Читать книгу Reform oder Blockade - Andreas Zumach - Страница 45
Corona-Schlagabtausch zwischen USA, WHO und China
ОглавлениеAuch nach Beginn der Corona-Pandemie, die nach bisherigem Stand der Erkenntnis im November 2019 auf einem Markt im chinesischen Wuhan ausbrach, wurde die WHO zunächst heftig kritisiert. Schärfster Kritiker war der damalige US-Präsident Donald Trump. Er warf der WHO vor, sie sei eine »Marionette« Chinas. Peking habe über den Ursprung des Virus und die Umstände seines Ausbruchs »gelogen« und die WHO habe diese Lügen weiterverbreitet, behauptete Trump. Auch habe die WHO es nach der Verbreitung des Virus über die Grenzen Chinas hinaus Anfang 2020 versäumt, vor internationalen Reisen zu warnen. Daher seien »China und die WHO gemeinsam verantwortlich für die weltweite Verbreitung des Virus«. Zeitweise behauptete Trump, das Corona-Virus sei aus einem »chinesischen Labor zur Herstellung biologischer Waffen« entwichen. Trump vollzog den Austritt der USA aus der WHO. Bis zum Ende seiner Amtszeit bezeichnete er das Corona-Virus als »China-Virus«. Damit versuchte der US-Präsident vergeblich, von der eigenen, in jeder Hinsicht verantwortungslosen und katastrophalen Politik zur Bekämpfung der Corona-Pandemie abzulenken, die er unter anderem als »harmlose Erkältungskrankheit« oder als »Erfindung der Demokraten« im Präsidentschaftswahlkampf abtat.
Trumps krasse Falschbehauptungen und Lügen sind längst widerlegt und können getrost als reine Propaganda abgelegt werden. Es gab allerdings zumindest in der Anfangsphase der Pandemie Anlass zu Kritik an China und zu Unzufriedenheit mit der WHO-Führung unter Generaldirektor Tedros Adhanom Ghebreyesus. Bereits im November 2019 traten in der chinesischen Stadt Wuhan Fälle einer bis dahin unbekannten Lungenerkrankung auf. Doch erst am 31. Dezember 2019 meldete Peking diese Fälle an die WHO. Vor diesem Datum, aber auch danach wurden chinesische Ärzte und Gesundheitsexpertinnen sowie Journalistinnen und Journalisten, die frühzeitig vor dem Virus gewarnt und Vertuschungsmanöver der eigenen Regierung kritisiert hatten, mundtot gemacht. Dennoch fand der WHO-Generaldirektor bei seiner ersten Pressekonferenz zum Thema am 23. Januar 2020, nach seinem Pekinger Treffen am 28. Januar 2020 mit dem chinesischen Staatschef Xi Jinping und auch bei allen weiteren öffentlichen Erklärungen bis Anfang März 2020 stets nur lobende Worte für die Maßnahmen der chinesischen Führung zur Bekämpfung des Corona-Virus. Das trug dem Generaldirektor den Vorwurf »zu großer Gutgläubigkeit« gegenüber Peking und Rücktrittsforderungen ein. Verteidiger des Generaldirektors weisen darauf hin, er habe bei seinen internen Gesprächen mit chinesischen Regierungsvertretern deutliche kritische Worte gefunden, bei seinen öffentlichen Erklärungen aber darauf Rücksicht nehmen müssen, dass China inzwischen neben den USA das gewichtigste Mitglied der WHO sei. Anfang Januar 2021 äußerte sich der Generaldirektor »sehr enttäuscht« darüber, dass die chinesische Regierung die Einreise einer Expertendelegation der WHO, die die Ursprünge des Pandemieausbruchs 2019 untersuchen soll, immer wieder verzögerte. Mitte Januar 2021 durfte die Delegation endlich einreisen, allerdings nur unter erheblichen Restriktionen. Ob unter diesen Umständen die offenen Fragen jemals geklärt werden können, bleibt abzuwarten.
Die Probleme in der Anfangsphase der Corona-Pandemie weisen auf ein grundsätzliches Dilemma der WHO hin, das auch bei früheren Epidemien und Pandemien schon auftrat. Die WHO hat bis heute keinerlei Handhabe, um nach Auftreten einer bis dato unbekannten Krankheit in einem Mitgliedsland dort eigenständige, von der jeweiligen Regierung unabhängige Nachforschungen über diese Krankheit und ihre Ursachen anzustellen.
Notwendig wären neue, rechtsverbindliche Befugnisse für die WHO, wie sie der Präsident Südkoreas Moon Jae-in bei der Generalversammlung im Mai 2020 vorschlug. Am wichtigsten wäre die Stationierung ständiger WHO-Beobachter in allen 194 Mitgliedsländern mit uneingeschränkten Kompetenzen zur Informationsbeschaffung bei Regierungsbehörden wie bei nichtstaatlichen Akteuren. Doch hätte die lautstark nach Reformen der WHO rufende Trump-Administration die dauerhafte Anwesenheit von internationalen Beobachtern im eigenen Land akzeptiert? Auf die Gefahr hin, dass diese dann möglicherweise Informationen über die krankheits- und epidemiefördernden Mängel im US-Gesundheitssystem sammelten? Wahrscheinlich nicht. Die Trump-Administration stimmte bereits bei der WHO-Generalversammlung im Mai 2020 gegen eine Resolution mit der Forderung, mit einer »unparteiischen, unabhängigen und umfassenden Evaluierung« die Reaktion auf die Corona-Pandemie zu untersuchen – und zwar nicht nur in China, sondern »weltweit«, damit auch in den USA.