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ОглавлениеKapitel 3
Der große Kongo im Würgegriff
- Verschwörer in Europa und den USA -
US-Regionalkommando „AFRICA COMMAND“ in Stuttgart:
Für sein spätabendliches Telefonat hatte sich Colonel Jack Martins in ein abhörsicheres Besprechungszimmer zurückgezogen, spärlich eingerichtet und fensterlos. Seine Laune entsprach dem regnerischen Wetter im deutschen Stuttgart. Er bedauerte noch immer, dass das Regionalkommando für Afrika seinen Standort mitsamt Flottenstützpunkt nicht im westafrikanischen São Tomé und Principé bezogen hatte, wie zunächst vorgesehen. Immerhin stammte ein nicht unerheblicher Teil des von den USA benötigten Erdöls aus dem Golf von Guinea. Die dortige Einflusssphäre galt es somit zu sichern und auszubauen. Doch eine beachtliche Anzahl afrikanischer Länder hatte sich gegen eine derartige militärische Festsetzung der USA auf dem afrikanischen Kontinent ausgesprochen. Dem vorgeschobenen Argument des Kampfes gegen den Terror war man dort nicht mehr aufgesessen.
Deutschland hingegen hatte sich nach Kriegsende immer wieder als wohlerzogener Vasall mit hervorragender Infrastruktur erwiesen, der keine unbequemen Fragen stellte. Dabei wäre Skepsis durchaus angebracht gewesen, angesichts der Tatsache, dass in diesem weltweit sechsten Regionalkommando erstmals auch Vertreter nichtmilitärischer Institutionen wie private Militärdienstleister oder das FBI untergebracht worden waren. Was das anging, waren die besatzungsrechtlichen Möglichkeiten der USA in diesem Land einmal mehr ein wahrer Segen.
Mit den sechs Regionalkommandos sicherte man sich die globale Vormachtstellung. Colonel Martins musste schmunzeln. Als 'Schaffung stabiler innerstaatlicher Verhältnisse und Konfliktprävention mit zivilen und militärischen Mitteln' umschrieb die US-Administration die Aufgaben diplomatisch, was de facto nichts anderes bedeutete, als von zentraler Stelle aus jederzeit mit knebelnder Entwicklungshilfe als Zuckerbrot, Stellvertreterkriegen als Peitsche sowie mit diversen verdeckten Operationen zum alleinigen Nutzen der USA agieren zu können. – „AFRICOM“ war das perfekte Vehikel für Geheimprojekt „Barracuda“. Und er, Verbindungsoffizier Martins, war der Insider, der diese Institution konspirativ dafür nutzte.
Er rückte den Bürostuhl näher an die Telefonanlage und tippte aus dem Gedächtnis eine Tastenkombination. Während des kurzen Wartens nippte er an einer dampfenden Kaffeetasse und aktivierte die Freisprecheinrichtung.
»Ich höre«, ertönte eine tiefe Stimme.
Martins nahm augenblicklich Haltung an. »Guten Abend, Sir. Code 44798barracuda.«
»Die Minenkonzessionen, die die Kongolesen den Chinesen überlassen wollen, bereiten einigen hier Kopfzerbrechen.«
»Kann ich mir denken, Sir«, erwiderte der Offizier entspannt. »Das Regionalkommando ist ebenso besorgt. Aber wie Sie und ich wissen, werden diese Konzessionen in absehbarer Zeit nicht mehr viel Wert sein. Und dank unserer eigenen Bezugsquelle sind wir auf der sicheren Seite.«
»Sofern diese weiterhin geheim bleibt. Wie steht es in der Sache?«, blieb der unsichtbare Gesprächspartner skeptisch.
