Читать книгу Heliosphere 2265 - Der komplette Fraktal-Zyklus - Andreas Suchanek - Страница 21
Raumdock Mars III, Interlink-Kreuzer HYPERION, Persönliches Quartier von Commander Noriko Ishida, 26. Dezember 2265, 07:30 Uhr
ОглавлениеEntspannt stand Noriko in der Mitte ihres Quartiers. Sie hatte die Beleuchtung deaktiviert. Die einzige Lichtquelle war der Schimmer der Navigationsbeleuchtung von Raumwerft III, der von außen hereinsickerte. Die HYPERION war noch immer angedockt. Vermutlich würde Captain Cross während seines Treffens mit Admiral Sjöberg neue Befehle erhalten.
Während sie ihren Geist treiben ließ, führte ihr Körper die jahrelang eingeübten Bewegungen des Tai Chi Chuan durch. Die alte chinesische Kampfkunst war ein Hobby, das beides – Geist und Körper – stärkte.
Noriko hielt in ihren Bewegungen inne und atmete frustriert aus. Ihr Geist glich einem sturmgepeitschten Ozean. Sie konnte nicht loslassen, nicht entspannen.
Immer wieder wanderten ihre Gedanken zu Admiral Michalew. Sie hatte Captain Cross von den damaligen Ereignissen erzählt. Der geheimen Verbindung zwischen dem Admiral und den von ihm protegierten Offizieren, die Noriko vor Jahren aufgedeckt hatte. Michalew war der folgenden Untersuchung unbeschadet entgangen und machte ihr seitdem das Leben zur Hölle. Kurz nach den damaligen Ereignissen versetzte er sie auf die INCEPTION, wo seine Anhänger alles taten, um ihr den Dienst zu erschweren. Am Ende traf der Captain in einem Gefecht die falsche Entscheidung, was den Tod vieler Offiziere nach sich zog. Doch seine Crew deckte ihn, und so schob man das Debakel Noriko in die Schuhe.
Admiral Sjöberg war als Einziger auf ihrer Seite gewesen; ihm verdankte sie den Posten auf der HYPERION. Doch Noriko gab sich keinen Illusionen hin. Michalews Macht reichte weit. Er würde sich auch jetzt wieder etwas einfallen lassen, um ihr zuzusetzen. Die Gerüchte um den Verlust der INCEPTION und ihre vermeintliche Beteiligung daran machten längst die Runde an Bord. Sie konnte nichts dagegen tun.
Immerhin wusste Cross Bescheid, für ihn würde es also kein böses Erwachen geben. In naher Zukunft musste auch er sich dem Admiral stellen, denn wer zwischen Michalew und Noriko stand, wurde unweigerlich selbst zur Zielscheibe.
Sie versuchte erneut, ihren Geist zu entspannen – es misslang. Aufseufzend schüttelte sie den Kopf und gab auf. Ihr Dienst begann erst in einer Stunde, was konnte sie bis dahin tun, um sich abzulenken? Sie beschloss, schon jetzt die Kommandobrücke aufzusuchen. Anstatt weiter über Vergangenes nachzudenken, konnte sie sich auch den Berichten und Anfragen widmen, die ihren persönlichen Speicher zweifellos überschwemmten.
»Alpha 365 an Commander Ishida«, erklang die emotionslose Stimme des Sicherheitschefs aus dem Interkom.
»Ishida hier.«
»Commander, vor einer halben Stunde kam es zu einer tätlichen Auseinandersetzung an Bord. Ich habe die Verantwortlichen ins Sicherheitsbüro gebracht.«
»Ich bin unterwegs.«
Eine tätliche Auseinandersetzung? Eine schöne Umschreibung für eine Schlägerei. In der Regel fand so etwas höchstens auf dem Erholungsdeck statt und wurde nicht nach außen getragen.
Schnell legte sie ihre Trainingsrobe zur Seite und schlüpfte in die Uniform der Space Navy. Der multidirektionale Lift brachte sie innerhalb weniger Minuten zum Sicherheitsbüro von Alpha 365, dem genetisch designten Sicherheitschef der HYPERION.
»Commander«, begrüßte sie der breitschultrige Offizier mit den kurzen dunkelblonden Haaren. »Danke, dass Sie so schnell gekommen sind.«
»Eine tätliche Auseinandersetzung an Bord eines Schiffes der Space Navy ist nichts Alltägliches.« Zumindest wenn sie außerhalb des Erholungsdecks und im aktiven Dienst geschieht. »Was genau ist passiert?«
Der Alpha deutete auf eine Sitzbank. Auf ihr saßen ein junger Marine – Noriko schätzte ihn auf Anfang zwanzig – und ein Brückenoffizier.
