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Einführende Worte des Autors

Proklamierte Bekämpfung von Fluchtursachen vs. Massenkonsum und hemmungslose Rohstoffgier

Die Idee zu diesem Roman kam mir erstmals, als ich für mich erkennen musste, dass der moderne Mensch zwar durchaus vernunftbegabt ist, er jedoch auch nach Jahrtausenden keinen Deut mehr Vernunft unter Beweis stellt. Und ich spreche dabei von seinen Taten, nicht von den Lügen, die er im Laufe der Zeit immer besser hinter wohlerzogenen blasierten Worten – genannt Diplomatie – zu verstecken gelernt hat.

Der Zustand der Welt ist einfach zu zwingend: Homo sapiens sapiens, der sich allzu gerne als Krönung der Schöpfung inszeniert, dreht sich nach wie vor in einem selbstzerstörerischen Hamsterrad. Und eine durch Kriege, Machtwahn und Vernichtungswillen immer effizienter gewordene Militärtechnologie verhilft ihm aktuell dazu, sich noch schneller zu drehen und seinesgleichen nachhaltiger auszubeuten, zu versklaven und zu ermorden, als er es jemals zuvor tat.

Doch eines darf sich diese „Krönung der Schöpfung“ sehr wohl anrechnen lassen: Erfindungsgeist und Intelligenz. Eben deshalb wird längst nicht mehr von räuberischer Kolonialpolitik und plündernden Kolonialherren gesprochen, sondern stattdessen von einer segensreichen Globalisierung und helfenden Institutionen wie Weltbank, IWF oder UNO. Kolonialismus und Globalisierung – de facto zwei Seiten derselben Medaille.

Als nächstes stellte sich mir die Frage, welches globale Thema meine Erkenntnisse am besten untermauern konnte, und das über einen Zeitraum von Jahrzehnten, gar Jahrhunderten. Schnell drängten sich mir Begriffe wie Religion, Lebensraum, Reichtum, Vorherrschaft oder Macht auf. Doch unter dem Strich lief es vor allem auf dieses hinaus: Rohstoffe. – Meine Affinität zu Schwarzafrika und die Tatsache, dass der afrikanische Kontinent sowohl der rohstoffreichste als auch der von diesem Reichtum am meisten gequälte Kontinent ist, brachte mich auf die Demokratische Republik Kongo sowie das vor allem dort vorkommende und geförderte Coltan – unverzichtbar für die moderne Kommunikations- und Konsumgesellschaft sowie den militärischen Komplex.

Immer wieder war dieses Columbit-Tantalit-Erzgemisch in den letzten knapp zwanzig Jahren Mittelpunkt kritischer Essays und Fernsehdokumentationen, ist es doch eines der Hauptgründe für andauernden Bürgerkrieg, Massenvergewaltigung, Verschleppung, Vertreibung und Versklavung im Osten der DR Kongo mit Millionen von zivilen Opfern. Der Begriff „Blutcoltan“ ist längst ein Synonym für Coltan aus dem großen Kongo geworden. Sensibler oder gar zurückhaltender sind hiesige Käufer von Smartphones, Tablets & Co. in ihrem Konsumverhalten dennoch nicht geworden.

Nun unterhalten internationale Minen- und Erzhandelsgesellschaften oder nachfragende Industrie mächtige Lobbyisten, die Meinung nicht nur machen, sondern vor allem kaufen. Einschätzungen und Informationen zu Coltan können also durchaus unterschiedlich ausfallen, je nachdem, von wem einschlägige Untersuchungen und Abhandlungen in Auftrag gegeben beziehungsweise Experten bezahlt werden. Allerdings kommt um die wissenschaftlich fundierten Fakten niemand herum:

Fakt 1: Die moderne Welt von heute ist ohne Coltan nicht lebensfähig, was auch die Rüstungsindustrie miteinschließt.

Fakt 2: Nirgendwo sind seit den 90er Jahren so viele Menschen eines unnatürlichen Todes gestorben wie im großen Kongo.