»Sir, Überwachung aus der Luft sowie Zugang über Land haben wir unter Kontrolle. Unsere Zelle hat Zugriff auf die entsprechenden Abteilungen. Auch die eingesetzten Militärdienstleister arbeiten wie gewünscht. Dort hält man es für einen geheimen Regierungsauftrag. Als Verbindungsoffizier zum zivilen Sektor läuft diesbezüglich alles über meinen Schreibtisch. Und gottlob sind diese Söldnerseelen verschwiegen, im Fall eines Falles sogar gegenüber Untersuchungsausschüssen des Kongresses.«
»Beschreien Sie es nicht, Martins. Trotz aller Vorsichtsmaßnahmen sind Satellitenaufnahmen unseres so streng gehüteten Operationsgebietes in Umlauf. Erklären Sie mir das.«
Die Gesichtszüge des Verbindungsoffiziers verfinsterten sich. »Der betreffende Beobachtungssatellit untersteht nicht der unmittelbaren Kontrolle des Pentagon. Ein Zugriff über unsere Dienste wäre außen- wie innenpolitisch äußerst heikel. Es handelt sich immerhin um einen europäischen Satelliten zur zivilen Nutzung. In diesem speziellen Fall sollte der Rückgang der Regenwälder Zentralafrikas dokumentiert werden. Dabei wurden wir unbeabsichtigt ausgespäht.«
»Colonel, spielen Sie Schach? – Ein guter Spieler muss selbst die unmöglichsten Szenarien voraussehen. Was wir betreiben, nennt man gemeinhin Verschwörung, denn wir agieren am offiziellen Washington vorbei. Mit anderen Worten, kein Raum für Fehler oder wir verlieren. – Also, was wird unternommen, um die Sache zu bereinigen?«
Martins verspürte aufkommende Unsicherheit. »Die infrage kommenden Zeugen sind bereits weitestgehend neutralisiert.« Er geriet ins Stocken: »Allerdings gibt es einen kongolesischen Journalisten, der eine letzte Gefahrenquelle darstellt.«
»Ein Journalist? Herrje, das fehlt uns noch.«
Es blieb ruhig in der Leitung. Colonel Martins erhob sich und starrte nervös auf die Telefonanlage. Ihm schwante bereits, was kommen würde.
»Ich lasse die IOD davon in Kenntnis setzen, dass eine weitere „Black Op“ erforderlich ist.«
»Ja, Sir«, bestätigte der Mitverschwörer im AFRICOM in sachlichem Ton. »Die Zielperson hat demnächst einen Gastauftritt in Brüssel, soweit ich weiß.«
»Brüssel? Na, wenigstens weit weg von Zuhause.«
Jack Martins lachte mechanisch. »Wie es uns am liebsten ist, Sir. Gute Nacht, Herr Senator.«
Hauptsitz der SYTRAX Erzhandelsgesellschaft in Brüssel:
Es war gegen 23:00 Uhr. In der obersten Etage des Hauptsitzes von SYTRAX saßen drei leitende Mitarbeiter an einem ovalen Sitzungstisch, der für bis zu zwanzig Teilnehmer ausgelegt war. Abwartend sortierten sie ihre Unterlagen. Ein gelegentlicher Gast stand an der großflächigen Fensterfront des in kühler Sachlichkeit designten Sitzungssaales. Mit seinen graumelierten Haaren zur sonnengebräunten Haut sowie dem Maßanzug, wirkte der Mittfünfziger überaus weltmännisch. Von den übrigen Anwesenden nahm er keine Notiz. Vielmehr ließ er sich vom Blick auf die Schaltzentralen europäischer Macht zu Gedankenspielen anregen. Von hier oben blickte man auf repräsentative Gebäude der EU herab. Und genau so musste das seines Erachtens auch sein. So entsprach das dem tatsächlichen Machtgefüge. Je bedeutender die Position in der Unternehmenshierarchie, desto höher die Etage. Und je mächtiger ein Unternehmen oder eine Institution, desto höher das Gebäude – ein Exportschlager aus seiner Heimat.
Wie gewöhnlich hatte der IOD-Repräsentant auch an diesem Abend kaum Konversation betrieben. Er war ein Mann der Taten, nicht des Small Talk, ganz im Sinne der „International Operations for Development“ – kurz IOD – dem geheimen Schwertarm mächtiger US-Interessensgruppen der Öl- und Bergbauindustrie sowie bedeutender Politiker, mehrheitlich der Republikanischen Partei.
Aktuell verband SYTRAX und IOD das Projekt „Barracuda“. Dabei zahlten sich die IOD-Aktivitäten im Vorfeld des Genozids in Ruanda 1994 und seither aus. Schon damals war die gezielte Destabilisierung der späteren Demokratischen Republik Kongo ein Ziel gewesen.
Selbstverständlich geriet auch seine Organisation hin und wieder ins Visier des öffentlichen Interesses. Wer Räder dieser Größenordnung drehte, konnte das nicht gänzlich verhindern. So hatte ein französischer Untersuchungsrichter sie, genauso wie auch Mitglieder der seinerzeit oppositionellen „Ruandischen Patriotischen Front“, 2004 mit dem Raketenbeschuss der ruandischen Präsidentenmaschine im Jahr 1994 in Verbindung gebracht. Egal, dafür war die Ermordung des alten Kabila wiederum ein perfekter Coup gewesen, der keine beweiskräftigen Rückschlüsse auf eine Beteiligung der IOD zugelassen hatte. Keiner der involvierten Personen, angefangen von dem als US-Diplomat getarnten IOD-Mitarbeiter und Täter über den Angehörigen des engsten Beraterstabes bis hin zur persönlichen Sekretärin, war je überführt worden.
