Читать книгу Heliosphere 2265 - Der komplette Fraktal-Zyklus - Andreas Suchanek - Страница 9
IL HYPERION, Beim Einflug ins Elnath-System (Beta Tauri), 12. November 2265
Оглавление»Ich schleuse die Aufklärer aus«, meldete Lieutenant Tess Kensington von der Ortungskonsole. »Kurzphasensprünge werden ausgeführt.«
Jayden vertiefte sich in die Anzeige im Holotank. Die winzigen – und billigen – Phasensonden schossen aus dem Bug der HYPERION und verteilten sich über das System. Da das Schiff gerade auf Unterlichtgeschwindigkeit gefallen war, konnten die Sonden die Restgeschwindigkeit ausnutzen und sprangen direkt in das untere Band des Phasenraums. Hier führten sie auf divergierenden Vektoren einen Überlichtflug durch und erreichten lange vor der HYPERION das Innere des Systems. Mit stark gebündelten Phasenstrahlen wurden die Sensorergebnisse überlichtschnell zum Schiff transferiert. Da es sich um ein unbewohntes System handelte, in dem keine Phasenstörer zum Einsatz kamen, wurden die Sonden nicht behindert. Erst wenn die Kiesel – wie die meisten Offiziere die Sonden nannten – die Sensorplattformen der PROTECTOR gefunden hatten, konnte die HYPERION dank gerichteter Laser zur Datenübertragung auf diese zugreifen.
»Ich habe erste Ergebnisse«, sagte Kensington Minuten später. »Wie uns durch die Tiefraumsensoren bekannt war, ist die Sonne des Systems vom Spektraltyp B7: ein blauweißer Stern. Ausgehend von diesem existieren vier Planeten im System. Planet eins und zwei sind Glutöfen, Nummer drei ein Gasriese; 35 AE von der Ekliptik entfernt gibt es einen Kuipergürtel. Planet vier befindet sich in der habitablen Zone.«
Im Holotank wurden immer mehr Areale des Systems sichtbar, während Jayden auf seiner Kommandokonsole magnetische und exotische Teilchenspektren der Auswertung angezeigt bekam. Er berührte verschiedene Icons auf der Konsole und filterte so die unwichtigen Ergebnisse aus. Die Stellarkartografie würde sich freuen, er war jedoch eher an brauchbaren Fakten interessiert.
»Die Aufklärer haben den Ausgangspunkt der Strahlung – einen Planetoiden – beidseitig passiert«, sprach Kensington weiter, wie es das Protokoll verlangte. Natürlich konnten die Offiziere das Ganze im Holotank verfolgen. »Es gibt keinerlei Anzeichen für Neutrinostrahlung, Fusions- oder Antimateriekraftwerke. Keine Wärmesignaturen, Bevölkerungszentren oder Orbitalanlagen. Es gibt einige Satelliten im Orbit, die jedoch nicht mehr aktiv sind. Sauerstoff-, Ozon- und Stickstoffwerte liegen nahezu auf Normalwert.«
»Klingt nach einer recht angenehmen Biosphäre«, sagte Commander Ishida. Sie warf einen Blick auf ihre Konsole. »Und die Satelliten deuten auf eine fortschrittliche Entwicklung hin. Wie kann es sein, dass dort unten keinerlei Lebenszeichen angemessen werden?«
Jayden erwiderte ihren Blick nicht minder besorgt. »Da fielen mir auf Anhieb ein paar sehr unschöne Szenarien ein.«
»Die Infrarot-Sensoren melden geothermische Bohrungen, anscheinend automatisiert.« Auch Lieutenant Kensington wirkte ob der widersprüchlichen Parameter beunruhigt. »Keinerlei Verteidigungsanlagen feststellbar.« Im Holotank wurden die Katalog-Bezeichnungen des Sterns und der Planetoiden eingetragen.
»Auf der Grundlage aller aktuellen Daten über das Elnath-System gibt es gegen einen geostationären Orbit nichts einzuwenden«, sagte Lieutenant Kensington.
Jayden nickte Peter Task hinter der Navigationskonsole zu. »Bringen Sie uns zu Elnath IV.«
Während die HYPERION auf den Planeten zuflog, wurden die endlich entdeckten Sensorplattformen der PROTECTOR mit den Auswertemodulen der HYPERION verlinkt. Die Annäherung von fremden Schiffen konnte nun bemerkt werden, ohne dass sie ihre eigenen Plattformen ausschleusen mussten.
