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ОглавлениеTagebuch
Der Führer höchstpersönlich hat mir dieses Tagebuch gewidmet. Ich bin ihm dankbar dafür. Wir leben in einer großen Zeit, die geprägt ist von der Persönlichkeit unseres Führers und seiner Offiziere. Obwohl uns die ganze Welt vernichten will, schreiten wir voran, von Sieg zu Sieg. Unsere tapferen Armeen stehen tief in Russland. Frankreich und die Beneluxstaaten sind besetzt. Wir agieren mit Mussolini in Griechenland und in Afrika. Unser Sieg wird vollkommen sein. Er zeigt deutlich die Überlegenheit der arischen Herrenrasse. Wie gerne wäre ich an der Front, doch ich werde hier gebraucht, zur Freude meiner Frau. Auf diese Weise kann ich sie wenigstens ab und zu in Dresden besuchen. Sie macht sich ständig Sorgen um mich. Wenn der Krieg vorbei ist und das kann nicht mehr lange dauern, werden wir dem Führer Söhne schenken, viele Söhne. Derweilen quäle ich mich im Amt mit der Planung von Gebäuden, Verteidigungsanlagen und dem Bau von Waffenfabriken. Gerne hätte ich, wie Speer, am fantastischen neuen Großberlin mit geplant, aber es gibt auch so genug zu tun. Jeder muss in diesen schwierigen Zeiten sein Bestes leisten zum Wohle des deutschen Volkes. Ich als Architekt bin dankbar zum Endsieg beitragen zu können.
Heil Hitler
März 1941
Hatte vor Kurzem ein Gespräch mit dem Reichsführer der SS, Heinrich Himmler. Er ist zugleich Reichskommissar zur Festigung des deutschen Volkstums. Er fragte mich ob ich über den Fortschritt der ethnischen Säuberung in Deutschland informiert sei. Leider musste ich verneinen.
„Macht nichts“, schnarrte er, „ich bringe Sie mit den richtigen Leuten zusammen, da ergibt sich das schnell.“
Ich salutierte.
„Es geht um folgendes“, führte er aus, „unser Lager Auschwitz ist durch die Aufnahme von circa 10.000 sowjetischen Kriegsgefangenen völlig überfüllt. Wir brauchen deshalb schnellstens ein weiteres Lager, nicht weit von Auschwitz entfernt, in Birkenau. Ich erwarte ein Fassungsvermögen für mindestens 100.000 Häftlinge. Das Lager soll nur einfachst ausgestattet sein. Ich denke, Baracken sollten genügen. Keine aufwändige Kanalisation, das dauert mir zu lange. Sie bekommen aus Auschwitz Leute, soviel Sie benötigen. Um das Baumaterial kümmern Sie sich. Sie bekommen Order aus meinem Büro für Obersturmbannführer Rudolf Höß, den Lagerkommandanten von Auschwitz. Ferner setzen Sie sich mit Hauptsturmführer Dr. Josef Mengele, dem Lagerarzt, in Verbindung. Die zwei werden Sie über alles Weitere informieren. Ich erwarte Ihre Pläne in drei Wochen auf meinem Schreibtisch. Sie bekommen einen Dienstwagen mit Fahrer, damit Sie sich vor Ort ein Bild machen können. Ich verlasse mich auf Sie und denken Sie daran, wir müssen mit Material sparsam sein. Das wäre alles. Ich sehe Sie in drei Wochen.“
Ich wollte protestieren, die Zeit schien mir viel zu kurz. Er wischte meine Andeutung mit einer keinen Widerspruch duldenden Geste weg. Ich hob die Hand zum Hitlergruß.
„Jawohl Reichsführer“. Er war schon wieder in seine Papiere vertieft. Die Ordonanz geleitete mich hinaus. Ich fühlte mich geehrt durch das Vertrauen des Reichsführers, doch meine Bedenken blieben.
Am nächsten Tag brachte mir ein SS-Mann die Lagepläne, den Brief an Lagerkommandanten Höß.
