Читать книгу Die Rückkehr der Dämonen, Teil 3 (Pengersick Castle, 1184 n. Chr.) - Andreas Parsberg - Страница 7
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ОглавлениеDie Menge schrie!
Auf der Anzeigentafel im Stadion des SC Fürstenfeldbruck stand in großen Zahlen ein 2:1. Mit diesem Ergebnis könnte die Heimmannschaft den Abstieg aus der Bayernliga Süd vermeiden. Der Sieg war notwendig. Der FC Affing, heutiger Gegner, hatte auf Platz 11 bereits einen gesicherten Mittelfeldplatz.
Das Fußballspiel sollte nur noch wenige Augenblicke dauern. Die Zuschauer im Stadion feuerten ihre Mannschaft an und ersehnten sich den Schlusspfiff. Plötzlich wurde es noch lauter. Ein Spieler des FC Affing hatte den Ball bekommen und lief so schnell er konnte über den rechten Flügel in Richtung Strafraum. Henri, der Linksverteidiger der Heimmannschaft, lief direkt neben dem Angreifer. Er wollte durch ein Foul keinen Freistoß riskieren und versuchte, seinen Gegenspieler abzudrängen. Der Stürmer schlug einen wendigen Haken und drang mit dem Ball am Fuß in den Strafraum ein. Henri überlegte gerade, ob er von der Seite grätschen sollte, um den Ball zur Ecke zu klären.
Plötzlich ging ein lauter Aufschrei durch die Zuschauer, als der gegnerische Angreifer stolperte und fiel. Henri hob überrascht die Hände, der Ball kullerte kraftlos in die Arme des Torhüters. Sofort ertönte der Pfiff des Schiedsrichters.
„Was soll das denn?“, schimpfte Henri laut. „Das war eine Schwalbe!“
Er hatte den gegnerischen Spieler wirklich nicht berührt. Der Angreifer war gefallen, bevor Henri die Chance eines Körperkontaktes gehabt hatte. Der Schiedsrichter ließ sich vom lautstarken Prostest nicht beirren und zeigte gnadenlos auf den Elfmeterpunkt.
„Hast du Tomaten auf den Augen?“, schrie Henri. „So eine Fehlentscheidung beeinflusst den Abstieg!“
Der Schweiß tropfte aus jeder Pore seines Körpers. Ohne die Pfeife aus dem Mund zu nehmen, zog der Schiedsrichter die rote Karte aus seinem schwarzen Trikot und hielt sie Henri vor die Nase.
„Vollblinder! Hornochse! Stinkmolch!“, zischte Henri. Doch zu seinem Glück gingen seine Worte im Geschrei der Zuschauer unter. Die Fans des SC Fürstenfeldbruck protestierten lautstark. Die Pfiffe und Buhrufe erschallten durch das kleine Stadion. Henri drehte sich frustriert um und verließ gezwungenermaßen den Platz.
Der Torwart stand erwartungsvoll auf der Linie. Der gegnerische Schütze legte den Ball auf den Punkt und erwartete den Pfiff des Schiedsrichters. Mit ihm starrten auch die Zuschauer gebannt auf das kommende Ereignis. Eine gespenstische Ruhe breitete sich aus. Dann ertönte der Pfiff des Schiedsrichters und der Spieler nahm Anlauf. Er sprintete los und traf den Ball mit dem Vollspann. Der Torwart hechtete kraftvoll in die rechte Ecke und musste verzweifelt mit ansehen, wie der Ball halbhoch in der Mitte einschlug. Der Schiedsrichter pfiff und deutete zum Anstoßpunkt. Der unglückliche Ausgleich war doch noch in letzter Minute gefallen. Wenige Sekunden später wurde die Partie abgepfiffen. Der SC Fürstenfeldbruck war abgestiegen.
Henri sank auf die Knie und war kreidebleich. Niemand kam zu ihm, keiner stellte ihn zur Rede, schimpfte oder baute ihn wieder auf. Nein, es war schlimmer. Alle ignorierten ihn.
Der Schiedsrichter hatte bereits den Platz verlassen und war in der Umkleidekabine verschwunden. Noch unter dem Schock des Abstiegs, frustriert über die rote Karte, folgte Henri dem Schiedsrichter und wollte ihn zur Rede stellen. Er riss die Tür auf und betrat den Raum. Der Schiedsrichter lehnte lässig an der Wand und grinste Henri an.
„Möchte man gar nicht meinen, dass ihr mit einer solchen Mannschaft absteigt“, meinte der Schiedsrichter.
Henri blickte ihn verblüfft an. „Ich wollte wegen der roten Karte mit Ihnen sprechen. Was werden Sie in den Spielberichtsbogen scheiben?“
„Natürlich die Wahrheit! Wie waren deine Worte nochmals? Lass mich mal ...“
Henri blickte zornig aus dem Fenster. Er wollte sich erst beruhigen, um den Schiedsrichter nicht nochmals zu beleidigen. Daher fiel ihm auch nicht auf, dass sein Gesprächspartner plötzlich im Satz verstummte. Erst sein schriller, nervenzerfetzender Schrei riss ihn aus seinen Gedanken.