Fakt 3: Die DR Kongo ist offiziell der weltweit zweitgrößte Lieferant von Coltan, das sogenannte Blutcoltan mitgerechnet, mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit sogar der größte Lieferant.

Aus all dem lassen sich bereits zwei Dinge ableiten. Zum einen gehören das vergleichsweise kostengünstige kongolesische „Blutcoltan“ und ein auf Massenkonsum mit immer kürzeren Produktzyklen ausgerichtetes Weltwirtschaftsmodell gegenwärtig noch untrennbar zusammen. Zum anderen wird die von westlichen Politikern allzu gerne so vollmundig proklamierte „Bekämpfung von Fluchtursachen“ – insbesondere in den Ländern Schwarzafrikas – als bloßes Lippenbekenntnis entlarvt. Warum? Nun, dieses hieße nicht weniger, als ein nach Gewinnmaximierung und Rohstoffen dürstendes Wirtschaftsmodell entweder konsequent über den Haufen zu werfen oder stattdessen endlich die Länder Afrikas als vollwertige Mitspieler auf dem Weltmarkt anzuerkennen – unbeschränkten Marktzugang und den Auf-/Ausbau eigener Industrien inklusive. Selbstverständlich müssten EU und andere auch das destruktive Preisdumping mittels Subventionspolitik auf dem Rücken der eigenen Steuerzahler und afrikanischer Konkurrenzanbieter aufgeben. Kurzum – es wird nichts geschehen. Die „Bekämpfung von Fluchtursachen“ bleibt wohl ein Wortplacebo von unwilligen Politikern für das eigene Volk, welches die Massenmigration von kulturfremden Menschen mit wachsendem Unmut zur Kenntnis nimmt.

Die menschen- und naturverachtend betriebene Rohstoffausbeutung in fernen Ländern fällt auch auf uns zurück, am offensichtlichsten in einer tiefen Spaltung der Gesellschaft in Deutschland und annähernd ganz Europa. Wir leben Massenkonsum, säen Armut und Zerstörung und ernten Massenflucht.

Um eine fiktive Handlung vor dem Hintergrund einer realen Entwicklung und Situation vor allem im großen Kongo zum Leben zu erwecken, zog ich u.a. hervorragend recherchierte Fernsehdokumentationen wie „Kongos verfluchter Schatz – Das Geschäft mit dem Coltan“, „Im Schatten des Bösen – Der Krieg gegen Frauen im Kongo“ oder „Weißer König, roter Kautschuk, schwarzer Tod“, verschiedene Essays und insbesondere folgende zwei Bücher zu Rate: „Afrikanische Totenklage – Der Ausverkauf des Schwarzen Kontinents“ des weitgereisten Journalisten und Afrika-Experten Peter Scholl-Latour und „Moralischer Bankrott – Der amerikanische Offenbarungseid“ des investigativen US-Enthüllungsjournalisten Wayne Madsen.

Mir ging es von Anfang an darum, mehr als einen kurzweiligen Afrika-Thriller in Romanform zu erschaffen. Ich wollte einen Beitrag dazu leisten, dass sich verheerende Fakten und Auswirkungen rund um unsere ganze Lebensart in das kollektive Langzeitgedächtnis einbrennen. Dieses Werk soll dazu anregen, das eigene Konsumverhalten zu hinterfragen und die Einstellung gegenüber dem komplexen afrikanischen Kontinent mit seinen 55 Ländern zu überdenken beziehungsweise die Wechselwirkungen in ihrer Gesamtheit zu betrachten. Inwieweit mir das gelungen ist, überlasse ich gerne Ihrem Urteil.

