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2.

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Er blickte in den Spiegel und hörte das Lachen. Dieses zynische, spöttische Lachen. Es kam von allen Seiten und drückte wie gewaltige Wassermassen.

Damals, nachdem er endlich begriffen hatte, was vor sich ging, hatte er es zum ersten Mal gehört. Das lag bereits einige Zeit zurück, aber längst nicht lange genug, um sich nicht daran zu erinnern, dass das Lachen damals genauso geklungen hatte, wie es heute klang. So klirrend kalt und so unumstößlich endgültig.

Sie betrat das Badezimmer und blieb hinter ihm stehen. Sie betrachtete ihn im Spiegel und las die Wut und Resignation in seinen Augen, sah diesen traurigen Ausdruck, den sie nur zu gut kannte.

»Wie geht es dir?«, fragte sie.

»Fantastisch«, knurrte er.

Sie nahm ihm die Haarbürste ab und legte sie zurück in den Korb aus geflochtenen Wasserhyazinthen, in dem seine wenigen Pflegeutensilien lagen.

Er betrachtete seine Finger und murmelte: »Schau' nur, wie vertrocknete Zweige, sie sehen so aus wie abgestorbene Holz-zweige. Bin ich etwa ein Scheißbaum?«

Während sie mit schnellen Griffen ihren Pferdeschwanz richtete, betrachtete sie ihr Spiegelbild und stellte einmal mehr fest, dass sie entsetzlich müde aussah. Es verwunderte sie nicht im Geringsten. Sie hatte einen leichten Schlaf und hörte es jede Nacht, wenn er sich laut stöhnend im Bett umdrehte, vor sich hin murmelte oder in die verschließbare Urinflasche pinkelte, die sie im Sanitätshaus gekauft hatte, damit er Nachts nicht aufstehen musste. Was sie allerdings seit längerem nicht mehr gehört hatte, war Schluchzen. Er weinte nicht mehr. Und ihr war klar, weshalb: Er hatte akzeptiert, was geschah und nahm es hin als etwas, das er nicht verhindern konnte.

Das niemand verhindern konnte.

»Ich bin froh, dass wir gestern Abend alles besprochen haben«, sagte er plötzlich und riss sie aus ihren Gedanken heraus. »Es wird nicht einfach für dich werden, Engel, aber ich erwarte, dass du dich an unsere Absprache hältst. Denn ab dann geht es nur noch um dich und nicht mehr um mich. Ich möchte nicht wissen, was los ist, wenn du dich nicht an die Absprache hältst und die Prozedur ihren üblichen Lauf nimmt.«

Sie verspürte ein Ziehen im Magen. Es stimmte, es wäre kaum auszudenken. Doch die Vorstellung von dem, was sie zugesagt hatte, behagte ihr ganz und gar nicht. Sie hoffte, dass ihr bis dahin noch eine Menge Zeit blieb – und gleichzeitig wünschte sie sich, dass es möglichst bald soweit sein würde. Dass der Tag rasch kommen würde.

»Wir machen es wie besprochen«, sagte sie und lächelte gequält.

»Gut, so ist es gut. Engel. Weißt du, auch wenn es kitschig klingt, aber ich hätte mir nie vorstellen können, jemals einem Menschen so dankbar zu sein wie dir. Ich könnte das, was du für mich tust, für niemanden tun. Nicht mal für dich. Ist das nicht eine schlimme Aussage, die ich da mache? Du leistest Unmenschliches für mich und musst dir anhören, dass ich dasselbe für dich nicht tun würde.«

»Das stimmt nicht, du würdest an meiner Stelle ebenso handeln.«

»Ach ja? Nun, zu deinem Glück werden wir es nie herausfinden.«

Sie wandte sich ab und sagte: »Ich werde mal losgehen und die Einkäufe erledigen.«

»Ach ja, deine tägliche Auszeit. Jeden Tag zwischen neun und zehn Uhr für ziemlich genau zwei Stunden, auch am Sonntag. Raus hier und durchatmen. Ja, das kann ich verstehen, Engel, ich verstehe es wirklich.«

Sie half ihm vom Schemel hoch.