Henri drehte seinen Kopf herum. Erschrocken starrte er den Mann an, in dessen Augen blankes Entsetzen stand. Schon öffnete er den Mund, um nach dem Grund für seine panische Angst zu fragen, als sein Blick auf die rechte Hand des Schiedsrichters fiel. Besser gesagt, auf die Stelle, an der er einmal eine Hand gehabt hatte!
Jetzt war es Henri, dem vor Grauen fast die Augen aus dem Kopf quollen. Die Hand war verschwunden. Er konnte den Blick nicht von dem Armstumpf abwenden, aus dem ein kräftiger Schwall Blut spritzte. Henri konnte deutlich die Sehnen, Adern und Knochen in einem sauberen Querschnitt erkennen.
Ganz langsam griff der Schiedsrichter mit der linken Hand nach dem Armstumpf. Er schob seine Finger nach vorn, doch noch ehe er die Wunde berühren konnte, stieß er einen heiseren Schrei aus. Dann verdrehte er seine Augen, schwankte und stürzte rücklings auf den Boden.
Henri war fassungslos. Was war hier geschehen? Alles lief vor seinen Augen wie in Zeitlupe ab.
Plötzlich hörte er merkwürdige Geräusche, die wie das Knacken und Knirschen von Knochen klang.
Henri drehte seinen Kopf und erstarrte!
Auf dem Boden saß ein merkwürdiges Wesen. Es sah aus wie eine Mischung aus Hund und Wolf, mit einem dichten dunkelbraunen Fell. Das Tier verfügte über einen gewaltigen, muskulösen Körper. Aber etwas anderes entsetzte Henri. Das unheimliche Wesen hatte zwei Köpfe! Die Schnauze des einen Schädels knabberte genüsslich an der abgebissenen Hand des Schiedsrichters. Der zweite Kopf blickte ihn mit schwarzen, funkelnden Raubtieraugen direkt an.
Henri verspürte einen natürlichen Fluchtinstinkt. Er wollte sich umdrehen und im höchsten Tempo diesen Raum verlassen. Aber er konnte seinen Körper nicht bewegen. Seine Muskeln reagierten auf keinen Befehl. Er stand bewegungslos vor dem kauenden Wesen und fühlte eine merkwürdige Leere in seinem Körper.
Mit einem kräftigen Schluckgeräusch würgte der linke Schädel die Hand des Schiedsrichters herunter. Dann drehte sich auch dieser Kopf zu Henri, der unbewusst zu zittern begann. Das Wesen richtete sich auf und stolzierte majestätisch auf den bewegungslosen Henri zu. Die beiden Schädel schaukelten leicht bei jedem Schritt.
„Bitte nicht“, jammerte Henri, der sein Ende kommen sah.
„Was?“, kam eine tiefe, raue Antwort.
„Sie sprechen?“, antwortete Henri nun fassungslos.
„Ja.“
„Töten und fressen Sie mich?“
„Nein.“
„Das ist okay“, meinte Henri und atmete erleichtert ein und wieder aus. „Wer sind Sie denn?“
„Ich bin Orthos, Sohn von Typhon und Echidna.“
„Äh, ja, angenehm. Warum haben sie dem Mann eine Hand abgebissen?“
„Ich hatte Hunger, außerdem hat er dir mit dieser Hand die unberechtigte rote Karte gezeigt. Einen solchen Fehler macht er kein zweites Mal.“
„Stimmt.“ Henri stellte sich in Gedanken vor, wie der Schiedsrichter versucht, mit seinem Armstumpf eine Karte aus der Brusttasche seines Trikots zu ziehen.
„Folge mir, er wartet bereits.“
Das Wesen mit den zwei Köpfen stolzierte an Henri vorbei, schritt durch die Tür und verließ den Raum. Henri wusste zwar nicht, wer ihn erwartet, folgte aber wie ferngesteuert der Aufforderung.
Als er die Umkleidekabine verließ, betrat er eine völlig neue Welt. Das Stadion von Fürstenfeldbruck hatte sich in einen Hügel am Ortsrand des Dorfes Mesopotamos verwandelt. In der Nähe des Flusses Acheron erkannte Henri die Statur von Sokrates, der ihn zu sich winkte. Mit weit ausgreifenden Schritten eilte Henri auf den Philosophen zu.
„Schnell, Henri, ich muss kurz mit dir reden, bevor wir zum Tempel gehen. Djehuti wartet dort bereits.“
„Haben Sie mir den zweiköpfigen Hund geschickt, der dem Schiedsrichter eine Hand abbiss?“
„Was hat Orthos getan?“, fragte Sokrates erschrocken.
