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Nach vier Jahren UNO-Feindschaft der USA

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Am 20. Januar 2021 endeten vier Jahre, in denen die USA, das seit 1945 gewichtigste Mitglied der UNO, stärker als je zuvor auf Konfrontationskurs gingen gegen die Weltorganisation, das Völkerrecht und andere multilaterale Institutionen, Verträge und Normen. Seinen ersten Auftritt vor der UNO-Generalversammlung im September 2017 missbrauchte Präsident Donald Trump für eine völkerrechtswidrige Vernichtungsdrohung mit »atomarem Feuer« gegen Nordkorea. Danach vollzogen die USA den Austritt aus der UNO-Organisation für Erziehung, Wissenschaft und Kultur (UNESCO), aus der WHO und aus dem Pariser Klimaabkommen. Die USA kündigten das vom UNO-Sicherheitsrat einstimmig abgesegnete Abkommen über das iranische Nuklearprogramm, den wichtigsten außenpolitischen Erfolg von Trumps Vorgänger Barack Obama. Zudem verhängte die Trump-Administration völkerrechtswidrige Sekundärsanktionen gegen ausländische Banken und Unternehmen, um diese zum Abbruch von Wirtschaftsbeziehungen mit Iran zu nötigen. Mit ebenfalls völkerrechtswidrigen Sanktionen und der Festnahme bedrohte die Trump-Administration auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH), um sie von Ermittlungen wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen von US-Soldaten in Afghanistan und Irak abzuhalten.

Der neue Präsident Joe Biden hat mit der Rückkehr der USA in die WHO und in das Pariser Klimaabkommen zwar erste Korrekturen der verheerenden Politik seines Vorgängers vollzogen und zudem die Bereitschaft seiner Administration zu »multilateraler Kooperation« versprochen. Zugleich erheben Biden und andere Mitglieder seiner Regierung aber sehr deutlich den Anspruch auf eine »globale Führungsrolle« der USA. Wie wird sich diese widersprüchliche Zielformulierung in der künftigen praktischen Politik der USA auswirken? Ist eine unipolare Führungsrolle der USA, die sich bereits seit den neunziger Jahren zumindest ökonomisch in einem relativen Machtabstieg befinden, in einer inzwischen multipolaren Welt mit mehreren anderen Global Players – China, Russland, EU, bald auch Indien und andere – überhaupt möglich? Wie sich die USA und – zum Teil in Reaktion auf die Politik Washingtons – die anderen Global Players künftig verhalten, wird ganz entscheidend die Handlungsfähigkeit des UNO-Sicherheitsrats und anderer Institutionen des UNO-Systems bestimmen. Das Worst-Case-Szenario wäre, die USA entscheiden sich für einen harten, auch militärisch unterfütterten Konfrontationskurs gegen Peking und versuchen die EU sowie ihre pazifischen Verbündeten, Japan, Australien und andere, einzubinden in eine Allianz gegen China, mit dem sich dann wahrscheinlich Russland verbünden wird. Und beide Allianzen bemühen sich, Indien auf ihre Seite zu ziehen. Das würde zu einem neuen globalen Kalten Krieg und einer Totalblockade des Sicherheitsrats führen.

Neben den USA lieferten auch andere Global Players in den letzten fünf Jahren besorgniserregende Beispiele für die Missachtung völkerrechtlicher Normen, internationaler Institutionen sowie humanitärer Grundprinzipien und Verpflichtungen. Die Regierung Chinas warf das Urteil in den Papierkorb, mit dem der internationale Ständige Schiedshof in Den Haag 2016 auf eine Klage der Philippinen hin Pekings Hoheitsansprüche auf weite Teile des Südchinesischen Meers als Verstoß gegen das UNO-Seerechtsabkommen verurteilte. Russland verfestigte seine Kontrolle über die 2014 völkerrechtswidrig annektierte Krim – unter anderem mit dem Bau der Brücke über das Asowsche Meer – und setzt die Unterstützung der Sezessionskrieger in der Ostukraine fort. Gemeinsam erzwangen Russland und China 2020 im UNO-Sicherheitsrat mit ihrem Veto, dass drei von ursprünglich vier offenen Grenzübergängen für die Lieferung humanitärer Überlebensgüter an die notleidende syrische Bevölkerung geschlossen werden mussten. Und die EU-Staaten verstoßen nach einer Ende Januar 2021 veröffentlichten Analyse des UNO-Hochkommissariats für Flüchtlinge (UNHCR) mit ihrer Behandlung und Zurückweisung von Geflüchteten an den Außengrenzen der EU in immer stärkerem Maße gegen die Genfer Flüchtlingskonvention der UNO von 1951.

