Читать книгу Blutcoltan - Andreas Reinhardt - Страница 7

Оглавление

Kapitel 2

Der wertvollste Rohstoff auf diesem Planeten

- Von Tätern und Opfern in der DR Kongo -

Nordöstliche Provinz Ituri:

Die beiden schweren Geländewagen in von Schlamm besudeltem Weiß hoben sich deutlich von der dichten Vegetation ab, welche eine nur dem Namen nach befestigte Straße zu verschlingen drohte. Es waren Fahrzeuge einer internationalen Nichtregierungsorganisation, die ihre afrikanische Hauptniederlassung mittlerweile wieder nach Kisangani zurückverlegt hatte.

Seit dem Jahr 2000, als die verfeindeten Armeen Ruandas und Ugandas die Stadt in Schutt und Asche gelegt hatten, war dort auf Jahre kein sicheres und organisiertes Leben und Arbeiten mehr möglich gewesen. Geschlossene oder geplünderte Ladengeschäfte, Märkte ohne ausreichend frische Lebensmittel sowie eine zusammengebrochene Infrastruktur samt desaströser Sicherheitslage hatten es unmöglich gemacht. Wie zum Hohn überdauerten ausgerechnet Diamanten-Ankaufstellen als bunt dekorierte florierende Hinweise auf die Ursache dieser seelenlosen Zerstörungswut von internationaler Dimension. Und noch immer wurden Massengräber weit vor den Toren Kisanganis entdeckt, seinerzeit ausgehoben für die Zivilbevölkerung von neugeboren bis vergreist.

Die Regenzeit mit ihren schier unaufhörlichen Wolkenbrüchen setzte gegenwärtig besonders der Provinz Ituri mit den Grenzgebieten zu Uganda und Südsudan zu. Seit der kleine Konvoi die Hauptverkehrsader östlich der Universitätsstadt Isiro verlassen hatte, wurde die Gruppe von einer quälend langsamen Reisegeschwindigkeit zermürbt.

Im ersten Fahrzeug saßen der ortskundige kongolesische Fahrer, die gesamtverantwortliche französische Beifahrerin Francine Magaud sowie die Kongolesin Joseline Mulolo hinten. Der dichtauf folgende zweite Wagen beherbergte neben dem ebenfalls kongolesischen Fahrer Charles einen deutschen, einen französischen und einen weiteren kongolesischen Mitarbeiter der humanitären Organisation.

Der zu beiden Seiten vorbeiziehende Regenwald war eine undurchdringliche grüne Wand vielfältigster Pflanzen jeder Größe und Erscheinung. Selbst die sich hindurchwindende Piste beherbergte Gräser und flache Sträucher, die immer wieder am Bodenblech und an den Türen entlangschrammten. Kleinere wie größere Erdlöcher lösten sich in unvorhersehbarer Folge mit tiefen Spurrillen ab, mit Regenwasser angefüllt und umso unberechenbarer. Die Passagiere wurden in den Fahrzeugen hin und her bewegt wie Bojen in schwerer See. Während sie hinausstarrten, herrschte angespanntes Schweigen. Es schien fast so, als ob ein schleichendes Grauen eindrang, das von jedem einzelnen Besitz ergriff. Keine Ausgeburt der Wetter- oder Straßenverhältnisse, der Müdigkeit oder des unterbewussten Nachwirkens irgendwelcher düsteren Märchen und Legenden – mitnichten. Vielmehr von sehr realen historischen und aktuellen Begebenheiten gespeist.

Alles hatte 1994 mit dem Genozid in Ruanda begonnen und seither hier im Osten des Kongo seinen weiteren unmittelbaren Verlauf genommen. Längst waren die Kongolesen von Albertsee bis Tanganjikasee nicht einmal mehr Herr über ihr nationales Territorium. Die Nachbarländer Uganda und Ruanda hatten sich militärisch ebenso festgesetzt, wie diverse Rebellenarmeen, Milizen und sonstige Banditen. Die reguläre kongolesische Armee, wenn überhaupt nur sporadisch anwesend, unterschied sich von den Besatzern viel zu häufig nur dadurch, dass es das eigene Volk war, welches sie ausplünderten und erniedrigten. Sie alle wollten von den reichen Vorkommen an Coltan, Diamanten, Gold und anderem mehr profitieren. Umso mehr, als Regierungen und private Unternehmen ferner Länder mit harter Währung und freigiebigen Waffenlieferungen lockten. Für die östlichen Grenznachbarn war es vor allem eine Möglichkeit, den Mangel an eigenen Bodenschätzen zu kompensieren. Kurzum, niemand der Genannten hatte ernsthaftes Interesse an einer stabilen und selbstbestimmten Demokratischen Republik Kongo.

Francine Magaud war sich durchaus bewusst, dass der weiter südlich gelegene Teil der Provinz Ituri – rund um die Stadt Bunia – als noch gefährlicher galt, nicht zuletzt wegen des ethnisch bedingten Dauerkonflikts zwischen den sesshaften Ackerbauern der Lendu und den viehzüchtenden Nomadenstämmen der Hema. Die im Jahr 1998 entdeckten Öl- und Methangasvorkommen rund um den Albertsee als vermeintliche Vorboten von Reichtum, hatten dabei wie ein Brandbeschleuniger gewirkt. Fünf Jahre später mussten zeitweilig sogar zweitausend zusätzliche EUFOR-Soldaten unter UN-Mandat in die Region entsandt werden. Doch was Francine in diesem Augenblick wirklich beunruhigte war die Tatsache, dass sich die ugandische Regierung im Zuge der besagten Rohstofffunde seinerzeit zum alleinigen Handelspartner der US-Ölindustrie erklärt hatte, einhergehend mit beachtlicher Militärpräsenz bis weit ins kongolesische Hinterland – vermutlich bis heute. Zudem war es sogar möglich, dass Francines Wagenkonvoi auf ruandische Rebellen stoßen würde. Wer konnte schon vorhersagen, was dann passieren würde?

