Читать книгу Die Rückkehr der Dämonen, Teil 3 (Pengersick Castle, 1184 n. Chr.) - Andreas Parsberg - Страница 6

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„Chloé?“ Sie hörte ihre Mutter wieder rufen. „Wo bist du, Liebes?“

„Hallo, Mutti“, gab sie endlich Antwort und ging in die Küche.

„Auch schon aufgestanden?“ Ihre Mutter lächelte liebevoll. „Wie war es gestern Nacht auf dem Dorffest?“

„Okay.“

„Hast du Hunger?“, fragte ihre Mutter und betrachtete sie. „Oh, was ist mit dir?“ Besorgt legte sie eine Hand auf Chloés Stirn. „Fieber hast du anscheinend nicht.“

„Aber ich fühle mich nicht gut. Ich glaube, ich lege mich noch ein bisschen hin.“

„Ja, geh nur, Chloé. Ich komme gleich nach und sehe, wie es dir geht.“

„Danke, Mutti.“ Sie küsste ihre Mutter auf die Wange. Dann ging sie sofort ins Badezimmer und schüttete sich kaltes Wasser ins Gesicht. Sie blickte in den Spiegel und war über ihr bleiches Antlitz erschrocken. Ihre Wangen wirkten schmal und eingefallen. Werde ich etwa krank?, überlegte sie, ging schnell in ihr Zimmer und kuschelte sich in das weiche Bett.

Nur wenige Sekunden später war sie eingeschlafen und träumte von Henri. Sie sah, wie er vor ihr kniete und sie fragte, ob sie seine Ehefrau werden wollte. Er reichte ihr einen goldenen Ring, und sie lief zu ihrer Familie und zeigte das Schmuckstück stolz herum. Ihre Schwester Michelle riss ihr den Ring aus der Hand, rannte ins Badezimmer und spülte ihn in der Toilette herunter. Chloé schrie im Traum entsetzt.

Dann hörte sie ein Geräusch, und der Traum war weg. Ganz benommen wachte sie auf und war überrascht, sich in ihrem eigenen Bett wiederzufinden. Das Licht im Flur brannte und fiel durch die halb geöffnete Tür in ihr Zimmer. Sie fühlte eine Hand auf ihrer Stirn und stieß einen erschreckten Laut aus.

„Oh, entschuldige“, flüsterte ihre Mutter. „Ich wollte dich nicht erschrecken.“

„Wie spät ist es, Mutti?“

„Es ist bereits Abend. Du hast den ganzen Nachmittag geschlafen. Ich wollte nur mal sehen, wie es dir geht. Ich habe dir eine Tasse Brühe mit raufgebracht.“

„Danke, aber ich habe keinen Appetit.“

„Möchtest du lieber ein Glas Wasser? Oder vielleicht eine Tablette?“

Chloé schüttelte den Kopf, dann lächelte sie im Halbdunkel. Sie hatte es gern, wenn ihre Mutter so um sie besorgt war. In solchen Momenten wünschte sie sich, sie wäre wieder ein kleines Mädchen und würde niemals erwachsen.

„Ich bin schon okay, fühle mich nur etwas müde, sonst nichts“, sagte sie. Die schreckliche Anspannung und Aufregung der letzten Tage machte sich jetzt bemerkbar.

„Also, dann schlaf gut, Liebes“, flüsterte ihre Mutter und küsste sie auf die Stirn.

Chloé schlief wieder ein und träumte weiter von Henri. Diesmal lud er sie zum Abiturball ein. Er zog sie in seine Arme und sie tanzten auf der Straße in Richtung Gymnasium. Ihre Füße berührten kaum den Boden, es war, als schwebten sie. Die Leute auf der Straße blieben stehen und applaudierten. Keiner von ihnen hatte jemals ein Paar gesehen, das so wundervoll tanzte.