Was versteht man unter Coltan? Genau genommen ist es ein gemeingültiger Wirtschaftsname, zusammengesetzt aus den Begriffen „Columbit“ und „Tantalit“. Die herausragende Bedeutung liegt jedoch nicht im Columbit-Tantalit-Erzgemisch als Ganzes, sondern einzig im Tantal. Dieses ist durch seine hohe Energiedichte und Säurebeständigkeit u.a. für die Herstellung von Mikroprozessoren, Mobiltelefonen oder Tablets so wertvoll. Durch den extrem hohen Schmelzpunkt ist Tantal darüber hinaus auch für die Herstellung von Weltraumkapseln und Raketen nahezu unverzichtbar.

Das dunkel-anthrazit bis schwarze bröckelige Mineralgemisch findet sich über Tage in Form feiner Stückchen, die sich insbesondere in Flussläufen schürfen lassen, oder unter Tage in Form von Erzadern, die durch Minen erschlossen und ausgebeutet werden.

Der Weltmarkt wird fast ausschließlich mit industriell nutzbarem Coltan aus der DR Kongo und Australien versorgt. Etwa 80 % der globalen Vorräte werden in Afrika, vor allem im Kongo vermutet. Statistisch wird Coltan aus dem östlichen Afrika auch gerne als aus Ruanda, Uganda oder Burundi stammend ausgewiesen. Tatsächlich aber stammt dieses ursprünglich meist aus ostkongolesischen Minen und findet von dort aus seinen verschleierten Weg in die nahen Nachbarstaaten.

Nun herrscht ja die landläufige Meinung, mehr als die Hälfte des angebotenen Erzgemisches stamme aus Australien. Ich erlaube mir, dem aus zwei einfachen Gründen zu widersprechen. Zum einen flaut der Coltan-Boom offiziell seit einiger Zeit ab, was gefallene Weltmarktpreise zu belegen scheinen. Zumindest Australien sieht seine Gewinnmargen bei gleichzeitig hohen Kosten für Personal, Ressourcen und Sicherheit schwinden. Schon in der Vergangenheit hatte es seine Fördermengen aus eben diesem Grund stark reduziert. In der DR Kongo hingegen fallen vergleichsweise lächerlich geringe Kosten an. Eine Mine bedeutet in den Provinzen Nord-Kivu, Süd-Kivu oder Ituri in der Regel nicht mehr als ein ungesichertes Loch in Boden und Fels, Hilfsmittel sind einzig die Hände. Selbst wer die Strapazen zu Beginn des Coltan-Booms ab dem Jahr 2000 – ähnlich dem Klondike-Goldrausch in Kanada Ende des 19. Jahrhunderts – noch freiwillig auf sich nahm, sah sich bald Terror, Zwangsarbeit und Verschuldung ausgesetzt. Der Begriff „Blutcoltan“ war geboren, welches selbst oder gerade einem Nachfragerückgang widersteht, zumal es nach wie vor den Weg in legale Kanäle findet.

Was versteht man unter Blutcoltan? Der Begriff ist im Grunde das Synonym für ein vielschichtiges Problem, denn der Coltan-Boom hat eine neue humanitäre Katastrophe im Osten des Kongo ausgelöst und immer weiter verschärft.

Einst galt der Kongo als Kornkammer Afrikas. Dieses Attribut sollte unwiederbringlich verloren sein, als Bauern ihre Felder brachliegen ließen, um in den Minen das schnelle Geld zu machen. Kinder gingen nicht mehr zur Schule, weil es auch sie in die Minen zog. Doch, als wäre das nicht schon fatal genug gewesen, entdeckten Rebellenbewegungen und Milizen aus Ruanda und Uganda das wertvolle Erzgemisch als lukrative Einnahmequelle zur Finanzierung von Waffen für ihren blutigen Kampf. Doch am verheerendsten wirkte sich wohl der Einmarsch der Armeen Ruandas und Ugandas im Jahr 2000 aus. Nach einem Bericht der Vereinten Nation soll alleine Ruanda in nur 18 Monaten geschätzte 250 Millionen Dollar verdient haben. Es gilt als erwiesen, dass sowohl Uganda als auch Ruanda Coltan in exorbitanten Mengen an sich gebracht, außer Landes geschafft und an Erzhandelsgesellschaften in Belgien verkauft haben. Sehr eindringlich berichtet Peter Scholl-Latour in seinem Buch „Afrikanische Totenklage“, wie sich die früheren Verbündeten Uganda und Ruanda selbst im viel weiter westlich gelegenen Kisangani blutige Schlachten geliefert und alles in Schutt und Asche gelegt hatten.