»Es ist nicht schlechter geworden in den vergangenen Wochen«, sagte er und drückte gequält den Rücken durch. »Wäre ich ein beschissener Arzt, würde ich wohl gleichbleibend sagen, sozusagen stabil. Eigentlich sollte ich darüber froh sein, weil gleichbleibend im Grunde ein gutes Zeichen ist, aber ich bin nicht froh darüber, und mein Engel ist es auch nicht. Ist doch so, Engel, oder? Seien wir ehrlich: Es ist für dich nicht gut, dass es gleichbleibend ist.«

Mit kleinen Schritten verließ er das Badezimmer. Sie sah ihm hinterher. Es war schlichtweg unfassbar, was mit ihm geschah. Sie hatte etliche Male versucht, etwas darüber herauszufinden. Erst vor wenigen Tagen hatte sie einmal mehr stundenlang am Computer der öffentlichen Stadtbücherei gesessen und die größte Suchmaschine des Internets mit allen für sie infrage kommenden Stichworten gefüttert. Doch sie hatte dazu nichts gefunden, nicht einen einzigen Eintrag. So wie es aussah, war er ein Einzelfall, mit ihm geschah etwas Einmaliges.

Sie verließ das Badezimmer und folgte ihm über den schmalen Flur in das karge Wohnzimmer. Mit einem leisen Stöhnen setzte er sich in seinen angestammten Drehsessel.

Sie fragte: »Was möchtest du heute Mittag essen?«

Er überlegte kurz und sagte dann: »Nudeln, scharf wie ein anständiger Fick. Pasta arabiatta ficki, Engel.«

Sie hob genervt die Augenbraue.

Er sagte: »Sorry, sollte bloß ein Witz sein. Das mit dem Ficken ist natürlich reines Wunschdenken, ich schaffe es ja nicht mal mehr, mir einen runter zu holen. Ich kann an meinem Schwanz spielen, so viel ich will, da regt sich nichts. Das Ding ist bloß noch zum Pissen da.«

Sie verdreht die Augen. »Gut, und was willst du nun zum Mittagessen?«

»Nudeln mit Käsesauce wäre prima, dazu eine Flasche italienischen Weißen. Ein Pino, vielleicht. Was meinst du?«

»Ja, warum nicht. Klingt gut.«

»Das will ich doch wohl meinen. Heute Mittag hocken wir nicht in dieser muffigen Wohnung, sondern sitzen irgendwo in der Toskana auf einer Piazza am Tisch eines Restaurants. Engel, schöne und entspannte Menschen sitzen an den Nebentischen oder flanieren vorbei und fröhliche Kinder stecken uns mit ihrem Lachen an, ab und zu braust eine Vespa vorbei. Dolce vita, Engel.« Er streckte die Arme nach oben, blickte zur Zimmerdecke und rief: »Das Leben ist schön, preiset den Herrn! Halleluja, Hal-le-luja!«

Ausdruckslos sagte sie: »Ich schaue nach, was wir sonst noch benötigen.« Mit diesen Worten verließ sie den Raum.

Kurz darauf fiel die Wohnungstür zu. Er seufzte. Wie an jedem anderen Tag bestand die theoretische Möglichkeit, dass sie nicht zurückkehrte. Doch sie würde ihn nicht im Stich lassen, das hatte sie bisher nicht getan und würde es auch heute nicht tun. Sie war der großartigste Mensch, der jemals geboren worden war. Für jeden Tag, den sie ihm schenkte, verzichtete sie auf einen Tag ihres Lebens. Doch sie klagte nicht, für sie war es wie selbstverständlich. Sie war ein Engel in Menschengestalt.

»Verehrte Kunden, bis auf diesen einen Engel sind leider alle Engel ausgestorben, und daraufhin mussten wir leider die Engelsabteilung schließen«, sagte er in den leeren Raum hinein. »Bitte besuchen Sie stattdessen die Teufelsabteilung im sechshundertsechsundsechzigsten Untergeschoss. Aber Vorsicht, dort unten ist es höllisch heiß, doch was macht das bisschen Hitze schon aus? Es erwartet Sie dort unten eine große Auswahl an Teufeln. Suchen Sie sich dort Ihren persönlichen Lieblings-abgründigen aus. Meine Damen und Herren,wir wünschen Ihnen einen diabolischen Einkauf!«

Mit einer kurzen Handbewegung wischte er das Wasserglas vom Beistelltisch. Es flog ein kurzes Stück, dann fiel es zu Boden und zerbrach. Er würde ihr nachher sagen, das Glas sei ihm aus der Hand gerutscht, es täte ihm leid. Ob sie ihm glaubte oder nicht, würde sie für sich behalten. Sie würde schweigend die Scherben aufsammeln und die Splitter im Beutel des Staubsaugers verschwinden lassen, und es wäre ihr egal, dass es einmal mehr danach aussah, als sei sie seine Leibeigene, seine Sklavin. Es machte ihr nicht das Geringste aus, sich für ihn klein zu machen – und genau darin lag ihre tatsächliche Größe.

Sein lieber, selbstloser Engel.

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