Und die gebündelten Phasenstrahlen konnten die Daten nicht nur überlichtschnell übermitteln, sondern funktionierten auch ohne Phasenfunk-Relais, solange sie exakt angesprochen wurden.
»Sie glauben, auf dem Planeten ist das Gleiche geschehen wie auf der PROTECTOR?« Die Stimme seiner I.O. riss Jayden aus seinen Grübeleien.
»Es liegt auf der Hand, meinen Sie nicht? Alle Parameter deuten darauf hin, dass es hier einst eine hoch entwickelte Zivilisation gab. Davon ist heute nichts mehr zu finden.«
»Dafür kann es viele Gründe geben.«
»In der Tat. Und ich hoffe, Sie haben recht. Andernfalls haben wir es mit einer Gefahr zu tun, die bisher auf dem Planeten und einem Schiff der Space Navy zugeschlagen hat.«
Seine I.O. warf ihm einen durchdringenden Blick zu. »Ein Virus? Eine neurologische Waffe? Nano-Technik? Vermutlich etwas, das noch immer aktiv ist und von Elnath IV fortgebracht werden kann.«
»Eine solche Waffe in der Hand der Parliden oder der Piraten des Eriin-Bundes, und wir haben ein ernstes Problem.« Jayden atmete bedeutungsschwer aus, verzichtete jedoch auf weitere Bemerkungen. Sie würden die Wahrheit hoffentlich bald erfahren.
»Sir!« Der Ausruf von Lieutenant Kensington ließ ihn zusammenzucken. »Die Sensoren erfassen ein Schiff im Orbit. Es befand sich auf der Nachtseite des Planeten und wurde aufgrund einer hochwertigen Stealth-Legierung erst jetzt erkannt.«
»Signatur?«
»Es ist ein Parlidenraumer.«
»Lieutenant McCall, rufen Sie das Schiff.« Commander Ishida setzte sich auf. An Jayden gewandt, fügte sie etwas leiser hinzu: »Vielleicht haben wir hier die Lösung unseres Rätsels.«
Eine Hoffnung, die kurz darauf enttäuscht wurde.
»Unser Kontaktversuch wird nicht beantwortet, Sir«, meldete Lieutenant McCall.
»Lieutenant Kensington, schicken Sie eine Sensorplattform näher heran«, befahl Jayden. »Ich will wissen, ob die ihre Waffen scharf machen.«
*
Als Jayden mit Commander Ishida die Krankenstation betrat, schwebte das Parlidenschiff noch immer im Orbit des Planeten. Die Sensorplattformen hatten einen Nahbereichsscan durchgeführt. An Bord des Schiffes konnten keinerlei Lebenszeichen geortet werden.
»Grauenvoll!« Doktor Petrova blickte voller Abscheu auf ihr Pad. Jayden hatte ihr die ausgewerteten Daten in ihren persönlichen Speicher überspielt, auf den das Pad Zugriff nahm. »Die von den Sonden genommenen Proben der Oberfläche deuten darauf hin, dass die Planetenbevölkerung vor etwa fünf Jahren vollständig ausgelöscht wurde. Genaueres kann ich erst nach einer eingehenden Analyse sagen.«
»Lieutenant Kensington hat die Quelle der zersetzenden Strahlung identifiziert, die wir auf der Oberfläche angemessen haben.« Jayden ließ das Ergebnis des 3D-Scans im Holotank von Petrovas Büro erscheinen.
»Was ist das?« Die Ärztin beugte sich gebannt nach vorne.