„Der Wagen steht zu Ihrer Verfügung“, schnarrte der SS-Mann und knallte die Hacken zusammen. Es schien mir das Beste, erst den Bauplatz zu besichtigen. Ich holte die nötigsten persönlichen Sachen aus meinem Quartier und packte mein Arbeitsmaterial zusammen. Der Fahrer wartete unten. Dann ging es mit dem Wagen über Posen nach Auschwitz. Wir brauchten einen ganzen Tag. Die Straßen quollen über von Panzern und Spähfahrzeugen mit rasselnden Ketten. Endlich standen wir vor den Toren des Lagers. In schmiedeeisernen Buchstaben hing über dem Tor der Spruch: Arbeit macht frei. Hohe Stacheldrahtzäune umschlossen das Areal. Es roch nach Leid und Elend. Ausgemergelte Frauen schlurften vorüber, sie wagten es nicht den Blick zu erheben. Auch blutjunge, hübsche Mädchen waren unter den Gefangenen. Die Männer waren im Außeneinsatz bei der Arbeit.
„Jüdischer Abschaum“, knurrte mein Fahrer. Obersturmbannführer Höß empfing mich freundlich. Er beschrieb die Situation und seine Vorstellungen des Außenlagers, nachdem er den Brief des Reichsführers SS gelesen hatte. Kurz darauf standen wir auf dem geplanten Baugelände. Ich machte mir eifrig Notizen, verfertigte erste Skizzen. Höß stand daneben und sah mir aufmerksam über die Schulter.
„Schnell muss es gehen, schnell vor allen Dingen.“
„Was ist mit der Kanalisation, es könnten Seuchen ausbrechen.“
Höß zuckte mit den Schultern.
„Je weniger es werden, desto besser und schließlich haben wir unseren Lagerarzt Dr. Mengele. Er reißt sich um jeden Kranken, er forscht hier für das Kaiser-Wilhelm-Institut und für die Forschungsabteilung des Amtes Rosenberg.“
„Davon wusste ich nichts.“
„Vielleicht erzählt er Ihnen davon“, meinte Höß lakonisch. Es dunkelte als wir ins Lager zurückkehrten. Das Essen war vorzüglich und der Alkohol floss in Strömen. Am Offizierstisch lernte ich Dr. Josef Mengele kennen, einen kleinen Mann, der in seiner schwarzen Uniform noch durchscheinender wirkte, als er es ohnehin schon war. Er musterte mich spöttisch von oben bis unten mit einem stechenden, durchdringenden Blick.
„Sie fahren morgen zurück nach Berlin?“
„Ja.“
„Sie könnten mir für das Institut eine Reihe von Papieren mitnehmen, so geht es schneller. Kommen Sie morgen früh in Block 10, da arbeite ich.“
Die Offiziere wirkten ziemlich angetrunken. Höß zwinkerte mir zu.
„Noch etwas Süßes zum Aufwärmen“, grinste er.
Ich sah ihn verständnislos an. Er lachte schallend los, die Offiziere grinsten.
„Nur keine Scheu.“
Das Gästezimmer war spartanisch eingerichtet, aber sauber. Eine Pritsche, ein Waschbecken, zerfledderter Vorhang, von der Decke baumelte eine funzelige Glühbirne ohne Schirm. Die graue Wolldecke sorgfältig zusammengelegt, darunter ein weißes, frisch gebügeltes Leintuch. Ein Paradies war das nicht, aber wir befinden uns im Krieg. Von draußen drang der Stechschritt der Wache, ihr Koppelzeug klirrte leise. Ich zog mich aus, warf mich auf das Bett, löschte das Licht. Es klopfte scharf und bestimmend an der Tür.
„Was ist?“, meldete ich mich schlaftrunken.
Der Eingang wurde aufgerissen, ein SS-Mann stand breitschultrig und bedrohlich in der Tür. Seine Silhouette hob sich dunkel gegen das Licht des Ganges ab.
„Rein mit dir“, befahl er mit scharfer Stimme. Eine Gestalt drückte sich am Posten vorbei ins Zimmer. Die Tür fiel krachend ins Schloss.