Massengräber vor der Stadt und kaum noch Geschäfte oder frische Lebensmittel – außer Diamantenankaufstellen – zeugten davon. Weiter beschreibt Scholl-Latour, wie die USA einst Laurent-Désiré Kabila als Staatspräsidenten nach Mobuto installiert hatten, um sich auch weiterhin Rohstoffkonzessionen zu sichern. Es kam jedoch zum Bruch, und die USA setzten nun verstärkt auf Uganda unter Staatspräsident Museveni und Ruanda unter Staatspräsident Kagame als Erfüllungsgehilfen im zentralen und östlichen Afrika, die ihrerseits eigene Verwaltungsgebiete im Osten des Kongo gründeten. Eine besonders spannende Randnotiz dabei ist, dass US-Außenministerin Madeleine Albright – im Namen der Clinton-Administration – eine deutlich größere Fördermenge an Coltan eingefordert haben soll, welche im Zuge des Konfliktes zwischen den Nachbarländern zurückgegangen war. Sie soll sogar mit Kürzungen der Militär- und Wirtschaftshilfen gedroht haben. Derweil fanden der kongolesische Staatspräsident Kabila und sein Volk keine nennenswerte Beachtung mehr.

Die sprichwörtliche Büchse der Pandora war im Kongo ein weiteres Mal geöffnet worden. In einem Bericht des UN-Generalsekretärs an den Vorsitzenden des Weltsicherheitsrates aus April 2001 heißt es, dass der Konflikt im Kongo auf Zugang, Kontrolle und Verkauf von Schlüsselmineralien wie Coltan zurückzuführen sei. Die Ausbeutung der natürlichen Reichtümer durch ausländische Armeen und kriminelle Kartelle sei in den besetzten Gebieten zur Verhaltensnorm geworden. Verzweigungen und Verbindungen würden in die ganze Welt reichen. Private Gesellschaften seien entscheidend mitverantwortlich für das menschenverachtende Chaos und die Instabilität im Kongo, denn sie würden die gewünschten Rohstoffe nur allzu gerne mit Waffenlieferungen bezahlen.

Seit dem Millenniumswechsel sind beinahe zwei Jahrzehnte vergangen, in denen sich mehrere Friedensmissionen der Vereinten Nationen die Klinke in die Hand gaben, jeweils als weltweit größter friedenssichernder Einsatz. Aktuell wirkt die MONUSCO – „Mission der Vereinten Nationen für die Stabilisierung in der Demokratischen Republik Kongo“ – mit bis zu zwanzigtausend Soldaten inklusive einer Brigade von etwa dreitausend Blauhelmen mit Kampfmandat in den östlichen Provinzen. Doch nicht nur, dass ungeachtet dessen immer wieder ethnische Konflikte ausbrechen, Städte überrannt und geplündert werden, unverändert illegale Minen florieren und ein ums andere Mal Tausende von Menschen auf der Flucht sind, nein, die Blauhelme unterliegen sogar selbst dem dringenden Verdacht, sich an illegalen Waffen- und Rohstoffgeschäften sowie Übergriffen auf die Bevölkerung bis hin zu Massenvergewaltigungen zu beteiligen. Auch sollen UN-Blauhelme immer wieder tatenlos zusehen, wenn die Zivilbevölkerung Angriffen ausgesetzt ist. Weder die reguläre kongolesische Armee FARDC mit ihrer schlechten Ausrüstung und Allgemeinversorgung, noch die UN-Blauhelme aus unzähligen zumeist ebenfalls instabilen Ländern der Erde zeigen sich imstande und willens, die Oberhand gegen eine Vielzahl von Gegnern wie die ruandischen FDLR- und M23-Rebellen oder die ugandische Rebellenmiliz ADF zu gewinnen. So überrannten im Jahr 2012 Rebellen der Gruppe M23 nahezu ungehindert die Provinzhauptstadt Goma am Kivu-See, und bis heute werden jeden Tag Dörfer überfallen, Menschen verschleppt und ermordet. Dabei gibt es immer wieder auch großangelegte Offensiven der MONUSCO-Einheiten, die letztlich jedoch als ein Sturm im Wasserglas enden, als Tropfen auf dem heißen Stein.