Als sie die Schule erreicht hatten, schwangen die Flügel der großen Eingangstür automatisch auf, um sie zu begrüßen. Chloé und Henri tanzten schwebend durch die Eingangshalle und weiter durch die langen Schulflure.

Sie kamen zur Aula und auch hier flog die Tür bereitwillig auf. In dem großen Saal standen viele Menschen und klatschten begeistert in die Hände, als sie hereintanzten. Alle bewunderten dieses perfekte Paar!

Als sie die Bühne am anderen Ende des Saals erreicht hatten, trat ein Mann durch den Vorhang, der ein Samtkissen mit goldenen Schnüren vor sich hertrug. Auf diesem Kissen lagen zwei juwelenbesetzte Kronen.

„Für den König und die Königin des Tanzes!“, verkündete er. Ein bewunderndes Murmeln ging durch die Menschenmenge. Chloé musste kichern, als die Krone auf ihr blauschwarzes Haar gesetzt wurde. Plötzlich zerschnitt ein Schrei die Stille im Saal. In der Menge sah sie ihre beste Freundin Anna stehen, die mit angstvoll verzerrtem Gesicht auf sie zeigte. „Nimm sie ab! Nimm sie ab!“, schrie Anna.

Chloé schaute zu Henri, sie wollte ihn fragen, was sie tun sollte. Aber er hatte sich plötzlich in ein grinsendes Skelett verwandelt, bestand nur noch aus Knochen und einer funkelnden Krone auf seinem Schädel.

Schweißgebadet wachte Chloé auf!

Im Zimmer war es stockdunkel. Jetzt fiel kein Licht mehr vom Flur herein. Chloé wartete, bis ihr Herz nicht mehr so wild klopfte, dann streckte sie die Hand nach der Nachttischlampe aus. Als sie gerade den Schalter berührte, hörte sie ein leises Rascheln im Zimmer.

„Mutti?“

Es kam keine Antwort, nur Stille, so undurchdringlich wie die Dunkelheit. Sie zog ihre Hand wieder vom Lichtschalter zurück und verhielt sich so ruhig wie möglich. Was, wenn ein Einbrecher in ihrem Zimmer war? Wenn sie die Lampe anmachte, würde sie den Eindringling stören und er würde ... Was? Sie erschießen? Sie mit einem Messer angreifen?

Zitternd hüllte sie sich in ihre Decke ein und blieb regungslos liegen. Wenn sie so tat, als schliefe sie, würde ihr niemand etwas tun. Sie machte die Augen zu und versuchte sogar, möglichst leise zu atmen.

Da war es wieder, das Geräusch!

Es schien ganz nahe zu sein, hörte sich an, als kröche jemand oder etwas langsam über den Boden. Jetzt war das Geräusch noch näher. Etwas kratzte über das Parkett und kam immer näher.

Dann fühlte sie, wie sich ihre Bettdecke bewegte!

Vielleicht spielte ihr aber auch nur ihre Phantasie einen Streich. Sie wusste, in der Dunkelheit schienen die Geräusche immer lauter und beängstigender zu sein als am Tage. Wahrscheinlich regte sie sich grundlos auf. Vielleicht träumte sie das alles auch nur.

Sie lag wie gelähmt da und konzentrierte sich auf die Bewegung ihrer Bettdecke. Unwillkürlich stieß sie einen leisen Schrei aus. War da nicht gerade etwas über ihre nackten Beine gekrochen?

Es war nur ein Traum, beruhigte sie sich selbst. Oder nur eine verrückte Einbildung. Da war nichts im Bett. Gar nichts ...

Dann fühlte sie wieder eine Bewegung. Doch, irgendetwas krabbelte nun über ihren Bauch, dann höher über ihre Brust. Wenn sie jetzt nichts unternahm, dann würde es bald in ihr Gesicht krabbeln, und dann würde es...