»Das wissen wir nicht.« Atmosphärentaucher hatten den gesamten Planeten umrundet und dabei am nördlichen Pol ein Artefakt entdeckt. Bisher hatten sie noch kein visuelles Abbild, da jeder Taucher, der dem Artefakt zu nahe kam, die Funktion einstellte und abstürzte. Lediglich eine oberflächliche Strahlenmessung gelang. Und genau deshalb hatte er mit Commander Ishida die Krankenstation aufgesucht. Er wollte den Rat von Doktor Petrova einholen. »Wir hatten gehofft, Sie könnten uns nach der Untersuchung der biologischen Rückstände und deren Abgleich mit diesen Strahlungswerten mehr sagen.«
Die Chefärztin verneinte. »So einfach ist das nicht. Wenn ich die Anzeigen richtig deute, emittiert das hier dargestellte Gebilde Röntgen- und Gammastrahlung. Ich wüsste nicht, wie das das Verhalten der Crew der PROTECTOR hätte beeinflussen sollen, zumal es sich ja auch nicht an Bord befand. Die Crew hätte hier damit in Kontakt kommen müssen. Aber das würde zum Tod führen, nicht zum Wahnsinn. Zudem gäbe es keine zeitversetzte Wirkung. Wenn es allerdings vor einigen Jahren noch stärker strahlte, ist es wahrscheinlich, dass es für den Tod der Planetenbevölkerung verantwortlich ist. Der hohe Anteil an Gamma-Strahlung führt zum Zellverfall. Ich konnte zudem eine Destabilisierung der neuralen Bahnen bei Lieutenant Larik nachweisen. Warum der Parlide in Stase überlebte, kann ich Ihnen allerdings nicht sagen. Mister Larik verdankt dies seiner marsianischen Abstammung. Aufgrund dieser wurde der Verfall gestoppt, als er ins Heilkoma versetzt wurde.«
»Wann können Sie ihn aufwecken?«
»Ich denke in einigen Stunden«, sagte Petrova. »Aber nageln Sie mich nicht darauf fest. Die Sicherheit des Patienten geht vor.«
»Natürlich.« Jayden überdachte seine Optionen. Im Holotank schwebten die Kurvenverläufe und Skalen der ausgewerteten Strahlung. »Ich schicke die Marines mit einem Team aus Wissenschaftlern hinunter«, sagte Jayden. »Ein Shuttle kann sie absetzen. Die Schutzanzüge werden sie vor der Strahlung schützen. Wir müssen einfach mehr über die Quelle erfahren.«
Doktor Petrova starrte beunruhigt auf die Skalen. »Wenn ich mir die Scans von Lieutenant Larik so ansehe, dann ist es ein Wunder, dass er nicht ebenfalls gestorben ist. Wir wissen nicht, warum die Besatzung der PROTECTOR durchdrehte, Sir. Die Anzüge schützen die Marines vor der uns bekannten Strahlung, aber auch nicht mehr.«
»Das ist mir bewusst, Doktor«, sagte Jayden. »Aber wir haben schlicht und einfach keine andere Wahl. Was ist, wenn es sich dort unten um eine Waffe der Parliden handelt? Oder die Waffe einer uns noch unbekannten Spezies? Dieses Ding hat eine Planetenbevölkerung ausgelöscht. Wir müssen wissen, worum es sich handelt. Glauben Sie mir, diese Entscheidung treffe ich nur ungern. Mir ist jedes Leben wichtig. Aber es werden alle Sicherheitsvorkehrungen getroffen, um die Marines und die begleitenden Wissenschaftler zu schützen.«
»Natürlich, Sir.« Doktor Petrova legte ihr Pad zur Seite. »Ich wollte Ihnen nichts anderes unterstellen. Und mir ist die Gefahr ebenso bewusst wie der Zeitdruck, unter dem wir stehen. Es gefällt mir nur nicht, so überhastet handeln zu müssen.«
»Mir auch nicht, Doktor. Doch wir müssen schnell handeln.« Mit einem Nicken zum Abschied verließen Ishida und er die Krankenstation.
Den missbilligenden Blick von Doktor Petrova spürte er noch lange im Nacken.
*
Während die Kommandobrückencrew weiter an der Auswertung der Sondendaten arbeitete und die Marines sich auf ihren Einsatz vorbereiteten, überflog Jayden die neuesten Berichte, die von den einzelnen Abteilungen gesendet worden waren.
So viel zur ruhigen ersten Mission!
Er nahm einen ordentlichen Schluck rentalianisches Ale. Die rauchige Note der bernsteinfarbenen Flüssigkeit breitete sich im Gaumen aus und floss feurig die Kehle hinab. Das Getränk würde innerhalb weniger Minuten für einen Anstieg seines Endorphinhaushalts sorgen – Glück zum Trinken. Gleichzeitig blieb die berauschende Wirkung von Alkohol aus.
Jayden fixierte das projizierte Konterfei, das über seinem Schreibtisch in der Luft schwebte. Es zeigte Alpha 365, seinen Sicherheitschef.
Der genetisch gezüchtete Lieutenant Commander glich äußerlich einem Menschen. Mit seinem braunen Haar und dem alterslosen Gesicht wirkte er wie der Prototyp des vertrauenerweckenden Schwiegersohns. Die breiten Schultern und die beachtliche Größe von 1,90 Metern verliehen ihm etwas Martialisches, was er im Dienst jedoch hervorragend verbarg.