Was im Einzugsgebiet der illegalen Coltanminen geschieht, ist eine Liste des Grauens: Bereits kleine Kinder müssen dort schuften, ältere Kinder werden von den fremden Besatzern auch zu Kindersoldaten gemacht. Und wer einmal getötet hat, traut sich nicht nach Hause zurück. Es folgt derselben perfiden Kriegsstrategie, wie das Verschleppen und Vergewaltigen von Frauen. Auch diese werden nie wieder in ihre Dorfgemeinschaft zurückkehren können, gelten dort als Ausgestoßene. Auf die Art werden ganze Regionen zugrunde gerichtet, ein ganzes Land fortgesetzt destabilisiert. In viele Grubengebiete wagt sich nicht einmal die kongolesische Armee, an der Grenze zu den Rebellengebieten muss den spärlich besetzten Kontrollposten deshalb ein Passierschein vorgelegt werden. In von Milizen oder Rebellen kontrollierten Minen arbeiten kongolesische Männer bis zur völligen Erschöpfung. Wer am Ende ist, wird bevorzugt geköpft, verbrannt oder es wird die Kehle durchgeschnitten. Kugeln kosten schließlich Geld. Frauen hingegen dienen als Sexsklavinnen. Sind sie am Ende, droht ihnen bestenfalls die Vertreibung.

Staatliche Kontrolle und Schutz gibt es nicht, oft nicht einmal in den legalen Minen. Die Machenschaften und beteiligten Akteure dort sind schwer zu durchschauen, erpresste Zwangsabgaben Alltag. Die reguläre Armee, welche für Ordnung und Schutz sorgen soll, und Regierungsbeamte, welche für die Verwaltung verantwortlich zeichnen, erheben ihrerseits illegale Steuern von den Schürfern. Denen bleibt keine Alternative. Sie haben ihr Land aufgegeben oder verloren und falls in der Vergangenheit vorhanden, damit auch ihr Vieh. Mittlerweile sind vielerorts Geschäftsleute aus den Städten die Eigentümer des ungenutzten Brachlandes, in der Hoffnung, auch dort werden eines Tages gewinnträchtige Rohstoffe gefunden.

Was bei einer schonungslosen Bestandsaufnahme keinesfalls vergessen werden darf, ist auch der unsägliche Raubbau an Flora und Fauna. Denn das Erschließen und Einrichten von Minen erfordert gegebenenfalls ein Roden der Wälder, nicht selten in Nationalparks. Das gefährdet neben seltenen Pflanzenarten auch den Wildtierbestand geschützter Arten wie des Berggorillas. Nicht nur, dass deren Lebensraum vernichtet wird, sondern sie werden zudem Fleischlieferant für die dort involvierten Menschen.

Verlässlichen Schätzungen zufolge wird davon ausgegangen, dass das billige kongolesische Coltan nicht nur entscheidend den Weltmarktpreis für Tantal hat einbrechen lassen, sondern auch den unnatürlichen Tod von bisher nahezu acht Millionen Menschen nach sich gezogen hat. Leider liegt es nahe, dass bisherige Hauptprofiteure wie Ruanda, Burundi, Uganda, Tansania sowie eine Machtelite in den USA und internationale Unternehmen bestimmter Wirtschaftszweige den Fortbestand eines destabilisierten Kongo unter einer willfährigen korrupten Regierung begrüßen und demnach handeln.

