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Welchen Einfluss nimmt die Stiftung auf die WHO, und wie macht sich das in der Arbeit der WHO bemerkbar?

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Die Gates-Stiftung vergibt ihre zweckgebundenen Mittel an die WHO vorrangig für technische Maßnahmen gegen Infektionskrankheiten, zum Beispiel für Impfkampagnen und für die Verteilung von Medikamenten insbesondere in ärmeren Ländern des Südens. Damit leistet die Stiftung ohne Frage einen wichtigen Beitrag zur gesundheitlichen Versorgung von Menschen mit akutem Bedarf. Ihr technokratischer Ansatz berücksichtigt allerdings nicht die sozialen und ökonomischen Rahmenbedingungen, die überhaupt erst zur Ausbreitung von Infektionskrankheiten führen. Zugleich entspricht die Gates-Stiftung mit ihrer Finanzierungsstrategie den Interessen der Pharmakonzerne, bei denen die Gates-Stiftung milliardenschwere Aktienpakete besitzt. Als Folge ihrer zunehmenden Abhängigkeit von solchen zweckgebundenen Finanzbeiträgen hat die WHO ihren Auftrag zu einer präventiven Politik, insbesondere den Aufbau funktionierender Gesundheitssysteme in armen Ländern, in den letzten 25 Jahren zunehmend vernachlässigt.

Die Gates-Stiftung besitzt ein Kapitalvermögen von rund 60 Milliarden US-Dollar. Das Geld stammte ursprünglich aus dem Microsoft-Konzern, inzwischen aber zunehmend aus dem Besitz von Aktien der weltgrößten Pharmakonzerne (Pfizer, Novartis, Roche, GlaxoSmithKline, Sanofi, Gilead). Je mehr Gewinn diese Konzerne machen, desto mehr Geld kann die Gates-Stiftung an die WHO vergeben.

Bei der sogenannten Schweinegrippe im Jahr 2009 führte der Einfluss der Pharmaindustrie dazu, dass die WHO sehr schnell eine Pandemie ausrief. Die Pharmakonzerne erhöhten ihre Impfstoffproduktion. Mit ihren Warnungen vor der Pandemie löste die WHO eine weltweite Panik aus. Dadurch wurden wiederum die Regierungen unter Druck gesetzt, ihre Lager rasch mit Impfstoffen und Medikamenten gegen die Schweinegrippe zu füllen. Allein die deutsche Bundesregierung kaufte damals Impfstoffe und Grippemittel im Wert von 450 Millionen Euro. Als die Pandemie ausblieb, mussten die Medikamente vernichtet werden. Die Pharmakonzerne aber hatten Milliardengewinne gemacht.

In der aktuellen Corona-Krise sind alle Pharmakonzerne, an denen die Gates-Stiftung direkt oder indirekt Aktienanteile hält, an den Forschungen zur Entwicklung eines Corona-Impfstoffs beteiligt, zum Teil in scharfer Konkurrenz zueinander. Der US-Konzern Pfizer – zusammen mit der deutschen Firma Biontech – war Ende 2020 als erstes Unternehmen mit einem zugelassenen Impfmittel auf dem Markt. Mit dem britisch-französischen Konsortium aus GlaxoSmithKline und Sanofi und mit anderen Pharmakonzernen hatten die USA, die EU und weitere Länder lukrativere Verträge für über eine Milliarde Impfdosen abgeschlossen. die Gates-Stiftung dürfte ihr Vermögen in Folge der Corona-Pandemie auf jeden Fall erheblich steigern.

Neben ihren Anteilen an Pharmakonzernen hält die Gates-Stiftung auch milliardenschwere Aktienpakete an den weltgrößten Lebensmittelunternehmen (Coca Cola, PepsiCo, Unilever, Kraft Heinz, Mondelez und Tyson Foods) und Herstellern alkoholischer Getränke (Anheuser-Busch, Pernod). Darüber hinaus ist sie indirekt an einigen dieser Unternehmen beteiligt. Zum Beispiel hält sie Anteile im Wert von fast zwölf Milliarden US-Dollar am Berkshire Hathaway Trust des Investors Warren Buffett. Der Trust wiederum besitzt Aktien von Coca Cola im Wert von 17 Milliarden US-Dollar und von Kraft Heinz von 29 Milliarden US-Dollar.

Auch hier gilt für die Gates-Stiftung: Je mehr Profite die genannten Konzerne machen, desto mehr Geld kann sie für die WHO ausgeben. Für die WHO heißt das wiederrum, sie würde mit jeder Maßnahme gegen gesundheitsschädliche Aktivitäten der Süßgetränke-, Alkoholund Pharmaindustrie die Gates-Stiftung daran hindern, Spenden für die WHO zu erwirtschaften. Kurz, die Weltgesundheitsorganisation steckt in einem klassischen Interessenkonflikt, der sie in ihren Handlungsmöglichkeiten einschränkt und der angesichts ihrer finanziellen Abhängigkeit von der Gates-Stiftung kaum aufzulösen ist.