Sie riss überrascht die Augen auf. »Lieutenant Walker!« Noriko fixierte Bruce Walker ungläubig. Dank seiner hervorragenden taktischen Fähigkeiten arbeitete er an der sekundären Taktikstation auf der Brücke und bereitete Daten für Lieutenant Commander Akoskin auf. »Meine Herren, ich bin sehr auf ihre Erklärung gespannt.«
Walker presste mit grimmigem Blick die Lippen zusammen. Der Marine – Private Burg, wie sie dem Bericht entnahm, den Alpha 365 ihr reichte – blickte voller Unbehagen zu ihr auf, senkte dann den Blick und schloss sich dem Schweigen von Lieutenant Walker an.
»Die beiden weigern sich, Details über das Geschehen preiszugeben«, sagte der Sicherheitschef. »Zeugen haben ausgesagt, dass Lieutenant Walker negative Aussagen über einen Senioroffizier machte, worauf Private Burg eine tätliche Auseinandersetzung begann.«
Noriko fing den bedeutungsschweren Blick des Alphas auf und verstand. Deswegen hatte er sie gerufen und nicht den diensthabenden Offizier. Lieutenant Walker hatte sich negativ über sie geäußert, und Private Burg hatte zu ihrer Ehrenrettung einen Kampf begonnen.
Noriko gab sich äußerlich emotionslos. Ein Spiegelbild von Alpha 365. Dabei wäre sie am liebsten davongelaufen. Warum führte sie diesen Kampf überhaupt noch? Das einzig Sinnvolle wäre es, um ihre Entlassung zu ersuchen und endlich nach Hause zurückzukehren, zu ihren Eltern und ihrer Schwester – in die Geborgenheit der Familie, die sie so sehr vermisste.
Andererseits, was würde ihre Mutter zu ihr sagen? Eine Ishida gibt nicht auf! Du hast ehrenhaft gehandelt und musst dich für nichts schämen!
»Private Burg, für einen Offizier der Space Navy ist es eine Schande, eine derartige Auseinandersetzung zu beginnen. Ich werde mit Corporal Pride über eine angemessene Strafe sprechen.« Wieso bist du nicht einfach zu mir gekommen, verdammt! Eine Schlägerei war unentschuldbar, aber zweifellos konnte die Strafe ein wenig gemildert werden. Immerhin hatte Burg sich für die Ehre eines anderen Offiziers eingesetzt.
»Wegtreten!« Sie wartete, bis der junge Private den Raum verlassen hatte, dann wandte sie sich an Alpha 365. »Würden Sie uns bitte für einen Moment alleinlassen?«
Der Sicherheitschef nickte in seiner typisch stoischen Art und verließ den Raum.
»Gibt es etwas, das Sie mir sagen möchten, Lieutenant?« Noriko trat auf Armeslänge an den Brückenoffizier heran. Dieser musste seinen Kopf in den Nacken legen, um den Blickkontakt weiter aufrechtzuerhalten.
»Ich würde Ihnen gerne eine Menge sagen, glauben Sie mir«, erwiderte Walker. In seinem Gesicht arbeitete es. Es fiel ihm sichtlich schwer, seine Abscheu zurückzuhalten.
»Wenn dem so ist, haben Sie die Erlaubnis, frei zu sprechen. Nichts von dem, was Sie hier sagen, wird in Ihrer Akte erscheinen.« Carte blanche.
»Also gut.« Der Lieutenant stand auf. Sein Gesicht war nur noch wenige Zentimeter von ihrem entfernt. »Sie sind eine Schande für diese Uniform. Zuerst verraten Sie den Admiral und dann fliehen Sie vor einem Kampf, nur weil es gefährlich wird, und lassen eine Kolonie zurück. Sie widern mich an. Genau wie Sjöberg und seine Waschlappen, die Leute wie Sie auf ein Schiff wie die HYPERION versetzen. Wenn… »
»Genug.« Noriko legte all ihre Autorität und jedes Quäntchen an Kälte in dieses Wort. Tatsächlich brachte sie Walker damit zum Verstummen. Vermutlich wurde ihm bewusst, dass er trotz ihrer Erlaubnis, frei zu sprechen, zu weit gegangen war. »Sie haben Ihren Standpunkt deutlich gemacht, Lieutenant. Nichtsdestotrotz werde ich es nicht dulden, dass Sie meine Autorität untergraben. Überlegen Sie sich Ihr weiteres Vorgehen also ganz genau.«
»Das werde ich.« Er schwieg gerade so lange, dass es nicht als direkte Beleidigung durchging. Erst dann fügte er hinzu: »Ma’am.« Seine Augen funkelten böse.
Noriko machte nicht einmal den Versuch, ihm die Wahrheit zu erklären. Lieutenant Walker hatte die Lügen von Michalew und seinen Anhängern verinnerlicht. »Wegtreten!«
Mit einem letzten Blick voll stillem Hass verließ Walker das Büro von Alpha 365, der kurz darauf zurückkehrte. Noriko gab ihm zu verstehen, den Vorfall aus beiden Akten herauszuhalten. Dieses Problem musste sie alleine klären, ohne Captain Cross.
Aber vorher benötigte sie weitere Informationen. Und sie wusste genau, wer ihr die liefern konnte.
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