Natürlich werden in einer Endlosschleife Argumente dahingehend angeführt, dass alles Menschenmögliche getan wird, um Blutcoltan zu ächten und dessen Verarbeitung zu unterbinden. So gibt es tatsächlich ein US-Gesetz namens „Dodd-Frank-Act“, welches es US-Unternehmen seit 2010 verbietet, Rohstoffe aus Bürgerkriegsgebieten im Kongo zu verarbeiten. Auch die EU bequemt sich mittlerweile, sich des Themas anzunehmen und signalisiert Bereitschaft, die Industrie verstärkt in die Pflicht zu nehmen. Nun ist es aber nahezu unmöglich, legales von illegalem Coltan zu unterscheiden. Beispielsweise wird Blutcoltan in Nacht-und-Nebel-Aktionen in legale Minen geschafft und dort unter den Bestand gemischt. In dieser Gemengelage treffen die Exporteinschränkungen die ganze Region im Osten pauschal, dem kongolesischen Staat entgehen wichtige Steuereinnahmen. Doch ein Zertifizierungsprozedere, welches das wertvolle Erzgemisch aus legalen Minen wiederum zu identifizieren hilft, kostet viel Geld. Die Regierung in Kinshasa will keine zusätzlichen finanziellen Mittel aufwenden, also drückt der zusätzliche Aufwand die Gewinne der Schürfer. Deren Schuldenspirale dreht sich immer schneller, das Volk verarmt immer mehr.

Die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe in Deutschland (BGR) hat ein Verfahren entwickelt, Erzproben mittels Massenspektrometer zu analysieren und quasi einen geologischen Fingerabdruck zu erstellen. In der Theorie ist also eine exakte Zuordnung zur ursprünglichen Lagerstätte möglich, die Herkunft jeder Lieferung feststellbar. In der Praxis ergibt sich allerdings ein gravierendes Problem: Zum Abgleich müssten Proben auch aus allen illegalen Coltan-Minen entnommen werden. Doch diese sind, wenn überhaupt zu entdecken, nur unter größten Strapazen und Lebensgefahr zu erreichen. Mit Kooperation vor Ort kann schon gar nicht gerechnet werden. Daneben wäre ein solches Unterfangen wiederum mit enormen Kosten verbunden.

Letztlich beruft und verlässt sich die Politik insbesondere in der EU und den USA vor allem auf die Absichtserklärungen und Beteuerungen von Industrie sowie Minen- und Erzhandelsgesellschaften. Inwieweit man dem Vertrauen schenken darf, mag der hochgeschätzte Leser für sich entscheiden.

Es lohnt sich auch ein eingehender Blick auf die Rolle der US-Politik im zentralen und östlichen Afrika. So offenbart der US-Enthüllungsjournalist Wayne Madsen in seinem Buch „Moralischer Bankrott – Der amerikanische Offenbarungseid“ u.a. ein fragwürdiges enges Verhältnis zum aktuellen Staatspräsidenten Ruandas, dem Tutsi Paul Kagame, sowie offensichtliche Verstrickungen in den Genozid 1994 in Ruanda, welcher in der Folge auch den kongolesischen Nachbarn destabilisierte.

Gemäß Madsen wurde Kagame Anfang der 1990er Jahre an der Generalstabsakademie des Heeres in Fort Leavenworth im US-Bundesstaat Kansas ausgebildet und bekräftigte damit seinen Status als williger Vertrauter und Vasall der USA. Bis 1994 stieg er zum Führer der aktuellen Regierungspartei „Ruandische Patriotische Front“ (RPF) auf. Laut zweier Dokumente des „Nationalen Stabes für die Überwachung interner Vorgänge der Vereinten Nationen“ aus dem Jahr 1997, soll die RPF für den Raketenanschlag vom 6. April 1994 auf das Flugzeug verantwortlich gewesen sein, bei dem die Hutu-Präsidenten Ruandas und Burundis getötet wurden. Auch soll Madeleine Albright, seinerzeit US-Botschafterin bei den Vereinten Nationen, anschließende Appelle zur Entsendung einer zusätzlichen Friedenstruppe zur Verhinderung eines absehbaren Bürgerkrieges ignoriert haben. Wie befürchtet, brachte der Anschlag das Fass zum überlaufen. Die seit vielen Jahren benachteiligte Mehrheit der Hutu-Ethnie wendete sich gegen die Ethnie der Tutsi im Ausmaß eines Völkermordes mit bis zu einer Million Toten. Im Jahr 2000 schließlich wurde Paul Kagame Staatspräsident von Amerikas Gnaden und ist es noch heute.