Unweigerlich ging ihr der Name des entmachteten Tutsi-Rebellengenerals Laurent Nkunda durch den Kopf. Lange Zeit war er erfolglos per internationalen Haftbefehl gesucht worden wegen Plünderung, Massenmordes und räuberischer Erpressung in der Provinz Nordkivu. Eine hervorragend ausgerüstete Armee von sechstausend Mann hatte unter seinem Kommando gewütet, gespeist von der Kontrolle und Ausbeutung diverser Gold-, Zinn- und Coltanminen. Eine Freundin Francines, die als Pressesprecherin für die UN-Friedensmission im Kongo tätig war, zeichnete ein diabolisches Bild von diesem Mann. Einst hatte Nkunda sogar in der Armee der Demokratischen Republik Kongo gedient, war dann aber entlassen worden und hatte in der Zeit danach sowohl Massaker an der Zivilbevölkerung als auch die Zwangsrekrutierung von Kindern befohlen. Und das vor den Augen der Welt.

Ein bitteres Lächeln huschte über das Gesicht der Französin. Aber natürlich, gerade wenn es um das Metallerz Coltan ging, sahen die Staatenlenker westlicher Demokratien im Namen der Staatsraison routiniert weg. Jüngst hatte ein krimineller südafrikanischer Blutcoltan-Händler sogar einen Hubschrauber aufwendig in UN-Farben und mit UN-Logo bemalen lassen, um Transportkontrollen zu umgehen. Im Großen wie im Kleinen, die enormen Gewinnmargen sowie strategische Erwägungen hoben alle moralischen Grenzen auf.

Aber sie, Francine Magaud, wollte und würde dem unsäglichen Treiben nicht tatenlos zusehen. Sie betrachtete den Fahrer, der stark schwitzend und sichtlich nervös das Lenkrad umkrallte. Dann drehte sie sich nach hinten um, wo ihr Blick auf die Freundin und Kollegin Joseline Mulolo fiel, die reglos und mit geschlossenen Augen dasaß.

»Joseline, wir finden deine Familie. Du wirst sehen, es geht ihnen gut.«

Die Angesprochene öffnete die Augen, doch schien sie wie in Trance durch Francine hindurchzusehen, wobei ihre Stimme einen beängstigenden Schauer verursachte: »Meine Eltern, Großeltern – sie sind alle tot. Und wenn wir nicht umkehren, werden wir auch sterben.«

»Ach was, das bildest du dir nur ein«, erwiderte die schockierte Französin um Zuversicht bemüht. »Wir haben dein Dorf doch schon fast erreicht, und nichts ist passiert. Außerdem sind wir hier in offiziellem Auftrag. Die ganze Welt weiß, wo wir sind.«

Jetzt fixierte die Kongolesin sie eindringlich, ihre Worte waren von mitleidigem Bedauern getragen: »Und du bist sogar französische Staatsbürgerin, ich weiß. – Du arbeitest jetzt schon so lange in diesem Land und hast es trotzdem noch nicht begriffen. Hier im Osten regiert das Recht des Stärkeren. Und der Stärkste, das ist der Skrupelloseste mit den meisten Waffen. Hier draußen ist dein Leben genauso wenig wert wie meins.«

Francine reagierte wild entschlossen: »Ich habe dir versprochen, dich in dein Dorf zu bringen, und das tue ich. Außerdem müssen wir verdammt noch mal rausfinden, was in dem Gebiet rund um den Semue-Nationalpark vor sich geht.«

Scheinbar teilnahmslos schloss Joseline Mulolo ihre Augen wieder. Selbstverständlich war sie ihrer Freundin zutiefst dankbar für diese Fahrt in ihr Heimatdorf Elimbo. Doch Francine wusste nicht, was sie wusste, musste nicht mit dieser Bürde von Erinnerungen leben. Aus gutem Grund hatte selbst Joseline als Familienmitglied ihr Dorf nur zweimal besucht, seit sie als Mädchen von den Eltern fortgeschickt worden war – fortgeschickt vom Land ihrer Ahnen, mit dem sie so tief verwurzelt war.

Und dann brach es durch, dieses tief verankerte Wissen, das für wiederkehrende Albträume bei Nacht und latente Melancholie und Paranoia bei Tage sorgte:

Sie war fortgeschickt worden im Jahr 1996, infolge einer von den USA aufgerüsteten Tutsi-Armee von mehr als zehntausend Mann, die unter dem Kommando von Oberst Kabarere die ruandisch-kongolesische Grenze überschritten hatte. Diese Armee sollte die Interahamwe-Mörder der Hutu-Ethnie stellen und vernichten, die zwei Jahre zuvor bis zu achthunderttausend Tutsi sowie unzählige dialogbereite Hutu massakriert hatten – mit Buschmessern und nagelgespickten Knüppeln in nur drei Wochen. Dem Massaker vorausgegangen waren jedoch die Ermordung des ruandischen Staatspräsidenten, eines Hutu, durch den gezielten Abschuss der Präsidentenmaschine mit einer Boden-Luft-Rakete sowie die langjährige gesellschaftliche Benachteiligung der Hutu-Mehrheit durch die Tutsi-Minderheit.

