohl sie sich ziemlich sicher war, dass nur unbrauchbarer Trödel darin lag.

„Hast du irgendwo einen Hammer und einen Schraubenzieher?“, fragte Henri. „Vielleicht kann ich den Deckel aufbrechen.“

„Der Werkzeugkasten steht im Hauswirtschaftsraum.“ Chloé lief aus ihrem Zimmer, um ihn zu holen. Schnell holte sie, was sie brauchten, und eilte wieder die Treppe hinauf.

„Hier!“ Sie reichte Henri einen Hammer und einen Schraubenzieher. Er nahm die Werkzeuge und begann, den hölzernen Deckel hochzustemmen.

„Mach ihn nicht kaputt“, warnte Chloé.

„Keine Angst, ich bin vorsichtig.“

Langsam schob er den Schraubenzieher in den schmalen Spalt, endlich sprang der Deckel hoch. Ein schrecklicher Geruch entströmte dem Kasten, wie ein Schwall stickiger Luft. Chloé und Henri zuckten zurück. Es war ein ähnlicher Gestank wie in einem muffigen Keller.

Beim ersten Blick in das Holzkästchen dachte Chloé, sie sähe einen Haufen Würmer und Schlangen, die dort wild durcheinanderkrochen. Zuerst wollte sie losschreien, dann sah sie genauer hin und der Inhalt stellte sich als etwas ganz anderes heraus.

Es war eine silberne Kette, an der ein gelbgestreifter Mineralstein hing!

„Oh ... Mann! Wie wunderschön der Anhänger aussieht!“, stieß Chloé ungläubig hervor. Sie beugte sich herunter und betrachte das Schmuckstück aus der Nähe.

Henri konnte seinen Schock kaum verbergen. Sein Herzschlag beschleunigte sich in gefährliche Bereiche, er spürte eine Gänsehaut. Während ein kalter Schauer über seinen Rücken raste, versuchte er, die richtigen Worte zu finden. Er wusste nicht, was er sagen sollte. Es war eindeutig das Tigerauge, der magische Stein, dem er in seinen beiden vergangenen Spielrunden begegnet war.

In Indien trug ihn Amanda um den Hals und besiegte mit Hilfe des Steins den bösen Dämon. Kate Porter nahm den gleichen Kristallstein mit in den Limbus, er hatte entscheidend ihr Leben gerettet und die Spielrunde gewonnen. War nicht das Siegel der Pforte in den Stein gedrungen? Henri spürte die machtvolle Ausstrahlung, die von dem Tigerauge ausging.

Was sollte das bedeuten? Warum traten Dinge aus den Spielrunden in sein reales Leben? Besser gesagt, in Chloés Leben! Er wusste nicht, ob er sie warnen sollte oder durfte. Ging überhaupt eine Gefahr von dem Stein aus? Bisher hatte das Tigerauge immer hilfreich eingegriffen.

Aber Chloé strahlte so glücklich, als hätte sie ein lange vermisstes Familienmitglied wiedergefunden. Was sollte er ihr sagen? Es war ihm verboten, über das „Spiel der Dämonen“ und alle zusammenhängenden Ereignissen zu reden.

„Der Stein sieht phantastisch aus“, seufzte sie ergriffen. Sie blinzelte und versuchte, sich auf den Anhänger zu konzentrieren. Mittlerweile hatte sie so lange und intensiv auf den Schmuck gestarrt, dass er ihr wie eine verschwommene Masse erschien. Die Kette sah aus wie eine schuppige Schlange, die in einem Teich aus Blut schwamm.

Ein Teich aus Blut?

Wie kam sie bloß plötzlich auf so einen Gedanken? Chloé blickte zu Henri und strich sich über die Stirn. Bekam sie Kopfschmerzen? Ihr Blick war getrübt, und sie konnte sich nicht richtig konzentrieren. Jetzt hatte sich Henris Gesicht plötzlich verändert, seine Züge flossen ineinander zu einer unbestimmten Masse, so wie es ihr kurz vorher auch bei der Kette und dem Anhänger vorgekommen war. Unmittelbar danach verformte sich die Masse zu dem Gesicht eines bärtigen alten Mannes mit Falten und Hakennase. Schnell schüttelte Chloé den Kopf, schloss die Augen und blickte Henri erneut an. Sein Gesicht veränderte sich schon wieder. Das böse Grinsen des Alten verwandelte sich in ein Lächeln und Henris liebes, vertrautes Gesicht war wieder da.

War alles nur Einbildung gewesen? Henri schien davon überhaupt nichts gemerkt zu haben. Er war mit seinen Gedanken abwesend.

Sie sah auf den Schmuckkasten in ihrer Hand. Er war jetzt geschlossen. War er nicht eben noch offen gewesen? Sie konnte sich nicht erinnern, den Deckel zugeklappt zu haben. Vielleicht hatte sie das unbewusst getan, als sie diesen merkwürdigen, verwirrenden Zauber gespürt hatte.

Die Rückkehr der Dämonen, Teil 3 (Pengersick Castle, 1184 n. Chr.)

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