„Du meldest dich nachher bei mir“, tönte es von draußen. Stille. Finsternis im Raum, die mit den Augen nicht zu durchdringen war. Ich hörte stoßweises, verängstigtes Atmen, lag wie erstarrt, verstand nicht was vorging, hörte das Rascheln eines Kittelkleides, ahnte, es fiel zu Boden.
„Was soll das?“, wehrte ich müde ab.
„Obersturmbannführer Höß schickt mich.“
Sie hatte eine warme, dunkle Stimme.
„Und“, entgegnete ich unwirsch, „geh wieder, ich bin müde.“
„Bitte tut das nicht, Herr“, flehte sie, „sie schlagen mich, wenn...“, sie stockte, „du weißt schon.“
Ich knipste das Licht an. Sie stand da, völlig nackt, sah mich mit angstvoll aufgerissenen Augen an. Das schwarze Haar reichte ihr bis zu den Schultern. Sie machte sich nicht die Mühe ihre Blöße zu bedecken, sah mich unverwandt an.Über den Bauch, die Brust zogen sich blaue Striemen. Offensichtlich eine Jüdin, eine sehr junge Jüdin. Ich stand auf, überlegte was ich tun sollte. Sie nutzte die Gelegenheit, legte sich mit dem Rücken auf das Bett, die Beine auseinander gespreizt. Sie sah mich todtraurig an, ich fühlte mich hundeelend. Ich zögerte. Sie winkte matt. Schließlich nahm ich sie, kurz und heftig. Ich sah ihre Tränen. Ich kann nicht sagen, dass es mir Spaß gemacht hat.
Am anderen Morgen frühstückten wir im Offizierskasino. Höß sah mich grinsend von der Seite an. Ich sagte nichts. Nach einem dünnen Kaffee schlenderte ich hinüber in Mengeles Labor.
Er streckte den Kopf aus dem Untersuchungszimmer. Seine Handschuhe blutig.
„Warten Sie einen Moment, ich bin gleich fertig.“ Er verschwand in seinem Operationsraum, ich hörte ihn mit den Bestecken hantieren.
„Wegbringen“, befahl er.
Er wusch sich lange die Hände, dann kam er, gab mir zur Begrüßung die linke Hand. im rechten Arm hielt er einen Glaszylinder, in dem ein Gehirn schwamm.
„Interessant, nicht?“, meinte er.
„Hier haben Sie die Papiere, sie sind für Professor Verschuer in der Forschungsabteilung des Amtes Rosenberg.“
Er drückte mir ein dickes braunes Kuvert in die Hand, in der Ecke prangte ein Hakenkreuz. Ich bestätigte ihm mit meiner Unterschrift den Empfang und verabschiedete mich. Kein guter Ort, dachte ich, als ich zu meinem Fahrer in den Wagen stieg.
„Es ist der Tod“, murmelte der Fahrer, er schien meine Gedanken gelesen zu haben. „Es ist der Tod, man kann ihn riechen.“
„Fahren wir“, befahl ich.
Cielo steckte den Kopf zur Tür herein. Sie machte ein besorgtes Gesicht.
„Geht es dir gut?“, fragte sie.
Heinrich nickte halbherzig. Glaubte seinem Nicken nicht.
„Ich beginne das Tagebuch meines Großvaters zu lesen, es scheint mir der richtige Zeitpunkt. In ein paar Minuten komme ich zu dir.“
Sie schloss geräuschlos die Tür.
Wir fuhren durch das gequälte Land zurück nach Berlin. In den nächsten Tagen suchte ich Freiherr von Verschuer im Amt Rosenberg auf. Er arbeitete dort als Spezialist für Biologie in der Forschungsabteilung für Judenfragen. Von Haus aus war Verschuer in Frankfurt am Institut für erbbiologische Forschung beschäftigt, doch für spezielle Fragen kehrte er von Zeit zu Zeit nach Berlin zurück. Ich betrat das scharf bewachte Gebäude, wies mich aus und nach einem kurzen Telefonat wurde ich zu Verschuer vorgelassen.