Als letztlich ein Tutsi-General auf Betreiben der USA Vizepräsident und Verteidigungsminister Ruandas wurde, kam es zu einer panischen Massenflucht der Hutu. Etwa eine Million Menschen überschritten seinerzeit unter dem Schutz französischer Fallschirmspringer und Fremdenlegionäre die Grenze zur Kivu-Provinz und wurden in Flüchtlingslagern der UNO und verschiedener NGOs untergebracht. Schnell übernahmen die Interahamwe-Mörder unter ihnen die brutale Kontrolle und nutzten die Lager als Basis für ihre Anschläge und Überfälle auf Ruanda. Als tragische Konsequenz gingen die ruandischen Streitkräfte mit Artillerie und Granatwerfern gegen die Flüchtlingslager vor. Ihr Vernichtungsfeuer galt gnadenlos allen Hutus.

Tränen rannen Joselines Wangen hinunter, als sie den Schmerz unter den unschuldigen Opfern teilte. Von den dreihunderttausend in den Lagern ausharrenden Menschen starb der größte Teil durch Ermordung, Cholera, Erschöpfung oder Verhungern.

Doch damit nicht genug. Die gewaltige Streitmacht des Oberst Kabarere setzte sich in Richtung Kisangani in Bewegung, was nun auch in den Dörfern der Provinz Ituri Panik auslöste. Schnell war die Nachricht vom Tod gereist. Und die Armee Präsident Mobutus stellte keinen Schutz dar, da sich die Hauptstreitmacht des Feindes mithilfe von Satellitenüberwachung und Luftaufklärung der USA jedem Feindkontakt entziehen konnte. Viele Familien fassten in dieser ausweglosen Situation den Entschluss, zumindest die stärksten ihrer Kinder fortzuschicken. Joseline schlug sich in einer mehrmonatigen Odyssee bis nach Isiro durch, wo sie bei einer Familie Obdach fand und das Schicksal sie und Francine Magaud Jahre später zusammenführen sollte.

Jetzt also sollte Joseline endlich heimkehren, nach vier langen Jahren. Es konnten nur noch wenige Kilometer sein. Das Herz schlug ihr bis zum Hals. Was würde sie vorfinden? Schließlich waren sie hier, weil seit etwa zwei Jahren keine Lebenszeichen mehr aus diesem Teil der Provinz nach außen drangen, mit ihrem Heimatdorf Elimbo darin. Und dann der nahe Semue-Nationalpark. Ebenfalls vor etwa zwei Jahren war dieser von der Regierung in Kinshasa zur Sperrzone erklärt worden. Als offizielle Begründung dafür hatte die besonders seltene Flora und Fauna herhalten müssen, deren Erforschung und Schutz einzig nationalen Regierungsstellen übertragen worden waren.

»Die reichen Rohstoffvorkommen sind unser Todesurteil«, unterstrich der Fahrer Joselines Worte. »Ruanda mit dem Genozid von 1994 ist international immer wieder ein Thema. Aber was ist mit der anhaltenden Vertreibung und dem Völkermord an der Zivilbevölkerung hier im Kongo? Es geht immer weiter. Die wahren Hintergründe werden bestenfalls hinter verschlossenen Türen diskutiert. Kein Drahtzieher wurde je dafür gerichtet. – Hier draußen weißt du weder, wessen Handlanger dich tötet, noch wann.«

Im zweiten Fahrzeug konzentrierte sich der Mann am Steuer auf die Baumkronen und hielt sein Seitenfenster trotz des Regens einen Spalt geöffnet.

Damit stachelte er die Neugier seines französischen Beifahrers an. »Charles, was suchst du da draußen eigentlich? Da bewegt sich doch nichts außer Regen.«

Alarmiert lehnten sich die beiden Männer im Fond nach vorne.

»Genau das macht mir Sorge. Der Wald lebt nicht. Keine Affen, keine Vögel.«

»Ist das alles?«, schaltete sich nun auch der deutsche NGO-Mitarbeiter ein. »Bei dem Sauwetter werden die sich verstecken.«

Charles' Antwort hätte kaum unheilvoller klingen können: »Wir werden seit einiger Zeit beobachtet.«

Bevor einer der anderen Männer etwas erwidern konnte, zerriss ein schnell anschwellendes Brummen die Stille, wie es nur die Propeller-Triebwerke einer schweren Transportmaschine erzeugen konnten. Was dann in niedriger Höhe über sie hinwegflog, ließ alle zusammenzucken.

»Spinne ich, was war das denn?!«, schrie der Beifahrer panisch.

»Eine schwere Transportmaschine in viel zu geringer Höhe«, antwortete der Mann am Lenkrad beiläufig, während er nach einer logischen Erklärung suchte. »Die Maschine muss in diesem Gebiet gestartet oder gelandet sein.«

Für einen kurzen Augenblick hatte Charles eine Transportmaschine vom Typ Iljuschin ausmachen können. Es war so eine, wie sie am Viktoriasee regelmäßig zum Einsatz kamen, genauer gesagt auf dem Flughafen der tansanischen Stadt Mwanza. Doch der lag südöstlich, etwa 650 Kilometer Luftlinie entfernt. Wie viele andere Kongolesen auch, war er im Bilde darüber, dass Mwanza als Zwischenstation für illegale Waffenlieferungen in umliegende Bürgerkriegsgebiete und Länder fungierte, wo Konflikte keine Öffentlichkeit duldeten. Die eigens angemieteten Flugzeuge wurden in Mwanza entladen und nahmen stattdessen zivile Güter für Ziele in Europa einschließlich Russland an Bord. Diesen Zusammenhang behielt Charles jedoch vorerst für sich.