Aggressives Marketing von zucker-, fett- und salzreichem Junkfood hat dazu geführt, dass heute zwei Milliarden Menschen übergewichtig sind – 2016 starben alleine in China 1,3 Millionen Menschen an Diabetes. Vom Einfluss der Nahrungsmittelindustrie auf die WHO und der weltweiten Pandemien Fettleibigkeit und Diabetes profitieren wiederum die Pharmakonzerne. Besonders gewinnträchtig sind unter anderem Medikamente gegen Folgeerkrankungen falscher Ernährung. Der weltweite Umsatz mit Diabetes-Medikamenten lag 2017 bei rund 55 Milliarden US-Dollar.

Außer im Gesundheitswesen engagiert sich die Gates-Stiftung im Bereich des UNO-Systems unter anderem auch für landwirtschaftliche Programme zur Bekämpfung des Hungers. Als die Stiftung nach ihrer Etablierung Mitte der neunziger Jahre begann, der New Yorker UNO-Zentrale Angebote zur Finanzierung bestimmter, von der Stiftung ausgewählter Programme und Aufgaben zu machen, befand sich die Weltorganisation gerade in ihrer bis dato schwersten Finanzkrise. Wesentlich verursacht wurde diese Krise durch die Weigerung der USA, rund 1,7 Milliarden US-Dollar völkerrechtlich verbindlicher Pflichtbeiträge an die UNO-Kasse zu überweisen. Ohne eine möglichst pünktliche Entrichtung der jährlichen Pflichtbeiträge durch die Mitgliedstaaten – die Finanzregeln der UNO schreiben hierfür als letzte Frist den 31. Januar vor – kann die UNO nicht funktionieren. Sie darf sich kein Geld bei Banken leihen oder sonstige Kredite aufnehmen.

In der im Wesentlichen von den USA verursachten finanziellen Erpressungssituation Mitte der neunziger Jahre nahm der damalige UNO-Generalsekretär Kofi Annan die Angebote der Gates-Stiftung und anderer privater Finanziers nur allzu bereitwillig an (siehe Kapitel »Ted Turner, Bill Gates, Nestlé und der Global Compact – die neoliberale Privatisierung der UNO und der wachsende Einfluss von Wirtschaftskonzernen«, S. 237). Doch aus der Abhängigkeit von privaten Finanziers, in die sich die Weltgesundheitsorganisation und andere Teile und Aufgabenbereiche der UNO wegen der extremen Finanzkrise in den neunziger Jahren begeben hatten, ist inzwischen längst ein Dauer- und Normalzustand geworden. Außer von einigen Nichtregierungsorganisationen wie dem in New York, Bonn und Brüssel ansässigen Global Policy Forum wird diese problematische Abhängigkeit kaum noch kritisch hinterfragt. Einer der wenigen, die sich die Mühe gemacht haben, die Auswirkungen der Finanzierung von Gesundheitsprogrammen der WHO und anderer Institutionen durch die Gates-Stiftung und andere private Geldgeber zu untersuchen, ist der britische Mediziner David McCoy. Er lehrt Public Health (öffentliche Gesundheit) an der Universität Queen Mary in London.

In einem Interview mit der Zeitschrift Enorm. Wirtschaft für den Menschen vom März 2014, geführt von der Journalistin Kathrin Hartmann, kommt McCoy zu einem vernichtenden Ergebnis: »Die Gates-Stiftung ist ein Mittel, um Macht und Einfluss auszuüben.« Er sagt: »Bill Gates nennt sich einen ›ungeduldigen Optimisten‹. Aber ich finde, dass seine Hoffnungen konservativ und unambitioniert sind. Ich will eine gerechte Entwicklung – nicht nur Charity. Ich bin hier der ungeduldige Optimist. Dennoch: Es scheint ihm ernst zu sein, Gutes für die Armen tun zu wollen. Deshalb würde ich mit ihm gerne öffentlich diskutieren. […] Ich würde mit ihm über die Unzulänglichkeit des Systems geistiger Eigentumsrechte sprechen und ihn auffordern, sich für Banken-, Buchführungs- und Steuerreformen einzusetzen, die unterbinden würden, dass Hunderte Milliarden Dollar auf illegalem Weg Afrika verlassen. Über Handels- und Investitionsabkommen, von denen Investoren und Großkonzerne profitieren und unter denen Menschen und Umwelt leiden. Ich würde ihn fragen, ob er das unermessliche Vermögen des einen Prozents der Weltbevölkerung ökonomisch und ethisch begründen kann und ob das erbärmliche Gehalt Hunderttausender Krankenschwestern und Lehrer weltweit gerechtfertigt ist. Mir würde noch viel einfallen. Wir könnten stundenlang diskutieren.«

Reform oder Blockade

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