Bei all dem hatte die IOD nur den einen Daseinszweck, einen ungehinderten Zugang zu Afrikas Naturressourcen zu gewährleisten und Widerstände jeweiliger Regierungen zu unterbinden oder gegebenenfalls zu brechen. Aktuell wurde in den USA gegen einige Hintermänner der IOD wegen Verstoßes gegen das „Gesetz über Kartelle und korrupte Organisationen“ sowie das „Gesetz über ausländische korrupte Praktiken“ ermittelt, keine besondere Überraschung. Es handelte sich hierbei sowohl um Privatunternehmen als auch um hochgestellte Mitarbeiter des Außenministeriums. Selbstverständlich würde auch diese Posse im Sande verlaufen.
Der Gast aus Übersee vergegenwärtigte sich einmal mehr, wie schizophren die Weltpolitik seines Landes im Grunde war. Der Flugzeugabschuss von 1994 bot dafür ein exzellentes Beispiel. UN-Ermittler hatten dies einen Akt des internationalen Terrorismus genannt. Die USA jedoch, die an vorderster Front zum Sturm auf eben solchen Terrorismus bliesen, blockierten nach wie vor die Aufklärung des damaligen Attentats. Sie mussten es. Wie ein Hund dem eigenen Schwanz, so würde die US-Regierung ansonsten sich selbst nachjagen und mit Ruanda den wertvollsten Verbündeten in Zentralafrika in eine politisch brisante Lage bringen.
Als die Tür des Sitzungssaales geöffnet wurde und der hochbetagte Patriarch des belgischen Unternehmens eintrat, begab sich der Repräsentant der IOD augenblicklich zu seinem Platz. Mit tadelloser Haltung ging Klaas De Koninck an das andere Ende des Tisches, die Anwesenden dabei mit dem Respekt gebietenden Blick eines Despoten musternd.
Er stand einem Unternehmen vor, welches seit den 60er Jahren Minen für seltene Erze und Metalle im Kongo unterhielt und weltweit mit den Erträgen handelte. Alles hatte mit seinem Vater und der belgischen Vormachtstellung als Kolonialmacht begonnen. Auch heute noch war De Koninck von der Vorstellung geprägt, Kongolesen seien die Arbeitstiere und die Belgier die überlegene Intelligenz. Nie hatte er die Schwarzen dabei für faul und dumm gehalten. Im Gegenteil, er respektierte ihre Spiritualität und körperliche Robustheit. Lange hatte er einen aus ihrer Mitte, den ersten Premierminister Patrice Lumumba, insgeheim sogar verehrt. „Belgien will dieses Land balkanisieren. Der Kongo soll auseinanderbrechen“, hatte dieser junge Staatsmann schon damals eine Strategie auf den Punkt gebracht, mit der westliche Machtstrategen den afrikanischen Kontinent noch bis in die Gegenwart gezielt schwächten und in Abhängigkeit hielten. Mit seinem Intellekt und aufrechten Patriotismus hatte Lumumba Belgien und die USA auf eine Art entlarvt, die als gefährlich eingestuft worden war und einmal mehr die Beseitigung auf Kolonialherrenart nach sich gezogen hatte. Damals hatte der junge Klaas für sich erkannt, dass die Grundsätze von Ethik und Moral gegen das „Teile und herrsche“-Prinzip stets unterlagen.
Der alte Mann setzte sich und fasste die anderen Anwesenden am Tisch nacheinander ins Auge. Herzliche Begrüßungen oder ein aufmunterndes Lächeln waren ihm fremd.