Der Beifahrer studierte die Landkarte und schüttelte ungläubig den Kopf. »Unmöglich, es gibt keine registrierte Landebahn für eine Maschine dieser Größe.« Ungehalten schlug er auf das Papier. »Nichts als dichter Urwald!«

»Dann ist sie eben nicht registriert.« Der Fahrer sah in den Außenspiegel. »Wir haben jetzt ganz andere Probleme.«

Meter um Meter näherten sich zwei Militärfahrzeuge. Das hintere war ein großer geschlossener Geländewagen, erfahrungsgemäß mit mehreren schwerbewaffneten Insassen. Davor fuhr ein Pick-up. An dem Aufbau für das schwere Maschinengewehr hielt sich mühsam ein Uniformierter fest. Insgesamt erkannte Charles modernste Ausrüstung. Tutsi, schoss es ihm in einer Mischung aus Wut und Angst durch den Kopf. Weitere Gedanken folgten:

Die ruandische Tutsi-Armee unter Oberst Kabarere hatte 1997 maßgeblich zum Sieg von Laurent Désiré Kabila im Kongo beigetragen und konnte als Steigbügelhalter für dessen anschließende Präsidentschaft betrachtet werden. Auch für diverse hohe US-Politiker hatte sich dieser Schachzug ausgezahlt, boten sich doch lukrative Sessel in den Aufsichtsräten und Vorständen gewinnträchtiger Grubengesellschaften im Kongo. Doch innerhalb kürzester Zeit hatte dieselbe Tutsi-Armee die Attitüde von Besatzern an den Tag gelegt. Als Nachkommen der hochgewachsenen „Watussi“ aus dem Gebiet südlich von Abessinien, hatten sie ihr Überlegenheitsgefühl gegenüber den Bantu-Stämmen bis nach Kinshasa getragen. Der Grundstein für tödliche Feindschaft war gelegt. Als sich die Armee Ruandas schließlich zurückziehen musste, setzte sie sich gewaltsam und dauerhaft im Osten des Kongo fest. Kabila seinerseits setzte auf die dort verbliebenen Hutu-Milizen der „Interahamwe“ und weitere Gruppierungen, während er in und um Kinshasa blutige Treibjagden auf die gesamte Ethnie der Tutsi organisierte. Wie viele andere Kongolesen in der Hauptstadt, war auch Charles damals über diese Menschenjagd entsetzt gewesen, denn wie so oft mussten unschuldige Zivilisten für fehlgeleitete Machtpolitik sterben.

Ein tiefes Schlagloch holte ihn zurück ins Hier und Jetzt. In der Furcht, er und sein Team könnten zu späten Opfern der Gewaltspirale werden, reagierte er mit wilden Hup- und Lichtsignalen. Die Verfolger hatten bereits gefährlich aufgeschlossen. Endlich erhöhte der Wagen vor ihnen die Geschwindigkeit, was auf der schmalen schlammigen Piste einem Selbstmordversuch nahekam.

Die Männer im Fond sahen wie gebannt durch das Rückfenster. Der Deutsche schrie gegen den Lärm an: »Was sind das für Leute?!«

Charles konnte den Geländewagen kaum noch unter Kontrolle halten. Gesicht und Hemd waren schweißnass. »Vielleicht Männer von General Kirundo!«

»Der Rebellengeneral?!«

»Nach Laurent Nkunda kam Kirundo! Man sagt, er sei noch sadistischer! Meine Leute halten ihn für den Teufel persönlich!«

Auf dem verbliebenen abschüssig-kurvigen Teilstück raste die Kolonne aus Verfolgern und Verfolgten schlingernd bis in das ausgestorben wirkende Dorf Elimbo. Der erste Geländewagen kam rutschend zum Stehen. Matsch wurde meterweit gegen einen verbrannten Mangobaum und auf die zertrümmerten Überreste einstiger Einrichtungsgegenstände geschleudert, die überall verstreut herumlagen.

Joseline Mulolo sprang heraus und rannte wehklagend auf eines der entfernteren Häuser zu. Auf die fordernden Rufe der nachsetzenden Uniformierten achtete sie dabei nicht. Wie ein unbestimmtes Omen ließ der Tropenregen merklich nach, als die übrigen Mitarbeiter der Hilfsorganisation vor ihren Fahrzeugen auf die Knie gezwungen wurden. Keiner der Bewacher fasste sie grob an oder erhob die Stimme gegen sie, was die quälende Ungewissheit noch steigerte. Ängstlich starrten die Gefangenen zu dem Haus, in dem Joseline verschwunden war. Dann vernahmen sie die markerschütternden Schreie der Frau. Als zwei der hochgewachsenen Soldaten sie kurz darauf auf die Straße zerrten, wies sie zur Erleichterung ihrer Kollegen keine Spuren von Misshandlung auf. Stattdessen führte sie apathisch Selbstgespräche in ihrer regionalen Muttersprache, sogar noch, als Francine Magaud ihre Freundin in die Arme schloss.

»Oh, Gott, was hast du gesehen, Kleine. Sag mir doch, was du gesehen hast.«

»Blut, überall Blut. Hier wohnt jetzt der Tod. Mama, Papa, Großmutter …, der Teufel hat euch weggeholt«, übersetzte Charles niedergeschlagen.

Der deutsche Kollege vergrub sein Gesicht zwischen den Armen, während ein Uniformierter per Funkgerät in unbekannter Sprache kommunizierte.

