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Bedeckung in antiken Kulturen

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Im Kulturraum vom westlichen Mittelmeer bis zum Himalaya besteht die Tradition des Schleiertragens schon seit Tausenden von Jahren. In den verschiedenen Kulturen und Epochen waren die Art der Schleier und die damit verbundene Bedeutung jedoch höchst unterschiedlich und lassen sich auf keinen gemeinsamen Nenner bringen. Schleier kommen bei Frauen wie bei Männern vor; sie bedecken bald das Gesicht oder aber nur die Haare oder sitzen lediglich als Kopfbedeckung auf dem Haupthaar; sie markieren einen sozialen Stand oder einen Zivilstand oder auch eine berufliche Rolle. Das deutsche Wort «Schleier» trägt dieser Fülle möglicher Zusammenhänge nicht Rechnung, sondern deutet lediglich an, dass von einem Stück Stoff die Rede ist, das am Kopf getragen wird oder aber einen Gegenstand abdeckt. Die folgenden Beispiele werfen hierauf einige Schlaglichter.

Die Vorstellung des Brautschleiers ist indirekt bereits im 4. Jahrtausend v. Chr. in der Kultur Sumers (heutiger südlicher Irak) belegt: Die Nacht wird in einer Quelle als «verschleierte Braut» umschrieben.6

Im Nachfolgereich Assur (ca. 1800–600 v. Chr.) galt: «Verheiratete Frauen und unverheiratete Töchter freier Bürger mussten sich in der Öffentlichkeit ebenso verschleiern wie Konkubinen, die verheiratet waren oder mit der Hauptfrau ausgingen, und verheiratete […] Frauen.» Andere Frauen hingegen, insbesondere Sklavinnen und Prostituierte, durften sich nicht verschleiern.7

Wiederholt begegnet uns der Schleier bei Gottheiten oder dann, wenn Menschen, insbesondere Priesterinnen oder Priester, dem Göttlichen begegnen. Oft findet sich etwa in der griechischen Antike die Göttin Hera, die «Göttermutter» und Gattin des höchsten Gottes Zeus, mit Schleier dargestellt. Ihr werden Schleier und andere Kleidungsstücke als sogenannte Gewandopfer dargebracht. Darstellungen der Hera mit Schleier nehmen im Lauf der Zeit ab, während die Frauen auf der Strasse immer öfter den Schleier tragen.8

Priester und Priesterinnen verschleiern sich in den Kulturen der Antike insbesondere beim Opfern. Die Priesterinnen der Isis und auch jene der Demeter trugen Schleier bei bestimmten Ritualen.9 Auch Moses, der Anführer des Volkes Israel beim Auszug aus Ägypten, verhüllt zum eigenen Schutz sein Gesicht, als er Gott begegnet (Altes Testament, Buch Exodus, Kap. 3, V. 6). Doch auch der Brautschleier taucht in der hebräischen Bibel wieder auf: Die Braut wird dem Gatten offenbar vollverhüllt zugeführt. Deshalb entdeckt Jakob zu spät, dass sein Schwiegervater Laban ihm nicht wie vereinbart die schöne Rahel, sondern deren ältere Schwester Lea zur Frau gegeben hat (Altes Testament, Buch Genesis, Kap. 29).

Schleier schützen also in den alten Kulturen die Person in kritischen Situationen oder markieren einen sozialen Status. Sie tauchen insbesondere im Zusammenhang mit dem Statuswechsel der Heirat immer wieder auf. Früh ist auch die Rede vom Schleier im übertragenen Sinn fassbar: Die Überwirklichkeit ist durch den Weltenschleier verhüllt. Mit der Nacktheit einer Person ist zugleich ihre Heiligkeit verbunden, die es deshalb zu schützen gilt.

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