Nach dem Abschuss der Mystère-Falcon 50 nahm der Flugschreiber übrigens seinen heimlichen Weg von Kigali über Nairobi bis nach New York ins UNO-Hauptquartier, wo man dessen Existenz zehn Jahre lang abstritt. Erst die französische Tageszeitung „Le Monde“ enthüllte den Skandal. Einzige Konsequenz: Der leitende Ermittler des „Büros zur Überwachung interner Vorgänge bei der UNO“ wurde entlassen, weil er den Grund für die Leugnung der Existenz des Flugschreibers untersuchen wollte.

Im Jahr 2003 wurde die Chefanklägerin am Internationalen Gerichtshof für Ruanda, Carla del Ponte, abgesetzt. Es soll auf Drängen Kagames selbst geschehen sein, nachdem sie für den Staatspräsidenten äußerst belastende Menschenrechtsverletzungen verfolgen wollte. Es ist sicher nicht anmaßend zu behaupten, dass dieses ohne mächtige Unterstützung nicht möglich gewesen wäre. Ins Bild passt in diesem Zusammenhang, dass Ruanda und die USA auch gleich ein gegenseitiges Abkommen unterzeichneten, welches den jeweiligen Regierungschefs Immunität vor jeglicher Strafverfolgung durch den Internationalen Gerichtshof zusicherte.

Krönung war der Abschluss einer mehrjährigen Antiterror-Ermittlung Anfang 2004 durch den französischen Untersuchungsrichter Jean-Louis Brugnière auf Bitten der Angehörigen der umgekommenen französischen Flugzeugbesatzung. In dem Bericht benannte er beweiskräftig die RPF Kagames als Attentäter des Jahres 1994. Erstmals war darin auch von einer unbekannten Organisation die Rede, hinter der sich mächtige Persönlichkeiten in den USA – u.a. aus Politik und Ölkonzernen – verbergen sollen. Der Name: „International Strategic and Tactical Organization“ (ISTO). Journalist Madsen setzt die geheimen Kommandounternehmen der ISTO mit den sogenannten „Black Ops“ von US-Geheimdiensten gleich, also der Liquidierung lästiger Zeitgenossen.

Nach seiner Auffassung unterhält die ISTO auch enge Verbindungen zu Öl- und Bergbaugesellschaften in Kanada, die wiederum engagiert an der Rohstoffausbeutung in der DR Kongo beteiligt seien. Die ISTO operiere seit vielen Jahren dort, um die DR Kongo gezielt zu destabilisieren und Förderkonzessionen für westliche Unternehmen zu sichern. Gegen Mitglieder dieser Organisation, darunter Mitglieder des US-Regierungsapparates und des US-Außenministeriums, wurde in der Vergangenheit wegen Verstoßes gegen „das Gesetz über Kartelle und korrupte Organisationen“ sowie gegen „das Gesetz über ausländische korrupte Praktiken“ ermittelt.>