Weiterhin Joseline streichelnd, flüsterte Francine mit gesenktem Kopf. »Was ist hier passiert, und wo sind die Dorfbewohner? Erkennt jemand die Sprache?«

Auch Charles vermied jeden Blickkontakt mit den Uniformierten. Er wusste nun, dass es Tutsi-Rebellen waren. Im Gegensatz zu den Hutu entstammten die Tutsi den hamitischen, nilotischen und äthiopischen Hirtenvölkern. Sie waren häufig von großer hagerer Gestalt, genau wie die hier. Hinzu kam noch die Sprache.

»Das ist Kinyarwanda, die gängige ruandische Sprache«, klärte er mit gedämpfter Stimme auf. »Keine Ahnung, was eine Tutsi-Rebellenpatrouille so weit im Norden zu suchen hat.«

Die drohende Geste eines Bewachers ließ die Gefangenen augenblicklich verstummen. Am anderen Ende des Dorfes bezog ein drittes Rebellenfahrzeug Stellung.

Zwei Stunden später hatte es ganz zu regnen aufgehört, und blutrot kündigte sich der Sonnenuntergang an. Auf der Dorfstraße näherte sich ein Hummer-Geländewagen, der unmittelbar neben den NGO-Fahrzeugen hielt. Die Soldaten nahmen Haltung an. Unter anderen Umständen hätte die Disziplin dieser Männer beeindrucken können. Jede Bewegung schien das Ergebnis eines jahrelangen Drills zu sein. Zügig wurde die internationale Gruppe aus einem der Häuser geführt, in welchem man auf dem Fußboden kauernd ausgeharrt hatte. Sie mussten sich in einer Reihe aufstellen. Nach wie vor wies niemand Spuren von Misshandlungen auf.

Ein großer schlanker Mann in maßgeschneiderter Uniform und mit rotem Barett auf dem kahlen Schädel, stieg aufreizend langsam aus. Sein gesamtes Auftreten strahlte eine gefährliche Dominanz aus, wobei die dunkle Sonnenbrille den Eindruck noch verstärkte. Die von einem Untergebenen überreichten Ausweisdokumente und Unterlagen studierte er ohne erkennbare Gefühlsregung.

Charles' vorsichtiger Blick fiel derweil auf die Peitsche am Gürtel des Mannes. Sein Urgroßvater hatte ihm davon berichtet, doch nie hatte er selbst eine zu Gesicht bekommen. Sie bestand aus getrockneter Nilpferdhaut, die an einem Ende zu langen scharfkantigen Streifen geschnitten war. Das berüchtigte Folterinstrument der „Force Publique“, jener kongolesischen Privatarmee König Leopolds II. von Belgien. Maximal zwanzig Hiebe machten einen Menschen bewusstlos, einhundert führten zum sicheren Tod. Plötzlich fiel dem kongolesischen Fahrer die Antipathie seines Volkes gegenüber dem großen George Foreman 1974 in Kinshasa ein, welcher sich im Vorfeld des legendären Jahrhundertboxkampfes gegen Mohammad Ali mit Deutschen Schäferhunden umgeben hatte. Jenen Hunden also, die als Symbol der kolonialen Fremdherrschaft der Belgier betrachtet wurden. Foreman konnte man seinerzeit wohl nicht ernsthaft unterstellen, sich dieser Zusammenhänge bewusst gewesen zu sein. Aber diese Peitsche? Wie stand es um das Wissen des Befehlshabers darüber?

Als könne der Gedanken lesen, zeigte er ein flüchtiges Lächeln und strich über den Fetisch am Gürtel. »Ein Erbe der Belgier, die dieses Land noch zu disziplinieren wussten«, folgte die provokante Feststellung. Gelassen nahm er die Sonnenbrille ab. »Mein Name ist General Felix Kirundo, Oberbefehlshaber der Befreiungsarmee Ruandas im Kongo.«

Für alle überraschend machte Joseline Mulolo einen entschiedenen Schritt auf ihn zu und spuckte ihm ins Gesicht. »Was hast du mit meiner Familie gemacht, du Mörder?!«, schrie sie ihn zornig an.

Scheinbar unbeeindruckt wischte Kirundo sich den Speichel ab. Mit knapper Geste hielt er seine Soldaten von einer Züchtigung ab. Die verzweifelte Frau würdigte er indes keines Blickes. »Du wirst schon sehr bald mit ihnen vereint sein.«

Als nächstes nahm er die Peitsche zur Hand und wandte sich Francine Magaud zu. »Franzosen. Genau wie 1990, als wir von Uganda aus nach Ruanda zurückkehren wollten, um unseren rechtmäßigen Platz einzunehmen. Nicht einmal eure Fremdenlegionäre konnten verhindert, dass wir unser Schicksal erfüllen.«

»Was wollen Sie hier eigentlich erreichen?«, fragte der deutsche Gefangene sichtlich nervös.

General Kirundo, der die Peitsche nun permanent gegen den Oberschenkel schlug, gab seinem Adjutanten ein beiläufiges Handzeichen. Sein Interesse war indes noch nicht erschöpft. »Der Deutsche. Eigentlich sollten Sie meine Motive doch am besten verstehen können. Ihr Volk hat die Chance vertan, Europa seinen Stempel aufzudrücken. Jetzt ist die Zeit an uns, im Herzen Afrikas erfolgreicher zu sein.«

Die Gefangenen wurden mit Nachdruck weggeführt, als plötzlich ein Schuss fiel. Erschrocken blickte die kleine Gruppe zurück. Noch immer stand General Kirundo an derselben Stelle, jedoch mit einer Schusswaffe in der Hand. Zu seinen Füßen lag Joseline Mulolo, sterbend an einem Kopfschuss.