Endlich konnte sie dieses lähmende Gefühl abschütteln und sie streckte die Hand nach der Nachttischlampe aus. Sie glaubte, ein schwaches Klicken zu hören, als sie sich umdrehte. Als die Lampe brannte, war sie zuerst so geblendet, dass sie die Augen schließen musste. Dann sah sie einen fast durchsichtigen Schatten durch ihr Schlafzimmer huschen.

Chloé rieb sich die Augen und sah sich prüfend in ihrem Zimmer um. Ihre Blicke blieben an ihrem Schreibtischstuhl haften und weiteten sich vor Entsetzen.

Auf dem Stuhl saß eine Frau!

Sie war fast durchscheinend, als wäre sie aus feinstem Stoff gewebt, und schien von innen heraus zu schimmern. Die blau geschminkten Augen blickten sanft und freundlich. Ihre schwarzen Haare fielen bis zu den Schultern, waren auf der Stirn zu einem geraden Pony geschnitten. Sie hatte ein goldenes Diadem auf dem Kopf, von dem lange glänzende Fäden hingen. Um den Hals lag eine Kette mit Anhängern in der Form der Sonne. Sie trug ein körperbetontes weißes Gewand mit einer roten Schärpe um den Bauch. Ihre Handgelenke waren mit goldenen Armreifen geschmückt, an den Fingern trug sie eine Vielzahl von Ringen.

Chloé fand die Frau wunderschön, wenn da nicht die bleiche, durchscheinende Haut gewesen wäre. Als die Unbekannte den Mund öffnete, entfloh anstatt Worten nur eiskalte Luft ihren Lungen.

Plötzlich hörte sie ein weiteres Geräusch!

Schnell riss sie ihren Kopf herum und erkannte, wie eine weitere durchscheinende Gestalt durch die Wand trat. Erschrocken starrte Chloé in zwei feurig glühende Augen. Panisch holte sie Luft und schrie, wie sie noch nie in ihrem Leben geschrien hatte.

Doch es kam kein Laut über ihre Lippen!

Die Gestalt war in Windeseile zum Bett geflogen und hatte Chloé eine unsichtbare Hand auf den Mund gelegt und dadurch den Schrei vollkommen erstickt. Die Hand schien aus reinen Nebelschwaden zu bestehen, so wie der Rest des Geistes auch, der auf dem Bett über Chloé kniete. Ihre Wangen blähten sich mehrfach auf, doch sie bekam keinen Ton heraus. Obwohl sie die Hand kaum auf den Lippen spürte, wurde sie unerbittlich auf das Bett hinabgedrückt.

Sie konnte sich nicht rühren, ganz so, als wenn der Geist sie zwar nicht physisch festhielt, aber doch auf eine andere, mentale Art unter Kontrolle hatte. Mit angstvoll aufgerissenen Augen sah sie, dass die Erscheinung wie der verwesende Leichnam einer jungen Frau mit langen schwarzen Haaren aussah, dessen Knochen und Sehnen deutlich durch die fahle, fast durchsichtige Haut schimmerten. An der körperlosen Gestalt hingen Kleiderfetzen, die sehr alt zu sein schienen und ebenfalls nur aus Nebelschwaden bestanden. Chloé glaubte, Seetang an den Haaren der Frau zu erkennen und Salzwasser zu riechen. Schmerzhaft keuchte sie, da die Berührungen des Geistes eine Grabeskälte ausstrahlten, die schlimmer brannte als das heißeste Feuer.

Sie drehte ihren Kopf angstvoll zur Seite und sah direkt in das Gesicht einer anderen jungen schwarzhaarigen Frau, die ein weißes Nachthemd trug. Die mittlerweile dritte Erscheinung hatte ein abgeschnittenes Seil mit einem Henkersknoten um den Hals. Die Augen waren traurig, ihre Züge versteinert und in einer Maske des Todes erstarrt.

Chloé schrie auf, rutschte in ihrem Bett nach hinten und lehnte sich zitternd an die Wand. Es lag ein Knistern in der Luft, die Augen der drei Wesen betrachteten sie flehend.