„Er hatte Hunger, sagte der Hund. Jetzt hat der arme Mann nur noch eine Hand.“
„Ich werde mit ihm reden, er wird das wieder in Ordnung bringen müssen. Er sollte dich nur abholen.“
„Warum ein Hund?“
„Genau das ist der Grund, warum ich kurz mit dir allein reden wollte. Der Hohepriester hat eine Regel gebrochen, daher erschien Alexandra bei mir und informierte mich darüber.“
„Wer ist Alexandra?“
„Die Tochter einer Göttin.“
„Was hat Djehuti denn getan?“
„Das darf ich dir nicht sagen“, antwortete Sokrates. „Ich kann dir als Ausgleich eine Information für dein drittes Spiel geben.“
„Kennen Sie bereits mein Reiseziel?“
„Nein, ich bin nur ein unwissender Philosoph. Aber die Götter kennen es natürlich und haben Alexandra informiert.“
„Welche Information können Sie mir sagen?“
„Daher habe ich dir Orthos geschickt, einen zweiköpfigen Hund.“
„Treffe ich ihn bei meiner dritten Reise wieder?“
„Nein, nicht Orthos“, antwortete Sokrates. „Aber einen anderen Hund, einen sehr gefährlichen, der ebenfalls zwei Seelen in seinem Körper vereint. Du musst vorsichtig sein, er ist nicht, was er scheint. Bereite dich geistig auf einen Kampf gegen eine wilde Bestie vor.“
„Danke für den Tipp.“
„Es erfolgte aus Gründen der Fairness. Können wir jetzt zum Tempel gehen?“
„Wo sind wir hier?“, fragte Henri neugierig und blickte sich um.
„Wir sind in der Nähe der Stadt Ephyra, direkt vor uns liegt das Nekromanteion.“
„Was ist das?“
„Ein Mykenischer Tempel aus dem 14. Jahrhundert vor Chr. nach deiner Zeitrechnung. Es ist das mächtigste Totenorakel der antiken Geschichte.“
„Ein Totenorakel?“
„Ja, hier kannst du zu den Verstorbenen eine Verbindung ins Jenseits aufbauen. Wenn sie wollen, treten sie mit dir in Kontakt.“
„Klingt unheimlich.“
„Warum?“
„Ich finde es gruselig, wenn ich mir vorstelle, ich würde mich mit einem Toten unterhalten.“
„Aber das tust du doch bereits mit mir. Findest du mich gruselig?“
„Nein.“
„So ist es mit den anderen Verstorbenen auch. Keiner aus dem Jenseits würde dir etwas Böses antun. Vorsichtig solltest du mit den Seelen des Zwischenreichs sein.“
Während der Worte von Sokrates schritten sie auf einen gedrungenen Bau mit drei Meter dicken Mauern zu. Sie erreichten die Nordseite, gingen durch den Eingang und betraten einen kleinen Vorhof. Am hinteren Ende befand sich eine schwere Bronzetür, die sich nach einer Handbewegung von Sokrates quietschend öffnete. Der sich dahinter befindende Raum hatte eine Größe von 22 qm und war der eigentliche Kultbereich. Hier wurde das Orakel befragt.
Sokrates begab sich in die Mitte des Tempels. Auf einem antiken Tisch stand die mit Gold überzogene Truhe aus Akazienholz.
Djehuti saß still auf einem Holzschemel. Sokrates bemerkte den verwunderten Blick von Henri.
„Es ist ungewöhnlich, nicht beleidigt zu werden, oder?“, fragte er augenzwinkernd. „Ihm wurde eindringlich erklärt, sich demütig und respektvoll zu verhalten.“
Er lachte leise in seinen wallenden, weißen Bart, dann winkte er Henri heran.
„Du kennst den Ablauf. Bitte!“
Henri nickte mit dem Kopf und schob seine Hand langsam in die Öffnung am Deckel. Er wühlte sich durch den Haufen der Steintafeln und zog wahllos eine heraus. Sokrates las den Text vor:
Pengersick Castle
Praa Sands/Cornwall
September, 1184
„Darf ich gehen?“, fragte Djehuti und hielt seinen Blick unverändert gesenkt.
„Ja.“
Der Hohepriester hob den Kopf, blickte kurz hasserfüllt zu Henri, wedelte dann mit seinen Armen und verschwand in einer dichten Nebelwolke.
„Hast du alles verstanden, Henri?“, erkundigte sich der Philosoph.
„Ja, eine alte Burg in England. Das klingt jetzt aber wirklich gruselig.“
„Kann sein, Henri. Du weißt, auf was du achten musst.“
„Ja.“
„Gut, dann schließ deine Augen, es geht sofort los.“
Henri spürte die kalte Hand von Sokrates auf seinem Kopf. Er schloss seine Augen und beruhigte seine Atmung. Dann wurde ihm sein Denken und Fühlen aus dem Körper gesaugt. Ein gewaltiger Wirbel erfasste ihn und schleuderte ihn durch die Dimensionen der Zeit.
Alles drehte sich immer schneller und schneller.
Dann intensiver und noch intensiver.
Er flog durch die Unendlichkeit und landete in einem dichten Wald.