Von Entsetzen gelähmt, wurden ihre Mitstreiter gewaltsam in Richtung einer Lichtung weitergetrieben, bis ein süßlich-beißender Gestank in der Luft lag, dessen Ursprung eine von Menschenhand ausgehobene tiefe Grube darstellte. Die verwesenden Leichen darin waren nur unvollständig mit Erde bedeckt. Selbst das robuste Nervenkostüm einer Francine Magaud hielt dem nicht stand. Ihr Schrei erfüllte die Abenddämmerung, gefolgt vom Vollstrecken des Erschießungskommandos.

Gouverneurspalast in Bukavu – Provinzhauptstadt Südkivus:

Denis M'Bisimwa war der sprichwörtliche Pate von Südkivu. Seinen Ausweisdokumenten zufolge war er gebürtiger Staatsbürger der Demokratischen Republik Kongo. Doch tatsächlich fühlte er sich weniger seinem Land, als vielmehr seinem persönlichen Profit verpflichtet. Es gab kaum ein Geschäft in dieser Provinz, an dem er nicht mitverdiente, legal oder illegal. Und seitdem er Provinzgouverneur und außerdem Präsident der regionalen Handelskammer war, gab es offiziell ohnehin keine illegalen Geschäfte mehr. Zumindest, solange er sie legitimierte. Bei dem Gedanken verzog sich sein Gesicht zu einem breiten Grinsen.

Der schwergewichtige Schwarzafrikaner mit kahlrasiertem Schädel hatte seinen überdimensionierten Managersessel in Ruheposition gebracht. Seine Beine ruhten auf dem schweren Schreibtisch aus wertvollem Tropenholz. In der Tradition wohlhabender und geltungsbewusster kongolesischer Männer, kam sein Anzug aus einer der Modemetropolen Europas und war maßgeschneidert. Aufwendiger Goldschmuck zierte Handgelenke und Finger. In der Hand hielt er ein Glas mit Whisky der Premium-Kategorie. Kurzum, was Denis M'Bisimwa an kultivierter Lebensart und ethischem Empfinden vermissen ließ, glich er mit materiellen Statussymbolen mehr als aus.

Lustlos reagierte er auf das Klingeln des Telefons auf seinem Schreibtisch. »Linda, wer ist am Telefon?!«, rief er durch die geöffnete Tür, nicht geneigt, seine bequeme Position eventuell grundlos aufzugeben.

Eine attraktive Frau erschien in der Türöffnung. Auch sie trug ein Businesskostüm westlicher Prägung. Ein traditionelles Modell duldete ihr Chef nicht. »Es ist die Erzdiözese von Bukavu, Exzellenz. Der Erzbischof persönlich. Es geht um die Reparaturen an der großen Kirche.«

»Ist gut, ich gehe ran«, erwiderte der Provinzgouverneur desinteressiert. Er empfand herzlich wenig Sympathie für die katholische Kirche oder sonst irgendeine Glaubensgemeinschaft. Mit denen war einfach kein gutes Geschäft zu machen. Stattdessen bettelten sie regelmäßig um Unterstützung und lagen ihm damit in den Ohren, wie sehr die Menschen in den Minen ausgebeutet wurden oder wie viele Frauen der Vergewaltigung durch irgendwelche Rebellengruppen oder marodierende Milizen zum Opfer fielen. Alles landete auf seinem Tisch. Es war ihm einfach nur lästig. Andererseits war die Kirche für ihn aber auch durchaus von Nutzen. Immerhin sechzig Prozent der Bevölkerung waren katholisch. Und wer in der Kirche betete und auf Erlösung hoffte, probte nicht gleichzeitig den Aufstand.

Also quälte sich der Pate von Bukavu und Südkivu ans Telefon, aktivierte die Freisprecheinrichtung und zauberte ein Politikerlächeln auf sein Gesicht. »Hochwürden, ich bin sehr erfreut, von Ihnen zu hören. Wie kann ich behilflich sein?«

Das Kirchenoberhaupt wiederum war sich des wahren Charakters dieses zwielichtigen Mannes völlig im Klaren. Trotzdem oder gerade deshalb war er mit seinen Anliegen auf ihn angewiesen. Und so vertraute der Würdenträger darauf, mit regelmäßigen Eingaben einen bleibenden Eindruck hinterlassen zu können, auf das stetes Wasser den Stein höhlen sollte.

»Exzellenz, ein Anliegen betrifft noch immer das undichte Dach unserer Kirche Sankt Elisabeth. Die Sonntagspredigten sind gerade jetzt in der Regenzeit für die vielen Gläubigen kaum noch zumutbar. Wir benötigen dringend die Unterstützung der Stadtverwaltung. Ich hoffe dabei auf Ihren Einfluss.«

Auf ein Blatt Papier malte Denis M'Bisimwa auf den Kopf gestellte Kreuze, während er um Verständnis heischend antwortete: »Nun, wie Sie wissen, sind die Kassen unserer Stadt und der Provinz leer. Ich habe schon vor Monaten frisches Geld in Kinshasa beantragt. Traurige Wahrheit ist, unsere Regierung benötigt die Geldmittel für die Bekämpfung der vielen Feinde in den Ostprovinzen. Und vergessen wir nicht die medizinische Versorgung der Zivilbevölkerung. Aber wem erzähle ich das.«

Gerade als korrupter Staatsbeamter war seine Enttäuschung in diesem Punkt aufrichtig, denn wann immer Geldzahlungen aus Kinshasa ausblieben, konnte auch er keinen entsprechenden Betrag für sich abzweigen. Ohnehin blieb noch abzuwarten, wie der jüngst gewählte neue Staatspräsident sich positionieren würde. M'Bisimwa genoss einen Schluck Whisky. Er würde der Kirchengemeinde einen unbedeutenden Betrag aus seinem nicht unbeträchtlichen Privatvermögen zukommen lassen. Ein wenig Öffentlichkeitsarbeit in eigener Sache konnte nie schaden.