Geister, ging es Chloé durch den Kopf.

Das sind Geister!

Aber wieso zum Teufel sind sie hier?, überlegte sie verängstigt. Was wollen diese unheimlichen Wesen von mir?

Die junge Frau, der Chloé als Erstes in die Augen geblickt hatte und die wie eine Prinzessin aussah, betrachtete sie mit einem verständnisvollen Blick. Dann ergriff sie mit ihren schlanken Fingern das kleine Kästchen, das Chloé vor wenigen Tagen mit Henri in der alten Villa gekauft hatte. Die geisterhafte Prinzessin öffnete den Deckel des Kästchens und nahm den Lederbeutel heraus. Sie stand auf, schwebte auf das Bett zu und kniete sich direkt vor Chloé.

Sie wurde von allen drei Seiten umringt. Vor Chloé kniete die tote Prinzessin mit dem vielen Schmuck. Rechts neben dem Bett stand die Erscheinung mit dem Seil um den Hals und links neben ihr saß die dunkelhaarige Frau mit dem Seetang im Haar.

Der Geist vor ihr öffnete den Lederbeutel und holte den gelbgestreiften Kristallstein mit der silbernen Kette hervor. Langsam, fast zärtlich, streifte sie den Schmuck über Chloés Kopf.

„Hilf uns! Bitte! Befreie uns aus dem Zwischenreich“, hauchten alle drei Erscheinungen fast synchron. Ihre hohl klingenden Stimmen wirkten, als würden sie aus der allertiefsten Gruft stammen.

Die drei Geisterfrauen nickten gleichzeitig mit ihren Köpfen. Ihre Konturen waren weicher geworden, die Umrisse verschmolzen mit den Schatten des Zimmers. Die Haut der Erscheinungen wurde immer durchsichtiger.

Sie verschwinden wieder, dachte Chloé. Ja, sie verblassen mehr und mehr. Aber woher kamen sie so plötzlich und wohin gehen sie?

Langsam zerflossen die drei geisthaften Erscheinungen. Nach wenigen Augenblicken war Chloé allein in ihrem Zimmer.

Wenig später schaltete sie die Lampe aus. Sie lauschte noch eine Weile auf ein neues Geräusch, wartete, ob sich in ihrem Zimmer etwas bewegte. Aber es blieb alles ruhig, sodass sie schließlich wieder einschlief.


Der Wecker klingelte und kündigte einen neuen Tag an. Chloé stellte ihn ab und seufzte erleichtert, als das schrille Geräusch endlich aufhörte. Sie hasste das morgendliche Aufstehen und hatte immer Schwierigkeiten, sich zurechtzufinden. Warum konnte die Schule nicht zu einer vernünftigen Zeit anfangen, so um neun oder zehn? Oder gar nicht!

Sie gähnte, dann machte sie endlich die Augen auf. Ein paar Minuten starrte sie gedankenverloren an die Decke. Das tat sie jeden Morgen. Sie liebte es, langsam aufzuwachen und ihre Kräfte zu sammeln, bevor sie endgültig aufstand. Aber an diesem Morgen fühlte sie etwas anderes.

Sie spürte einen merkwürdigen Druck am Hals und etwas Warmes schien oberhalb ihrer Brust zu liegen. Sie wollte mit der Hand danach greifen, aber sie hatte keinen Mut. Sie wusste, was sie erwartete.

Schließlich fasste sie doch an ihren Hals und ihre Angst bestätigte sich.

Sie trug die Halskette mit dem gelbgestreiften Mineralstein, die eigentlich in einem Lederbeutel in der kleinen Holzkiste liegen sollte!

Es war kein Alptraum gewesen! Die Geisterfrau hatte ihr in der vergangenen Nacht die Kette um den Hals gelegt.

Aber warum?

Die Rückkehr der Dämonen, Teil 3 (Pengersick Castle, 1184 n. Chr.)

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