Das Verhalten der Global Players lässt die Aussicht, regionale Kriege und Spannungen sowie innerstaatliche Gewaltkonflikte durch Vermittlung oder Friedensmissionen der UNO zu beenden und politische Lösungen herbeizuführen, noch geringer werden. Bereits die letzten fünf Jahre waren in dieser Hinsicht sehr enttäuschend. Die im Januar 2016 begonnenen Genfer UNO-Verhandlungen über eine Nachkriegsordnung in Syrien verliefen auch in ihrer inzwischen neunten Runde im Januar 2021 erfolglos. Ähnliches gilt für die Bemühungen der UNO im Libyenkonflikt. Im opferreichen Jemenkrieg ist die UNO darauf beschränkt, eine der schlimmsten humanitären Krisen und Hungerkatastrophen seit dem Zweiten Weltkrieg mit völlig unzureichenden Mitteln wenigstens etwas abzumildern. Im anhaltenden Sezessionskrieg in der Ostukraine und im Konflikt um die von Russland völkerrechtswidrig annektierte Krim ist die UNO weiterhin zur Untätigkeit verdammt. Dasselbe galt für den Krieg, der im Herbst 2020 zwischen Armenien und Aserbeidschan stattfand. Die Türkei erhielt für ihren im Oktober 2019 begonnenen Krieg gegen die Kurden in Nordsyrien sogar grünes Licht von den USA und von Russland, zwei ständigen Mitgliedern des Sicherheitsrats, dessen vorrangige Verantwortung »die Bewahrung des Friedens und der internationalen Sicherheit« ist. Und im israelischpalästinensischen Konflikt hat Donald Trump unter mehrfacher Missachtung des Völkerrechts Fakten geschaffen, die den Konflikt nicht befrieden, sondern weiter anheizen werden. Zumal es bislang keine Anzeichen dafür gibt, dass Präsident Biden vorhat, diese völkerrechtswidrigen Akte seines Vorgängers wieder zu korrigieren. Im seit 2002 geführten »Krieg gegen den Terrorismus« unter Führung der USA, der von fast allen UNO-Staaten mehr oder weniger unterstützt wird, gab es mit der Vertreibung der meisten Kämpfer des »Islamischen Staats« (IS) aus Syrien und Irak lediglich einen Etappenerfolg. Dieser ist nicht nachhaltig, und keine der Ursachen für islamistisch gerechtfertigten Terrorismus wurde bislang überwunden.

Schon seit 2014 – lange vor der Corona-Pandemie und vor Beginn der UNO-feindlichen und völkerrechtswidrigen Politik der Trump-Administration ab Januar 2017 – hatten die Ausbreitung und Eskalation von scheinbar unkontrollierbaren Epidemien (Ebola) und Gewaltkonflikten (Ukraine/Krim, Irak, Syrien, Gazastreifen) und die dadurch ausgelösten humanitären Krisen und Flüchtlingsbewegungen nach Europa bei vielen Menschen den Eindruck von einem »globalen Chaos« erzeugt. Noch verstärkt wurden dieser Eindruck und die damit verbundenen Bedrohungsgefühle durch den schnellen erfolgreichen Eroberungsfeldzug des IS im Irak und in Syrien sowie die spektakulären und opferreichen islamistischen Terroranschläge der Jahre 2015 bis 2017 in Paris, Nizza, Berlin, Manchester und anderen europäischen Städten.

Die UNO ist mit ihren Bemühungen zur Eindämmung und Beendigung dieser Krisen und Gewaltkonflikte entweder gescheitert, oder sie hat erst gar keine unternommen. Das hatte den Eindruck vom »globalen Chaos« und von einer »aus den Fugen geratenen Welt« noch verstärkt und zu der Meinung geführt, die 1945 gegründete UNO sei inzwischen überflüssig geworden.

Doch anders als die Rede vom »globalen Chaos« nahelegt, sind Kriege und Krisen, die die letzten Jahre seit 2014 geprägt haben, weder ein unausweichliches Schicksal noch eine Naturkatastrophe oder gar göttlicher Wille. Das gilt auch für all die anderen opferreichen Gewaltkonflikte und Krisen vor allem auf dem afrikanischen Kontinent, die weitgehend durch das Raster der Wahrnehmung westlicher Medien fallen. Für sämtliche dieser Gewaltkonflikte und Krisen existieren analysierbare und benennbare kurz-, mittel- und langfristige Ursachen, seien es absichtsvolle Handlungen oder Fehler und Versäumnisse. Und es gibt Täter und Verantwortliche für diese Handlungen, Fehler und Versäumnisse.

Für all die genannten Krisen und Gewaltkonflikte lässt sich auch erklären, warum die UNO mit ihren Vermittlungs- und Eindämmungsbemühungen gescheitert ist oder warum sie derartige Bemühungen erst gar nicht unternommen hat. Und es lässt sich auch beschreiben, was geschehen müsste und welche Reformen erforderlich sind, damit die UNO künftig wieder handlungsfähiger wird sowohl in inner- und zwischenstaatlichen Konflikten als auch gegenüber globalen Herausforderungen wie der Corona-Pandemie und dem Klimawandel, der Finanzkrise oder dem islamistisch gerechtfertigten Terrorismus.

Reform oder Blockade

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