»Hochwürden, ich sag Ihnen was. Ich werde zunächst etwas aus meinem bescheidenen Beamtengehalt spenden.«

Die Reaktion darauf klang wenig beeindruckt: »Ich danke Ihnen, mein Sohn.«

Es folgte kurze Stille, bevor der Geistliche noch beherzter fortfuhr: »Es ist meine heilige Pflicht, ein noch weitaus dringlicheres Problem zur Sprache zu bringen. Die Coltanminen in Südkivu entwickeln sich immer mehr zur humanitären Katastrophe. In unverminderter Zahl flüchten Frauen in die Gotteshäuser und Hospitäler. Ein großer Teil von ihnen derart vergewaltigt und verstümmelt, dass sie nie wieder Babys gebären werden. Augenzeugen zufolge werden Männer und selbst Jungen wahllos ermordet. Man schneidet ihnen die Kehle durch oder köpft sie, um Munition zu sparen. Exzellenz, wir reden hier über gezielte Gewalt- und Vertreibungsexzesse an der Zivilbevölkerung. Die Kirche kann diese vielen Menschen nicht versorgen. Es ist Ihre Aufgabe als Provinzgouverneur, etwas zu unternehmen. Und als Präsident der Handelskammer in Bukavu obliegt Ihnen doch auch die Kontrolle des Coltanhandels. Was gedenken Sie also gegen diese Barbarei zu tun?«

Denis M'Bisimwa brachte seinen Sessel in aufrechte Position und legte den Schreibblock auf den Tisch. Seine Zeichnung zeigte einen Mann, der mit dem Teufel tanzt. Um beide verteilt lagen prallgefüllte Säcke mit Dollarsymbolen darauf.

Schilderungen wie diese gehörten zur täglichen Routine und wurden von dem hochgestellten Beamten mit den üblichen Antworthülsen pariert: »Hochwürden, wir teilen dieselbe tiefe Sorge. Dennoch sind mir die Hände gebunden. Die reguläre Armee wagt sich nicht bis in die Grubengebiete von Südkivu. Und die Grenze zum Rebellengebiet wird nur von wenigen Armeeposten mit geringer Kopfzahl kontrolliert. Außerdem wissen Sie doch so gut wie ich, dass unsere unterbezahlten Truppen Teil des Problems sind. Tja, und was den Handel angeht, so ist eine Kontrolle ausgeschlossen. Man kann den Ursprung des Coltans nicht zurückverfolgen, denn es kommt aus dem gesamten östlichen Kongo.«

Doch dieses Mal wollte sich der Geistliche nicht mit Wortplacebos abspeisen lassen und unterbrach kurzerhand: »Es existiert doch ein Verfahren, das eine genaue Zuordnung des Coltanerzes aufgrund seiner chemischen Zusammensetzung ermöglicht. So hat man mir berichtet. Sicher lassen sich externe Geldmittel und Experten gewinnen. Es ist doch von internationalem Interesse.«

Der mächtige Provinzgouverneur verlor zunehmend die Geduld. »Tests können manipuliert werden, und ausländische Experten würden bei unserem Problem hier vermutlich so sehr weiterhelfen wie die zwanzigtausend UN-Blauhelmsoldaten – nämlich gar nicht. Kurz zusammengefasst, es ist nicht feststellbar, ob aus einem Bürgerkriegsgebiet stammend oder nicht. Die Zwischenhändler erteilen keinerlei Auskünfte, und für den Besuch der Minengebiete benötigt man sogar behördliche Passierscheine. Aus gutem Grund, denn selbst für Coltanexporteure und staatliche Vertreter ist es lebensgefährlich, sich dort aufzuhalten. – Glauben Sie mir, ich tue mein Bestes und danke Ihnen sehr für Ihr Engagement in dieser Sache. Nun müssen Sie mich aber entschuldigen, ich erwarte noch ein wichtiges Gespräch. Meine Spende kommt in den nächsten Tagen. Möge Gott Sie beschützen. Auf Wiedersehen.« Mit diesen Worten beendete M'Bisimwa das unerquickliche Gespräch.

Oh nein, er hatte weder das Interesse noch die Absicht, etwas an der bestehenden Situation zu ändern. Zum einen war es lebensgefährlich, sich gegen die internationale Coltanmafia zu stellen. Zum anderen erzielte er ein höheres Einkommen als der amtierende Staatspräsident, sofern dieser nicht so korrupt war wie er selbst. Gewissensbisse kannte er bei seinem Treiben nicht. Schließlich war er nur Geschäftsmann, bestimmt von Angebot und Nachfrage. Sollte doch die neue Regierung in Kinshasa den Problemlöser spielen.

Bei dem Gedanken musste M'Bisimwa grinsen. Entweder der neue Staatspräsident würde wie der Vorgänger die Marionette im großen Spiel um Rohstoffe geben oder in absehbarer Zeit einem Staatsstreich oder Attentat zum Opfer fallen. Afrika hatte damit ja so seine Erfahrungen.