»Ich habe mir ein Bild vom Verlauf des Projektes „Barracuda“ gemacht und bin zufrieden. Von unseren Partnern habe ich die Bestätigung erhalten, dass es ihnen ebenso geht.«
Er bedachte den speziellen Gast mit einem wohlwollenden Seitenblick. »Dank unseres Abbaugebietes erhalten wir ausreichend Coltanerz, um die steigende Nachfrage unserer Handelspartner zu befriedigen. Das Geschäft mit China ist dabei hervorzuheben. Vergangenen Donnerstag wurden achtzehn Tonnen über Kenia nach Asien geliefert. Fragen über die Herkunft des Materials haben wir von den Chinesen nicht zu erwarten. Sie sind in dieser Hinsicht so diskret wie wir.«
Letzteres löste bei den Zuhörern verhaltene Belustigung aus, während De Koninck fortfuhr: »Die Vereinten Nationen können so viele Berichte über Blutcoltan verfassen wie sie wollen. Solange die Welt sich von Mikrochips abhängig macht und die horrenden Ausgaben für Rüstungsgüter weiter anhalten, sind unsere Geschäfte nicht in Gefahr. Jährlich über eine Milliarde neuer Mobiltelefone, zu über fünfzig Prozent in China gefertigt und von allen namhaften Herstellern in Auftrag gegeben. Und ausnahmslos alle von ihnen streiten ab, Coltan aus Bürgerkriegsgebieten zu verarbeiten. Wie soll das wohl möglich sein? Und was die militärische Aufrüstung angeht, so steuern wir einem neuen „Kalten Krieg“ entgegen. Raketenabwehrschilde am Boden und Lenkwaffensysteme für den erdnahen Orbit etcetera, etcetera. – Sie sehen, meine Herren, Unmoral und Verantwortungslosigkeit fangen nicht mit uns an und hören nicht bei uns auf. Wir liefern lediglich den Lebenssaft für die moderne menschliche Zivilisation. Alles verläuft ohne nennenswerte Zwischenfälle.«
Der Sicherheitschef der SYTRAX, Ruben Wouters, räusperte sich verhalten. »Ich gebe den gewaltsamen Tod mehrerer NGO-Mitarbeiter in Ituri und einer hochrangigen Persönlichkeit in Bukavu zu bedenken.«
Der IOD-Repräsentant reagierte mit Geringschätzung: »Ach wirklich? Die NGOs wird man nie mehr finden. Im Zweifel sind sie eben von irgendwelchen marodierenden Milizen oder ugandischen Patrouillen getötet worden. Und was den allzu neugierigen Provinzgouverneur in Bukavu angeht – er war nur ein korrupter Mafioso, der von der lokalen Konkurrenz ausgeschaltet worden ist. Unsere ruandischen Freunde haben für genau diesen Eindruck gesorgt. Ich versichere Ihnen, dass die IOD ihr Handwerk versteht.«
»Verzeihung. Selbstverständlich ist Ihre IOD der Inbegriff der Perfektion«, zeigte sich Wouters angriffslustig.
»Wollen Sie mich herausfordern? Das würde ich mir an Ihrer Stelle besser genau überlegen.«
»Schluss jetzt!«, herrschte De Koninck seinen Sicherheitschef an. »Sie konzentrieren sich besser auf den Schutz unserer Investitionen im Ituri-Gebiet! Das ist Aufgabe genug! Ich will sehr hoffen, Sie bekommen keine Gewissensbisse, Wouters. Das wäre völlig fehl am Platz. Mit unseren Aktivitäten sind wir schließlich am gewaltsamen Tod von drei Millionen Afrikanern mitbeteiligt. Und wenn wir unsere Kolonialgeschichte bemühen wollen, kommen noch einmal zehn Millionen Kongolesen hinzu. Nazi-Deutschland hat es dagegen auf gerade mal sechs Millionen Juden gebracht. Die vernichteten Juden sind noch immer allgegenwärtig, die vernichteten Kongolesen nicht. Wieso ist das wohl so? Na?« Ein Moment der Stille kehrte ein, als seine Mitarbeiter betreten vor sich hinstarrten und der IOD-Mann unbeteiligt zum Fenster sah.
»Weil die Kongolesen, genau wie der Rest der Schwarzafrikaner, keine Lobby in der Welt haben und es deshalb niemanden interessiert! Und da machen Sie sich Gedanken um diesen kleinen Kollateralschaden?!«
Sichtlich zerknirscht erwiderte Ruben Wouters darauf nichts. Das Gesicht des IOD-Repräsentanten spiegelte hingegen Genugtuung wider, während die übrigen beiden Sitzungsteilnehmer erwartungsvoll zu ihrem Patriarchen schauten.
Ruhig fuhr der alte Mann an alle gerichtet fort: »Inkonsequenz und Scheinheiligkeit sind mir zuwider, meine Herren. Tun Sie Dinge nur, wenn Sie diese vor sich auch verantworten können. Und wenn Sie die notwendigen Schritte veranlassen, dann mit aller gebotenen Konsequenz. Ansonsten sind Sie den Erfordernissen nicht gewachsen.«
Wie zur Demonstration wandte sich der Redner an den IOD-Mann: »Wie sieht es mit diesem wortgewaltigen kongolesischen Professor aus? Ist da eine schnelle Endlösung in Sicht?«
»Professor Julius Kajembe lebt bereits seit Jahren in Paris. Aber in vier Tagen wird er einen Vortrag halten – hier in Brüssel. Ich habe mit meinen Vorgesetzten Rücksprache gehalten. Die Angelegenheit wird direkt am Vortragsort bereinigt.«