Es ist eine bitter böse Ironie des Schicksals, dass sich die Geschichte für die Kongolesen wiederholt. In Zeiten der Globalisierung wird der heutigen DR Kongo die geradezu hysterische Nachfrage einer hochtechnisierten Welt nach billigem Coltan zum Verhängnis. Zu Zeiten eines Freistaates Kongo unter dem belgischen König Leopold II., sorgte der Siegeszug der Elektrizität und des Automobils ab Ende des 19. Jahrhunderts für eine hysterische Nachfrage nach Kautschuk beziehungsweise Gummi. Auch damals wuchsen die Ranken des Kautschukbaumes zu über fünfzig Prozent auf kongolesischem Boden. Es lockten enorme Profite. In der privaten Kolonie Leopolds sollte daraufhin für zwei Jahrzehnte der Kautschukterror herrschen. Er verkaufte Rechte an Konzessionsgesellschaften, die Gewinne bis zu 700 % erzielten, da die Zwangsarbeit der angestammten Bevölkerung kaum Kosten verursachte. Leopold starb als einer der reichsten Männer Europas, hatte dem kongolesischen Volk zu Lebzeiten gleichwohl Reichtümer im Wert von heute über 700 Millionen Euro gestohlen. Und eine belgische Kommission ermittelte im Jahr 1919, dass die Bevölkerungszahl auf dem Gebiet des Freistaates Kongo innerhalb der 40 Jahre zuvor um 50 % abgenommen hatte, von 20 auf 10 Millionen. Die Schreckensherrschaft des belgischen Königs war de facto ein Völkermord.

Bereits im Jahr 1890 hatte der afroamerikanische Anwalt, Journalist und Prediger George Washington Williams den Kongo bereist. In Erwartung einer milden Regentschaft entsprechend der Propagandalügen des belgischen Monarchen, hatte er stattdessen über sechs Monate nur Folter, Missbrauch und Mord gesehen. Zurück in den USA, klagte er die Regierung Leopolds offiziell der Sklaverei an. Seine Kolumne sorgte in ganz Europa für Bestürzung. Williams wies auch den USA eine Mitschuld zu, die Leopold seiner Auffassung nach den Weg auf die internationale Bühne geebnet hatten. Unter dem Eindruck des Erlebten, formulierte Williams noch im Jahr 1890 als erster den berühmt gewordenen Ausspruch vom „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“.

Für mich mutet es wie reinster Zynismus an, wenn ein König Leopold II. noch immer als Wohltäter und Architekt eines modernen Belgien mit dessen Hauptstadt Brüssel geehrt wird, wo die Mittel dafür doch hauptsächlich dem Boden und Blut der Kongolesen entstammen. Das selbst ein belgischer Parlamentsabgeordneter den damals gerade eingeweihten Triumphbogen im Brüsseler Jubelpark treffend als „Bogen der abgetrennten Hände“ bezeichnete, sprach schon seinerzeit Bände und tut es noch heute. Und dass ausgerechnet die EU dort ihren Hauptsitz hat, schließt den Kreis dieses Zynismus.

Es ist ein weitverbreiteter Irrglauben, Armut sei das Hauptmerkmal der Länder Schwarzafrikas. Mitnichten – diese sind vielmehr Opfer ihrer Reichtümer. Es muss korrekt von einer gezielten Verarmung gesprochen werden, denn hinter den Kulissen wirken perfide Mechanismen.

Ursachen dürfen nicht mehr als Lösung der Probleme präsentiert werden. In einem allmächtigen Wirtschaftssystem, das auch Afrika stillschweigend angenommen hat, ist alles käuflich, man muss es sich nur leisten können. Es ist ein trügerisches Ideal, welches den schwarzen Kontinent überfordert. Und es ist umso schlimmer, dass dortige Regierungen, Machthaber und Diktatoren sich nicht auf die Selbstheilungskräfte ihres Kontinents besinnen, nicht Hand in Hand zusammenarbeiten und nachhaltige Kontrollsysteme nach innen etablieren. Wo bleibt der gemeinsame Druck nach außen, wo die konsequente Bekämpfung von Korruption und Machtmissbrauch?

Es ist eine unheilige Allianz von Profiteuren in und außerhalb Afrikas, eine Machtelite, die die Länder Schwarzafrikas am Boden hält und Europa Flucht und Massenmigration beschert.

Blutcoltan

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