M'Bisimwa goss sich Whisky nach, während er über den Teil der jüngeren Geschichte nachdachte, der die anhaltenden Gräueltaten an der Zivilbevölkerung befeuerte:

Innerhalb von nur zehn Tagen nach der Ermordung des unberechenbar gewordenen Kabila anno 2001 im eigenen Präsidentenpalast, hatten die USA bereits dessen Adoptivsohn als neuen Staatspräsidenten installiert – für eine von den Ereignissen überraschte US-Administration bemerkenswert schnell. Zu schnell, um nicht involviert zu sein, dachte sich der Gouverneur. In jedem Fall hatte sich hinsichtlich des strategisch äußerst wertvollen Coltanerzes alles im Sinne mächtiger Minenkonsortien gefügt. Die Hauptabnehmer in Europa und Übersee konnten sich auch weiterhin auf niedrige Einkaufspreise und ausbleibende Regierungshürden verlassen.

Selbst ein UN-Bericht aus dem Jahr 2003 über westliche Unternehmen, die den Bürgerkrieg im Kongo durch ihre Aktivitäten indirekt mitfinanzierten, hatte keinerlei Wirkung entfaltet. Diese Unternehmen, die ihren Hauptsitz pikanterweise überwiegend in Belgien hatten, waren unbeschädigt geblieben. Im Gegenteil, US-amerikanische Investmentgruppen beteiligten sich auch weiterhin rege am Geschäft. Nach wie vor konnte selbst er, M'Bisimwa, die Nachfrage nach Coltan kaum befriedigen, zumal längst auch China und Indien zur illustren Kundschaft gehörten. Allein über seinen Tisch liefen monatlich etliche Tonnen. Die Wertschöpfungskette baute enormen Druck auf, fragte sehr aggressiv bei zentralen Persönlichkeiten wie ihm nach. Er wiederum gab diesen Nachfragedruck eins zu eins an seine Zwischenhändler weiter. Im Ergebnis wurden die Arbeitsbedingungen in den Minen eben immer unerbittlicher.

Doch obwohl seine Geschäfte florierten, machte er sich Sorgen. Seit Monaten nahm das Angebot spürbar ab. Und seinen Nachforschungen zufolge ebenfalls in Goma, der Provinzhauptstadt Nordkivus. Offenbar erschöpften sich die Vorkommen. Trotzdem ließ auch der Nachfragedruck nach. Seiner Meinung nach gab es dafür nur eine plausible Erklärung: Neuerschlossene Minen. Doch so sehr er sich auch um Beweise für deren Existenz bemühte, er kam einfach nicht weiter. Stattdessen schien er selbst unter Beobachtung zu stehen. Allerdings hatte er auch dafür keine handfesten Beweise, nur eine Ahnung.

Aus dem Vorzimmer vernahm Denis M'Bisimwa ein Röcheln. Er war alarmiert. Seine auf Lebensgefahr geeichten Instinkte ließen ihn augenblicklich hinter dem schweren Schreibtisch in Deckung gehen. Aus einer Schublade fischte er die bereitliegende großkalibrige Handfeuerwaffe und entsicherte sie.

»Linda?!«, rief er besorgt den Namen seiner Sekretärin. Den Durchgang zum Vorzimmer ließ er keine Sekunde aus den Augen.

Als eine Antwort ausblieb und das Röcheln erstarb, nahm er das Telefon vom Tisch. Auch hierbei widersprachen die flinken Bewegungsabläufe nun denen eines trägen schwergewichtigen Mannes. Er lauschte in die Stille, vernahm aber nicht das kleinste Geräusch. Es war Samstagnachmittag, also kein weiteres Personal im Gouverneurspalast. Einzige Ausnahme bildete das achtköpfige Wachpersonal, welches von einem Überwachungsraum nahe dem Haupteingang aus Dienst tat. Doch der interne Anschluss dorthin war permanent besetzt, genau wie die Telefonverbindung nach draußen. Das Hemd des mächtigen Mannes war inzwischen von Schweiß getränkt. Er entledigte sich der Krawatte, öffnete den obersten Knopf und rollte die Hemdsärmel auf.

Die Waffe im Anschlag, zog er sich vorsichtig in Richtung einer zweiten seitlichen Bürotür zurück. Es war der Durchgang zu einem Sitzungsraum, von wo aus er entweder über einen Balkon aufs Dach, oder auch auf den Flur und zügig zur Nottreppe gelangen konnte. Den Schlüssel trug er in der Hosentasche. Das klickende Geräusch beim Aufschließen erschien ihm ohrenbetäubend. Doch niemand erschien oder war zu hören.

Der Machtmensch M'Bisimwa gab seine Vorsicht auf. Er öffnete die Nebentür mit einer schnellen Bewegung und tat den ersten Schritt in den Sitzungsraum. Hektisch nahm er einen links an der Wand lehnenden dunkelhäutigen Mann mit Knüppel wahr. Doch schon traf ihn der Knüppelhieb eines rechts neben der Tür postierten hageren Schwarzen in die Magengegend. Wie ein Taschenmesser klappte der soeben entthronte Pate von Südkivu vorn über, bevor der Knüppel von links mit Wucht gegen seinen Hinterkopf prallte. Ob das Opfer infolge dessen bereits tot war, spielte für die Auftragsmörder keine Rolle. Der Körper wurde mit einer Flut weiterer brutaler Schläge überzogen.

Im Büro des Denis M'Bisimwa machten sich derweil zwei weitere Männer daran, alles einem Plan folgend zu verwüsten. Als das Todeskommando den Gouverneurspalast schließlich verließ, war dort alles menschliche Leben ausgelöscht.

Blutcoltan

Подняться наверх