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Das Spiegelbild

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Alexander von Werdenberg stand am Fenster und beobachtete mit dem nachgefüllten Whiskeyglas in der Hand, wie Philipp Humboldt das Gebäude verließ und um die Ecke des Hotel Savoy verschwand. Er bemerkte gerade noch rechtzeitig die kleine Biene, die – angezogen vom intensiven Geruch des Getränks – in ebendiesem um ihr Leben strampelte. Von Werdenberg befreite das emsige Arbeitstier mit dem Zeigefinger, öffnete das Fenster und beförderte die Biene vorsichtig auf den Fenstersims, wo sie sich nach einer kurzen Verschnaufpause aus dem Staub machte.

Zufrieden ging von Werdenberg in den Nebenraum, in dem er über die Jahre unzählige Nächte verbracht hatte. Boxspringbett, Waschraum, Ankleide, ein ultramodernes Kinesis-Trainingssystem, was zum Teil seine kräftige Statur erklärte. Hinter einer weiteren Tür verbarg sich eine schmale Wendeltreppe, die das Réduit mit der privaten Tiefgarage unter dem Gebäude verband. So konnte von Werdenberg ungesehen kommen und gehen, wann er wollte. Der Bankier wusch sich sorgfältig Hände und Gesicht. Dann drehte er sich um und blickte in die Augen seines Gegenübers. In seine Augen.

»Was ist, wenn er es herausfindet? Dieser Humboldt ist nicht auf den Kopf gefallen. Und seine Visage gefällt mir gar nicht. Müsste mal bearbeitet werden.« Alexander von Werdenbergs Ebenbild hatte etwas Sardonisches, Grobes. Und die Hautfarbe war fahler als beim Original.

»Ich muss Gewissheit haben, dass unser Geheimnis nie an die Öffentlichkeit gelangt. Es ist an der Zeit, einen Schlussstrich zu ziehen. Julia kann mit ihrer Stiftung viel bewirken. Aus Bösem wird so Gutes entstehen. Wir beide sind dem Namen von Werdenberg etwas schuldig. Glaub mir, der Professor ist unser Mann.« Alexander von Werdenberg schloss die Augen und versuchte, sich an die Geschehnisse jener Zeit zu erinnern. Es war ein Abgrund, der ihn jederzeit verschlingen konnte. Hastig katapultierte er sich in die Gegenwart zurück.

Der Fahle war nach wie vor nicht überzeugt. »Um unser Geheimnis zu schützen, soll Humboldt die Firmengeschichte schreiben? Das macht keinen Sinn! Lassen wir die schlafenden Hunde ruhen. Du wirst im fortgeschrittenen Alter noch zum Reichsbedenkenträger.«

»Kann sein«, murrte von Werdenberg zurück. »Doch nur dank meiner Kunst des Zweifelns ist unser Geheimnis bislang unentdeckt geblieben. Und so soll es auch bleiben. Durch den Verkauf der Bank wird unser Name sowieso an die Öffentlichkeit gezerrt. Sollte es also wirklich schlafende Hunde geben, die unser Geheimnis kennen, will ich sie aufstöbern, bevor sie zu kläffen beginnen. Jetzt können wir noch angemessen reagieren, sie zum Schweigen bringen. Vertrau mir. Ein letztes Mal. Wenn dieses Kapitel geschrieben ist, sind wir sicher. Und wenn Humboldt uns tatsächlich auf die Spuren kommen sollte, dann hat er mindestens so viel zu verlieren wie wir. Wenn nicht mehr. Er ist wie eine Marionette in unserer Hand. Und für den Notfall haben wir ja Horowitz.«

»Es ist dein Plan. Aber er beginnt mir zu gefallen. Wenn nötig, kann ich auch selber Hand anlegen. Es wäre nicht das erste Mal!« Das Ebenbild verzog sein Gesicht zu einem bösartigen Grinsen.

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