Jayden hatte erst drei Mal mit ihm gesprochen. Meist verrichtete der Alpha seine Arbeit schweigend im Sicherheitsbüro des Schiffes.
Er erkannte durchaus den Sinn darin, auf allen Schiffen der Solaren Union Sicherheitschefs der Alpha-Linie einzusetzen. Die Genetiker von Kassiopeia wurden nicht müde, deren Vorzüge anzupreisen. Absolute Loyalität, Unbestechlichkeit, eine hundertprozentige Befolgung des Protokolls und das Wichtigste: Sie besaßen keinerlei Emotionen. Sie handelten stets logisch, waren gar nicht in der Lage, etwas Unvorhergesehenes, ja Dummes zu tun.
Leider war es genau dieser Umstand, der ihn zweifeln ließ. Er hatte erlebt, wie beinahe eine ganze Kolonie ausgelöscht worden war, als der Sicherheitsbeauftragte – ein Beta-Modell – das Protokoll einhalten und sich ergeben wollte.
Schnell schüttelte er den Kopf, um die Gedanken zu vertreiben, und nahm einen weiteren Schluck des Ales.
Er hätte seine Zweifel gerne mit Janis besprochen, doch darauf musste er verzichten. Es hatte auch Nachteile, einen Psychologen als Freund zu haben. Zwar war er froh darüber, Janis als seinen Freund bezeichnen zu dürfen, dessen Analysefähigkeiten jedoch oftmals mehr als nervig waren. Am Ende des letzten Gesprächs hatte Janis ihm ein paar schmerzhafte Wahrheiten um die Ohren gehauen und ihn dazu aufgefordert, sich endlich zusammenzureißen. Er – Jayden – sei nicht umsonst auf diesem Posten. Er solle damit anfangen, an seine Fähigkeiten zu glauben. Zu seinem Wohl und dem seiner Offiziere.
Jayden ließ die Anzeige von Alpha 365 verschwinden und widmete sich den aktuellen Problemen. Sie hatten einen Parliden an Bord, was alleine bereits einen erheblichen Konflikt auslösen konnte. Obendrein schwebten sie im gleichen Orbit wie ein weiteres dieser verdammten Parlidenschiffe. Wenn eine Patrouille sie hier fand … er wollte gar nicht daran denken.
Der Weg vom Helden, der eine Kolonie gerettet hatte, zum Paria, der einen neuen Krieg eingeleitet hatte, war verdammt kurz.
»Maschinenraum an Captain Cross«, erklang die Stimme von Lieutenant Commander Lorencia aus dem Interkom. Ihr Unterton verhieß nichts Gutes.
»Cross hier. Ich nehme nicht an, dass Sie gute Nachrichten für mich haben, Commander?«
»Ich fürchte, damit liegen Sie richtig, Sir.« Seine L.I. atmete schwer aus. »Wir haben das Problem am Helix-Konverter gefunden. Prinzipiell ist es keine große Sache, doch um es zu beheben, muss ein bestimmtes Element rekonfiguriert werden. Und das geht leider nur, wenn wir den Konverter abschalten.«
»Das ist ein denkbar ungünstiger Zeitpunkt, Commander«, sagte Jayden. »Damit sitzen wir auf dem Präsentierteller und können nicht mal verschwinden, falls wir Besuch bekommen.«
»Das ist mir klar, Sir. Doch wenn ich das Problem nicht behebe, läuft es auf das Gleiche hinaus. Dann verlieren wir die Antriebsenergie nach einem Flug von weiteren ein bis zwei Lichtjahren. Bei einer Flucht wäre das eine Katastrophe. Wenn ich mich jetzt sofort um das Problem kümmere, ist es in einigen Stunden erledigt. Wir leeren den Speicherring, um eine Rückkopplung zu vermeiden, deaktivieren den Konverter und …«
»Definieren Sie ›einige‹«, unterbrach Jayden. Lieutenant Commander Lorencia neigte zu ausschweifenden technischen Erläuterungen. Und während er diese in der Regel mit einem Lächeln und einem Nicken überstand, blieb dafür jetzt keine Zeit.
»Da die gesamte Interlink-Technik noch experimentell ist, kann ich mich nicht so genau festlegen. Meine Schätzung liegt bei fünfzehn Stunden.«
»Tun Sie es.«
»Aye, Sir.« Lorencia unterbrach die Verbindung.
Mit einem Mal fühlte Jayden sich verdammt müde.
*