„Halten Sie ihn nicht lange auf“, wies mich die altjüngferliche Sekretärin in Uniform spitz zurecht. „Wir sind unter Zeitdruck, der Reichsführer SS möchte Ergebnisse sehen und zwar bald.“
„Keine Sorge, mir geht es ähnlich.“
Verschuer saß an einem weit ausladenden, mit Papieren übersäten Schreibtisch. Er trug einen weißen Kittel und studierte mit einer Lupe offensichtlich Fingerabdrücke. Er blickte kurz auf und maß mich mit einem kritischen Blick.
„Was gibt’s?“, fragte er scharf.
„Ich habe einen Brief von Hauptsturmführer Mengele, ich soll ihn persönlich überbringen.“ Ich überreichte ihm den dicken braunen Umschlag.
„Ah, sehr schön, setzen Sie sich.“ Er riss das Kuvert auf, blätterte kurz die darin enthaltenen Papiere durch. Er schien zufrieden.
„Gute Arbeit“, murmelte er zu sich. „Wie kommen Sie in diese Sache?“, wollte er wissen. Ich berichtete in knappen Worten von Himmlers Auftrag.
„Ja, das ist eine notwendige Entwicklung und konsequent“, merkte er an. „Sie wissen, was wir hier und in Auschwitz tun?“
Ich musste zu meiner Schande gestehen, dass ich nur eine vage Vorstellung hatte.
„Aber die Theorie der Rassenhygiene von Ernst Rudin, auf der die Nürnberger Rassengesetze basieren, ist Ihnen bekannt.“
Ich nickte.
„Nun“, fing er an zu dozieren, „die Eugenik-Bewegung forscht weltweit, nicht nur in Deutschland. Es gibt Forschungsstätten in London und in New York. Wir befassen uns alle mit demselben Thema: wie kann verhindert werden, dass unwertes Leben durch ungeplante Zeugung weitergegeben wird. In den Vereinigten Staaten wird aus diesem Grund noch in großem Stil sterilisiert. Es gibt sogar ein Gerichtsurteil des obersten Gerichtshofes aus dem Jahre 1927, das die Zwangssterilisation als verfassungskonform ansieht. Sie sehen also, wir Deutsche stehen nicht alleine. Im Gegenteil, die Rockefeller-Stiftung hat das Kaiser-Wilhelm-Institut über Krupp und das Bankhaus Kuhn-Loeb seit 1922 über ihr Pariser Büro mit Geld unterstützt. Bis 1926 hat die Rockefeller-Stiftung mehr als 410.000 Dollar an deutsche Eugenik-Forscher ausgeschüttet. Unser Kaiser-Wilhelm-Institut in Berlin wäre ohne die Zuwendung von 250.000 Dollar nicht überlebensfähig gewesen. Ernst Rudin ist nebenbei auch seit 1932 Präsident des Weltbundes für Eugenik. Diese immense Finanzierung stoppte erst 1939 mit unserem Einmarsch in Polen. Nun setzen wir diese Forschung aus eigener Kraft fort, doch wir tauschen uns noch immer, trotz des Krieges, über die Ergebnisse aus. Mein ehemaliger Assistent Mengele untersucht in Auschwitz in großem Stil die Auswirkungen spezifischer Eiweißkörper auf das Blut von Betroffenen bei Infektionskrankheiten. Dabei infiziert er Menschen verschiedener geographischer Herkunft mit Krankheitserregern. Davon berichtet er mir, schickt auch Proben. Er untersucht in unserem Auftrag auch Zwillinge. Ebenso bekommt das Kaiser-Wilhelm-Institut von Dr. Mengele Gehirne, die er entnommen hat, zur weiteren Untersuchung. Das sollten Sie für Ihre Arbeit wissen. Und nun lassen Sie mich weiterarbeiten. Sollten Sie einmal in die Lage kommen, einen Kontakt nach Amerika zu benötigen, wenden Sie sich an mich.“
„Danke, ich weiß Ihr Entgegenkommen zu schätzen“, sagte ich und erhob mich.